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Am 28. Februar 2016 sind wir aufgerufen, über die sogenannte «Durchsetzungsinitiative» abzustimmen. Das Anliegen der Initianten ist es, der «Ausschaffungsinitiative», die das Stimmvolk am 28. November 2010 angenommen hat, Nachdruck zu verleihen, den Katalog der von einer Ausschaffung betroffenen Delikte auszudehnen1 und Ausnahmeregelungen für Härtefälle zu verunmöglichen. Aus christlicher Sicht ist diese Vorlage sowohl inhaltlich als auch formal unhaltbar.

Kein Ansehn der Person

Inhaltlich festigt die Durchsetzungsinitiative die von der Ausschaffungsinitiative eingeführte Grundidee, dass Ausländer härter bestraft werden sollen als Schweizer. In der Bibel wird demgegenüber die Gleichbehandlung aller Menschen vor dem Gericht grossgeschrieben. Die Menschen sollen nicht nach äusserlichen Kriterien (etwa der Nationalität) beurteilt werden. So etwa bei König Josafat, der die Rechtsprechung neu ordnet: «Darum lasst die Furcht des HERRN bei euch sein, haltet und tut das Recht; denn bei dem HERRN, unserm Gott, ist kein Unrecht, weder Ansehen der Person noch Annehmen von Geschenken» (2. Chronik 19,7).

Auch die Weisheitsliteratur bekräftigt diesen Gedanken: «Die Person ansehen im Gericht ist nicht gut» (Sprüche 24,23). Der spezifische Fall der Ausländer wird im Gesetz des Mose überaus deutlich behandelt: «Für die ganze Gemeinde gelte nur eine Satzung, für euch wie auch für die Fremdlinge. Eine ewige Satzung soll das sein für eure Nachkommen, dass vor dem HERRN der Fremdling sei wie ihr» (4. Mose 15,15–16). Somit scheint klar, dass die Durchsetzungsinitiative (übrigens auch ihre grosse Schwester, die Ausschaffungsinitiative) im Inhalt biblischen Grundwerten widerspricht.

Unterordnung unter die Obrigkeit

Auch formal stellt die Initiative aus christlicher Sicht ein Problem dar. Die Initianten haben noch vor Abschluss des Gesetzgebungsprozesses im Parlament die Initiative lanciert mit dem Vorwurf, das Parlament respektiere den Volkswillen nicht. Dabei hätten sie die Möglichkeit gehabt, den Gesetzentwurf mit einem Referendum anzugreifen, um einen neuen Entwurf zu erzwingen. So schliessen sie das vom Volk gewählte Parlament. Überdies nimmt der Initiativtext den Gerichten jeglichen Ermessensspielraum, indem er unbedingte Härte verlangt und keine Ausnahmen für Härtefälle vorsieht. So missachten die Initianten das gesunde Zusammenspiel der drei Staatsgewalten (Bundesrat, Parlament, Gerichte) und versuchen, allen Institutionen ihre Sichtweise in absoluter Weise aufzuzwingen.

Vor einer solchen Haltung des Misstrauens und der Missachtung den Behörden gegenüber wird in der Bibel gewarnt. So schreibt etwa Paulus: «Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ausser von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet» (Römer 13,1). Natürlich muss diese Stelle vorsichtig verwendet werden, wurde sie in der Vergangenheit doch vielfach missbraucht, um die Unterdrückten in ihrer Unterdrückung zu halten. In unserem heutigen politischen System können wir diese Unterordnung unter die Obrigkeit als den Respekt der Institutionen deuten, also auch der bestehenden Gewaltentrennung. Ein solcher Respekt schliesst eine kritische Haltung und ein Hinwirken auf eine Veränderung der Institutionen nicht aus, gerade wenn sie der Unterdrückung der Schwächsten dienen. Bei der Durchsetzungsinitiative, die das System der Gewaltentrennung durch die Hintertür schwächen würde, ist aber nicht einsichtig, welche Unterdrückung sie bekämpfen will. Sie schafft vielmehr neues Unrecht für unsere ausländischen Mitmenschen.

