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Reich Gottes: ein flüchtiger Zustand

Jemand hat einmal gesagt: «Jesus hat das Reich Gottes gepredigt. Gekommen ist die Kirche» Die Kirche ist nicht das Reich Gottes auf Erden. Im Zentrum der Verkündigung des Jesus von Nazareth stand die Nachricht, dass überall da, wo Menschen sich auf Gott ausrichten, andere Regeln gelten, eine neue Welt entsteht und wieder vergeht, die flüchtig ist, aber die betroffenen Menschen für immer prägt.

Die Bergpredigt ist die «Charta» des Reiches Gottes. Wo Menschen sich nach ihr ausrichten, ereignet sich Reich Gottes. Und verschwindet auch wieder: Es ist ein Zustand, keine Institution. Es ereignet sich da, wo Gott es will. Es lässt sich nicht festhalten.

Matthäus erzählt das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Kap. 20,1–16), um einen Aspekt dieses Gottesreiches zu beleuchten. Wo Gott im Zentrum ist, besteht kein Zusammenhang mehr zwischen Lohn und Leistung.

Schweizer schaffen Neid ab

Der Idealist in mir, der Theologe, der Christ, der Träumer und der Realist sagt: Das Bedingungslose Grundeinkommen verwirklicht diese Idee. Jesus hatte sie als erster. Wir verzichten in Zukunft darauf, Menschen nach ihrer Leistungsfähigkeit zu beurteilen; sie danach zu beurteilen, ob sie volkswirtschaftlich etwas bringen oder nicht. Wir könnten sogar das schreckliche Wort «Invalidität» endlich, endlich abschaffen, das im Prinzip nur dem Menschen einen Wert zumisst, der funktionieren kann. Insofern ist der Flyer zu diesem Tag ganz gut gemacht: Wir schaffen ein Stück Himmel auf Erden – durchaus in einem evangelischen Sinn.

Darum bin ich dafür, dass wir es versuchen. Es braucht ein neues Verständnis von Ökonomie. Es braucht vor allem ein neues Selbstverständnis für uns Schweizerinnen und Schweizer. Das BGE funktioniert nur als gemeinschaftliches Projekt. Stellen Sie sich mal vor, wir Schweizer würden den Neid abschaffen!

Ob die Idee finanzierbar ist oder nicht, ob sie zu mehr Staat führt oder zu weniger – dazu ist viel gesagt und noch mehr behauptet worden. Niemand weiss es wirklich. Weniger Ämter, weniger Behörden – das wäre schon schön. Aber niemand weiss, wie es wirklich würde.

Chance verpasst

Meine Zweifel kommen aus einer ganz anderen Überlegung. Ich bin seit Jahren stark engagiert in der Integration von Jugendlichen. Im Jahr 2000 gründeten wir in Basel die Job Factory; 2013 in Neuchâtel das Unternehmen PerspectivePlus. Jugendliche sollen mit der Kraft des Marktes integriert werden. Wir wollen weg von Beschäftigung, hin zur Kundenorientierung. Bei unseren Integrationsanstrengungen ist zentral, dass die Jugendlichen verstehen, dass die Wirtschaft sie braucht. Dass sie etwas zu unserer Gesellschaft beitragen können. Dass sie etwas lernen sollen, um auf eigenen Beinen zu stehen.

Viele von ihnen würden nicht verstehen, weshalb sie sich anstrengen sollen, weshalb sie sich während einer Ausbildungszeit einschränken sollen, wenn sie einfach so Fr. 2500.- erhalten. Es wäre ihnen nicht beizubringen, weil sie nicht in der Lage sind, sich gedanklich in die Zukunft zu versetzen. Sie würden wohl erst zwanzig Jahre später realisieren, dass sie etwas verpasst haben. Und dann wäre es zu spät.

