Antiwokeism – Versuch von Zensur und Machterhalt?

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Rechte Gruppierungen stossen sich an den «woken» Forderungen von Feministinnen, Antirassisten und Umweltschützern und behaupten, dass «man ja nichts mehr sagen dürfe». Was bedeutet das für Christinnen und Christen?

Der Begriff «woke» kam im letzten Jahrhundert unter der schwarzen Bevölkerung der USA auf und bedeutete, sich der sozialen Ungerechtigkeit und des Rassismus’ bewusst zu sein. In den Zehnerjahren dieses Jahrhunderts gewann der Begriff innerhalb der Black-Lives-Matter-Bewegung im Zusammenhang mit der Präsidentschaft Donald Trumps wieder vermehrt an Bedeutung. Die nach wie vor bestehenden Ungerechtigkeiten wurden wieder bewusst angesprochen und gegen die Hasspredigten und Verleumdungen Trumps aufgestanden. Durch diese Bewegung fühlen sich nun aber verschiedene andere gesellschaftliche Gruppen bedroht. Auch in Europa und der Schweiz stossen sich konservative Gruppen an den offenen Forderungen von Feministinnen, Antirassisten und Umweltschützern. Sie haben das Gefühl, «man dürfe ja nichts mehr sagen» und empfinden dies als Zensur.

Bei den Forderungen des «Wokeism» geht es aber hauptsächlich um zwei Dinge:

  • Einforderung von Respekt und von Gleichwertigkeit: Menschen sollen nicht mehr abgewertet oder anders behandelt werden, weil sie eine andere Hautfarbe, Herkunft oder sexuelle Orientierung haben. Warum haben wir so Angst davor? Nächstenliebe heisst doch mindestens, dass jeder Mensch den gleichen Wert, das gleiche Recht und die gleichen Chancen haben soll. Was soll daran schlecht sein? Oder geht es unterbewusst um die Angst vor Veränderung oder vor dem Verlust von Privilegien?
  • Einforderung von Teilhabe an Macht und Ressourcen: Beim Feminismus geht es auch darum und dies bedroht die Privilegien und Macht der Männer. Die Gegenbewegung des Machismus (z.B. von Andrew Tate) ist hier deshalb besonders heftig.

«Man darf ja nichts mehr sagen»

Beim Antiwokeismus spielt die Angst mit, «nichts mehr sagen zu dürfen». Doch hier muss differenziert werden: Wir dürfen einfordern, dass Menschen nicht verleumdet werden. Vor-Verurteilungen wegen Rasse oder Herkunft sind nicht o.k. Es darf auch nicht toleriert werden, dass politische Gegner generell entwertet oder als korrupt und kriminell hingestellt werden, wie es Trump oft tat. Meinungen zu Handlungen von Personen dürfen selbstverständlich weiterhin öffentlich kundgetan werden, aber keine ungeprüften Verleumdungen von Menschen oder Gruppen. Hier geht es um Wahrheit – und zwar um nachgeprüfte, nicht einfach um Annahmen.

Hasskultur darf nicht akzeptiert werden

Hassrede und Hasskulturen polarisieren und zerstören die Gesellschaft. Dialog und die Suche nach Problemlösungen ist dadurch kaum mehr möglich. Aus Sicht der Bibel sollen wir die Sünde hassen, den Sünder aber lieben. Und auch unsere Feinde. Doch der Antiwokeismus hat leider zur Folge, dass oft jedes Argument des «Gegners» automatisch dessen «Bosheit» zugeschrieben und gar nicht mehr gehört wird. Damit entsteht eine sehr angenehme Rechtfertigungsideologie gegen jegliche Forderungen nach Veränderung. Diese Blockaden gegen den Dialog dürfen und sollen wir auch in Diskussionen aufdecken und Gehör jenseits von Feindbildern einfordern.

Antiwokeismus kann Zensur hervorbringen

Antiwokeismus kann auch wahnhafte Züge hervorbringen: Manche Vertreter beschwören den Untergang unserer traditionellen Kultur herauf, die Forderung nach Gerechtigkeit, Respekt und eigentlich Nächstenliebe wird als böse taxiert. Hier entsteht eigentlich eine Verdrehung der biblischen Prinzipien. Dies führt bis hin zu Zensur und Kriminalisierung von Wokeisten: In der Mehrheit der amerikanischen Bundesstaaten gibt es inzwischen Zensur gegen die Critical Race Theorie oder wird eine solche angestrebt, in Florida werden Gesetze gegen Wokeismus geschmiedet, und in Missouri ist es verboten, an Schulen Themen zu lehren, die bei Schülern Schuldgefühle hervorbringen könnten (z.B. zur Sklaverei in den USA). Auch bei der CDU in Deutschland und bei der SVP in der Schweiz hat Antiwokeismus Einzug in die Parteiprogramme gefunden. Erste Zensurbestrebungen sind auch bei uns bekannt – so die Androhung langer Haftstrafen gegen Aufdecker von Steuerflucht, das Recht für VIPs, Zeitungsberichte zu unterdrücken, wenn ihre Interessen tangiert sind, das Verbot für NGOs, an den Schulen über das Verhalten von Konzernen im globalen Süden aufzuklären oder der Ruf nach Haftstrafen für Klimaaktivisten. Was wird passieren, wenn Antiwokeismus nach den Wahlen im Parlament an Raum gewinnt? Kritik kann so erstickt werden, Menschen mit Forderungen werden mit dem Etikett «woke» als böse und subversiv hingestellt und damit mundtot gemacht. Solche Einschüchterung von Kritikern entfaltet sicherlich Wirkung.

Lassen wir uns nicht einschüchtern!

Ja, es ist ein Kulturkampf, der sich aktuell abspielt. Es geht um ein Ringen um Nächstenliebe und um die unzerstörbare Würde jedes Menschen. Jeder Mensch ist vor Gott gleich. Wie die Propheten im Alten Testament dürfen wir uns nicht einschüchtern und zensieren lassen. Stehen wir weiterhin mutig auf gegen Ungerechtigkeit und für Nächstenliebe und Respekt in Gesellschaft und Politik!


Foto von Brett Jordan auf Unsplash

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