Das Böse mit dem Guten überwinden

Die Online-Kommentare zeigen, dass die Anziehungskraft dieser Initiative auch in einem weit verbreiteten Gefühl liegt, die «wirklich Schuldigen» würden nicht bestraft und würden unser strafrechtliches System ausnützen, um auf unsere Kosten zu leben (Stichwort Kriminaltourismus2 ).

Tatsächlich ist es so, dass unser Rechtssystem, wie jedes menschliche System, unvollkommen ist und es Vieles zu verbessern gibt. Doch ändert die Initiative nichts am bestehenden Unrecht; sie schafft vielmehr neues. So stellt sie etwa Genozid und Sozialmissbrauch gleich und nimmt es in Kauf, dass ein hier aufgewachsener Familienvater ausgeschafft wird. Demgegenüber ruft uns Paulus zu: «Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.» (Römer 12,21). Wir Christen sind aufgerufen, über System-Ungerechtigkeit offen zu diskutieren und dann konstruktive, «gute» Verbesserungsvorschläge zu bringen.

Es gilt auch zu bedenken, dass sich Jesus mit den Randständigen und Ausgegrenzten identifiziert. So etwa im Gleichnis von den Schafen und Böcken. Dort sagt Jesus: «Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen… Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen» (Matthäus 25,35–36). Im Zusammenhang mit der Durchsetzungsinitiative erhält diese Aussage eine ganz neue Bedeutung: Jesus begegnet uns nicht nur im Ausländer, sondern auch im kriminellen (inhaftierten) Ausländer. Können wir Christen unter diesen Umständen wirklich fordern, dass solche Leute ausgeschafft werden sollen? Und erst noch bedingungslos?

Die Wahrheit lieben

Das verbreitete Gefühl des Unrechts beruht oft auch auf falschen Informationen. So hat eine nicht repräsentative Umfrage auf dem Datenblog3  von Newsnet.ch gezeigt, dass die Teilnehmer die Kriminalität allgemein (Schweizer und Ausländer) viel höher einschätzen, als sie wirklich ist.4 Dies ist ein Hinweis darauf, wie gross die Angst ist und wie sehr diese Problematik überbewertet wird. So bewegt sich die Debatte leider oft weitab von realen Fakten. Hier sind wir Christen gefordert, als «Kinder des Lichts» die Wahrheit zu lieben und uns den Fakten zu stellen, auch wenn sie unbequem sind und nicht unseren ideologischen Vorurteilen entsprechen.


1. Die Initiative fordert für so unterschiedliche Straftaten wie Völkermord, Vergewaltigung, Einbruch, Drogenbesitz und Sozialmissbrauch dieselbe Ausschaffungs-Sanktion.

2. Leider bietet die Initiative gerade zur Bekämpfung des Kriminaltourismus keine Handhabe. Wer nicht hier wohnt und illegal einreist, um bei uns eine Straftat zu begehen, hat logischerweise keine Angst vor einer Ausschaffung.

3.  «So kriminell sind Ausländer wirklich», blog.derbund.ch/datenblog/index.php/11293/so-kriminell-sind-auslaender-wirklich; eingesehen am 5.2.2016.

4. Anteil der verzeigten Schweizer und Ausländer: von LeserInnen geschätzt (Ø): 10,9% (CH), 16,4% (Ausl.); tatsächlicher Wert: 0,7% (CH), 2,2% (Ausl.); eingesehen am 5.2.2016.

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Die Spekulationsstopp-Initiative der Juso will Börsenspekulationen mit Agrar-Rohstoffen und Nahrungsmitteln einschränken. Sie will, dass nur noch Akteure, die direkt mit den Rohstoffen und Lebensmitteln arbeiten (Produzenten, Verarbeiter etc.) mit Finanzprodukten handeln dürfen, die sich auf Agrar-Rohstoffe oder Nahrungsmittel beziehen, um sich damit preislich oder terminlich abzusichern. Schon 2013 hat sich ChristNet in «Die Schweiz, Gott und das Geld»1 für dieses Anliegen eingesetzt.

