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ChristNet steht seit seiner Gründung für Frieden und gewaltlosen Widerstand ein. Vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs möchten wir aber nicht blauäugig den Pazifismus hochhalten und damit die Realität des ungerechtfertigten, barbarischen Angriffskrieges leugnen. Dennoch will ChristNet auch jetzt das Bemühen um Frieden nicht tabuisieren oder den Verteidigungskrieg verherrlichen. In diesem Sinne veröffentlichen wir das folgende Interview mit Hansuli Gerber vom Täuferischen Forum für Frieden und Gerechtigkeit (TFFG), der differenziert erklärt, was der Begriff Pazifismus genau bedeutet, warum dieser ein Ideal bleiben soll und weshalb Pazifismus und Gewaltlosigkeit biblisch sind. Das heisst nicht, dass ChristNet mit allen Aussagen einverstanden ist.

Seit der Invasion Russlands in der Ukraine scheinen Bellizismus und Militarismus sehr en vogue zu sein bis weit ins linke politische Spektrum. Ist ein Verteidigungskrieg ein sinnvolles und berechtigtes Mittel gegen eine militärische Invasion?

Krieg geht von seinem Wesen ins Extreme und in die Länge. Dabei wird zwischen Zerstörung von Menschenleben und von Sachen kein Unterschied gemacht. Krieg ist immer ein Machtanspruch und sucht, diesen durch Zerstörung auf allen Ebenen der Gesellschaft zu erzwingen. Der Verteidigungskrieg beansprucht für sich, das Gute im Sinn zu haben, die Barbarei zu stoppen und vieles mehr. Doch ist auch er ein Krieg und ein Griff zur Barbarei, um Barbarei zu stoppen. Einen Verteidigungskrieg als geeignetes Gegengift gegen Krieg zu deklarieren ist zuerst mal eine Verharmlosung und Idealisierung des Kriegs und erst danach eine Missachtung der Einladung Gottes zur Liebe und Barmherzigkeit wie sie in Jesus Christus zum Ausdruck kommt.

Als Pazifistin bzw. Pazifist steht man heute plötzlich unter Rechtfertigungsdruck. Hat der Pazifismus versagt?

Der Pazifismus hat nie versagt. Menschen versagen und dass es in der Ukraine und anderswo Krieg gibt, liegt nicht am Pazifismus noch belegt es seine Unzulänglichkeit. Im Gegenteil, Krieg gibt es, weil er durch Aufrüstung vorbereitet wird und weil Menschen auf Waffen setzen, statt auf Begegnung und Kooperation. Weil die Gier vor dem Zusammenleben kommt. Weil das Geld regiert. In dieser Situation braucht es mehr Pazifismus, nicht weniger. Christen, welche Waffen ablehnen, müssen sich mit andern zusammentun, denn sie haben kein Monopol auf den Pazifismus. Menschen guten Willens, welche auf Gewaltlosigkeit setzen können zusammenarbeiten. Das Reich Gottes besteht nicht aus Christen, sondern aus gewaltloser Liebe. Gerade im Krieg ist für Christen der Aufruf «Liebet eure Feinde» die grosse und unumgängliche Herausforderung.

Was ist Gewaltlosigkeit genau? Oder umgekehrt: Was ist Gewalt, wie wird sie definiert? Worauf verzichtet jemand, der gewaltlos lebt?

Hinsichtlich der Gewalt gilt, dass sie einerseits als unausweichlich gesehen und gleichzeitig verharmlost wird. Da braucht es viel Forschung und Aufklärung. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlichte zu Beginn der Jahre 2000 den ersten Bericht zu individueller und zwischenmenschlicher Gewalt. Darin stellte sie fest, dass Gewalt keine Fatalität sein muss und vermeidbar ist. Aufgrund dieses ausführlichen Berichts erklärte die die Versammlung der WHO 2003 Gewaltprävention zu einer Priorität des öffentlichen Gesundheitswesens. Individuelle bzw. zwischenmenschliche Gewalt wird von kollektiver Gewalt, also Krieg und Massengewalt, unterschieden und folgt anderen Logiken. Daher ist es nicht hilfreich, den Krieg und die Verteidigung inmitten des Kriegs mit der Vergewaltigung meiner Frau oder der Bedrohung oder Misshandlung deiner Kinder zu vergleichen. Hier ist Handeln und Widerstand angesagt, aber es ist Vorstellungsvermögen notwendig, es soll nicht zuerst an Waffengewalt gedacht werden, sondern an die vielen Möglichkeiten, den Angreifer zu überraschen und ihn so zu entwaffnen. Dafür gibt es unzählige Beispiele. Ich weiss von Menschen – und ich gehöre dazu, die bewusst keine Waffe im Haus haben, damit die Gefahr einer bewaffneten Eskalation verringert wird. Es ist der Mythos, dass Waffen uns bewahren, der so viele Menschen heute dazu verleitet, sich zu bewaffnen.

