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Dynamische Strompreise schwanken je nachdem, wieviel Strom gerade produziert und konsumiert wird. Sie sind in der Schweiz noch kaum verbreitet, könnten jedoch einen Beitrag zur Energiewende leisten. Denn momentan besteht kein ökonomischer Anreiz für Konsumenten, den Strom dann zubrauchen, wenn er in Fülle verfügbar ist.

Handeln aus ökonomischer Überzeugung

In der Politik dreht sich alles um die Frage, wie wir unser gesellschaftliches Zusammenleben organisieren wollen. Adam Smith prägte das Konzept des Marktes als unsichtbare Hand, welche dafür sorgt, dass die Nutzenmaximierung des Individuums oder einer Firma automatisch den Gesamtnutzen der Gemeinschaft maximiert.

Dass das nicht uneingeschränkt gilt, ist offensichtlich: der Klimawandel, die Finanzkrisen oder die Ausbeutung von Menschen sind kaum optimale Ergebnisse unseres Wirtschaftens. Es braucht also gewisse Regeln in einer Gesellschaft. Und dann – so die Hoffnung – führt egoistisches Handeln im besten Fall dazu, dass es allen besser geht.

Handeln aus christlicher Überzeugung

Aus christlicher Sicht ist egoistisches Handeln jedoch ziemlich das Gegenteil von dem, was die Welt braucht. Nächstenliebe, Demut, Gerechtigkeit, Menschenwürde, Gottesfurcht und Schöpfungsverantwortung sind zentrale Prinzipien, an denen sich Christen – und alle anderen Menschen guten Willens – orientieren. Und die Hoffnung ist, dass, wenn jeder sich so verhält, ein Stück Himmel schon hier auf Erden möglich ist.

Wertfrei wirtschaften geht nicht

Genauso wie man nicht «nicht kommunizieren» kann, kann man auch nicht politisieren, ohne damit ein Menschen- und Weltbild zum Ausdruck zu bringen. Die Frage ist also nicht, ob Werte in unserem Wirtschaften zum Ausdruck kommen, sondern welchen Werten wir dabei folgen.  Ich würde daher argumentieren, dass die Abkehr von fossilen Energien und von Kernkraft Nächstenliebe und Schöpfungsverantwortung zum Ausdruck bringt und sich Christen deshalb für diese Themen stark machen sollten.

Was hat nun Vorrang?

Wenn jede wirtschaftliche Entscheidung auch eine moralische Dimension hat, ergibt sich ein Dilemma: Soll ich das wirtschaftlich (für mich) Optimale machen oder das moralisch Richtige? Das sollte kein Entweder-Oder sein: Wir sollten unser Wirtschaftssystem so organisieren, dass moralisches Verhalten von Firmen und Individuen auch ökonomisch sinnvoll ist. Anders gesagt: Es sollte ein wirtschaftlicher Anreiz bestehen, sich moralisch richtig zu verhalten.

Wo entsteht das Dilemma konkret?

Bis zu 40% unserer Stromproduktion sollen zukünftig aus Wind- oder Sonnenenergie stammen. Damit wird die Produktion dynamischer, denn das Wetter richtet sich nicht nach dem Verbrauch der Konsumenten. Moralisch geboten wäre, den Strom zunehmend dann zu verbrauchen, wenn viel Wind weht, die Sonne scheint, also typischerweise um die Mittagszeit. Natürlich lässt sich nicht der ganze Stromverbrauch eines Haushalts in diese Zeit verschieben, aber Schätzungen zufolge verbrauchen wir ca. 30% und mehr des Stroms unabhängig von der Tageszeit.

Wer jetzt einwendet, dass man kaum vom Endverbraucher erwarten kann, dass er täglich Wind- und Solarprognosen studiert, der sei beruhigt: Dank smarten Wärmepumpen, Boiler oder E-Auto Aufladesystemen funktioniert das Verschieben des Verbrauchs ganz ohne unser Zutun. Wir müssen also nur noch die entsprechenden Systeme installieren. Ein finanzieller Anreiz zu diesem Verhalten besteht jedoch nicht, da der Strom während des Tages immer gleich teuer ist.