Ein Commitment für uns Schweizer

Aber es kann funktionieren. Warum ich das weiss? Ich lebe schon mit einem Grundeinkommen. Seit über 30 Jahren. 1977 gründeten ein paar Freunde eine Communität. Eine Lebensgemeinschaft, die sich «Don Camillo» nennt. Wir leben in der Tradition der Klöster. Wir tun dies in Berlin, Basel, Bern und Neuchâtel. Wir sind an allen Orten anerkannter Teil der evangelischen Kirche und arbeiten eng mit ihr zusammen.

Wir beten die Stundengebete – wie im Kloster. Wir teilen unsere Einkünfte und verteilen sie neu – nach Bedürfnissen. Das ermöglicht uns, Projekte anzufangen, die zu gross sind. Dass wir das Geld teilen, ist eine Folge des geteilten Lebens und des geteilten Glaubens. Wir leben von eigenen Einkünften, aber viele Freunde unterstützen unsere Projekte – auch sie teilen. Es ist gar nicht so kompliziert. Ich habe mit meinen Kolleginnen und Kollegen die Frage diskutiert, ob das Grundeinkommen, dass jede und jeder bei uns hat, bedingungslos ist. Wir sind unsicher. Alle, die bei uns mitmachen, arbeiten gerne und viel.

Ich glaube, dass das BGE funktionieren kann. Aber es bräuchte eine starke Basis. Ein gemeinsames Commitment. Ob wir als Schweizer das haben oder noch haben, ist für mich die zentrale Frage.

Nebensachen

Zum Schluss eine Beobachtung aus dem Gleichnis von Jesus, die nichts mit Lohn und Leistung zu tun hat.

Der Weinbergbesitzer ist nicht nur grosszügig. Er ist auch ein furchtbar schlechter Planer. Er verbringt ja den ganzen Tag damit, immer neue Arbeiter anzuheuern. Was ich dazu sagen soll, weiss ich ehrlich gesagt nicht. Meine Vermutung ist, dass Fragen um Geld und Lohn, um Zuviel und Zuwenig gar nicht so wichtig sind. Könnte es sein, dass wir uns ständig mit Nebensachen beschäftigen?

 

Referat und Zeichnungen von Heiner Schubert am ChristNetForum «Bedingungsloses Grundeinkommen – der Himmel auf Erden», 21. Mai, in Zürich.

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Zürich/Genf, 24. Mai 2016 – «Bedingungsloses Grundeinkommen – der Himmel auf Erden?», fragte ChristNet anlässlich eines Forums in Zürich. Der SP-Nationalrat und bekennende Christ Philipp Hadorn forderte höhere Löhne, bekannte sich aber zu den Spielregeln des freien Markts. Rapperin «Big Zis» machte sich derweil für christliche Ideale stark.

Am 5. Juni kommt die Initiative über ein Bedingungsloses Grundeinkommen zur Abstimmung. Auch am ChristNetForum schritten die etwa dreissig Teilnehmenden zunächst zur Abstimmung, indem sie an einem «BGE-Thermometer» ihre Sympathie oder Skepsis für das Anliegen markierten. Die Streuung der Positionierungen war gross – eine ideale Voraussetzung für einen ebenso differenzierten wie kontroversen Nachmittag.

Solidargemeinschaft Schweiz?

Pfarrer Heiner Schubert eröffnete mit einem kreativen biblischen Input. Live zeichnete er das biblische Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg – mit schnellem Strich, viel Humor und bemerkenswerter Ruhe. «Im Reich Gottes ist nicht das Leistungsprinzip massgeblich», führte Schubert aus. «Alle Arbeiter erhalten eine Art Grundeinkommen, ob sie den ganzen Tag oder nur eine Stunde gearbeitet haben.» Auch in der Communität Don Camillo in Montmirail (NE), in der Schubert lebt, erhalten alle ein Grundeinkommen. Das funktioniere gut. Allerdings sei es nicht ganz bedingungslos: «Wir verpflichten uns für eine gewisse Zeit, zusammen zu leben und füreinander da zu sein». Trotz grundsätzlicher Sympathie für das Grundeinkommen äusserte er Zweifel, ob die Solidargemeinschaft Schweiz ein genug starkes Zusammengehörigkeitsgefühl habe, um nicht zu einer Neidgesellschaft zu verkommen.