Wie kann man Gewalt verhindern?

Es geht darum, zu verstehen, dass Gewalt Gewalt hervorbringt und da ist aus theologischer Sicht unbewaffnetes und entwaffnendes Denken und Handeln angesagt. Dabei können wohl auch mal Tische und Stühle umgeworfen werden, was manche den Pazifisten und Pazifistinnen als Gewalttat Jesu vorhalten. Widerstand gegen Unrecht und Gewalt sind nicht nur legitim, sondern durchaus notwendig im Sinne des Evangeliums und der Bibel, und werden nicht umsonst von Theologen und Philosophinnen als Pflicht bezeichnet.

Gibt es Gewalt, die ihre Berechtigung hat? Beispielsweise Polizeigewalt bei einer Verhaftung?

Der Staat beansprucht ein Gewaltmonopol und das kann ihm zugestanden werden. Dabei muss man ohne Illusion sein: zu oft wird dieses Monopol missbraucht, was in der Struktur der Macht liegt. Der Staat wird von Menschen gemacht und die erliegen zu oft der Versuchung der Macht, welche zur Gewalt greift und diese einsetzt, nicht zur Bewahrung und Verteidigung von Menschen, sondern der bestehenden oder angestrebten Macht und Dominanz. Der Angriff auf die Ukraine verfolgt imperialistische Absichten. Diese machen vor Menschenopfern keinen Halt.

Das heisst, wenn man Pazifist:in ist und Gewalt ablehnt, muss man dem Staat gegenüber misstrauisch sein?

Pazifisten mögen ein sehr unterschiedliches Staats- und Demokratieverständnis haben. Wo zu Ende gedacht, hat Pazifismus nicht ein stures Prinzip, das religiös-ethisch-moralisch ist, sondern die Menschlichkeit im Auge. Dabei ist die Frage der Gerechtigkeit und der Macht- und Besitzverteilung unumgänglich. Das führt historisch immer dazu, dass Pazifismus mit Sozialismus und Anarchismus verbunden ist und damit mit einer Relativierung des staatlichen Absolutheitsanspruches. Auch die alten Täufer waren dem Staat gegenüber misstrauisch, und zu Recht, denn es ging ihm nicht um das Wohl der Menschen, sondern um die bestehende oder angestrebte Ordnung, in welcher die Privilegien und Macht klar auf der Seite der Herrschenden behielt. Wir suchen als Christen nicht, den Staat durch das Reich Gottes zu ersetzen. Doch wir folgen womöglich der Dynamik und den Regeln des Reiches Gottes, sowie Jesus dies gelebt hat. Wenn der Staat dadurch etwas menschlicher wird, umso besser. Unsere Mission ist, uns für die Liebe und gegen die Entmenschlichung einzusetzen. Entmenschlichung ist ein wichtiges Stichwort in einer von Krieg, Klimakrise und Technokratie geschüttelten Welt!

Ist Pazifismus immer mit Gewaltfreiheit gleichzusetzen oder geht Pazifismus auch mit Gewalt?

Der Begriff Pazifismus wird verschieden verstanden und je nach Kontext verschieden gebraucht. Vielleicht ist er weniger geeignet als Gewaltlosigkeit. Grundsätzlich bedeutet es, Gewalt als Mittel zur Konfliktlösung oder zur Erreichung bestimmter Absichten abzulehnen, beziehungsweise die Teilnahme an gewalttätigen Handlungen zu verweigern. Es gibt verschiedene Pazifisten: Nuklearpazifistinnen beispielsweise lehnen Atombewaffnung aber nicht zwingend andere Waffen ab. Radikale Pazifisten dagegen stellen sich gegen jede militärische Bewaffnung und weigern sich, daran teilzunehmen. Es gibt Leute, die sind grundsätzlich der Gewaltlosigkeit verpflichtet, aber würden nicht in jedem Fall Gewalt ausschliessen. Das wohl grösste Problem mit dem Begriff ist, dass er mit Passivität verbunden wird oder gar mit Gleichgültigkeit. Das ist ein verhängnisvolles Missverständnis. Pazifismus hat einen nicht besonders guten Ruf und muss gewissermassen als Ideal rehabilitiert werden.