Die Verbraucherseite ist jedoch nur die halbe Geschichte. Der zahlenmässig überwiegende Teil der Solaranlagen befindet sich in der Schweiz als Klein(st)anlanlagen auf Dächern von Privaten. Die Strom-Produktion wird ins lokale Netz eingespeist und mit einem Tarif vergütet, der ebenfalls nicht von der Tageszeit abhängt. Das kann zur paradoxen Situation führen, dass mit der Einspeisung von Solarstrom Geld verdient wird, während an der Strombörse der Preis im selben Moment negativ ist. Wenn Solarenergie ungebremst ins Netz eingespeist wird, kann es schlimmstenfalls zu einem Blackout kommen.

Moralisch ist der Fall daher klar: Sobald die Systemstabilität durch PV-Einspeisung bedroht ist, sollte niemand mehr einspeisen. Die einfachste technische Lösung zur Stutzung solcher Einspeise-Spitzen wäre es, die Einspeisung bei zum Beispiel 70% der Leistung der Anlage zu deckeln. Natürlich ginge es noch schlauer, etwa mit Heim-Batterien oder mit einer Steuerung der zulässigen Einspeiseleistung durch die Netzbetreiber.

Wege aus dem Dilemma

Aus ökonomischer Sicht können Angebot und Nachfrage am einfachsten in Einklang gebracht werden, wenn das Gut, in diesem Fall Strom, umso teurer ist, je weniger davon vorhanden ist. Minimal- und Maximalpreise für eingespeisten Strom könnten dem Konsumenten die Sicherheit geben, dass er nie den extremsten Schwankungen der Börse ausgesetzt wäre.

Um dynamische Strompreise zu ermöglichen, ist eine Messung und Abrechnung des Verbrauchs (und der Produktion) in hoher zeitlicher Auflösung nötig, d.h. viertelstündlich statt monatlich. Die dafür notwendigen Smart-Meter sind aber in der Schweiz noch nicht flächendeckend installiert. Selbst dort, wo sie installiert sind, haben Kunden kaum Möglichkeiten, auf dynamische Preismodelle umzusteigen, weil ihr Energieversorger diese Möglichkeit nicht anbietet.

Womit wir bei einem weiteren Anreizproblem wären: Der fehlende Anreiz von Energieversorgern, dynamische Preise anzubieten. Während jeder selber entscheiden kann, ob er bei Swisscom oder Salt ein Handy-Abo abschliessen will, gibt es in der Schweiz beim Strom keine Wahlfreiheit. Energieversorger wie die Elektrizitätswerke von Zürich oder Bern haben eine Monopolstellung in ihrem Einzugsgebiet und somit wenig Anreiz zur Innovation.

Im Zuge der Marktliberalisierung in der EU haben innovative Firmen wie Octopus Energy oder 1KOMMA5° gezeigt, dass dynamische Stromtarife kombiniert mit der intelligenten Steuerung von eigener Solaranlage, Wärmepumpe oder Elektroauto-Ladestation unter dem Strich zu deutlich tieferen oder sogar negativen Stromkosten für den Endkunden führen. Eine Marktliberalisierung in der Schweiz ist mit dem neuen Stromabkommen, welches die Schweiz mit der EU ausgehandelt hat, in Griffnähe. Jeder könnte aber selber entscheiden, ob er weiterhin in der Grundversorgung bleiben oder seinen Energieversorger wechseln will.

Wie Erfahrungen aus dem Ausland zeigen, wechselt nur ein kleiner Teil der Kunden den Energieversorger nach einer Marktliberalisierung.  Man könnte daher wie in Deutschland die Energieversorger dazu zwingen, ein dynamisches Preismodell anzubieten, um dieser Lösung zum Durchbruch zu verhelfen.

Idealisten bleiben wichtig

In vielen Bereichen lässt sich mit dem moralisch Sinnvollen schon heute Geld sparen, etwa bei energieeffizienten Haushaltsgeräten, nicht-fossilen Heizsystemen, bei der Gebäudeisolation oder durch die Anschaffung eines Elektroautos.

Ein perfektes finanzielles Anreiz-System werden wir nie haben. Daher spielen Idealisten eine entscheidende Rolle bei Veränderungsprozessen wie der Energiewende, insbesondere am Anfang. Sie bringen sich in politische Prozesse ein und gehen auch in ihren eigenen Gestaltungsräumen mit gutem Beispiel voran.