Die Hungerkrise 2007–2008 und die auch danach zeitweise steigenden Nahrungsmittelpreise haben über 100 Millionen Menschen in den Hunger getrieben. Viele von ihnen sind gestorben. Ein beträchtlicher Teil der globalen Spekulation mit Grundnahrungsmitteln wird in der Schweiz getätigt, vor allem durch Händler in Genf.

Auch wenn es noch unklar ist, wie stark genau diese Spekulationen die Hungerkrisen des letzten Jahrzehnts verursacht hat, so haben wir heute die Möglichkeit, diesen Anteil zu reduzieren. Denn eines ist klar: Menschenleben kommen in jedem Fall vor Gewinn.

Lassen wir uns nicht vom Angstreflex anstecken, dass der Schweiz durch die Initiative Gewinn und womöglich ein paar Arbeitsplätze entgehen würden.

Die Argumente

  • Hunger bekämpfen: Preisschwankungen auf dem Nahrungsmittelmarkt haben in Entwicklungsländern dramatische Auswirkungen. Menschen, die 50–90% ihres Einkommens für Nahungsmittel ausgeben müssen, werden dadurch in den Hunger getrieben. Gerade für Kinder ist Unterernährung kein vorübergehendes Problem, sondern hinterlässt lebenslängliche Schäden. Mit einer stärkeren Regulierung der Spekulation kann den Preisschwankungen die Spitze gebrochen werden.
  • Sachgemäss: Zahlreiche Studien belegen, dass sich die Spekulationen negativ auf die Stabilität der Lebensmittelpreise auswirken.
  • Preisschwankungen durch Herdenverhalten: Die Spekulanten an der Börse neigen zu Herdenverhalten, was Preisschwankungen verstärkt. Im Fall der Nahrungsmittel wirkt sich dieser Umstand insbesondere in Entwicklungsländern dramatisch aus. Deshalb braucht es für Nahrungsmittel strengere Regulierungen als für andere Handelsgüter.
  • Im Zweifelsfall für die Hungernden: Die Frage, inwiefern sich die Spekulation mit Nahrungsmitteln negativ auf die Preise auswirkt lässt sich heute wissenschaftlich nicht abschliessend beantworten. Im Zweifelsfall müssen aber die Interessen aller potentiell betroffenen Parteien abgewogen werden. Somit ist klar: Die von Hunger bedrohte Bevölkerung muss dem allfälligen Kapitalgewinnausfall der Börsenspekulanten vorgehen.
  • Umsetzung realistisch: Die Initiative ist einfach und unbürokratisch umsetzbar. Die Unterscheidung zwischen Spekulation und preisabsicherndem «Hedging» wird bereits heute an vielen Handelsplätzen vorgenommen.

1.  insb. Kap. 1.7 «Mit Essen spielt man nicht!» (Brot für Alle) und Kap. 1.6 «Das grosse Geld mit dem Rohstoffhandel» (Benjamin Gräub), in: Die Schweiz, Gott und das Geld. Je Sème, ChristNet, StopArmut, St. Prex, 2013.

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Eine «Kleingruppe nach Mass»1 der Vineyard Bern hat sich unter dem Titel «Eine frohe Bo(o)tschaft – Die Flüchtlinge und wir Christen» an sechs Treffen mit dem Flüchtlingsthema beschäftigt. Ein Bericht (13.11.2015)

Vorbemerkungen

Im Sommer 2015 wurde mir durch die Berichte über die Flüchtlingsströme, die vom Nahen Osten und Afrika nach Europa drängen bewusst, dass ich daraus in unserer Gemeinde ein Thema machen sollte. Ich traf mich mit dem damaligen Leiter der Flüchtlingshilfe der Heilsarmee im Kanton Bern. Er gab mir wertvolle Tipps für eine sinnvolle Annäherung an das Thema mit praktischen Folgerungen.

So trafen sich vom September bis November 2015 ca. 8 Personen sechs Mal, um sich den Flüchtlingen und deren Problemen zu nähern.