Inwiefern ist Pazifismus und Gewaltlosigkeit biblisch?

Gewaltlosigkeit ist biblisch und vor allem evangelisch, weil sie den unbewaffneten Widerstand im Auge hat zum Wohl und zur Bewahrung aller betroffenen Menschen, statt einer bestimmten Ordnung. Sie weiss, dass wer zum Schwert greift, durch das Schwert umkommt. Und sei es die Generation danach. Jesus hat mit seiner unbewaffneten und entwaffnenden Art gezeigt, dass in der «Herrschaft» Gottes (Reich Gottes) andere Regeln gelten als im Staat und unter Menschen, die ihre Vorteile und Selbstbehauptung durchsetzen wollen. Die Natur ist wohl auf ihre Art gewalttätig, aber Gott ist gewaltlos und frei. Gott lässt den Menschen gewähren, sehr zu unserem Missfallen manchmal, aber das ist das Wesen seines Reiches, welches in Frieden, Gerechtigkeit und Freude besteht. Nicht mal der Gewaltherrschaft tritt Gott mit Gewalt entgegen. Er lässt die Reiche der Gewaltherrschaft einstürzen und diejenigen leer ausgehen, die nichts anderes als ihr Eigenes im Sinn hatten, wie es im Lobgesang von Maria steht.


Das Interview erschien erstmals auf www.menno.ch. Es wurde von Simon Rindlisbacher geführt.

 

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Eine breite Palette von Organisationen hat sich zur Koalition «Christ:innen für Klimaschutz» versammelt und unterstützt das Klimaschutz-Gesetz (indirekter Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative), das am 18. Juni 2023 zur Abstimmung kommt. Auch ChristNet hat sich der Koalition angeschlossen.

Die «Christ:innen für Klimaschutz» sind überzeugt, dass jeder Mensch einen Beitrag zum Schutz der Schöpfung leisten kann – durch Handeln oder bewusstes Unterlassen. Das Klimaschutz-Gesetz liefert hierzu einen verbindlichen gesetzlichen Rahmen und hilft der Schweiz, die Ziele des Pariser Klimaabkommens umzusetzen. Im Klimaschutz-Gesetz sieht die Koalition einen sozialverträglichen Weg zu mehr Klimaschutz, der auch die Volkswirtschaft stärkt.

Die Schöpfung ist in Gefahr. Die vom Menschen verursachte Klimakrise ist wissenschaftlich vom Weltklimarat (IPCC) eindeutig belegt und offenbart sich in Hitzewellen, Waldbränden, schmelzenden Gletscher, Dürren, Überschwemmungen, ansteigendem Meeresspiegel und weiteren Wetterextremen. Die Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen sind dadurch bedroht. Die Bevölkerung anerkennt die wissenschaftlichen Fakten und will eine rasche Änderung in der Klimapolitik.
Der Weltklimarat ist das grösste wissenschaftliche Gremium der Klimaforschung. In seinem Auftrag tragen Fachleute weltweit laufend den aktuellen Kenntnisstand zum Klimawandel zusammen und bewerten ihn aus wissenschaftlicher Sicht. Der Spezialbericht des Weltklimarats IPCC vom Oktober 2018 hat gezeigt: Bei einer globalen Erwärmung von 2 Grad, fallen die negativen Folgen bereits weit gravierender aus als bei einer Erwärmung um 1,5 Grad (die bisherige Erwärmung liegt bei 1 Grad). Gegenwärtig sind aber die meisten Staaten – darunter die Schweiz – auf einem Kurs, der auf 3,4 oder mehr Grad Erwärmung hinausläuft.

