ChristNet in Davos (Samstag 25.01.03)

~ 8 min

CHRONIK EINER PSEUDO-DEMO

Kulisse: Die Festung des Weltwirtschaftsforums (WEF) steht einmal mehr unter dem Höchstschutz von Polizei, Militärpolizei und Armee mit dem Auftrag, mit Autodurchsuchungen, Identitätskontrollen usw. die „guten“ von den „bösen“ Demonstranten zu trennen.

1. Akt: Die Spannung steigt:

11.00 Uhr: Unsere sieben „Terroristen“ besammeln sich in Thusis (GR). Nach einem kurzen Fototermin für das Familienalbum ? mit Transparenten, die könnten unterwegs ja konfisziert werden ? wagen wir den Ansturm auf Davos.

11.30 Uhr: Erste Polizeikontrolle. Angespannt, aber korrekt untersuchen die Beamten unser „Arsenal“ im Kofferraum. Wenigstens werden meine Krücken nicht beschlagnahmt, uff! Journalisten schiessen die ersten Bilder und figurieren als eine Art Beobachter.

11.45 Uhr: Zweite Polizeikontrolle. Sind wir eigentlich im Kino? Unsere Autos werden von vier bis zu den Zähnen gepanzerten Rambos umstellt, die uns am Aussteigen hindern. Wir befinden uns direkt an einem Tunneleingang und sind von einem ganzen Regiment umzingelt (für dieses Mal ohne Beobachter). Die Rauchgranaten sind einsatzbereit. Kofferraumkontrolle zum Zweiten. Identitätskontrolle via Hauptquartier. Unsere Leumunde scheinen (bis dahin?) leer gewesen zu sein, und eine Viertelstunde später sind wir wieder unterwegs ? immer noch mit Krücken, uff zum Zweiten! Auf wann die dritte Kontrolle? (Andere hatten dieses Privileg…)

12.30 Uhr: Nach einer friedlichen Reise ? vor uns ein Polizeiauto und fünf Busse (nicht von der Polizei, aber sie passten gut ins Bild), über uns ein oder zwei Helikopter ? erreichen wir Davos wohlbehalten. Die Polizei ist überall, das Dorf ist ausgestorben.

13.00 Uhr: Wir essen in einem der wenigen offenen Restaurants. (Sogar die Tankstellen sind geschlossen, weil die Demonstranten ja Feuer legen könnten…)

14.00 Uhr: Wir brechen auf und suchen andere Demonstranten. Doch wo sind sie? Jemand schickt uns auf einen 30minütigen Fussmarsch. Endlich treffen wir auf 3 oder 4 Mitdemonstranten. Wir entrollen unsere Transparente und machen einen Privatumzug.

14.30 Uhr: Endlich treffen wir auf einem Platz eine bunt zusammen gewürfelte Masse von etwa 1000 Demonstranten, die schon seit einer Weile dort warten ? die Demonstration war auf 13.30 angesetzt. Gewerkschafter, Anarchisten, Zapatisten, Pazifisten, Private und viele viele Journalisten. Das Durchschnittsalter liegt bei 25 Jahren, Stil eher alternativ.

15.30 Uhr: Nach einigen Interviews und Begegnungen, ergreifen verschiedene Redner das Wort. Wir erfahren, dass in Landquart etwa 4000 Demonstranten blockiert sind und den Kontrollzirkus ablehnen. Einige Überdrüssige haben Schaden angerichtet. Die Spannung steigt. Wir warten. Später wird durchgegeben, man habe zu einer Einigung gefunden, die Kontrollen würden im Zug stattfinden. Landquart ist offen! Doch nicht lange, denn kaum sind die Demonstranten im Zug, sollen sie doch wieder einzeln kontrolliert werden!

Hurra, ein Zug kommt an! Doch leider ist er leer. Die Spannung steigt weiter. Man sagt uns schliesslich, es komme niemand hoch. Es wird entschieden, dass wir auf unser Recht auf Demonstration verzichten und aus Solidarität nach Landquart hinunterfahren. Die Polizei könnte sich so unversehens in ihren eigenen Spielchen gefangen wiederfinden (im Sandwich zwischen zwei Demonstrationen). Die Spannung steigt weiter, und wir ermutigen die Organisatoren, zu Gewaltlosigkeit aufzurufen.

2. Akt: Wer hat was von demonstrieren gesagt?

16.00 Uhr: Endlich setzt sich der Umzug in Bewegung! Wir strecken unsere Transparente in die Höhe: „Ihr wollt die Welt beherrschen? Die Welt sagt WIDERSTAND!“, „Anti-internationale Solidarität“, „Löscht das Forum aus!“. Ein riesiges Goldenes Kalb wird durch die Menge getragen und von Affenpolitikern (Busch & Co.) mit Dollars beregnet. Wir schaffen es doch noch, vor dem Forums-Fort durchzuziehen. Schneebälle fliegen. Als einzige Zuschauer schauen fast nur die Berge. Die Bewilligung für die Demonstration wird vor dem Rathaus verbrannt, um die inakzeptablen Demonstrationsbedingungen anzuprangern.

