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Ein biblisch-theologischer Überblick

«ChristNet-Forum – Wie Geld die Politik und uns selber bestimmt
Samstag, 28. Januar 2023, Nägeligasse 9, Bern»
Es gilt das gesprochene Wort

Gott und Geld – es ist kompliziert

Gott und Geld – das passt nicht zusammen. Dieser Beziehungsstatus ist gelinde gesagt «kompliziert». Zu diesem Schluss muss kommen, wer an das bekannte Jesus-Wort denkt:
«Niemand kann zwei Herren dienen: Entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon» (Mt 6,24).

Dieses Entweder-Oder irritiert, kennt das Alte Testament doch eine wesentlich differenzierte Sicht auf Geld, Wohlstand und Reichtum. Es lassen sich drei Positionen unterscheiden:1

  • Reichtum (Geld) als Segen
    Reichtum wird immer wied er ausdrücklich als Gabe Gottes genannt . Etwa wenn Abrahams Verwalter sagt: «Gott hat meinen Gebieter reichlich gesegnet, so dass
    er reich geworden ist; er hat ihm Schafe und Rinder, Silber und Gold, Sklavinnen und Sklaven, Kamele und Esel gegeben» Gen 24,35
  • Warnung vor den Gefahren des Reichtums
    Das AT verweist durchaus auf Gefahren des Reichtums, wenn etwa der weisheitliche Prediger festhält: «Wer das Geld lieb hat, wird des Geldes nicht satt» Koh 5,9
  • Kritik am Reichtum
    Diese Warnung geht in teils harsche Kritik an Reichtum über, der unrechtmässig erworben wurde. Die daraus folgenden sozialen Missstände werden von Propheten wie Jeremia schonungslos angeprangert: «[…] so sind ihre Häuser voll Betrug; dadurch sind sie mächtig und reich geworden, fett, feist. Auch sündigen sie durch ruchloses Tun. Das Recht pflegen sie nicht, dem Recht der Waisen verhalfen sie nicht zum Erfolg und die Sache der Armen entscheiden sie nicht» (Jer 5,27b-28).

Der hier kritisierten sozialen Ungerechtigkeit steht im Alten Testament eine umfassende Sozialordnung gegenüber, die diese Missstände beheben oder zumindest ausgleichen will.2 Die Kritik an den Reichen spitzt sich im Neuen Testament mit dem eingangs zitierten Jesus-Wort deutlich zu. Mit Burkhard Hose lässt sich sagen:
«Die Reichen haben es schwer im Neuen Testament. Gemessen an anderen Themen nehmen die reichtumskritischen Töne in den Jesusüberlieferungen einen verhältnismässig breiten Raum ein […]. Die Botschaft ist unmissverständlich: Geld versperrt den Weg zu Gott – zumindest, solange man es für sich behält.»3

Wie ist mit dieser biblischen Ambivalenz zum Thema «Geld» umzugehen?

Geld muss dienen

Als neu gewählter Papst veröffentlichte Franziskus im November 2013 sein erstes Apostolisches Schreiben.4 Darin warnt er vor der Vergötterung des Geldes und schreibt: «Das Geld muss dienen und nicht regieren!»5

In diesem Sinn rief der Papst dann 2014 die Teilnehmenden am WEF in Davos auf, «sicherzustellen, dass Wohlstand der Menschheit dient, anstatt sie zu beherrschen.»6

Diese Aussage des Papstes kann sich auf viele Stellen in der Bibel berufen. Sie hier umfassend und nuanciert darzustellen, ist nicht möglich. Ich muss mich hier auf ein Beispiel beschränken. Ein Beispiel, das zeigt: Geld darf nicht knechten. Es muss das Leben ermöglichen.

Mit Geld Gutes tun?