1. ChristNetForum zur Flüchtlingsfrage

Am Forum vom 12. September 2015 «Eine frohe Bo(o)tschaft?! Die Flüchtlinge, die Schweiz und die Christen»2 ging es um die politische Annäherung in einem Podiumsgespräch mit dem syrischen Flüchtling Feras Shamas, dem SVP-Nationalrat Erich von Siebenthal; der EVP-Nationalrätin Maja Ingold und dem Pfarrer Daniel Frei. «Umstritten war, ob Christen in der Schweiz bevorzugt aufgenommen werden sollen. Einigkeit herrschte darüber, dass die humanitäre Hilfe im Nahen Osten verstärkt und bürokratische Hürden für arbeitswillige Flüchtlinge reduziert werden sollen».3

Pfarrer Frei machte klar, dass «Flucht» und die Begegnung mit Fremden in der Bibel von jeher ein Thema war. Sogar Jesus selber zog aus seiner privilegierten Stellung beim himmlischen Vater aus, erniedrigte sich selbst bis zum Tod und wurde über alle Massen erhöht (vgl. Phil. 2,5-11). Shamas, ein reformierter Christ, zeigte sich ausgesprochen integrationswillig: ‹Ich will der Schweiz dienen›, sagte er.

Erich von Siebenthal, Nationalrat der SVP, erkannte in Shamas einen jener christlichen Flüchtlinge, denen er, wie er in einem Postulat an den Bundesrat gefordert hat, prioritäre Behandlung zukommen lassen will. «Es ist ein Fakt, dass sich Christen besser integrieren lassen», so von Siebenthal. Ausserdem sei der Zugang zu den Flüchtlingslagern im Nahen Osten für Christen erschwert.

Auf die auch unter vielen evangelischen Christen populäre Forderung reagierte Maja Ingold, Nationalrätin der Evangelischen Volkspartei (EVP), mit Erfahrungen einer Reise, die sie in den Libanon geführt hatte. Christen kämen darum nicht in die grossen Lager, weil sie materiell oft besser gestellt seien als Muslime. Eine Ungleichbehandlung bei der Aufnahme in der Schweiz unterstützt Ingold nicht: «Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich zu behandeln, ungeachtet von Geschlecht, Rasse und Religion. Menschen, die an Leib und Leben bedroht sind und nach Europa kommen, die müssen wir aufnehmen.»4

2. Bibelarbeit und Sichtung unserer Probleme

Grundlegend für uns wurde das Wort Jesu: «Was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut ihnen auch, darin ist der Sinn der ganzen Bibel zusammengefasst» (Matth. 7,12). Dazu kommt das Gleichnis von der Scheidung im letzten Gericht zwischen «Guten und Bösen» (Matth. 25,31-46), mit dem bekannten Wort «Was ihr einem dieser geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan» (und das Gegenteil). Da wird uns vor Augen geführt, welche Einstellung Jesus Christus zu den Menschen hat, die am Leben bedroht sind.

Unsere Probleme: Verunsicherung; Frage, wie sollen wir dieses Problem, das mit den Flüchtlingen auf uns zukommt (z.B. verdeckte Islamisten, Anspruchshaltung, überhebliche Mentalität, Forderungshaltung) lösen?; Angst, wir könnten in Zukunft den Anforderungen nicht gewachsen sein und von den Fremden überrollt werden. Dem wollen wir mit mehr Einsicht in die Hintergründe begegnen.

3. Rechtsfragen um Flüchtlinge und Asylbewerber

Elias und Nadine gaben uns einen interessanten Einblick in das juristisches Feld. Zugleich wurde uns gezeigt, weshalb das Flüchtlingswesen in unserem Land derart kompliziert erscheint.

