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Jacques Ellul gilt heute als einer der wichtigsten Vordenker der französischen Décroissance-Bewegung, die sich seit etwa der Jahrtausendwende formiert und mit der ich mich in meinem Buch „Der Schritt zur Seite“ beschäftige. Man kann Ellul nicht in eine Schublade stecken. So war er Widerstandskämpfer, Marx-Kenner und zugleich Antikommunist, was ihn von so vielen heute (noch) hochverehrten französischen Denkern unterschied, die trotz aller offensichtlichen menschlichen und Umweltverbrechen unter Stalin und darüber hinaus den UdSSR-Kommunismus als alleinige Alternative zum Kapitalismus sahen.

Er war libertär, dem Geiste nach den Situationisten nahestehend und Guy Debord freundschaftlich verbunden, zugleich aber auch gläubiger Christ, was eine Aufnahme in Debords engen Zirkel in dessen Augen unmöglich machte. Aktiv und „lokal“ hat sich Ellul gegen die Verschandelung der französischen Regionen durch Industrie, Infrastruktur, Tourismus und generell den „Fortschritt“ zur Wehr gesetzt. Theoretischer und „global“ hat er als Autor von Dutzenden größeren Veröffentlichungen schon früh Phänomene und Zusammenhänge beschrieben, die erst später, zum Teil erst heute, ihre katastrophalen Folgen zeigen – moderne Propaganda, Globalisierung, Atom-, Nano- und Gentechnik, „Fortschritt“ als Religionsersatz, die Gleichformung des Menschen, die Rolle des Staates, kurz: den „technologischen Totalitarismus“, mit all seinen psychologischen, sozialen und ökologischen Auswirkungen.

Vor allem blieb er sein Leben lang seinen Überzeugungen treu und war niemals auf akademische oder mediale Ehren aus. Leidlich bekannt geworden ist er zunächst in den USA, nachdem dort sein erstes Buch La Technique durch Vermittlung von Aldous Huxley übersetzt und veröffentlicht worden war. Entsprechend bedeutsam ist auch heute noch die Beschäftigung mit seinen Schriften im englischsprachigen Raum. In seiner Heimat Frankreich wird er gerade erst (wieder)entdeckt, nicht zuletzt als Autor des fast schon zur Marke gewordenen Spruchs „global denken, lokal handeln“.

13 Thesen zur „Technologie“

Es ist schwer, Elluls sehr umfangreiches Werk im Rahmen eines kleinen Artikels auf wenige greifbare Sätze herunterzubrechen. Der Ellul-Kenner Jean-Luc Porquet rechnet folgende zu Elluls wichtigsten und aktuellsten Analysen – der Begriff „Technologie“ (bei Ellul technique) ist hier als die Gesamtheit der Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnis zu verstehen, ähnlich Lewis Mumfords „Megamaschine“:

1. Die Technologie macht die Zukunft unvorhersehbar.
Niemand weiß, wie die Welt in zwanzig Jahren aussehen wird. Ein Beispiel: 1965 hat Gordon Moore korrekt vorhergesagt, dass sich Rechnerleistungen und Chipkapazitäten alle anderthalb Jahre verdoppeln würden, aber niemand konnte sich noch vor wenigen Jahren die Folgen dieser Entwicklung ausmalen.

2. Die Technologie ist weder gut noch schlecht.
Das bedeutet nicht etwa, sie sei neutral und alles hänge von ihrer Anwendung ab. Ihre Entwicklung vollzieht sich jenseits aller Moral, die negative, militärische, unmenschliche Nutzung läuft parallel zur positiven.

3. Die Technologie wächst aufgrund ihrer inneren Logik unaufhörlich.
Zunächst voneinander unabhängige Entdeckungen und Entwicklungen verbinden und verstärken sich, führen zu neuen Entdeckungen und Anwendungen, man denke an die immer weiter um sich greifende Gen- oder Nanotechnologie. Was gemacht werden kann, wird gemacht.