17.00 Uhr: Schliesslich löst sich die Demo auf. Keiner weiss wieso. Wir gehen nicht nach Landquart. Alles fährt nach Hause. Wie wir hören, sind die sowieso schon gegangen. Die Polizei hat uns effizient auseinander gehalten, die Demonstration verzögert und sogar verhindert.

3. Akt: Die Zeitbombe:

23.00 Uhr: In einem Kloster bei Chur schauen wir die Nachrichten am Fernsehen: Die Demonstranten von Landquart haben nach Zürich umgeschwenkt, doch die Polizei ist da. Einige sind bis nach Bern weitergefahren, wo sich extreme Anarchisten (?) Strassenschlachten mit der Polizei liefern und Schaufenster einschlagen.

Bilanz:

Unser Einsatz hat dazu beigetragen, einen äusseren Druck auf das aktuelle Wirtschaftssystem auszuüben (auch wenn eine weitere Mobilisation der Bevölkerung nötig ist). Diesem äusseren Druck muss ein innerer, politischer Druck folgen, sollen fundamentale Veränderungen eintreten. Wir konnten ChristNet (und seine Forderungen in Davos) etwas bekannter machen und Kontakte knüpfen.

Wir sind überzeugt, dass die Gewalt kein Mittel für diesen Kampf ist. Im Gegenteil: Sie schadet der Glaubwürdigkeit und dominiert die Medienberichterstattung auf Kosten der echten Probleme.

Also auf nächstes Jahr? Vielleicht können wir dann an einer Demonstration teilnehmen, die diesen Namen verdient. Und noch friedlicher!

Epilog: Die Desinformation der meisten Medien:

Montag, 27.01.03, ich öffne meine Tageszeitung. „Le Matin“ titelt: „Tausend Demonstranten gegen 400 Polizisten“. Ein total unklarer Titel, da er dem Durchschnittsleser suggeriert, 1000 Demonstranten hätten Schaden angerichtet. Der nachfolgende Artikel ist nicht klarer. Ähnlich tönt?s in der Lausanner Zeitung „24 Heures“.

Doch in der Genfer Zeitung „Le Courrier“ (die ich Euch für ihre Unabhängigkeit und kritische Haltung der Globalisierung gegenüber empfehle) heisst es: „… mehrere Dutzend Vermummter haben Schaufenster der umliegenden Banken und Hotels eingeschlagen“. Die Polizei habe unverzüglich angegriffen, als ein Demonstrant eine Rakete losgelassen habe. Ausserdem habe die Polizei mit Gummigeschossen auf einen Zug geschossen, der Landquart verlassen hat, und einen Demonstranten verletzt! Auf der selben Seite ist sogar die Rede von ChristNet! Sag mir, was du liest, und ich sage dir, auf welcher Seite der Globalisierung du stehst…

Vincent Léchaire, 31.01.03, übersetzt von Samuel Ninck

ChristNet geht nach Davos!

Am 25. Januar findet die grosse Demo anlässlich des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos statt. ChristNet geht mit einer kleinen Gruppe dort hin. Warum denn das??

Wir haben das Gefühl, dass die Spielregeln der Globalisierung heute hauptsächlich von den Interessen der reichen Länder und der grossen Konzerne beherrscht werden, und dass der Mammon mehr und mehr regiert. Dass dies nicht gut gehen kann, ist klar. Was ist aber, wenn die Menschen in fünfzig Jahren fragen werden, wo denn die Christen gewesen sind, als all dies geschehen ist? Werden sie sagen müssen, dass die Christen genauso dem Mammon alle Macht gegeben haben? Sollen die Menschen sagen, die Christen sind ja nicht besser gewesen, und darum unseren Gott ablehnen? Wir wollen der Welt zeigen, dass den Christen die heutigen Vorgänge nicht egal sind, sondern dass wir menschenwürdige und demokratische Spielregeln in der Globalisierung wollen.

Ist eine Demo der richtige Ort? Nicht nur, aber auch. ChristNet setzt sich in vielerlei Art ein. Aber auch da, wo engagierte Menschen zusammenfinden, wollen wir uns zeigen.

Aber sollen wir mit diesen Gewalttätern mitziehen? Nein, wir wollen bewusst dort dafür beten und mithelfen, dass diese Demo friedlich abläuft. Wir möchten uns dabei auch Pfarrer Ueli Wildberger anschliessen, um entspannungsfördernde Aktivitäten mitzutragen (Lieder singen etc.). Es ist für die Sache unheimlich wichtig, dass die Demo friedlich abläuft .

Und was haben wir sonst dort zu bieten? Das Gebet! Denn wir kämpfen nicht mit Fleisch und Blut, sondern mit Mächten und Gewalten in der geistlichen Welt. Dies ist unser spezifischer Beitrag, und ohne Gott können wir nichts tun. Veränderung der Spielregeln der Globalisierung ist nur möglich durch Veränderung der Herzen weg vom Mammon, hin zu Gott. Wir werden uns auch schon am Freitagabend treffen, um Zeit fürs Gebet zu haben.