Hier ein Ausschnitt aus ihren Ausführungen:

Flüchtlingseigenschaft gemäss Genfer Flüchtlingskonvention (GFK)

  1. Verlassen des Heimatstaates
  2. Fremde Staatsangehörigkeit
  3. Bruch der Beziehungen zum Verfolgerstaat
  4. Verfolgung:
    1. Ernsthafte Nachteile
    2. Kein Schutz durch das Heimatland
    3. Gezielte Nachteile
    4. Verfolgungsmotiv
    5. Begründetheit der Verfolgungsfurcht
    6. Fehlende interne Flucht- bzw. Schutzalternative
  5. Kein Ausschlussgrund gemäss GFK:
    1. Kriegsverbrechen
    2. nicht politische Verbrechen
    3. Handlungen gegen Ziele der Vereinten Nationen

= Schutz gemäss Flüchtlingskonvention

Asylgewährung

  1. Flüchtlingseigenschaft erfüllt
  2. Keine Asylausschlussgründe
    1. Asylunwürdigkeit
    2. Verwerfliche Handlungen
    3. Gefährdung der Sicherheit der Schweiz
  3. Subjektive Nachfluchtgründe
  4. Ausnahmesituation

= Einräumung besonderer Rechtsstellung durch Staat

Quelle: Wikipedia, «Ausländerausweis», eingesehen am 12.1.2016 (https://de.wikipedia.org/wiki/Ausl%C3%A4nderausweis).

4. Beispiel gelebter Gastfreundschaft

Urs, Susi und Regula wohnen in einer ehemaligen Käserei. Sie nehmen zwei Asylbewerberinnen mit Kindern auf, die nach einiger Zeit eine eigene Wohnung finden und beziehen. Die Frauen aus Äthiopien und Nigeria gewöhnen sich bei Meiers an die Schweizer Mentalität, lernen Deutsch (in Deutschkursen in Köniz bzw. Bern) und lernen, mit den zuständigen Behörden umzugehen.

Das Amt für Migration in der Gemeinde unterstützt sie optimal. Sie haben auch direkte Beziehungen zu Asylunterkünften in der näheren Umgebung.

Für sie ist es ein Vorteil, dass sie selber vier Jahre lang in Afrika gelebt und gearbeitet haben, sodass sie mit der Mentalität von Afrikanern recht vertraut sind. Sie waren sehr bereit, alle unsere Fragen zu beantworten, sodass auch hier eine emotionale Annäherung an die Flüchtlingsfrage geschehen ist.

5. Standortleiter eines Asylzentrums

Der Standortleiter eines Asylzentrums der Heilsarmee besuchte uns. Er war vorher im Asylzentrum Riggisberg tätig. Er kam dann kurzfristig in ein Zentrum, das für 37 Personen eröffnet wurde. Er war vorher fünfeinhalb Jahre lang in der Arbeit für Strassenkinder in Brooklyn tätig. So hat er einen Erfahrungsschatz an schwierigen Situationen und deren Bewältigung, der ihm für seine jetzige Arbeit sehr zugute kommt.

Eine Frage an ihn lautete: «Wie geht ihr bei Konflikten vor?» Seine Antwort: «Zuerst versuchen wir, den Frieden wieder herzustellen, und unternehmen weitere Schritte, wenn es brenzlig wird.» Das Verhältnis zur Einwohnergemeinde und zur Kirchgemeinde ist sehr gut. «Wir erleben viel Unterstützung, auch von freiwilligen Helfern, wie auch an andern Standorten.»

6. Mitarbeiter des Staatssekretariats für Migration

An unserem Schlussabend treffen wir einen Mitarbeiter des Staatssekretariats für Migration (SEM), der schweizerischen Bundesbehörde für Ausländerfragen in Wabern.

Wir nehmen ein einfaches Abendessen ein. Danach beten wir ein Gebet, das ChristNet im Rahmen des 40-Tage-Gebets «Beten+Wählen 2015» publiziert hat.5 2. Mose 3,7: «Und der Herr sprach: ‹Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen… und ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette…›» Und das Gebet dazu: «Vater im Himmel, wenn wir uns mit Menschen aus fernen Ländern unterhalten, ist es uns sonnenklar, dass wir gleichwertig sind…»

Das Gespräch beantwortet unsere Fragen und gibt einen interessanten Einblick in die Hintergründe einer Arbeitsstelle beim SEM. Dort geschehen linguistische Herkunftsabklärungen von Asylsuchenden, wenn amtsintern Bedarf ist, und sie bewerten die Leistung von Dolmetscherkandidaten.

