~ 3 min

Am Samstag, 23. November 2024, organisieren ChristNet und A Rocha mit der Theologischen Hochschule HET-Pro in St-Légier VD eine Studientagung rund um die erstaunlich aktuellen Gedanken des französischen Technikkritikers und Theologen Jacques Ellul unter dem Titel «Welche Hoffnung in einer krisengeschüttelten Zeit?».

Auch 30 Jahre nach seinem Tod verhilft Ellul dazu, aus festgefahrenen Denkmustern auszubrechen. Angesichts der Krisen unserer Zeit übernehmen viele Christinnen und Christen unbesehen die vorherrschenden Ideologien wie Konsumismus, Nationalismus, Kapitalismus, Militarismus usw. Doch lösen diese Denk- und Handlungssysteme die Probleme nicht wie erhofft.

An dieser Tagung, die im christlichen Umfeld der Romandie schon jetzt auf grosses Interesse stösst, stellen acht Referenten aus Fachbereichen wie Theologie, Philosophie, Sozial-, Ingenieurs- und Wirtschaftswissenschaften das vielfältige Werk von Ellul in Referaten, Workshops sowie einer Podiums- und Publikumsdiskussion vor.

Key-Note-Redner ist Frédéric Rognon, Ethikprofessor an der Universität Strassburg und einer der aktuell profundesten Ellul-Kenner. Er referiert einen der zentralen Begriffe des Werks des visionären Theologen, die «non-puissance» («Nicht-Macht») im Sinne eines Machtverzichts, der es den Gläubigen ermöglicht, hoffnungsfroh in der Welt zu stehen. David Bouillon, Professor an der HET-Pro, wirft mit einer Deutung des Jona-Buches von Ellul ein biblisches Licht auf den Katastrophismus. Jacob Marques Rollison, Theologe und Worker in der Gemeinschaft L’Abri, bespricht, wie die Technik dem Menschen Macht verleiht und ihn zugleich in Verzweiflung stürzt.

Ein visionärer Denker

Der französische Soziologe und Theologe Jacques Ellul (1912–1994) war einer der visionärsten christlichen Denker seiner Zeit, der auch zu unseren heutigen Herausforderungen viel zu sagen hat. Bereits in den 1950er Jahren beschrieb er die Wirkung der Technik auf die Gesellschaft, kritisierte die Logik des «technisierten Systems», das unsere Gesellschaft durchdringt und ganz der Steigerung der Effizienz, der Innovation und des Profits verschrieben ist, dabei aber Umwelt, Mensch und Kultur zerstört. Er kritisierte insbesondere den vorherrschenden Diskurs, der die Technik als Lösung für alle Übel anpreist.

Dagegen formulierte er eine Ethik der Freiheit, die auf eine entsprechende Bibel-Auslegung basiert. Der Begriff «non-puissance» ist für ihn eng mit der christlichen Hoffnung verknüpft, dem Durst nach Gott, der dem Menschen den rechten Platz zuweist.

Mehr zu diesem untypischen christlichen Autor, der im englischsprachigen Raum eine breite Wirkung entfaltet hat, im deutschsprachigen aber weitgehend unbekannt ist, findet sich im angehängten PDF-Dokument «Wer um alles in der Welt ist Jacques Ellul?»

Eine partizipative Tagung

An der Jacques Ellul Tagung, die auf Französisch stattfindet, werden die Teilnehmenden aktiv mitarbeiten. Ein Höhepunkt sind die acht Workshops am Nachmittag, die über eine Stunde dauern und Raum bieten für einen kollektiven Schöpfungsprozess (Co-Kreation). Dabei sollen konkrete Lösungsansätze für die behandelten Problemfelder gesucht werden. Das Ergebnis wird am Podiumsgespräch im Plenum vorgestellt und diskutiert. Die Organisatoren hoffen, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer so Ansätze finden, um in unserer krisengeschüttelten Gesellschaft ihren Platz zu finden.

Weitere Informationen und Anmeldung auf der französischsprachigen Website.

 

~ 6 min

Vor etwas mehr als 50 Jahren brachte die Banane, oder besser gesagt ihr Preis, eine Handvoll Frauen in Bewegung. Die sogenannten Bananenfrauen haben darüber sinniert, weshalb die Banane in der Schweiz trotz ihres langen Transportweges derartig günstig ist. Das Engagement dieser Frauen hat sogar die Geschäftsleitung des Detailhandels der Migros provoziert. Dies alles begann mit einer entscheidenden Frage, die bis heute nicht an Aktualität verloren hat.