Ursache für Hunger und soziale Konflikte
Viele Veränderungen durch die Klimaerhitzung sind bereits jetzt für Jahrhunderte bis Jahrtausende unumkehrbar. Die Klimakrise ist akut, sie ist eine Natur- und Menschheitskatastrophe von einem in der bisherigen Menschheitsgeschichte unbekannten Ausmass. Infolge von Extremwettern nehmen Hunger und soziale Konflikte zu. Die industrialisierten Länder nehmen ihre Verantwortung erst ansatzweise wahr und treiben den Klimawandel weiter voran.

Durch die Klima- und Umweltkrise sind die christlichen Kirchen und Organisationen herausgefordert, weil die Krise grundlegende Fragen der Gerechtigkeit, der Nächstenliebe, des christlichen Menschenbildes und der Konzepte von einem guten und gelingenden Leben für alle aufwirft. Die Welt und alles, was auf ihr existiert, ist die Schöpfung Gottes. In einem christlichen Verständnis sind wir Mitgeschöpfe. Als Teil der Schöpfung und als moralisch-ethische Subjekte stehen wir Menschen in der Pflicht, Natur und Umwelt respektvoll und verantwortungsvoll zu begegnen. Jeder privilegierte Anspruch auf die Welt ist grundsätzlich zurückzuweisen. Klimaschutz ist Ausdruck dieser Verantwortung, für Christinnen und Christen Teil einer umfassenden Schöpfungsverantwortung. Es geht um den Schutz der Lebensgrundlagen für alle Lebewesen – heute und in Zukunft. Wir haben zu lange auf Kosten von Umwelt und Klima gelebt.

Globaler Süden trägt die Hauptlast
Die Klimakrise ist auch eine soziale Krise. Verursacht durch Überkonsum, betreffen die Folgen dieses Umweltproblems uns alle. Und doch tragen in Armut lebende Menschen, vor allem jene im globalen Süden, die Hauptlast – ohne das Problem verursacht zu haben. Ihnen fehlen die Mittel zur Anpassung an neue klimatische Realitäten. Die Folgen sind Hunger, Konflikte und Migrationsdruck.

Verantwortung übernehmen
Aus sozialethischer Perspektive hat jeder Mensch das Recht auf eine saubere und intakte Umwelt sowie auf ein Leben in Würde. Aus christlicher Sicht gründet diese Auffassung in der Gottesebenbildlichkeit aller Menschen, schreiben die «Christ:innen für Klimaschutz». Zudem gefährdet die Klimakrise das Überleben der Menschheit sowie des Lebens auf unserer Erde. Deshalb ist es aus sozioökologischer Perspektive entscheidend, dass wir unsere Verantwortung zum Schutz des vielfältigen und fragilen ökologischen Gleichgewichts wahrnehmen.
Kirchen und christliche Organisationen sind gefordert, überzeugender und engagierter zu handeln und an der Änderung politischer Rahmenbedingungen mitzuwirken. In diesem Sinne ist es entscheidend, dass sich kirchliche und christliche Organisationen klimapolitisch äussern.
Als kirchliche und christliche Organisationen sind wir aufgefordert, uns entschlossen gegen die globale Erwärmung zu engagieren, sowohl in Worten (Bestätigung der Dringlichkeit und der notwendigen Massnahmen) als auch im Handeln, betonen die «Christ:innen für Klimaschutz».
Ein klares Ja zum Klimaschutz-Gesetz (indirekter Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative) ist ein solches Handeln.

Eine verantwortliche Klimapolitik der Schweiz 2015 haben die Uno-Mitgliedstaaten das Klimaabkommen von Paris verabschiedet. Nun geht es darum, das Vereinbarte in den einzelnen Staaten umzusetzen: Bis 2050 müssen die Treibhausgasemissionen global auf null sinken, um die Globale Erwärmung auf 1.5 Grad zu begrenzen. Bis dann muss auch die Ära der fossilen Energien beendet sein. Das ist das Ziel des Pariser Abkommens und ist die zentrale Forderung der Gletscher-Initiative.
Die Schweiz setzt ihre Klimapolitik im CO2-Gesetz um, das die Massnahmen zur Erreichung der schweizerischen Klimaziele regelt. Nach der gescheiterten Revision des CO2-Gesetzes (Volksabstimmung zum Referendum im Juni 2021) muss ein neuer Anlauf genommen werden. Diese aktuelle zweite Revision betrifft ein Gesetz mit Massnahmen für den Zeitraum von 2025 bis 2030. Ein Netto-Null-Ziel wurde bislang erst in der langfristigen Klimastrategie des Bundes erwähnt – ein Gesetz zur Umsetzung gab es bisher noch nicht.