Zum Schluss sieht die Gruppe folgende weiterführende Engagements:

  1. Bundeszentrum für Flüchtlinge im Zieglerspital, Bern, das im Frühling 2016 aufgehen soll:
    1. Gebetsmarsch um das Areal
    2. Freiwillige Mitarbeit
  2. Restaurant: den Kontakt mit Flüchtlingen suchen
  3. Eine Flüchtlingsfamilie aus Syrien zum Essen einladen.
  4. Angebot einer Pflegefachfrau, Flüchtlinge in kleineren medizinischen Fällen zu beraten.
  5. Das Programm der Kleingruppe in neuer Auflage anbieten.

Schliesslich bringen wir alles, was uns beschäftigt, im Gebet vor unsern Gott, weil wir glauben, dass Er den Überblick und alles im Griff hat.

Zum Schluss

Im gesamten Prozess hat uns das Wort Jesu begleitet: «Was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut ihnen auch, darin ist der Sinn der ganzen Bibel zusammengefasst» (Matth. 7,12).

Dabei sind uns die folgenden Begriffspaare wichtig geworden:

  1. Abwehrkultur/Willkommenskultur
  2. Problemorientiert/Lösungsorientiert
  3. Defizit-Sicht/Ressourcen-Sicht

Heute müssen wir nicht nur sagen: «Das Asylwesen ist kompliziert» und dann auf Abwehr gehen oder einfache Lösungen anstreben. Wir können jetzt sagen, dass wir besser verstehen, weshalb das Asylwesen kompliziert ist. So können wir uns sinnvoll damit beschäftigen und in kleinen Schritten zu Lösungen beitragen.

Jesus hat uns gezeigt, dass alles Neue im Kleinen anfängt, wie das Senfkorn, das über jede Vorstellung hinaus wächst. Da sehen wir das Himmelreich kommen.

Heute ist unsere Motivation gewachsen, uns aktiver den Flüchtlingen zuzuwenden.


1. Die Kleingruppe nach Mass ist ein Gefäss der Vineyard Bern; vgl. http://www.vineyard-bern.ch/angebote/kleingruppen/kleingruppen-nach-mass/.

2. Vgl. ChristNet, http://www.christnet.ch/de/content/forum-eine-frohe-bootschaft-die-fl%C3%BCchtlinge-die-schweiz-und-die-christen.

3. Ebd.

4. Ebd.

5. ChristNet, Beten+Wählen 2015, «Woche 6 – Flüchtlingspolitik»; vgl. www.christnet.ch/de/content/betenw%C3%A4hlen-2015-0.

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Seev Levy, pensionierter Sozialarbeiter, Jude mit starkem Jesus-Bezug, sprach am 23. Januar 2015 am Theologisch-Diakonischen Seminar (TDS) in Aarau über den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Ein Tag mit einem Mann der Versöhnung – an der Mauer des Misstrauens.

«Nachher reden wir über Friedensarbeit…» Mehrmals vertröstete Seev Levy die 16 Seminarteilnehmer auf den zweiten thematischen Teil. Er freue sich besonders darauf, hatte Levy anfangs gesagt, Friedensinitiativen aus Israel und Palästina vorzustellen, die andere, die hoffnungsvolle Seite des zermürbenden Konflikts zwischen den beiden Völkern. Nur der Seminar-Morgen sollte den Ursachen des Streitens und Kriegens und der Geschichte des «gelobten Landes» gewidmet sein.

Doch der Morgen zog sich in den Nachmittag hinein: Rückfragen mussten gestellt und beantwortet werden, die jeweiligen Empfindlichkeiten der Konfliktparteien bildeten sich auch unter den Seminarteilnehmenden ab, es wurde kontrovers, auch emotional. Seev Levy musste zunächst vor Ort zeigen, wie Frieden geht. Wer, wenn nicht er?