Ein erster kritischer Blick (Mk 12,41-44)

41 Und er [Jesus] setzte sich der Schatzkammer gegenüber und sah zu, wie die Leute Geld in den Opferstock warfen. Und viele Reiche warfen viel ein.
42 Da kam eine arme Witwe und warf zwei Lepta ein, das ist ein Quadrant.
43 Und er rief seine Jünger herbei und sagte zu ihnen: Amen, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr eingeworfen als alle, die etwas in den Opferstock eingeworfen haben.
44 Denn alle haben aus ihrem Überfluss etwas eingeworfen, sie aber hat aus ihrem Mangel alles hergegeben, was sie hatte, ihren ganzen Lebensunterhalt.

Dies Szene spielt im Tempelbereich.
Im Bereich der Tempelschatzkammer sind die Opferstöcke aufgestellt. Die Gaben werden von den Priestern überprüft und dann in den Opferstock gelegt. Jesus beobachtet mit seinen Jüngern die Szenerie. Die Jünger sind vermutlich von den hohen Spendensummen beeindruckt. Doch Jesus lenkt ihren Blick auf eine Witwe, die zwei Lepta gibt (ein Zehntel eines normalen Tageslohnes). Diese Witwe hat ihren ganzen Lebensunterhalt (ihr ganzes Leben: bi,oj) investiert. Jesus schaut kritisch auf das, was ihm da vor Augen liegt.

  • Mit Geld Gutes tun, ist für ihn mehr als grosszügige Wohltätigkeit.
  • Mit Geld Gutes tun, darf nicht zur (frommen) Selbstinszenierung verkommen.
  • Mit Geld Gutes tun, ist nicht eine Frage von möglichst ho hen Geldsummen.
  • Mit Geld Gutes tun, bedeu tet nicht lediglich vom Übermass geben, sondern beinhaltet auch den Verzicht zugunsten Anderer.
  • Mit Geld Gutes tun, stellt die Frage nach Motivation und Haltung.

Jesus lenkt den Blick auf die arme Witwe.

  • Gerne wird sie in ihrem Umgang mit Geld als Vorbild dargestellt.
  • Ihr Vorbild animiert dazu, nicht kleinlich zu sein. Mehr zu spenden und damit auch mehr Gutes zu tun.

Kritischer Einwand: Ist diese arme Witwe aber wirklich ein Vorbild?

  • Sicher: Ihre Haltung ist beeindruckend und die Sympathien in diese m Text sind klar bei ihr.
  • Aber: Jesus lobt ihr interessanterweise Verhalten nicht ausdrücklich. Er sagt  seinen Jüngern nicht: «Macht es wie diese Witwe.» Sie wird von ihm nicht als explizites Vorbild dargestellt das tun meist die, die über das Spenden predigen.

Ich wage daher noch einen zweiten kritischen Blick auf diese Szene. Und dieser ergibt sich aus dem textlichen Zusammenhang. Just vor dieser Passage mit der armen Witwe lesen wir folgendes:

Ein zweiter kritischer Blick (Mk 12,37b-40)

37bUnd viele Leute hörten ihm [Jesus] gerne zu.
38 Und er lehrte sie und sprach: Hütet euch vor den Schriftgelehrten, denen es gefällt, in langen Gewändern einherzugehen und auf den Marktplätzen gegrüsst zu werden
39 und in den Synagogen den Ehrensitz und bei den Gastmählern die Ehrenplätze einzunehmen,
40 die die Häuser der Witwen leer fressen und zum Schein lange Gebete verrichten – sie werden ein umso härteres Urteil empfangen.

Auch diese Szene spielt bereits im Tempel. Sie enthält eine Warnung vor den Schriftgelehrten. Denn die kommen ihrer Aufgabe als «Hirten» nicht nach. Schlimmer noch: Sie «fressen die Häuser der Witwen leer»!