4. Die Technologie schafft Probleme, die sie durch neue Technik zu lösen verspricht.
Egal ob Umweltverschmutzung, Klimawandel, Artensterben, Atommüll – alle großen und viele nur im Vergleich „kleine“ Probleme wie z.B. die Zivilisationskrankheiten sind Folgen der technologischen Entwicklung, und das vermeintlich einzige Heilmittel ist „mehr davon“.

5. Die Probleme der Technologie werden erst bewusst, wenn sie unentwirrbar und massiv sind.
Die von uns Industrienationen herbeigeführten Veränderungen (Klima, Gifte, Artensterben etc.) betreffen den ganzen Erdball; wir spüren die Auswirkungen unseres Handelns allerdings erst mit jahrelanger Verzögerung.

6. Die Technologie ist undemokratisch.
Niemand wählt den „Fortschritt“, im besten Falle werden wir informiert oder als Laien an einen runden Tisch voller Expert/innen und Entscheider/innen gebeten.

7. Die Technologie ist zur Religion geworden.
„Fortschritt“ und Wachstum sind Dogmen, wer sie kritisiert, ist Ketzer und wird medial geächtet.

8. Die Technologie stärkt den Staat, der wiederum die Technologie antreibt.
Ellul warnte die Umweltbewegung vor einer Politisierung im bestehenden System und generell vor wachsender Überwachung und Unterdrückung unter ökologischem Vorwand.

9. Die transnationalen Unternehmen sind Abkömmlinge der Technologie.
Zu Elluls Zeiten galt für die Chemie- und Pharmaindustrie das Gleiche wie heute für Google, Facebook oder Amazon: Der „Fortschritt“ bestimmt die Wirtschaft und umgekehrt, Staat, Gesellschaft und der Mensch in ihnen sind nachgeordnet.

10. Eine technologisierte Gesellschaft braucht Propaganda.
Der Staat „bildet“ die Meinung der Wähler, damit sie zu wollen meinen, was für sie entschieden wurde.

11. Werbung und technologische Irreführung („Bluff“) sind der Antrieb der technologischen Gesellschaft.
Werbung ist die Propaganda der Technologie- und Konsumgesellschaft. Ihre Milliarden finanzieren Rundfunkmedien und „freie“ Presse, ihre Inhalte formen Ansichten, Geschmäcker und Lebensstile.

12. Die Technologie macht alle Kulturen gleich; sie ist die eigentliche Globalisierung.
Egal ob im Nachbarland, in China oder bei „indigenen Völkern“, die vermeintlichen Segnungen der westlichen Industrie nivellieren über kurz oder lang alle kulturellen Unterschiede.

13. Die Technologie erschöpft die Naturvorkommen.
Was heute banal erscheint, wusste Ellul schon 1954: Der „Fortschritt“ stößt an natürliche Grenzen.

Damit sind, wie gesagt, Elluls Ideen gerade einmal angerissen. Man sieht, er gehört zweifellos zu den im positiven Sinne „radikalen“ Denker/innen, denen es nicht darum geht, techn(olog)ische Lösungen für ebensolche Probleme zu finden, sondern die Übel der modernen Welt von ihrer Wurzel (lat. radix) her zu verstehen. Es bleibt zu hoffen, dass wenigstens seine wichtigsten Werke bald der deutschsprachigen Leserschaft zugänglich gemacht werden.

 

Illustration © Stéphane Torossian, aus dem Buch: Cédric Biagini, David Murray, Pierre Thiesset (Hg.): Aux origines de la décroissance. Cinquante penseurs. Paris: L’Echappée 2017.

Eine Langfassung des Artikels ist in der Nr. 59 der philosophischen Zeitschrift Lichtwolf erschienen (September 2017).

 

Französisch- und englischsprachige Auswahlbibliographie (nach Original-Erscheinungsdatum sortiert):

Money and Power. Trans. LaVonne Neff. Downers Grove, IL: InterVarsity, 1984. Basingstoke, England: Marshall Pickering, 1986. Eugene, OR: Wipf & Stock, 2009.
L’homme et l’argent (Nova et Vetera). Neuchâtel: Delachaux & Niestlé, 1954. Lausanne: Presses Bibliques Universitaires, 1979.
Reprinted in Le défi et le nouveau: œuvres théologiques, 1948–1991. Paris: Table ronde, 2006, 2007.