Christen sollten ein Teil dieser Gruppe sein, indem sie sich den Auswirkungen ihres Handelns auf andere und die Schöpfung bewusst sind, auch mal auf den eigenen Vorteil verzichten und mutig vorwärtsgehen. Stemmen können Idealisten die Energiewende nicht alleine – den Weg dafür ebnen jedoch schon.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Insist. / Bild von lummi.ai

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Das „Bad Horn» ist ein beschauliches Hotel im Thurgauer Dorf Horn, direkt am Bodensee. An einem Wochenende im Januar 2025 herrschte dort allerdings Asyl-Alarm, wie die „Weltwoche» berichtete. Was war passiert?

Der SVP-«Asylchef» und Thurgauer Nationalrat Pascal Schmid hatte zur SVP-Kadertagung geladen und präsentierte alarmierende Zahlen. Während die Nachbarländer es geschafft hätten, die Zahl der Asylgesuche zu reduzieren, verharrten sie in der Schweiz auf Rekordniveau. Bereits dies stimmt so nicht. Viel mehr gingen die Asylgesuche in der Schweizab Sommer 2024 deutlich zurück. Zwar setzte der Rückgang in Deutschland früher ein als in der Schweiz, doch in der zweiten Jahreshälfte war die Entwicklung prozentual ähnlich. Für die Schweiz sah das so aus – immer verglichen mit dem Vorjahresmonat: Minus 26% im August, minus 40% im September und jeweils minus 26% im Oktober und November , über das gesamte Jahr gesehen minus 8 Prozent. Die Gründe dafür liegen gemäss SEM weitgehend ausserhalb des Einflussbereichs der Schweiz: ein Rückgang der Fluchtbewegungen von Syrern und Afghanen via Türkei und viel weniger Überfahrten über das zentrale Mittelmeer nach Europa.

Extrem kriminelle Nordafrikaner?

Der Untertitel des nächsten Abschnitts des Weltwoche-Artikels war noch alarmierender: „90 Prozent der Täter aus Nordafrika»! Aber langsam. Zunächst behauptete Herr Schmid, 56 Prozent der 522’558 Straftaten im Jahr 2023 wurden von Ausländern begangen. Das stimmt gemäss Kriminalstatistik 2024, wobei die Polizei von «beschuldigten Personen» spricht, nicht von verurteilten. Was die erwähnte Zahl von 90 Prozent betrifft, war dies eine dramatisierende Verkürzung des Weltwoche-Journalisten. Die Zahl bezog sich nämlich nicht auf die Gesamtheit der Delikte, sondern nur auf Fahrzeugeinbrüche im Kanton Thurgau. Zudem schlüsselt die Kriminalstatistik der Kantonspolizei Thurgau die einzelnen Deliktsarten nicht nach Nationalitäten auf. Es ist daher nicht klar, auf welche Quellen Schmid seine Behauptung stützt. Jedenfalls hatte sich der SVP-Asylchef eine Deliktsart ausgesucht, bei der der Anstieg – bei relativ geringen Zahlen – besonders eindrücklich war: eine Verfünffachung in drei Jahren! Beim Fahrzeugdiebstahl waren es im gleichen Zeitraum «nur» 85 Prozent.

Statistiken selektiv herangezogen

Unbestritten ist: sowohl 2023 als auch 2024 stieg in der Schweiz die Kriminalität deutlich, vor allem bei Eigentumsdelikten, gerade auch im digitalen Bereich. Was tun? Grundsätzlich gilt für alle das Strafgesetzbuch sowie für Ausländer das Asyl- bzw. Ausländergesetz. Eine seriöse Analyse müsste zeigen, wo punktuell weitere Massnahmen nötig sind. Die SVP verfolgt seit vielen Jahren eine andere Strategie: Handverlesene alarmierende Statistiken werden präsentiert. Diese bilden jeweils die Grundlage für eine Situations-»Analyse» : Die Schweiz, wie die SVP sie sieht, steht punkto Migration im permanenten Krisenmodus, man liest Schlagzeilen wie «Einbrecher geschnappt – es war ein Algerier!» oder «Neue Normalität? Kaum in der Schweiz, schon zugestochen, eingebrochen und gestohlen.»Begleitet wird dies von einem permanenten EJPD-Bashing. Zurzeit ist es SP-Bundesrat Beat Jans, der sich ein Trommelfeuer an Vorwürfen und Beschimpfungen gefallen lassen muss.