Damit erscheint das Scherflein der Witwe in einem neuen Licht. Sie ist gewissermassen Opfer eines ungerechten Systems. Anstatt die Witwen zu schützen (vgl. Dtn 24,17.20-21) bereichern sich die Schriftgelehren – und damit das Tempelsystem – am Geld dieser armen Bevölkerungsschicht. → ausbeuterisches System

Mit Geld Gutes tun, bedeutet daher

  • nicht, dass eine arme Witwe noch ihren letzten Rappen geben muss
  • sondern, dass diese Witwe Geld erhält

Mit Geld Gutes tun, kann da geschehen, wo Finanzsysteme die Reichen nicht immer reicher und die Armen nicht immer ärmer macht.

Alternatives System

Geld muss dienen und nicht regieren! Diese Grundüberzeugung ist tief in den biblischen Schriften verankert. So gehört das Ringen um eine alternative Wirtschaftsform zu den bemerkenswerten Kennzeichen der Jerusalemer Gemeinde.

Die zuweilen als „Liebeskommunismus“ belächelte Gütergemeinschaft in Apostelgeschichte 4,32 war kein kommunistisches Ideal, wurde das Privateigentum doch nicht abgeschafft. Worauf es ankam, war aber die radikale Bereitschaft zum Teilen. Wenn der Bericht festhält, dass dies dazu führte, dass keiner unter ihnen Mangel litt (Apg 4,34), muss dies als Erfüllung der Sozialgesetzgebung aus Dtn 15,4f. gelesen werden, wo es heisst, dass es in Israel keine Armen geben soll.

Es ist dies eine Entscheidung für Gott und gegen den Mammon.

Geld – eine geistliche Frage

Denn die von Jesus formulierte Alternative – Gott oder Mammon – ist letztlich nicht eine moralische Frage, sondern eine spirituelle.

«Jesus spricht zunächst gar nicht über die Weise, wie man sein Geld benützt. Wenn er vom Reichtum spricht, geht es um die Frage, worauf man sein Dasein baut – und damit formuliert er auf dem Fundament der alttestamentlichen Tradition eine neue und radikalere Frage: Worauf baust du dein Leben? Welchem Gott gibst du dich hin?»7

Es ist daher durchaus bemerkenswert, dass der sogenannte «Sündenfall» in Genesis 3 aus ökonomischer Perspektive als «Konsumsünde» gelesen werden kann.8 Eine Frage der Schlange reicht, um die Aufmerksamkeit der Menschen mit klugem Marketing auf den einen Baum inmitten vieler Bäume zu lenken. Die anfängliche Neugier weicht rasch der Begierde.

Diesen einen Baum, seine Früchte – so schön. Das Produkt wird absolut begehrenswert. Das müssen wir haben. Nicht weil wir hungrig sind, sondern weil die Gier geweckt nach etwas geweckt ist, dass wir eigentlich nicht brauchen. Dafür riskiert der Mensch den paradiesischen Garten. Seine Gier entfernt ihn von Gott, seinen Mitmenschen und der übrigen Schöpfung.

Dieses Muster zieht sich durch die Menschheitsgeschichte, so dass der 1Timotheusbrief pauschalisierend festhält: «Denn Geldgier ist eine Wurzel alles Übels; danach hat einige gelüstet und sie sind vom Glauben abgeirrt und machen sich selbst viel Schmerzen» (1Tim 6,10).

Solidarität und Gerechtigkeit

Wenn Geld dienen und nicht herrschen soll, darf Geld nicht zum Gott werden. Die Bibel appelliert daher im Umgang mit Reichtum und Besitz immer wieder an «Solidarität» und «Gerechtigkeit», um der lebensverhindernden Gier auf Kosten anderer zu begegnen.9

In der Erzählung von der armen Witwe zeigt sich, dass diese eine Verabschiedung von einer «Wohltäter-Mentalität»10 bedeutet. Reiche konnten sich ihren Status und Einfluss nicht mehr länger mit teils grosszügigen Spenden sichern. Gefordert ist eine Umverteilung, die neue Machtverhältnisse mit sich bringt:

«Das Verhältnis von Reich und Arm gestaltet sich nicht mehr vertikal – nach dem Motto: die Reichen geben von oben herab etwas von ihrem Geld, damit die Bedürftigen leben können, sondern horizontal: Wer reich ist, begibt sich auf eine Ebene mit den armen Gemeindegliedern und wir selber arm. Die Armen aber gewinnen an Ansehen und werden selber reich. […] Eine gerechte Umverteilung der Güter beinhaltet demnach immer auch die Notwendigkeit einer Beteiligung der Schwachen an der Macht.»11

Quer durch die Jahrhunderte gab es immer wieder Bewegungen, die auf diese Weise beitragen wollten, dass Geld nicht regiert, sondern dient. Wie unser Beitrag dazu aussieht, müssen wir für uns klären.


1. Vgl.RAINER KESSLER: Reichtum (AT), in: wibilex (2006) Online: https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/33027/ [Zugriff am 23. Januar 2023]

2. Vgl. LUKAS AMSTUTZ: Werte, Menschenbild und soziale Verantwortung. Alttestamentliche Aspekte, in: Mennonitisches Jahrbuch (Soziale Verantwortung) (2007), S. 14–18 Ferner auch: LUKAS AMSTUTZ: Das Jubeljahr in Bibel und Theologie, in: Die Schweiz, Gott und das Geld, hrsg. von ChristNet, St. Prex 2013, S. 159–177.

3. BURKHARD HOSE: Kirche der Reichen? Ein neutestamentlicher Denkanstoss, in: BiKi 62 (2007), 1, S. 42–45, hier S. 43.

4. Deutscher Text von Evangelii gaudium online zugänglich: https://w2.vatican.va/content/francesco/de/apost_exhortations/documents/papa-francesco_esortazione-ap_20131124_evangelii-gaudium.html#Nein_zu_einem_Geld,_das_regiert,_statt_zu_dienen [Zugriff am 24. Januar 2023]

5. Absatz 58 im obigen Dokument.

6. Deutscher Text online zugänglich: https://w2.vatican.va/content/francesco/de/messages/pont-messages/2014/documents/papa-francesco_20140117_messaggio-wef-davos.html [Zugriff am 23. Januar 2023]

7. DANIEL MARGUERAT: Gott und Geld – ein Widerspruch? Wie die Bibel Reichtum und Besitz einschätzt, in: Welt und Umwelt der Bibel [WuB] (2008), 1, S. 10–15, hier S. 12–14.

8. TOMÁŠ SEDLÁČEK: Die Ökonomie von Gut und Böse, München 2013 (Goldmann, 15754), S. 270–272.

9. Zu den Begriffen «Solidarität» und «Gerechtigkeit» als regulative Ideen der Bibel, siehe MICHAEL SCHRAMM: Das gelobte Land der Bibel und der moderne Kapitalismus. Vom „garstig breiten Graben“ zur „regulativen Idee“, in: BiKi 62 (2007), 1, S. 37–41.

10. Vgl. hierzu Gerd Theissen, Die Religion der ersten Christen: Eine Theorie des Urchristentums. 3. Aufl. Gütersloh 2003, 133-146.

11. Burkhard Hose, «Kirche der Reichen? Ein neutestamentlicher Denkanstoss», in: BiKi 1/2007, 42-45, hier 44.

 

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Geraten Flüchtlinge häufiger mit dem Gesetz in Konflikt als Schweizer? Sind sie weniger arbeitsam als die einheimische Bevölkerung? Wer genauer hinsieht, merkt rasch, dass bei der Beantwortung dieser Fragen Vorurteile mit Fakten vermischt werden.