The Technological Society. Trans. John Wilkinson. New York: Knopf, 1964. London: Jonathan Cape, 1965. Rev. ed. New York: Knopf, 1967.
La technique, ou, l’enjeu du siècle. Paris: Colin, 1954. Paris: Économica, 1990, 2008.

Propaganda: The Formation of Men’s Attitudes. Trans. Konrad Kellen and Jean Lerner. New York: Knopf, 1965. New York: Random, 1973.
Propagandes. Paris: Colin, 1962. Paris: Économica, 1990, 2008.

The Political Illusion. Trans. Konrad Kellen. New York: Knopf, 1967. New York: Random House, 1972.
L’illusion politique. Paris: Robert Laffont, 1965. Paris: Livre de poche, 1977. Paris: Librairie Générale Française, 1977. Paris: Table ronde, 2004, 2012.

A Critique of the New Commonplaces. Trans. Helen Weaver. New York: Knopf, 1968. Eugene, OR: Wipf & Stock, 2012.
Exégèse des nouveaux lieux communs. Paris: Calmann-Lévy, 1966. Paris: Table ronde, 1994, 2004.

Métamorphose du bourgeois. Paris: Calmann-Lévy, 1967. Paris: Table ronde, 1998, 2012.

Les Chrétiens et l’État. With Jacques Jullien and Pierre L’Huillier. Tours: Mame, 1967.

Autopsy of Revolution. Trans. Patricia Wolf. New York: Knopf, 1971. Eugene, OR: Wipf & Stock, 2012.
Autopsie de la révolution. Paris: Calmann-Lévy, 1969. Paris: Table ronde, 2008.

De la révolution aux révoltes. Paris: Calmann-Lévy, 1972. Paris: Table ronde, 2011.

Hope in Time of Abandonment. Trans. C. Edward Hopkin. New York: Seabury, 1973. Eugene, OR: Wipf & Stock, 2012.
L’espérance oubliée. Paris: Gallimard, 1972. Paris: Table ronde, 2004.

The Ethics of Freedom. Trans. Geoffrey Bromiley. Grand Rapids, MI: Eerdmans, 1976. London: Mowbrays, 1976.
Éthique de la liberté. V. 1, Paris: Librairie Protestante, 1973. Geneva: Labor et Fides, 1973. V. 2, 1974. V. 3, Paris: Centurion, 1984.

The New Demons. Trans. C. Edward Hopkin. New York: Seabury, 1975. London: Mowbrays, 1975.
Les nouveaux possédés. Paris: Fayard, 1973. Paris: Mille et une nuits, 2003.

The Betrayal of the West. Trans. Matthew O’Connell. New York: Seabury, 1978.
Trahison de l’Occident. Paris: Calmann-Lévy, 1975. Paris: Princi Negue, 2003.

The Technological System. Trans. Joachim Neugroschel. New York: Continuum, 1980.
Le système technicien. Paris: Calmann-Lévy, 1977. Paris: Cherche-midi, 2004, 2012.

The Empire of Non-Sense: Art in the Technological Society. Trans. Michael Johnson and David Lovekin. Winterbourne, UK: Papadakis, 2014.
L’empire du non-sens: l’art et la société technicienne. Paris: Presse Universitaires de France, 1980.

The Humiliation of the Word. Trans. Joyce Main Hanks. Grand Rapids, MI: Eerdmans, 1985.
La Parole humiliée. Paris: Seuil, 1981. Paris: Table ronde, 2014.

Changer de révolution: l’inéluctable prolétariat. Paris: Seuil, 1982. Paris: Table ronde, 2015.

Anarchy and Christianity. Trans. Geoffrey Bromiley. Grand Rapids, MI: Eerdmans, 1991. Eugene, OR: Wipf & Stock, 2011.
Anarchie et Christianisme. Lyon: Atelier de Création Libertaire, 1988. Paris: Table ronde, 1998, 2001.

The Technological Bluff. Trans. Geoffrey Bromiley. Grand Rapids, MI: Eerdmans, 1990.
Le bluff technologique. Paris: Hachette, 1988, 1990, 2004. Paris: Pluriel, 2012.