Die SVP verfolgt seit vielen Jahren eine andere Strategie: Handverlesene alarmierende Statistiken werden präsentiert.

Und daraus wiederum leitet die grösste Volkspartei ihre radikalen politischen Forderungen ab. Im «Bad Horn» klang es so: «Für Flüchtlinge darf es kein dauerhaftes Bleiberecht mehr geben. Für Nichtflüchtlinge darf es überhaupt kein Bleiberecht geben.» Die vorläufige Aufnahme müsse abgeschafft und der Familiennachzug eingeschränkt werden. Die Kantonskollegin von Pascal Schmid, SP-Nationalrätin Nina Schläfli, berichtete aus der Frühlingssession, die Forderungen überschlügen sich von Woche zu Woche. Die SVP stelle überrissene Forderungen, die teilweise gar nicht umsetzbar seien. Die Aussagen in den SVP-Vorstössen würden zum Teil jeder Faktenlage widersprechen.

Eingeschränkter Familiennachzug knapp abgelehnt

Dennoch wurden auch diesen Frühling Verschärfungen beschlossen. So traten auf Antrag der SVP in Kraft: Verstärkte Kontrollen an der Grenze, junge Afghanen sollen unter Umständen nach Afghanistan ausgeschafft werden können, Entzug des Flüchtlingsstatus‘ für anerkannte Flüchtlinge, die straffällig geworden sind – obwohl ein entsprechendes Gesetz bereits existiert. Ein Vorstoss, der den Familiennachzug von anerkannten Flüchtlingen einschränken wollte, wurde im Nationalrat knapp abgelehnt. Er hätte auch beinhaltet, dass Kinder nur bis 15 Jahre in die Schweiz hätten kommen dürfen. Schon länger ist ein 24-Stunden-Verfahren für Asylsuchende aus Nordafrika in Kraft, wodurch unberechtigte Asylsuchende aus dieser Region schnell wieder weggewiesen werden.

Die SVP vermischt also in ihren Statistiken gerne «Chruut und Rüebli» und in ihren Vorstössen Straftäter mit unbescholtenen Flüchtlingsfamilien, um Stimmung gegen Asylsuchende und Flüchtlinge zu machen – und erreicht trotz zahlreicher Niederlagen im Parlament oder an der Urne Verschärfung um Verschärfung der Gesetze.

Vor mehr als 2000 Jahren hatte Gott den Israeliten – selber ein Volk mit Migrationshintergrund – die Beachtung gleicher Rechte und spezielle Schutzbestimmungenfür Fremde aller Art aufgetragen. Vielleicht könnten wir trotz unseres «Fortschritts» von ihnen noch etwas lernen. Auch Jesus selbst musste als Kleinkind nach Ägypten flüchten, weiss also selbst, was es heisst, als Kind mit Migrationshintergrund in einem fremden Land aufzuwachsen.


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Seit dem 20. Januar sitzt in den USA ein offensichtlicher Narzisst auf dem Thron, der nach dem Motto «Trump First» regiert und sein Land als Spielball für seine Machtspiele missbraucht. Und das in einem Staat, in dem sich 62% der Bevölkerung als Christen bezeichnen. Welche Show läuft hier gerade ab? Und was können wir daraus lernen?

Eigentlich war die US-Bevölkerung nach der ersten Amtszeit von Donald Trump gewarnt, spätestens nach seiner Weigerung, seine Nicht-Wiederwahl zu akzeptieren. Und seine Ankündigungen vor seiner nun gelungenen Wiederwahl hätten eigentlich stutzig machen müssen. Dabei setzt Trump nur das um, was er versprochen hat. Er hat dafür «ausschliesslich Loyalisten um sich geschart, niemand denkt mehr quer oder stellt etwas infrage. Ihr Idol sieht sich selbst von Gott für seine Aufgabe auserwählt. Was soll da noch schiefgehen1

Macht statt Ethik

Der Blick in die Medien zeigt: Da geht aber fast täglich etwas schief. Wer versucht, die politischen Checks und Balances der Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative auszutricksen, mag ein guter Spieler sein, er verliert aber früher oder später das Spiel um eine gelebte Demokratie. Und das in einem Land, das mal als Leuchtturm dieser komplizierten, aber menschenfreundlichen Staatsform gegolten hat.