Die Banane gehört – wie kaum eine andere Frucht – zum Repertoire unserer Beschimpfungen. So ist es kein Kompliment, wenn jemand als eine totale Banane bezeichnet wird. Oder wenn eine Politikerin oder ein Politiker das Wort Bananenrepublik benützt, dann ist kaum eine attraktive Urlaubsdestination in der Ferne gemeint. Über die Banane wird gelegentlich auch gewitzelt: «Warum ist deine Banane krumm?» fragt die kecke 8-Jährige ihren Schulkameraden, der gerade herzhaft in die Frucht beisst. «Damit sie in die Schale passt», erwidert sie gleich selbst und grinst.

Wenn Pfarrfrauen die richtige Frage stellen

Nicht selten leiten einfache Warum-Fragen Veränderungen ein. So hat auch diese eine Frage das Schicksal der «Bananenfrauen» rund um Ursula Brunner bestimmt. Sie war durch den Film «Bananera Libertad» von Peter von Gunten ausgelöst worden1 . Das in den frühen 1970er-Jahren noch eher unbekannte Bananengeschäft wurde von Pfarrfrauen in ihren regelmässigen Frauentreffen in Frauenfeld diskutiert. Es blieb aber nicht nur beim Reden. Die Frauen schritten zur Tat: Sie schrieben auf unorthodoxe Weise den Migros-Genossenschafts-Bund an. Dieser konnte es nicht auf sich sitzen lassen, dass Frauen eine derartige Frage stellten.

Die Geschichte der «Bananenfrauen» ist spannend. Sie gleicht einem Abenteuer, das sie nicht selbst gewählt haben. Der Detailhandelsriese Migros liess sich damals zwar auf ein Gespräch ein, war jedoch nicht gewillt, den Bananenproduzenten einen höheren Ankaufspreis zu bezahlen. Daraufhin suchten die Frauen das Gespräch mit den Konsumentinnen und Konsumenten auf der Strasse. Sie machten so in vielen Schweizer Städten auf die erdrückende Situation bei der Produktion von Bananen aufmerksam. Diese Aktionen lösten ein breites Echo aus und brachte viele Menschen zum Nachdenken.

Hören und dem Ruf nachgehen – alles Weitere ist Zugabe

Was diese Frauen damals nicht wussten: Sie legten mit ihren Aktionen einen Grundstein für das Anliegen «Faire Produkte». Die Erklärung von Bern (heute Public Eye) war fast zeitgleich die treibende Kraft bei der Kaffee-Aktion Ujamaa – sie sprach sich für einen limitierten fairen Kaffee aus –, sowie bei der Jute-statt-Plastik-Aktion Mitte der 1970er-Jahre. Hier wurde ein Jutebeutel mit der Aufschrift «Jute statt Plastic»2 lanciert. Die Aktion wurde zum Symbol der Sensibilisierung für einen sorgfältigeren Konsumstil3 .
Ende der 1970er-Jahre gründeten dann mehrere Schweizer NGOs eine Importgesellschaft namens OS3, heute Claro Fair Trade, um Fair Trade-Produkte in der Schweiz zu verkaufen. In den 1990er-Jahren wurden schliesslich verschiedene Fair Trade-Labels eingeführt: das Bekannteste unter ihnen war 1992 das Label «Max Havelaar». Es zeichnet heute eine grosse Anzahl von Produkten im Detailhandel aus, die unter fairen Bedingungen produziert worden sind – unter anderen auch die Banane.

Als die Fair Trade-Bewegung in den 1980er-Jahren von einer breiteren Zivilbevölkerung aufgenommen wurde – allen voran von NGOs –, war der Interpretationsrahmen stets der Kalte Krieg. So argumentiert etwa der Kulturanthropologe Konrad Kuhn, dass der starke Gegenwind gegen den Verkauf von Fair-Trade-Produkten zu Teilen in der Strukturveränderung lag, welche die Bewegung beabsichtigte4 . In Zeiten des Kalten Krieges wurden Strukturveränderungen sofort politisch interpretiert, völlig unabhängig vom eigentlichen Problemfeld. Dieser hochpolitische Deutungsrahmen legte sich nach dem Ende des Kalten Krieges. Nun wurde nicht mehr jedes Wort politisch gedeutet. Ab 1991 gewannen vordergründig dann Aspekte der Wirtschaft ein höheres Gewicht.