An der Demo tragen wir Plakate und Transparente mit, die wir selber anfertigen. Unsere Slogans:

– Make mercy, not money

– Mein Gott heisst nicht Markt

– L?homme ? crée à l?image de Mammon?

Wir wollen auf unserem Weg nach Davos auch Flugblätter verteilen, wo wir unsere Visionen, Vorschläge und Forderungen dem Publikum näherbringen, denn ohne Kommunikation und Erklärung nützt der Gang an die Öffentlichkeit nichts.

Unsere Gedanken zum Thema Globalisierung (und Unterthema Wasserprivatisierung) können in entsprechenden Artikeln auf dieser Website nachgelesen werden.

Bitte tragt unsere Teilnahme in Davos im Gebet mit! Wir bitten Gott vor allem um Bewahrung, aber auch darum, dass er alle Herzen beruhige, damit die Demo friedlich bleibe. Bitten wir Gott auch darum, dass viele Menschen berührt werden, speziell die Teilnehmer am Forum, damit sie sich von der Liebe für die Armen leiten lassen und nicht von Marktgesetzen!

Markus Meury, ChristNet

Flugblatt: Schon wieder diese Chaoten!

… oder: Warum wir nach Davos gehen

Das Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos zieht neben hunderten von Wirtschaftsführern und Politikern jedes Mal viele mehr oder minder friedliche Demonstranten an. Sie werden Globalisierungsgegner genannt, zutreffender wäre aber Globalisierungskritiker, denn die Globalisierung selber ist nicht aufzuhalten. Entscheidend sind aber die Regeln der Globalisierung. Wer bestimmt: die Macht des Geldes, der grossen Konzerne, der reichen Länder? Oder die Menschen, die betroffen sind, nach demokratischen Regeln? Denn in der Welthandelsorganisation (WTO) werden im Moment Weltwirtschaftsregeln ausgehandelt, wo die demokratisch gewählten Regierungen und die Bevölkerungen zu weiten Bereichen wie Gesundheitswesen, Schulen, Eisenbahn und Grundversorgung wie Wasser, Strom und so weiter nichts mehr zu sagen haben. Mit dem Argument, dass der Wettbewerb nicht behindert werden darf, muss die öffentliche Versorgung den internationalen Konzernen geöffnet werden und wir dürften nicht einmal mehr Regeln aufstellen, welche Mindestleistungen sie zu erbringen hätten oder welche Preise sie höchstens verlangen dürften. Wir sind also alle betroffen von dem, was auch am WEF zwischen den Politikern und Wirtschaftsführern besprochen wird. AUCH SIE SIND BETROFFEN!

Wir wollen auf friedlichem Wege Druck auf die Regierungen und Wirtschaftsführer machen, damit die Globalisierung FüR und nicht GEGEN die Menschen geschieht. Wir verurteilen schärfstens jegliche Gewalt, denn diese schadet nicht nur den davon betroffenen Menschen, sondern auch der Bewegung selber. Wir werden versuchen, an der Demo selber zur Gewaltfreiheit beizutragen, aber vielleicht lassen sich nicht alle Chaoten davon abbringen.

Wir sind eine christliche Organisation Namens ChristNet. Wir handeln aus unserem Glauben heraus, weil wir sehen, dass Jesus die Liebe zu den Menschen gepredigt hat und in der aktuellen Form der Globalisierung die Menschen unter die Räder kommen. Für weitere Informationen können Sie die Website www.christnetonline.ch konsultieren.

Wir wünschen Ihnen einen wunderschönen Tag!

Unsere Forderungen:

Forderung an unseren neuen Wirtschaftsminister Deiss, die Interessen der Ärmsten der Welt statt der Interessen der Multinationalen Konzerne in der Welthandelsorganisation (WTO), Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank zu vertreten
Stop der Verhandlung im WTO über die Totalliberalisierung und Privatisierung des Servic Public: Wir haben unserer Regierung kein Mandat dazu gegeben!
Mehr Mitsprache für die Entwicklungsländer im WTO, die heute kein Geld haben, sich genügend mit den Themen auseinanderzusetzen
Demokratisierung des IWF und der Weltbank, die im Moment alleine von den Industrieländern beherrscht werden
Öffentliche Diskussion und demokratische Mitsprache der Bevölkerung zur Politik des IWF, der Weltbank und des WTO
Ende der Austeritätspolitik des IWF, der ganze Völker in die Not treibt
Stop der Wasserprivatisierung: in Entwicklungsländern wird auf Druck und Zwang des IWF und der Weltbank in vielen Ländern die Wasserversorgung privatisiert. Inzwischen sind Millionen von Armen von der Wasserversorgung ausgeschlossen, weil die privatien Konzerne die Preise für das Wasser in unbezahlbare Höhen getrieben haben! Täglich sterben Tausende von Kindern, weil sie an Krankheiten sterben, die die Ursache in unsauberem Wasser haben.
Garantierter Zugang auch der Ärmsten zu Wasser, Bildung und Gesundheit!

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