Wer Politik als Befriedigung der eigenen Machtgelüste missbraucht, ist gefährlich. Trumps Wirtschaftspolitik hat laut dem deutsch-amerikanischen Ökonom Rüdiger Bachmann «sadomasochistische Züge»: «Er geniesst die Macht, am Parlament vorbei Zölle erheben zu können und diese Zölle nach persönlichem Gutdünken für bestimmte Firmen und Branchen auch wieder auszusetzen2 .» Und zerstört damit «die moderne, hocharbeitsteilige und international verflochtene Wirtschaft». Die historisch vor allem auch christlich geprägten Menschenrechte gelten als ethische Grundlage der westlichen Welt. Dazu gehört etwa der Schutz des Schwächeren. «Forget it», sagt Trump. Ich bestimme selber, was recht und was unrecht ist, wem geholfen und wer verfolgt oder geschützt werden soll.

«Ihr Idol sieht sich selbst von Gott für seine Aufgabe auserwählt. Was soll da noch schiefgehen?»

Es mag in den USA eine überbordende Bürokratie geben, der eine sorgfältig durchdachte und juristisch korrekt umgesetzte Verschlankungskur guttun würde. Ja, die Demokraten haben mit ihrem Gender-Gugus nach dem Motto «Wer erfindet das nächste Geschlecht?» wohl übertrieben. Auch wer sinnvollerweise von zwei Geschlechtern, Mann und Frau, ausgeht, muss deshalb aber noch lange nicht auf Menschen mit Identitätskrisen losgehen. Laut Thomas Dummermuth (s. Interview unten) war das Genderthema für die Demokraten eigentlich immer ein untergeordnetes Thema, mehr so im Sinn: Wir setzen uns dafür ein, dass Menschen sich selber sein dürfen. Und: Ja, Abtreibung à gogo geht definitiv nicht. Sie verletzt die Menschenrechte von werdenden Menschen. Vielleicht haben die Demokraten die Bedürfnisse der einfachen Menschen tatsächlich zu wenig ernst genommen. Aber: Genügt das, um einen verfassungsmässig eigentlich gut gegründeten Staat aus den Angeln zu heben?

Es braucht Aufmerksamkeit, seelische Wachheit und geistliche Klarheit

Wir haben dazu den heutigen US-Theologen Thomas Dummermuth befragt. Er ist im Emmental aufgewachsen und ist Pfarrer der Eastridge Presbyterian Church in Lincoln im US-Bundesstaat Nebraska. Seine Leidenschaft gilt dem Gespräch zwischen Kulturen, Konfessionen und Generationen – und dem Versuch, mitten im Umbruch geistlich klar zu bleiben.

Aus unserer europäischen Sicht haben wir den Eindruck, dass Donald Trump derzeit die Demokratie in den USA zerlegt. Wie würdest du die Entwicklungen seit dem 20. Januar aus deiner Wahrnehmung beschreiben?

Vorweg: Ich bin kein Politologe, sondern Theologe, Pfarrer und Seelsorger. Aber ja, «zerlegt» trifft tatsächlich mein eigenes Empfinden. Ich beobachte besonders seit der Wiederwahl Trumps eine zum Teil radikale Infragestellung von Prinzipien, die für Demokratien zentral sind: Gewaltenteilung, Respekt vor unabhängigen Institutionen, ein Mindestmass an Wahrhaftigkeit im politischen Diskurs. Es erschüttert mich, mit welcher Energie die Abrissbirne geschwungen wird. Manchmal erscheint es mir, als würde dieser Staat wie ein marodes Unternehmen übernommen, in Einzelteile zerlegt und weiterverkauft – quasi als Ressource für Spezialinteressen Einzelner.