Der Berner Integrationsdirektor Pierre Alain Schnegg äusserte sich Ende des vergangenen Jahres in Zeitungs- und Radio-Interviews zur Frage der Arbeitsintegration wie folgt: «Aber es ist ein Fiasko für unsere Integrationspolitik, wenn man schaut, wie viele Menschen auch nach fünf oder sieben Jahren in der Schweiz noch immer nicht arbeiten. Wer gesund ist und nach so langer Zeit – trotz Vollbeschäftigung – noch immer keine Arbeitsstelle hat, der will doch einfach nicht arbeiten1

Ausserdem erklärte er im Zusammenhang mit der gemischten Unterbringung von ukrainischen und aussereuropäischen Flüchtlingen, dass sich beide Gruppen stark unterscheiden. Dies nicht nur aufgrund der Sozialstruktur: hier Familien, oft Mütter mit Kindern, dort junge Männer. Bei der aussereuropäischen Flüchtlingsgruppe sah er ein erhöhtes kriminelles Potenzial: «Die Kriminalitätsstatistik ist doch eindeutig. Die Journalisten wollen darüber nur nicht schreiben2 .» Was ist wahr an diesen Aussagen?

Überrepräsentation von Ausländern in der Kriminalstatistik

Tatsächlich ist es so, dass unter der ausländischen Bevölkerung, die ungefähr 25% Anteil an der Gesamtbevölkerung stellt, ein viel grösserer Teil straffällig wird. Bei den Gewaltstraftaten wurden im Jahr 2021 7367 Personen verurteilt, davon 3‘911 mit einem ausländischen Pass und 3‘456 mit Schweizer Staatsbürgerschaft3 . Wie lässt sich diese erhöhte Delinquenz erklären?

André Kuhn, Professor für Kriminologie und Strafrecht an den Universitäten Lausanne, Neuenburg und Genf hat sich mit der Überrepräsentation von Ausländern in der Kriminalitätsstatistik befasst. Dabei hat er die Variablen für Straffälligkeit herausgearbeitet. Es sind dies das Geschlecht, das Alter, der sozioökonomische Status – also die Armutssituation –, das Bildungsniveau und in seltenen Fällen die Staatsangehörigkeit. Junge Männer, schlecht situiert und mit tiefem Ausbildungsstand werden von allen Gruppen am häufigsten kriminell. Die Wahrscheinlichkeit, dass nun ein junger, mittelloser Ausländer ohne Bildung ein Verbrechen begeht, ist ziemlich gleich hoch wie bei einem Schweizer mit den gleichen Voraussetzungen. Tatsache ist nun aber, dass verhältnismässig viel mehr Ausländer als Schweizer die obigen Merkmale erfüllen, denn die Migration betrifft vor allem junge und weniger oft ältere Menschen, zudem eher Männer als Frauen. Fakt ist, wie diese Ausführungen zeigen: Die Nationalität ist nicht wirklich ausschlaggebend für kriminelles Verhalten.

Die Staatsangehörigkeit kann in seltenen Fällen ein erhöhtes Kriminalitätsrisiko erklären. Wenn Geflüchtete direkt aus Kriegsgebieten kommen und selbst am Kriegsgeschehen partizipiert haben, besteht die Möglichkeit einer grösseren Gewaltbereitschaft, die sie sozusagen ins Gastland mitbringen4 . Bei den in den vergangenen Jahren in die Schweiz geflüchteten Gruppen aus Eritrea, Iran, Syrien, Tibet oder der Türkei gibt es diesen direkten Kriegskontext eher selten. Viele sind wegen der Gefahr eines Krieges oder dem Einzug in die Armee geflüchtet. Es ist ausserdem anzumerken, dass aussereuropäische Flüchtlinge mit einer hohen Anerkennungsquote viel seltener kriminell werden als Geflüchtete aus Staaten mit einer tiefen Flüchtlingsanerkennung, wie beispielsweise Menschen aus Nord- oder Zentralafrika. Wer nach einer lebensgefährlichen Flucht als Asylsuchender abgewiesen wird, ist enorm frustriert und desillusioniert. Nur in diesen Gruppen erhöht sich das Potenzial für kriminelles Handeln, was sich auch in der Statistik niederschlägt.