Das Dilemma Israels

Levy bezeichnet sich lieber als Mann «jüdischer Herkunft, für den Jesus sehr wichtig ist». Er leitete 27 Jahre lange lang die kirchliche Passantenhilfe in Bern und machte sich als seelsorgerlicher Sozialarbeiter einen Namen. Stets lag ihm das Heilige Land am Herzen, seit seiner Pensionierung vertiefte er sich verstärkt in die Sicht der Palästinenser. Levy liess keinen Zweifel daran aufkommen, dass den Palästinensern rund um die jüdische Besiedlung Palästinas im 20. Jahrhundert und vor allem nach der israelischen Staatsgründung 1948 viel Leid angetan wurde, das bis heute nachwirkt.

Zugleich fühlt Levy mit allen Juden, die nach dem Holocaust und bis heute eine sichere Heimat suchten. «Ich bin froh, dass Israel die Golan-Höhen besetzt hält», gab Levy beispielsweise mit Blick auf Teile der besetzten Gebiete zu. «Das bergige Grenzland eignet sich zu gut, um Israel unter Beschuss zu nehmen.» Sicherheitsbedürfnis hier, Friedenswunsch dort – das Dilemma Israels spiegelt sich auch in Seev Levys Haltung.

Die Palästinenser als Brüder

Ein Fragesteller wollte am Morgen wissen, wie Levy die biblische Geschichte aus dem Buch Josua verstehe, in dem Gott den Kriegsherr auffordert, die Einheimischen im verheissenen Land zu vernichten, damit sie sich nie gegen das Volk Israel erheben könnten. Die Frage löste Unmut aus, Levy blieb ruhig und positionierte sich klar: «Wir leben in einer ganz anderen Zeit, einer Zeit nach Jesus. Er lehrte, wie mit ‹Feinden› umzugehen: Ihnen Gutes zu tun, Gutes zu wünschen. Ich bin überzeugt, dass auch Israelis heute aufgefordert sind, die Palästinenser als ihre Brüder anzusehen.»

Mit Martin Buber brachte Levy einen Kronzeugen dieser Haltung ins Spiel. Der Philosoph warb von 1900 bis zur israelischen Staatsgründung für eine Gleichberechtigung der zwei Völker, die das gleiche Land als ihre Heimat ansahen. Buber schlug einen binationalen Staat vor, der dem «Brudermord» ein Ende setzen sollte. «Die Feuerprobe der Judenheit als Menschenvolk sind die Beziehungen zu den Arabern. … Ihre Feindseligkeit müsste für uns ein Grund sein, uns umso menschlicher zu verhalten», zitiert Buber Aharon Gordon, einen anderen jüdischen Philosophen.

Durch den Konflikt hindurch

Und dann kam im Laufe des Nachmittags die Rede doch noch auf die Friedensarbeit, die Seev Levy so am Herzen liegt: «Neve Shalom» fand Erwähnung, das Dorf in Israel, in dem Juden und Araber zusammen leben, zusammen lernen und zusammen streiten. Oder das Schulprojekt «Hand in Hand», mittlerweile sechs zweisprachige Schulen in Israel für Kinder beider Völker. Oder die «Rabbis for Human Rights»: Die Rabbiner setzen sich mutig für die Rechte der Palästinenser in den besetzten Gebieten ein. Am Fest Tu biSchevat, das am vergangenen Montag gefeiert wurde und an dem Juden klassischerweise einen Baum pflanzen, praktizieren die Rabbis dasselbe in den Palästinensergebieten, für Bauern, deren Bäume zuvor von Siedlern ausgerissen worden waren.

Manch ein Gesicht unter den Teilnehmenden des TDS-Kurses hellte sich am Nachmittag wieder auf, als sich neben dem ganzen Dunkel des Konflikts einige Lichtblicke zeigten. Doch ebenso deutlich hatte der Morgen klargemacht: Zum lang ersehnten Frieden zwischen Palästinensern und Israelis kann nur vorstossen, wer sich auf den Konflikt einlässt und durch ihn hindurch geht. Der Weg ins Gelobte Land führt nicht am Konflikt vorbei.