Dazu kommt die ständige Erzeugung von Krisen – rhetorisch wie real – die zu Erschöpfung führt. Viele Menschen, auch in meinem Umfeld, fühlen sich überfordert, machtlos, abgelenkt. Das erschwert nicht nur politischen Widerstand, sondern trifft uns auch emotional und geistig. Widerstand unter diesen Bedingungen ist nicht nur eine politische, sondern auch eine spirituelle Aufgabe. Es braucht Aufmerksamkeit, seelische Wachheit, geistliche Klarheit.

Für viele war die Wiederwahl Trumps eine Überraschung. War es das auch für dich? Oder müsste man sagen: Die Demokraten haben ihre Niederlage selber verschuldet, weil sie die Anliegen der breiten Bevölkerung zu wenig ernst genommen haben?

Ich war eher ernüchtert als überrascht. Die Dynamiken, die zu Trumps Wiederwahl geführt haben, waren seit Jahren spürbar: Polarisierung, Misstrauen gegen Institutionen, soziale Verunsicherung – nicht zuletzt verstärkt durch die Nachwehen der Pandemie.

Man kann sicher kritisch fragen, ob die Demokraten genügend auf existenzielle Probleme eingegangen sind – etwa Inflation, Abstiegsängste, strukturelle Benachteiligung im ländlichen Raum oder auch die gesellschaftliche Verunsicherung im Zuge zunehmender Migration. Aber das erklärt nicht alles. Entscheidender scheint mir die bewusste Bewirtschaftung von gesellschaftlichen Ressentiments, die durch soziale Medien zusätzlich befeuert wird.

Reale Sorgen wurden nicht gelöst, sondern kulturell umgedeutet: Der gesellschaftliche Mainstream wurde als moralisch verdorben, urban, elitär dargestellt. Daraus entstand ein Kulturkampf-Narrativ: «Wir gegen die anderen.» Die Spaltung wurde nicht nur in Kauf genommen, sondern aktiv betrieben.

Soziale Medien haben diese Prozesse radikalisiert. Algorithmen begünstigen Empörung, vereinfachen komplexe Realitäten und schaffen Echokammern. Im Ergebnis entsteht eine politische Arena, die eher auf Identität und Affekt reagiert als auf Fakten.

In diesem Sinn sehe ich in der Wiederwahl Trumps keinen Betriebsunfall, sondern den Ausdruck eines tiefen gesellschaftlichen Risses, der weit über Parteipolitik hinausgeht.

Offensichtlich wurde Trump auch von evangelikalen Christen, welche die Bibel ernst nehmen wollen, breit unterstützt. Wie kann es sein, dass sie einem selbstverliebten notorischen Lügner und Verächter der Menschenrechte mit ihren Stimmen zum Durchbruch verholfen haben?

Diese Frage beschäftigt mich sehr. Meiner Meinung nach hat vieles mit dem bereits erwähnten Kulturkampf-Narrativ zu tun. Viele Evangelikale haben in den letzten Jahren miterlebt, wie ihre kulturelle Deutungshoheit schwindet. Das erzeugt Angst, Empörung – und die Sehnsucht nach einem starken Führer.

Begriffe wie «Religionsfreiheit» werden dabei oft als Schlagworte gebraucht – gemeint ist aber häufig nicht die Freiheit aller Religionen, sondern die Verteidigung christlicher Privilegien. Ebenso wird «Lebensschutz» oft verkürzt auf die Abtreibungsfrage, ohne soziale Fragen, Armut oder Waffengewalt mitzudenken.

Trump hat es verstanden, diese Themen politisch zu instrumentalisieren und sich als Bollwerk gegen gesellschaftliche Liberalisierung zu inszenieren. Viele haben das als «Schutz des Glaubens» verstanden – nicht trotz, sondern gerade wegen seines rücksichtslosen Auftretens.

Er präsentiert sich also als Kämpfer für bedrängte Christinnen und Christen. Und gerade darin liegt die bittere Ironie: Seine Trump-Politik schadet vielen davon. Zum Beispiel Geflüchteten, die vor religiöser Verfolgung geflohen sind und als «Schmarotzer» verunglimpft werden. Oder kirchlichen Hilfswerken, die sich für diese Menschen einsetzen und unter Generalverdacht gestellt werden – als wären sie Betrugssysteme oder Verschwendungsapparate. Ein Schlag ins Gesicht all jener, die ihren Glauben durch solidarisches Handeln leben.