 

80% der Menschen aus dem Asyl- und Flüchtlingsbereich leben von der Sozialhilfe

Das Bundesamt für Statistik (BFS) erhebt im Auftrag des Staatssekretariats für Migration die Sozialhilfequote im Asyl- und Flüchtlingsbereich. Für das Jahr 2021 gibt das BFS die Sozialhilfequote im Asylbereich mit 78,4%, im Flüchtlingsbereich mit 82,1% an. Mehr als ein Drittel der Sozialhilfebeziehenden sind im Übrigen Kinder. Bei Flüchtlingsfamilien besteht somit ein massiv erhöhtes Sozialhilferisiko.

Im Jahr 2022 sind ungefähr 100’000 Flüchtlinge in die Schweiz gekommen, davon 75’000 aus der Ukraine. Wer im Erhebungsjahr mindestens einmal eine finanzielle Sozialhilfe beansprucht hat, findet Eingang in die Sozialhilfestatistik. Dieser Fall – ein mindestens einmaliger Sozialhilfebezug – wird für eine Mehrheit der 100’000 Geflüchteten eintreffen. Und das wird auch die Sozialhilfequote im Jahr 2022 weiter erhöhen. Auch wer sich Wochen nach seiner Ankunft mit herausragenden Sprachfähigkeiten und einem sehr guten Ausbildungsstand im ersten Arbeitsmarkt wiederfindet, wird in der Erhebungsperiode in der Sozialhilfestatistik geführt. Macht eine statistische Auswertung Sinn, wenn das Resultat dermassen undifferenziert ist?

Die hohe Quote ist aber auch sonst zu erwarten: Wer in die Schweiz flüchtet, hat in der Regel nicht die nötigen Sprachkenntnisse und ein entsprechendes Bildungsniveau, um sich rasch im ersten Arbeitsmarkt zu etablieren.

Eine Ausnahme bilden Geflüchtete aus der Ukraine, die über einen sehr hohen Anteil an akademisch gebildeten Personen verfügen und zudem ein grosses Wohlwollen bei der Wohnungs- und Arbeitssuche erfahren. Aber auch in dieser Gruppe wachsen die Bäume nicht in den Himmel. Während der Flüchtlingskrise von 2014/2015 mussten viele aussereuropäische Asylsuchende lange Zeit auf ihren Asylentscheid warten. Diese zermürbende Situation hat Integrationsschritte gehemmt. Rasch gute Deutschkenntnisse zu erwerben, gelingt nicht jedem gleich gut.

Eine weitere Herausforderung sind anspruchsvolle und zeitintensive Ausbildungen. Danach müssen Betriebe gefunden werden, die bereit sind, beispielsweise vorläufig aufgenommene Personen zu beschäftigen, die auf dem Papier wenig Planungssicherheit versprechen, obwohl de facto die grosse Mehrheit in der Schweiz bleibt. Mit diesen Hürden ist der Schritt in den ersten Arbeitsmarkt kein Sonntagsspaziergang und ein Prozess, der selbstredend einige Jahre in Anspruch nimmt. Die Aussagekraft der Zahl 80% Sozialhilfequote im Asyl- und Flüchtlingsbereich ist ähnlich wertlos wie eine Studie zur Alphabetisierungsquote von Drei- und Vierjährigen. Man weiss im Vornherein, dass Drei- und Vierjährige noch nicht lesen und schreiben können, Ausnahmen vorbehalten.

Ein weiterer bedeutsamer Aspekt ist die Frage des Teilsozialhilfebezugs. Es gibt viele Geflüchtete mit Familien, die den Schritt in die vollständige Sozialhilfeunabhängigkeit noch nicht geschafft haben. Sie arbeiten, obwohl sie bei Untätigkeit etwa gleich viel Geld zur Verfügung hätten. Sie wollen aber arbeiten, weil es zu ihrer Würde gehört. Kein gesunder Mensch will Tag für Tag die Beine vor dem Fernseher hochlagern oder Däumchen drehen.