Das Klimaschutz-Gesetz konkret
Das neue Klimaschutz-Gesetz verlangt, dass alle inländischen Treibhausgasemissionen bis 2050 netto null erreichen. Die Ziele müssen durch Emissionsminderungen im Inland erreicht werden, soweit technisch möglich und wirtschaftlich tragbar. Die notwendige Transformation ist auch eine Chance für Wirtschaft und Gesellschaft.
Das Bundesgesetz weist der Schweiz den Weg zur Befreiung aus der Abhängigkeit von fossilen Energien. Es bezweckt die Minderung der Treibhausgasemissionen, die Anpassung an und den Schutz vor den Folgen der Klimaerwärmung und die Ausrichtung der Finanzmittelflüsse auf eine emissionsarme und gegenüber dem Klimawandel widerstandsfähige Entwicklung. Das Klimaschutz-Gesetz gibt in erster Linie CO2-Reduktionsziele und dazugehörige Zwischenschritte vor. Bis 2050 müssen die Treibhausgasemissionen der Schweiz bei Netto-Null ankommen, bis 2040 minus 75% gegenüber 1990 erreicht haben. Wie die Ziele erreicht werden (Massnahmen), ist im Rahmen weiterer Gesetze festzulegen.
Folgende Massnahmen legt der Gegenvorschlag bereits fest:

  • Netto-Null-Fahrpläne für Unternehmen und Innovationsförderung (200 Millionen pro Jahr über einen Zeitraum von sechs Jahren)
  • Impulsprogramm für Heizungsersatz und Energieeffizienz (200 Millionen pro Jahr über einen Zeitraum von zehn Jahren)

Die Gletscher-Initiative bewirkte, dass vom Parlament ein indirekter Gegenvorschlag auf Gesetzesstufe entworfen wurde. Dieser wurde in der Herbstsession 2022 verabschiedet. Gegen diesen indirekten Gegenvorschlag wurde von der SVP das Referendum ergriffen.

Das Klimaschutz-Gesetz ist nach der gescheiterten Abstimmung zum revidierten CO2-Gesetz im Juni 2021 ein entscheidender Schritt, um die Schweiz endlich voranzubringen. Dieser Schritt ist nötig, wenn uns Klimagerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung wichtig sind.

Das gegen den Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative ergriffene Referendum lehnen wir entschieden ab, so die «Christ:innen für Klimaschutz». Mit ihnen sagt auch ChristNet sagt JA zum Klimaschutz-Gesetz.

Der ganze Grundsatz-Artikel der «Christ:innen für Klimaschutz» kann hier nachgelesen werden. Kürzungen und Redaktion: Barbara Streit-Stettler


Foto von Nik auf Unsplash

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Gott möchte, dass alle Menschen ein Auskommen haben. In 5. Mose 15,4 heisst es gar «Es sollte überhaupt kein Armer unter Euch sein». Das Ziel einer Wirtschaftspolitik sollte also sein, diesen Zustand herzustellen, zumindest für alle Menschen guten Willens. Der Nationalrat hat nun aber im Dezember den Bundesrat beauftragt, die kantonalen Mindestlöhne dort zu abzuschaffen, wo nationale Gesamtarbeitsverträge bestehen. Dies kommt einer Lohnsenkung für diejenigen gleich, die schon sehr wenig haben, und bringt viele von ihnen in Not.

Ein Lohn sollte für eine Familie zum Leben reichen. Müsste man meinen. Doch für viele Familien in der Schweiz ist dies heute nicht der Fall. Nach den Zahlen des Bundesamtes für Statistik lebten im Jahr 2020 über 150’000 Erwachsene trotz entlöhnter Arbeit in Armut. Mit der starken Inflation im Jahr 2022 ist ihr Spielraum inzwischen noch enger geworden. In diesen Haushalten lebten auch knapp 100’000 Kinder. Nach dem Bundesamt für Statistik1  war bereits im Jahr 2014 jedes 20. Kind in der Schweiz von Einkommensarmut betroffen und jedes sechste Kind armutsgefährdet. Dies auch deshalb, weil alleinerziehende Frauen in dieser Statistik überdurchschnittlich oft vertreten sind.