Um diese Diskrepanz zu erklären, wird oft auf den Perserkönig Kyros verwiesen: ein «Werkzeug Gottes» trotz unheiligem Lebenswandel. Die Historikerin Kristin Kobes Du Mez hat darüber viel geforscht. In ihrem Buch «Jesus and John Wayne» zeigt sie schlüssig auf, wie sich in evangelikalen Kreisen ein Jesusbild durchgesetzt hat, das an amerikanische Männlichkeitsmythen angelehnt ist: durchsetzungsstark, militärisch, «männlich». Dieses Bild passt erschreckend gut zu Trump.

Ich habe aber noch eine andere Theorie. Ich frage mich, ob die Theologie vieler Evangelikaler Jesus fast ausschliesslich auf seinen erlösenden Sühnetod und damit verbunden den Glauben auf ein rein individuelles Heil reduziert hat. Anders ausgedrückt: Die Lebenspraxis Jesu – seine Feindesliebe, seine Zuwendung zu Ausgegrenzten, seine Kritik an religiösem Machtmissbrauch – tritt in den Hintergrund.

In den USA gibt es auch linksevangelikale Kräfte wie etwa die Sojourners. Warum hört man so wenig von ihnen?

Diese Bewegungen gibt es durchaus – nicht nur die Sojourners, sondern auch Red Letter Christians, Faith in Public Life, The Poor People’s Campaign und viele andere. Sie engagieren sich für soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz, Antirassismus und Friedensethik. Aber sie sind im öffentlichen Diskurs weniger sichtbar.

Das hat mehrere Gründe: Erstens setzen sie nicht auf Empörung, sondern auf Dialog und Gemeinwesenarbeit. Das ist weniger «medientauglich». Zweitens fehlt ihnen oft die mediale Infrastruktur: Sie haben keine eigenen TV-Sender und sind in Mega-Churches oder politischen Thinktanks wenig vertreten. Drittens haben sich viele progressive Christinnen und Christen in den letzten Jahrzehnten aus dem öffentlichen Raum zurückgezogen – aus Abgrenzung zum politisch missbrauchten Glauben.

Ich finde, es ist an der Zeit, dass auch im deutschsprachigen Raum deutlicher wird: Glaube und gesellschaftliche Verantwortung schliessen einander nicht aus. Im Gegenteil: Sie finden in der Nachfolge Jesu eine gemeinsame Quelle.

Was müsste getan werden, damit Trump gestoppt werden kann?

Zunächst: Es gibt keinen simplen Hebel, keinen einzelnen Ausweg. Der Weg aus der gegenwärtigen Gefahr, dass die Vereinigten Staaten vollends in einen autoritären Modus kippen, ist lang. Um ihn zu gehen, braucht es die ganze Zivilgesellschaft. Dazu gehören gewaltfreie Proteste, die Teilnahme an Town Halls3 , das Gespräch mit Nachbarn und das Kontaktieren von gewählten Repräsentantinnen und Repräsentanten. Demokratie lebt vom Mitmachen – oder sie wird ausgehöhlt.

Gleichzeitig sehe ich die Gefahr, dass der Widerstand, wenn er aus Angst oder Empörung gespeist ist, selbst in einen Modus der Verhärtung kippt. Und dass wir die Fähigkeit verlieren, zuzuhören. Dass wir uns selbstgerecht auf die «richtige Seite» schlagen und damit am Ende genau das reproduzieren, was wir eigentlich bekämpfen wollen.

Gerade deshalb ist der spirituelle Aspekt für mich unverzichtbar. Unsere Aufmerksamkeit ist unser kostbarstes Gut: sie muss gepflegt, geschützt und immer wieder neu ausgerichtet werden. Nicht auf den nächsten Skandal, nicht auf die nächste Panikwelle, sondern auf das, was trägt: Würde. Wahrheit. Mitgefühl.