 

Das Beispiel Riggisberg BE nach 7 Jahren

Nach der Schliessung der Asylunterkunft im Januar 2016 blieben ungefähr 25 Flüchtlinge in unserem Dorf. Wir haben sie von Seiten «riggi-asyl» auf dem Weg in den ersten Arbeitsmarkt begleitet. Zu den heute 22 mehrheitlich aus Eritrea geflüchteten Personen gehören sechs Frauen, sieben Männer, vier Jugendliche in Ausbildung und fünf Kinder. Vier Frauen arbeiten im ersten Arbeitsmarkt, davon zwei in einer Küche, eine in der Wäscherei, eine im Pflegebereich. Von vier Männern im ersten Arbeitsmarkt sind zwei in einer Küche angestellt und zwei im Pflegebereich beschäftigt. Diese acht Erwachsenen sind allesamt sozialhilfeunabhängig und arbeiten in Riggisberger Institutionen. Zwei Familien sind teilsozialhilfeabhängig. Die beiden betroffenen Väter arbeiten in der Küche einer Institution in Riggisberg. Die beiden Mütter verbessern ihre Deutschkenntnis und suchen im Moment erfolgreich Anstellungen im Reinigungsdienst mit dem Ziel, als Familien völlig sozialhilfeunabhängig zu werden. Ein junger Mann ist noch in Ausbildung im Gastrobereich. Aufgrund einer starken Lernschwäche ist es unsicher, ob er seine Ausbildung bestehen wird. Arbeitslos ist aus dieser Gruppe im Moment niemand.

 

Schlussfolgerungen – und eine theologische Reflexion

Um die Kriminalitätsrate zu senken und die Sozialhilfequote zu verbessern, sind soziale Massnahmen und Bildungsanstrengungen nötig. Die Begleitung von Geflüchteten kann dabei nicht nur den Behörden überlassen werden. Der Einbezug zivilgesellschaftlicher Gruppen für die Unterstützung des Integrationsprozesses ist ein Erfolgsmodell. Eine wichtige Aufgabe fällt hier den Kirchen zu. Für sie ist es eine Kernaufgabe, die Schwächsten der Gesellschaft zu begleiten. Dazu gehören unter anderen auch Flüchtlinge.

Am Ende eines Gottesdienstes hören wir häufig die Worte aus dem aaronitischen Segen: «Gott wende sein Angesicht dir zu und lasse leuchten sein Angesicht über dir … 5 .»  Zuwendung, ein freundliches Gesicht: Was in der Beziehung von Gott zu uns gilt, das soll auch für unser menschliches Zusammenleben gelten. Es ist eine menschliche Grunderfahrung, dass wir uns erst dann wirklich als Mensch fühlen, wenn wir angeschaut werden. Wer gesehen wird, hat Ansehen, und wer von niemandem angeschaut wird, kommt sich unansehnlich vor. Unsere Lebensstimmung und unsere Lebenshaltung sind wesentlich davon abhängig, wer uns wie in die Augen schaut. Wer nicht angeschaut wird oder wer, aufgrund von Vorurteilen, grundlos in hasserfüllte Augen schaut, reagiert mit Angst und Abwehr.

Das erleben heute viele Flüchtlinge in unserer westlichen Welt. In ihnen potenziell kriminelle oder faule Menschen zu sehen, sind Ansichten, die aus dem Giftschrank populistischer Parteien stammen. Sie fördern Pauschalurteile und Kollektivverdacht. Menschen auf ihre Gruppenzugehörigkeit zu reduzieren, macht sie gesichtslos und entmenschlicht sie als einzelne Person. Ein solches Verhalten widerspricht den Grundwerten der Bibel, die jedem Menschen, unabhängig seiner Herkunft, seiner Hautfarbe und seiner Gesinnung, eine einmalige Würde zuspricht.