Der Weg der «Bananenfrauen» war ähnlich mit dem, wie die Jungfrau zu ihrem Kinde kam: Der Ruf ihrer Zeit hatte diese Frauen und diese hatten ihre Berufung gefunden. Sie betrieben keine Parteipolitik, was jedoch nicht heisst, dass sie nicht politisch waren. Die fair produzierte Banane wurde 1992 von Max Havelaar übernommen. Die «Bananenfrauen» hatten aber schon zwei Jahrzehnte vorher entscheidende Impulse für den fairen Handel gegeben.

Die Warum-Frage bleibt auch heute aktuell

Heute die «Bananenfrauen» nachahmen zu wollen, würde heissen, in der Vergangenheit zu schwelgen. Der Konsum von Fair Trade-Produkten ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Rückblickend ist das Engagement der «Bananenfrauen» zweifellos beeindruckend.

Trotz und gerade wegen ihres Engagements sollten wir uns auch heute fragen, welche Probleme denn heute vorhanden sind. Wie heissen heute die brennenden Themen rund um den Konsum – und darüber hinaus? Und vor allem: Haben wir gegenwärtig überhaupt noch Orte, an denen wir diese Warum-Fragen stellen können? Oder stehen vor allem die Konzepte, durch die wir Menschen für unsere Ideen und Programme erreichen möchten, im Vordergrund?

Inspiriert von den «Bananenfrauen» möchte ich an dieser Stelle eine der heutigen Warum-Fragen aufwerfen, in der Hoffnung, dass andere in diese Frage einsteigen und die Frage weiterdenken. Meine Frage lautet: Warum sind eigentlich Kirchgemeinden und Organisationen, ja selbst unsere persönliche Karriere so stark auf Wachstum und Wirksamkeit ausgerichtet? Eine Ausrichtung nach Wachstumsindikatoren ist ja direkt oder indirekt immer mit Produzieren und Konsumieren verbunden, auch dann, wenn das äussere Erscheinungsbild unserer Aktionen trendig als «authentisch» bezeichnet wird. Warum spielen wir eigentlich dieses unauthentische Spiel in den unterschiedlichsten Bereichen der Gesellschaft, inklusive Kirchen und Organisationen, mit?

Zum Beispiel Hamburg

Ein Beispiel soll Anregungen geben, wie heute Menschen statt Konsum und Programme im Vordergrund stehen können, ohne Strukturen und Planung zu diskreditieren.

Am Hamburger Bahnhof kommen auf engem Raum täglich 550‘000 Reisende an. Konflikte sind keine Seltenheit. Beispielsweise haben während der Flüchtlingskrise 2016 viele Geflüchtete u.a. vor den Einkaufsgeschäften ihre wenigen Habseligkeiten ausgebreitet, um zu schlafen, was wiederum das Einkaufen für Passanten verunmöglichte und so die Umsatzzahlen der Läden tangierte. Wie geht die Bahnhofsmission damit um?

Bei einem Besuch beim Leiter der Bahnhofsmission Hamburg, Axel Mangad, werden keine Mission Statements oder Alleinstellungsmerkmale der 140-jährigen Organisation zitiert. Man könnte beinahe den Eindruck gewinnen, da gebe es keine genauen Ziele, die verfolgt werden, was sicherlich den einen oder anderen Geschäftsführer beunruhigen würde.

Wenn Axel Mangad erzählt, dann fällt auf, dass die Menschen im Vordergrund stehen. Er erzählt, dass die Bahnhofsmission flexibel sein will, um auf schnelle Veränderungen wie zum Beispiel eine Flüchtlingskrise reagieren zu können.

Das sind keine eingeübten Floskeln, das neu eingeweihte Gebäude bestätigt seine Erklärungen: Mitten im Raum steht eine Empfangstheke, damit die Mitarbeitenden sofort bei den Hilfesuchenden sind. Mit einer Falttür könnte der kleine Raum zum Beispiel sofort in ein kleines Café umgewandelt werden, falls nötig. Der Sanitätsraum nebenan, der mit ausgebildeten Pflegefachkräften besetzt ist, dient Menschen mit medizinischen Beschwerden, die etwa aus Scham über gewohnte Wege keinen Arzt aufsuchen würden. Ebenso können Menschen ihr mobiles Telefon zum Aufladen abgeben. Klingt banal, aber welcher fremden Person würde man heute das Telefon mit persönlichen Daten geben? Das geht nur, wenn ein hohes Grundvertrauen vorhanden ist. Das neugebaute Gebäude ist natürlich sorgfältig geplant worden. Aber das Konzept ist so ausgearbeitet worden, damit nicht der Konsum, sondern Menschen mit ihrer Not im Vordergrund stehen.