Vertrauensvorschuss für alle

Bei der anschliessenden Podiumsdiskussion vertrat Franziska Schläpfer, Mitglied des Initiativkomitees, die Pro-Seite. Die Rapperin, bekannt als «Big Zis», und dreifache Mutter sieht das Bedingungslose Grundeinkommen als Vertrauensvorschuss an alle Menschen, genau wie Kinder von ihren Eltern zunächst einmal bedingungslos geliebt seien. Schläpfer appellierte an die Zuhörer, sich zuerst als Teil einer Gemeinschaft zu verstehen, die sich gegenseitig unterstützt statt konkurriert: «Wir brauchen alle einander». Offen erzählte die 39-Jährige von Zeiten, in denen sie auf die schiefe Bahn geraten war und teilweise durchaus auch Druck und Leistungsanreize von aussen brauchte, um sich aufzufangen. «Am wichtigsten war aber, dass mir Menschen vertrauten, dass ich es schaffe.»

Utopie für Realpolitik ungeeignet

SP-Nationalrat und Gewerkschafter Philipp Hadorn stimmt mit dem Anliegen des BGE, die Chancengleichheit zu steigern, überein: «Missbrauch geschieht dort, wo Kapital auf Kosten der Arbeit Gewinn abwirft.» Grössere soziale Gerechtigkeit sei ja ein christliches Kernanliegen. Er sieht das BGE aber letztlich als Utopie, die eine wichtige gesellschaftliche Debatte anstossen könne, als Verfassungsvorlage aber ungeeignet sei. Das heutige, von Wirtschaftsinteressen dominierte Parlament würde die Umsetzung des BGE missbrauchen, um den Sozialstaat abzubauen, befürchtet Hadorn. Er plädierte dafür, die Vision einer gerechteren Arbeitswelt stattdessen auf pragmatische Weise zu verfolgen, die Sozialwerke zu sichern und eine gerechtere Einkommensverteilung in der Gesellschaft voranzutreiben.

Frau Heinigers Skepsis

Nach der Absage der BGE-Gegnerin FDP-Nationalrätin Doris Fiala wurde der frei gebliebene Platz zum «heissen Stuhl» erklärt, der spontan von Anwesenden besetzt werden konnte. So machte etwa die IV-Bezügerin Frau Heiniger aus Zürich deutlich, dass das BGE Menschen wie sie verunsichert: «2500 Franken werden nie reichen. Und arbeiten kann ich nicht», gab sie zu bedenken. Daniel Straub vom Initiativkomitee, der sich ebenfalls spontan auf das Podium begab, versicherte, kein Bedürftiger solle weniger Geld vom Staat erhalten als heute. Zugleich ermuntere er Frau Heiniger zu mehr Selbstbewusstsein: «Auch Sie arbeiten! Zum Beispiel indem Sie sich hier an diesem Podium beteiligen.» Unser Arbeitsbegriff sei auf die Erwerbsarbeit verengt und veraltet, so Straub.

Das überaus lebendige und überraschende Forum klang mit Kleingruppen-Diskussionen, einem Gebet und einem spontanen Rap von «Big Zis» aus. Und noch einmal waren die Anwesenden aufgefordert, sich auf dem BGE-Thermometer zu positionieren: Die Markierungen verschoben sich insgesamt geringfügig nach oben, in den Bereich der Befürworter eines Bedingungslosen Grundeinkommens.

ChristNet: Keine Abstimmungsempfehlung

ChristNet hält die Debatte über das Grundeinkommen für wichtig und sinnvoll. So können zentrale christliche Themen wie soziale Gerechtigkeit, Solidarität und der Wert des Einzelnen diskutiert werden. Die Denkfabrik gibt zur Initiative vom 5. Juni aber keine Abstimmungsempfehlung ab.


