Communiqué – Naher Osten: Welcher Friede?
GENF, 27.2.2004 : ChristNet ist ein Forum von evangelischen ChristInnen, das sich mit sozialen, wirtschaftlichen, ökologischen, kulturellen und Entwicklungsfragen kritisch auseinandersetzt. Wir wollen eine Politik der Nächstenliebe entwickeln, die von den Bedürfnissen der Schwächsten ausgeht, und durch Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit die Debatte zu gesellschaftlichen Themen in den Schweizer Freikirchen anregen.
Viele Christen fühlen sich dem Nahost-Konflikt gegenüber ohnmächtig. Sie glauben an die biblischen Prophetien, wonach Israel in diesem Land wiedererstehen muss, stossen damit aber bei nichtchristlichen Freunden auf Unverständnis und Ablehnung. Zudem geraten sie in einen inneren Zwiespalt, wenn sie an das Leiden der beiden Völker denken, das sich aus der aktuellen Situation ergibt. ChristNet ist überzeugt davon, dass die göttliche Antwort auf diesen Konflikt Versöhnung heisst, die sich dadurch äussert, dass beide Völker sich dem Leiden der ?Anderen? stellen.
Wenn Gottes Propheten von Gericht und Krieg sprechen, so ist das meist ein Aufruf zu Busse und Umkehr (z.B. bei Jona1 ). Jesaja spricht aber auch vom kommenden Frieden zwischen Irak, Syrien, Libanon, Jordanien, Ägypten, den palästinensischen Gebieten und Israel.2 ChristNet ruft darum zum Gebet auf, nicht nur für Israel und die Juden, sondern auch für die Araber (Moslems und Christen), denn das Schicksal dieser zwei Völker ist durch die Geschichte unwiederbringlich miteinander verkettet.
In freikirchlichen Kreisen konnte in den letzten Jahren eine Sensibilisierung zum Thema Israel festgestellt werden. In vielen Gemeinden werden die jüdischen Wurzeln des Christentums und die Liebe zum Volk Israel neu betont. Damit wird die evangelikale Theologie gewiss bereichert und vertieft.
Leider geht diese Entwicklung oft mit einer bedingungslosen Unterstützung des ?jüdischen Staates? Israel und seiner Politik einher. Geistliche Erkenntnisse (Prophetien) werden schematisch in politische Schlussfolgerungen umgemünzt, ohne dabei die Lage der Menschen vor Ort zu berücksichtigen. Gleichzeitig lassen sich andere Christen, die für die katastrophale Lage in den Palästinensergebieten sensibel sind, zu anti-israelischen Aussagen hinreissen, die schnell einen anti-jüdischen Ton erhalten können.
Durch solche Parteinahmen wird der Nahost-Konflikt in unsere Gemeinden hineingetragen. ChristNet ist davon überzeugt, dass es nicht darum gehen kann, für oder gegen ein Volk Partei zu ergreifen.3 Es geht vielmehr darum, Gottes Willen zu suchen, der sich in Jesus offenbart hat: aus Liebe zu allen Menschen Frieden zu stiften und damit zu Busse und Gerechtigkeit beizutragen.4
Um solche Parteinahmen zu vermeiden, ist es wichtig, sich der Situation und dem Leiden der beiden Völker zu stellen. Die Juden leben mit der traumatischen Erfahrung einer Jahrtausende alten Geschichte der Verfolgung und Ausgrenzung, des Holocaust und heute der Verunsicherung durch den Terror. Die Araber wiederum erleben die Gründung des Staates Israel als Nakba (arab.: Katastrophe) da er für sie Entwurzelung, Militärterror und Verlust der Existenzgrundlage bedeutet.
Besonders exponiert sind dabei die arabischen Christen, die als Minderheit oft zwischen Hammer und Amboss geraten, indem sie von den eigenen Leuten als Kollaborateure, von den Juden als Feinde angesehen und von den westlichen Geschwistern nur wenig beachtet werden. Ähnliches gilt für die messianischen Juden, die von ihren Volksgenossen misstrauisch als ?verkappte Christen? betrachtet werden.
Die Haltung der Parteilosigkeit findet ihren konkreten Ausdruck in zahlreichen Versöhnungsarbeiten, von denen eine an der ChristNetKonferenz vorgestellt werden soll. So wollen wir Verständnis für die Lage beider Völker schaffen.
In einer ganzheitlichen Sicht ist Versöhnung nicht nur eine Frage des persönlichen Engagements, sondern äussert sich auch in politischen Bestrebungen. Eine friedensfördernde und versöhnliche Politik kann unter Umständen den Rahmen schaffen, in dem ein Näherkommen der zwei Völker möglich wird. Gott will im Nahen Osten Frieden schaffen. Es gibt keinen Grund, dass wir uns nicht auf allen Ebenen um diesen Frieden bemühen. Darum kommt an der ChristNetKonferenz auch ein Spezialist für Friedensbestrebungen in Nahost zu Wort.
ChristNet ist sich bewusst, dass dies kein einfacher Ansatz ist, heisst es doch, von vertrauten Denkschemen wegzukommen, um sich dem Leiden der Menschen zu stellen, ungeachtet ihrer Herkunft und ihres Glaubens. Es bedeutet, ein Stück des Leidens mitzutragen, das Gott im Angesicht dieses Konflikts empfinden muss, und Hoffnung zu schöpfen, dass durch Ihn Frieden im Nahen Osten tatsächlich möglich ist. Das kann unser bescheidener Beitrag zum Frieden im Nahen Osten sein.
1. Jonas Predigt ist eine reine Gerichtsankündigung ohne offensichtliche Möglichkeit der Busse: ?Noch vierzig Tage und Ninive ist zerstört!? (3,4). Aber Gott lässt sich dennoch durch die Busse der Bevölkerung bewegen: ?Und Gott sah ihre Taten, daß sie von ihrem bösen Weg umkehrten. Und Gott ließ sich das Unheil gereuen, das er ihnen zu tun angesagt hatte, und er tat es nicht.? (3,10)
2. Jesaja 19,23-25: ?An jenem Tag wird es eine Straße von Ägypten nach Assur geben. Assur wird nach Ägypten und die Ägypter nach Assur kommen, und die Ägypter werden mit Assur [dem HERRN] dienen. An jenem Tag wird Israel der Dritte sein mit Ägypten und mit Assur, ein Segen inmitten der Erde. Denn der HERR der Heerscharen segnet es und spricht: Gesegnet sei Ägypten, mein Volk, und Assur, meiner Hände Werk, und Israel, mein Erbteil!?
3. vgl. Josua 5,13-14: ?Und es geschah, als Josua bei Jericho war, da erhob er seine Augen und sah: und siehe, ein Mann stand ihm gegenüber, und sein Schwert war gezückt in seiner Hand. Josua ging auf ihn zu und sagte zu ihm: Gehörst du zu uns oder zu unseren Feinden? Da erwiderte er: Nein, sondern ich bin der Oberste des Heeres des HERRN; [gerade] jetzt bin ich gekommen.?
4. vgl. Jakobus 3,17-18: ?Die Weisheit von oben aber ist aufs erste rein, sodann friedsam, gütig, folgsam, voll Barmherzigkeit und guter Früchte, unparteiisch, ungeheuchelt. Die Frucht der Gerechtigkeit aber wird in Frieden denen gesät, die Frieden stiften.?
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!