Drohende Lohnsenkungen

Besonders viele der bereits armutsbetroffenen Menschen arbeiten in Bereichen, wo wegen der erwähnten Aushebelung der kantonalen Mindestlöhne Lohnsenkungen drohen. Das gilt etwa für die 15’000 Menschen in der Gastronomie, wo die GAV-Mindestlöhne tiefer sind als die kantonalen Mindestlöhne. Im teuren Kanton Genf verdienen diese Angestellten heute 4000 Franken im Monat, in Neuenburg 3687, in Basel-Stadt 3728. Viele von ihnen riskieren mit der neuen Regelung eine Lohnsenkung auf den GAV-Mindestlohn von 3582 Franken und damit ein Abgleiten in die Armut. Bei den Coiffeuren und Coiffeusen sieht es sehr ähnlich aus.

Damit wird das Gegenteil des eigentlichen Ziels erreicht. Oder ist das Wohlergehen der Menschen, insbesondere derjenigen, die es am meisten brauchen, für die Parlamentsmehrheit gar kein Ziel? Worum geht es diesen Vertreterinnen und Vertretern des Volkes eigentlich?

Besser hinschauen statt ideologisch denken

Die Parlamentsmehrheit argumentierte, dass kantonale Mindestlöhne ein Eingriff in private Abmachungen von Sozialpartnern seien. Diese Argumentation ist erstaunlich angesichts der Tatsache, dass im Grunde die gesamte Gesetzgebung auf nationaler und kantonaler Ebene den Rahmen für private Abmachungen setzt. Was ist eigentlich wichtiger? Das Wohlergehen der Armen oder die Ideologie des Nichteingreifens?

Die Befürworter betonten die Stärkung der Sozialpartnerschaft durch die neue Regelung. Ein Schelm, wer Böses denkt, in der heutigen Zeit, wo auf Grund des abnehmenden Organisationsgrades die Gewerkschaften in dieser Partnerschaft regelmässig den Kürzeren ziehen.

Der Gewerbeverband meinte auch, dass sich viele Betriebe die Mindestlöhne nicht leisten könnten und dass dadurch viele Arbeitsplätze verloren gehen könnten. Die Wirtschaftswissenschaft hat diese Denkweise schon längst widerlegt: In Grossbritannien wurde 1999 ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt, der jährlich erhöht wurde. Wissenschaftliche Untersuchungen2 zeigten, dass dadurch insgesamt keine Arbeitsplätze vernichtet, sondern tendenziell eher mehr geschaffen wurden. Dies deshalb, weil die wenig Verdienenden das zusätzliche Geld nicht horten können, sondern meist grad wieder vor Ort ausgeben. Auch in den USA3 wurden ähnliche Erfahrungen gemacht; und in Genf haben sich ebenfalls keine negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt gezeigt.

Die Wirtschaftspolitik neu ausrichten

Unsere Wirtschaftspolitik sollte auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und nicht auf Ideologien gründen. Und sie muss die Gesamtzahl der Arbeitsplätze im Auge behalten. Durch Mindestlöhne werden mehr davon geschaffen. Wenn die Wirtschaftspolitik irgendjemandem zu Gute kommen soll, dann doch vorerst denjenigen, die es am meisten brauchen. Wenn das nicht erreicht wird, oder wenn wie im vorliegenden Fall den Ärmsten das Wenige, das sie haben, gar weggenommen wird, dann muss das als Totalversagen der Politik gewertet werden.

Dann ist es höchste Zeit, über die Bücher zu gehen und die Wirtschaftspolitik neu auszurichten: Die Ziele müssen neu definiert und den Akteuren verständlich gemacht werden.

Vielleicht stellt sich aber auch die Frage, wie weit wir als Gesellschaft die Nächstenliebe ernst nehmen. Inwiefern ist uns das Leben der Benachteiligten in der Gesellschaft überhaupt noch ein Anliegen? Vielleicht ist das gar die entscheidende Frage!


1. https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home.assetdetail.1320142.html

2.  https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-grossbritannien-loehne-und-jobs-stabilisiert-10342.htm

3.  https://www.letemps.ch/economie/six-enseignements-salaire-minimum

(Bild: Ricardo Gatica auf Pixabay)