BGE-Thermometer nach dem Forum (jedes PostIt ist eine Stimme).

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Finanzskandale, Staatsverschuldung, Arbeitslosigkeit, Kriege und Anschläge sind in den Nachrichten. Nun kommt die Herausforderung der Flüchtlinge hinzu. Zusätzlich zu den ökologischen Katastrophen, die den Lebensstil unserer Industriegesellschaften in Frage stellen. Die gegenwärtige Situation unserer Gesellschaft scheint eher verzweifelt, und die Zukunft ist ungewiss.

Vorwärts

Aber wie sehen die Jünger Christi diese Herausforderungen der Gegenwart? Die Sicht Jesu auf unsere Welt ist die beste Option, denn in ihr sind alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis verborgen (Kol 2,3).

Was Christus uns zeigt, ist der Weg nach vorn! Als die Gesetzeslehrer ihn fragen, ob es zulässig sei, dem heidnischen Eindringling Caesar Tribut zu zollen, stellt Jesus seine Gesprächspartner in ihrer irdischen und begrenzten Dimension in Relation zur Größe Gottes: „Gebt dem Caesar, was dem Caesar gehört, und Gott, was Gott gehört! „(Lukas 20:21-26)

Tatsächlich ruft uns Christus nicht auf, uns für ein Rückzugsverhalten oder eine Spirale von Hass, Gewalt und Angst zu entscheiden. Unser Herr erwartet uns auf der praktischen Seite. Es sind Gesten der Solidarität, die um uns herum gemacht werden, gegenüber der Witwe und den Waisen, gegenüber den Ausgebeuteten, den Armen, den Ausgeschlossenen, den Kranken, den Leidenden und den Fremden. „Sei ihnen nahe, sei ihr Nächster“, sagt Christus im Gleichnis vom barmherzigen Samariter! Wenn wir Christus erlauben, unser Verhalten und unser Denken zu erneuern, wird dies den Geist der Welt mit ihrem schädlichen Götzen grundlegend herausfordern: den jeder für sich selbst.

Mit Freude Steuern zahlen

Wie kann das sein? Hier einige konkrete Ideen: Im Finanzwesen geht es darum, denjenigen zu helfen, die verschuldet sind, indem man ihnen Hilfe leistet. Was die öffentlichen Schulden anbelangt, so lasst uns unsere Steuern mit Freude zahlen, denn wir wissen, dass, sollte der Staat scheitern, Hilfe von Gott und gegenseitige Solidarität kommt. Lassen Sie uns nach Möglichkeiten suchen, den Arbeitslosen bei ihrer Suche zu helfen, insbesondere denen, die allein zur Versorgung eines Haushalts beitragen.

Seine Feinde lieben

Für Kriege und Angriffe sagt uns Christus: „Fürchtet euch nicht und liebt weiterhin, auch eure Feinde!“ Er ruft uns auf, den Flüchtling persönlich aufzunehmen, denn er selbst hat den Preis dafür bezahlt, dass er uns trotz unserer Unwürdigkeit persönlich aufgenommen hat. Lassen Sie uns schließlich große Sorge um Gottes Schöpfung zeigen, denn es wird uns eine Warnung gegeben, die leider immer mehr an Bedeutung gewinnt: Gott wird „die vernichten, die die Erde vernichten“ (Offb 11,18).

Der Autor

Der Wirtschaftswissenschaftler Huber arbeitet an einer Dissertation über die Geschichte der Zentralbanken und Finanzmärkte. Er ist Mitglied der Evangelischen Kirche von La Rochette, Neuenburg. Er ist Mitglied von ChristNet.


Tribune veröffentlicht unter der Überschrift „Grüße“ in Christus Seul (Monatszeitschrift der Evangelisch-Mennonitischen Kirchen Frankreichs), Nr. 1065, Mai 2016.