What I Believe. Trans. Geoffrey Bromiley. Grand Rapids, MI: Eerdmans, 1989.
Ce que je crois. Paris: Grasset, 1987, 1989.

https://www.jacques-ellul.org/

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Das SDG 16 (Sustainable Development Goal 16) will die Entstehung friedlicherer Gesellschaften fördern. Es ist erwiesen, dass Entwicklung nur in friedlichem Rahmen nachhaltig sein kann. Aber wie kann man konkret nach Frieden auf kollektiver und persönlicher Ebene streben? Interview mit Salome Haldemann, mennonitische Pfarrerin.

Wir dachten, Krieg in Europa gehöre der Vergangenheit an. Doch die Nachrichten am 24. Februar belehrten uns eines Besseren … Warum ist der Krieg, obwohl wir seine gravierenden Folgen kennen, immer noch europäische Aktualität?

Es stimmt, dass uns das Fragen aufwirft! Die Europäer glaubten bereits 1914, dass der 1. Weltkrieg der Krieg sein würde, der allen Kriegen ein Ende setzt, der „der der“. Doch trotz seiner Sinnlosigkeit und seines Leids tobt er immer noch. Es gibt zwei Denkschulen über den Ursprung des Krieges. Die eine sieht den Krieg als in der menschlichen Natur verankert: Menschen werden aggressiv, wenn sie sich verteidigen oder wenn sie etwas erreichen wollen. Er ist daher unvermeidlich. Der zweite Ansatz geht davon aus, dass ungerechte Systeme zu Krieg führen. Weder die Natur noch die Strukturen lassen sich leicht ändern, was erklärt, warum es immer noch Krieg gibt. Es ist wichtig, sich vor Augen zu halten, dass es ein ganzes Spektrum von gewalttätigen Konflikten gibt, das von der interindividuellen Ebene (häusliche Gewalt, „Schlägerei“ zwischen zwei Personen), über bewaffnete Konflikte zwischen Gruppen (Bandenkrieg, Aufstände) bis hin zum Krieg zwischen Nationen reicht. Der einzige Unterschied zwischen diesen Konflikten ist die Anzahl der der involvierten Personen. Vom eigentlichen Krieg spricht man erst ab 50’000 Beteiligten. In all diesen Konflikten wird Gewalt eingesetzt, um den anderen dazu zu zwingen, das zu tun, was wir von ihm wollen. Und leider ist es ein sehr menschlicher Wunsch, kontrollieren zu wollen, was andere tun.

Wie sollen wir reagieren, wenn wir selbst Opfer eines bewaffneten oder politischen Konflikts werden, der die eigenen Rechte bzw. den persönlichen Lebensstandard beeinträchtigt?

Wir müssen aufpassen, dass wir Konflikte nicht nur danach bewerten, wie sie sich auf unsere Rechte oder unser Lebensumfeld auswirken. Wenn wir Teil einer privilegierten Gruppe sind, kann sich eine Bewegung für mehr Gerechtigkeit wie eine Beschneidung unseres Lebensstandards anfühlen. Dennoch hat diese Bewegung ihre Berechtigung. In diesem Fall ist der Auslöser des Konflikts eher die Ungerechtigkeit und Unterdrückung einer Gruppe. In solchen Fällen sind wir meiner Meinung nach dazu aufgerufen, dem Bösen Grenzen zu setzen, indem wir nach kreativen Wegen suchen, die Feindesliebe mit dem Schutz von Menschen zu verbinden. Bewegungen des gewaltfreien zivilen Widerstands gehen in diese Richtung.

Wie können die Kirchen daran arbeiten, die Gesellschaft friedlicher zu machen?