 

1. SRF Regionaljournal, 1.12.2022

2. Berner Zeitung, 22.11.2022

3. Quelle: Bundesamt für Statistik

4. Quelle: Revue Vivre Ensemble, März 2013

5. 4. Mose 6,24ff

Dieser Artikel erschien erstmals am 01. Februar 2023 auf Forum Integriertes Christsein.

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«Wie Geld die Politik und uns selber bestimmt». Unter diesem Thema lud die linksevangelikale Gruppe «ChristNet» am 28. Januar in Bern zu einem Forum ein. Gut 30 Teilnehmende wollten mehr darüber wissen.

Laut dem mennonitischen Theologen Lukas Amstutz gibt es im Alten Testament drei Positionen zum Geld: Reichtum als Segen – etwa bei Abraham –, die weisheitliche Warnung vor den Gefahren und die prophetische Kritik an unrechtmässig erworbenem Reichtum, der zu sozialen Ungerechtigkeiten führe. Die göttliche Reaktion darauf sei der Ausgleich dieser Ungerechtigkeiten. Im Neuen Testament gebe es dann eine breite Kritik an den Reichen. Geld versperre den Weg zu Gott, solange man es für sich behalte. Oder in den Worten des aktuellen Papstes: «Das Geld muss dienen, es darf nicht beherrschen.» Im Spendenverhalten am Opferstock in Markus 12 sieht Amstutz mehr als den Gegensatz zwischen Reichen, die aus ihrem Überfluss geben und einer Witwe, die trotz ihres Mangels alles gibt. Laut der Vorgeschichte gehe es viel mehr um die Ausbeutung dieser Witwe durch die Reichen, welche die Häuser der Witwen leer fressen. Eigentlich müsste die Witwe das Geld erhalten. Schon der Sündenfall sei eine Konsumsünde gewesen: eine Frage habe gereicht, um aus Neugierde Gier zu machen. Die Reichen sollten dafür sorgen, dass die
Armen selber reich werden können.

Die Berner Politologin Laura Brechbühler hat in ihrem Studium den Einfluss des Geldes in der Schweizer Politik durch Lobbying und Politikfinanzierung untersucht. Unterdessen müssten die Parlamentarier bezahlte und unbezahlte Mandate ausweisen, über deren Höhe wisse man aber wenig. Die Mitte werde dabei am meisten umworben. Das Haupt-Lobbying finde aber ausserhalb des Bundeshauses statt. Da es keine staatliche Politikfinanzierung gebe, seien Spenden entscheidend. Bei den rechten Parteien gebe es tendenziell weniger davon, weil dort die Unternehmen mehr investieren. Der genaue Einfluss sei aber unklar. Deshalb müsse es mehr Transparenz geben, wie dies mit dem Gegenvorschlag zur Transparenz-Initiative in den kommenden Parlamentswahlen erstmals geschehen sollte.

Der Baselbieter Nationalrat Eric Nussbaumer erläuterte das Parlamentarier-Shopping: Wer in einer Kommission sitzt, bekommt automatisch Mandate angetragen. Dies ist für ihn «die schlimmste Entwicklung». Nussbaumer wandte sich aber gegen den Eindruck, dass alle politisch Tätigen käuflich seien. Das Milizsystem sei im Kern ein bezahltes Lobbying. Deshalb bleibe die entscheidende Frage «Welche Werte beeinflussen mich?» Lobbyarbeit für die Schwächsten – etwa im Asylbereich – sei in der Regel nicht möglich. Das wirkliche Problem sei deshalb das Geld: «Das Problem mit dem Lobbyismus ist das Ungleichgewicht in der Interessenvertretung. Die verschiedenen Gruppen haben ungleiche Mittel, sich in der Politik Gehör zu verschaffen.» Christen sollten deshalb zu Lobbyisten werden für solche, die keine Lobby haben. Ziel sei die Ausgewogenheit aller politischen Entscheidungen, nachvollziehbar und transparent. Am Schluss zähle das wahre Argument, das – hoffentlich – nicht gekauft sei.