Wie wäre es, wenn wir lernen würden, zuallererst an die Menschen zu denken und erst dann an Strukturen und Zahlen? Der Inhalt kann dann völlig unterschiedlich sein, wie bei den «Bananenfrauen» vor 50 Jahren oder aktuell in der Bahnhofsmission in Hamburg. Der entscheidende Punkt liegt darin, die Fragen richtig zu stellen.


1. vgl. Brunner, Ursula: Bananenfrauen. Frauenfeld, 1999, insbesondere die Seiten 16-38

2. Der Slogan «Jute statt Plastic» steht mit Jute für die die natürlichen Materialien, «Plastic» mit einem c statt k symbolisierte das Fremde.

3. vgl. Strahm: Der aktionserprobte Achtundsechziger im Team der EvB 1974-1978, (2008), Seiten 139-140; in: Holenstein, Anne-Marie; Renschler, Regula; Strahm, Rudolf: Entwicklung heisst Befreiung. Erinnerungen an die Pionierzeit der Erklärung von Bern (1968-1985), Zürich, 2008 (Seiten 113-166).

4. vgl. Kuhn, Konrad J.: Fairer Handel und Kalter Krieg. Selbstwahrnehmung und Positionierung der Fair-Trade-Bewegung in der Schweiz 1972-1990. Bern, 2005, Seiten 115-117

Dieser Artikel erschien erstmals am 01. Juni 2024 auf Forum Integriertes Christsein.

Foto von Rodrigo dos Reis auf Unsplash

~ 2 min

Rund um den Flüchtlingstag vom 16. Juni 2024 findet in verschiedenen Schweizer Städten die Aktion «Beim Namen nennen» statt. ChristNet gehört zu den Erstunterzeichnenden des Manifests «Menschen schützen – auch an den Grenzen» im Rahmen dieser Aktion.

Ein stilles Drama geht seit Jahren auf den Meeren und an den Grenzen Europas vor sich und schafft es nur gelegentlich in die Medien. Seit 1993 sind über 60’000 Kinder, Frauen und Männer an den EU-Aussengrenzen gestorben. Der diesjährige Flüchtlingstag gedenkt unter dem Titel «Beim Namen nennen» dieser Menschen in 10 Schweizer Städten. Es finden öffentliche Lesungen der «List of Deaths» statt. Dazu werden die Angaben jeder verstorbenen Person auf ein Stück Stoff geschrieben und an einer Installation befestigt, die dadurch zu einem Mahnmal im Gedenken an die Verstorbenen wird.

«Symptome statt Ursachen werden bekämpft»

Bereits jetzt kann das Manifest «Menschen schützen – auch an den Grenzen» zuhanden des Bundesrats unterzeichnet werden. Es kritisiert die im Dezember beschlossene Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS), die nun umgesetzt wird. Unter anderem ruft es den Bundesrat dazu auf, sich im Rahmen der Schengen/Dublin-Assoziierung der Schweiz für die Einhaltung von Menschenrechtsstandards und die vollumfängliche Respektierung der Rechte von Asylsuchenden einzusetzen. «Die geplanten Massnahmen verletzen die Grundprinzipien nationaler, europäischer und internationaler Rechtsabkommen, die jedem Menschen aufgrund seines Menschseins zustehen», heisst es darin.
ChristNet gehört zu den Erstunterzeichnenden des Manifests und ist überzeugt, dass die Entwicklungen an den EU-Aussengrenzen auch die Schweiz etwas angehen, nicht bloss aufgrund des Schengen- und des Dublin-Abkommens, sondern auch als Geburtsstätte der Genfer Flüchtlingskonvention. Menschen müssen legal nach Europa einreisen und ein Asylgesuch stellen können.

Bitte unterzeichnen Sie das Manifest jetzt:


Weiterführende Links

Dokument, um handschriftliche Unterschriften sammeln zum Download

Weitere Informationen zu den Aktionen rund um den Flüchtlingstag vom 16. Juni 2024 Link: www.beimnamennennen.ch