Auf struktureller und kultureller Ebene können die Kirchen mehr Frieden in die Gesellschaft bringen, indem sie sich für Gerechtigkeit einsetzen und an der Seite der unterdrückten Menschen und Bevölkerungsgruppen stehen. Paradoxerweise müssen Kirchen daher manchmal bereit sein, das Feuer eines Konflikts zu schüren – ohne Gewalt anzuwenden -, um Ungerechtigkeiten ans Licht zu bringen und einen Wandel auszulösen. Dies kann in Form von Demonstrationen, Einflussnahme auf die Politik oder eines Engagements im Stadtleben oder in anderen Organisationen geschehen. Auf der zwischenmenschlichen Ebene sind Kirchen ein echtes Konfliktlabor. Es ist nicht zu verhindern, dass sie zwischen all den unterschiedlichen Menschen stehen, die davon überzeugt sind, im Recht zu sein. Sie sind der ideale Ort, um zu lernen, wie man mit anderen zusammenlebt, und um im Gebet und mit Gottes Hilfe an unseren Einstellungen zu arbeiten.

Was ist der erste Schritt auf der Suche nach Frieden mit einer Person, die sich wie ein Feind verhält?

Konflikte lösen oft sehr starke Emotionen aus, die uns nicht immer dazu bringen, die besten Entscheidungen zu treffen. Der erste Schritt ist daher, sich eine Verschnaufpause zu gönnen und dann die Situation zu analysieren. Was geht hier vor? Warum löst diese Situation eine Reaktion bei mir aus? Welche wunden Punkte berührt dieser Konflikt bei mir? Kann ich den/die andere/n fragen, wie er oder sie die Situation erlebt? Und noch schwieriger: Bin ich bereit, dem anderen zuzuhören, zu hören, inwiefern mein Verhalten für ihn schwierig ist? Es hat etwas Heiliges, diesen Raum für den Austausch zu schaffen. In einem zweiten Schritt kann man versuchen, einen Blick über den Tellerrand zu werfen: Welche Beziehung möchte ich in einem Jahr oder in fünf Jahren zu dieser Person haben? Was kann ich heute tun, um ihr näher zu kommen?

Welche Haltung sollte man einnehmen, wenn man Zeuge eines Streits zwischen Einzelpersonen oder zwei Gruppen wird?

Manchmal hilft es zwei Menschen am meisten, wenn sie ihre Streitigkeiten untereinander lösen können. Man möchte sich einmischen, entscheiden oder Partei ergreifen, aber keine dieser Haltungen hilft wirklich. Wir können den Streitenden zuhören, sie aneinander verweisen und sie ermutigen, ihre Konflikte zu lösen. Ebenso kann es im Falle eines Konflikts zwischen zwei Gruppen weise sein, sich keiner der beiden Gruppen gegen die andere anzuschliessen. Die beste Haltung ist es, Verbindungen zwischen den beiden Gruppen herzustellen, indem wir sie sowohl an die Gemeinsamkeiten der beiden Parteien als auch an die Unterschiede innerhalb der jeweiligen Parteien erinnern. Wenn nötig, können wir inakzeptablem Verhalten auf beiden Seiten Grenzen setzen. Natürlich ist die Wirkung dieser Vermittlungstätigkeit begrenzt, wenn ein grosses Machtgefälle, eine ausgeprägte Ungerechtigkeit oder eine Situation des Missbrauchs vorhanden sind. In solchen Fällen sind wir dazu aufgerufen, die unterdrückten Personen zu unterstützen.

Gott ruft dazu auf, seine Feinde zu lieben und Böses nicht zu vergelten. Betreffen diese Gebote vor allem unsere persönlichen Beziehungen oder sind sie auch eine Antwort im Falle von grösseren Konflikten?

Wie wir gesehen haben, gibt es gewalttätige Konflikte in unterschiedlicher Intensität. Aber die Dynamiken sind durchaus vergleichbar. Die Entscheidung, die biblischen Prinzipien auf bestimmte Konfliktebenen zu beschränken, würde eine komplizierte Kasuistik mit sich bringen. Ab wie vielen am Konflikt beteiligten Personen können wir aufhören, die andere Wange hinzuhalten? Fünf? 20? 110? Ich bin überzeugt, dass diese Prinzipien stattdessen auf die gesamte Konfliktskala anwendbar sind.

Das Gespräch wurde von Sandrine Roulet geführt und in der Zeitschrift «S’engager pour un monde plus juste» erstmals veröffentlicht. Übersetzung von Barbara Streit-Stettler.
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