Resilienz ist keine private Leistung – sie ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Ich erlebe das ganz konkret in einem kirchlichen Netzwerk hier vor Ort, dem 24 Gemeinden angehören. Jedes Jahr führen wir sogenannte Listening Sessions durch – Gesprächsabende, bei denen gefragt wird: «Was hält dich nachts wach?» Aus diesen Erzählungen entstehen Themen, gemeinsames Engagement, neue Netzwerke. Das mag klein wirken. Aber ich glaube: Veränderung beginnt genau dort. Wenn Menschen sich gegenseitig ernst nehmen, sich organisieren, ihre Aufmerksamkeit bündeln und ihre Kraft teilen.

Trump kann – und muss – politisch gestoppt werden. Aber es braucht mehr als juristische Verfahren oder Wahlstrategien. Es braucht eine Kultur, die sich nicht von Angst und Zynismus bestimmen lässt. Und es braucht eine erneuerte Vorstellungskraft von dem, was möglich ist, wenn Menschen sich nicht im Misstrauen verlieren, sondern füreinander einstehen. Von Gemeinschaften, die einander tragen. Von einer Gesellschaft, in der Gerechtigkeit nicht abstrakt bleibt, sondern im Alltag erfahrbar wird.

Diese Hoffnung ist kein naiver Optimismus. Sie ist eine Entscheidung – gespeist aus Glaube, Erinnerung, Begegnung. Und sie beginnt dort, wo Menschen zusammenkommen, zuhören und sich nicht voneinander trennen lassen.


1. Christof Münger in «Der Bund» vom 26. März

2. «Der Bund», 24. März

3. Die Town Hall basiert auf dem politischen Verständnis der US-Demokratie, wonach (zumindest theoretisch!) Amtsträger nicht ihre eigene Meinung repräsentieren sollen, sondern die der Bürgerinnen und Bürger, die sie vertreten. Insofern spielen die Town Halls (wie auch Briefe und Anrufe an Abgeordnete) eine wichtige Rolle.  Ein «Town Hall Meeting» ist ein ein öffentliches Treffen, bei dem Politikerinnen und Politiker mit Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch kommen. Ziel ist es, Fragen zu beantworten, Sorgen anzuhören und über aktuelle Themen zu sprechen.

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Seit dem ChristNet-Forum im Januar 2025 ist Demokratie zum Fokusthema des Vereins geworden. An der Generalversammlung vom 8. März 2025 griff ChristNet dieses Thema im Workshop «Demokratie – wie können wir sie stärken?» nochmals auf.

Seit den US-Wahlen im November 2024 bewegt das Thema Demokratie den Verein ChristNet stark. Während beim ChristNet-Forum vom 18. Januar 2025 noch die Frage «Demokratie – gefährdet oder gefährlich?» im Raum stand, lag der Fokus an der Generalversammlung anfangs März 2025 beim individuellen Einsatz für die Stärkung der Demokratie in der Schweiz. Während eines kurzen Workshops setzten sich die Teilnehmenden mit fünf Fragen auseinander. Diese Fragen und die Antworten der Teilnehmenden möchten wir im Folgenden mit dir teilen.

Was können wir persönlich zur Stärkung der Demokratie beitragen?

Politische Rechte, wie z.B. die Möglichkeit zum Abstimmen, sollen aus Sicht der Teilnehmenden wahrgenommen nehmen. Um sich eine politische Meinung bilden zu können, braucht es nebst Informationen auch ein Grundverständnis von politischen Prozessen und Strukturen. Ist diese politische Bildung vorhanden, kann differenziert über bestimmte Themen nachgedacht und diktatorische Tendenzen innerhalb der Politik erkannt sowie aufgezeigt werden. Eine Person schlug das Kennenlernen von Politikern als Strategie vor, um Vertrauen in die Politik zu gewinnen. Das Gebet für Amtsträger betrachteten dieTeilnehmenden als sehr wichtig für die Stärkung der Demokratie. Jemand nannte zudem das Abschliessen eines Medienabonnements, um sachliche Berichterstattungen zu unterstützen. Politische Themen polarisieren stark, weshalb die Teilnehmenden es als wichtig erachteten, dass Christinnen und Christen die Rolle von Vermittlern einnehmen, anstatt die Polarisierung weiter zu verstärken.

Was macht mir Angst in Bezug auf die weltweite Schwächung der Demokratie?

Besonders besorgniserregend empfinden einige Teilnehmende die Passivität der Mehrheit der Bevölkerungvor allem der jüngeren Generation in Bezug auf die globale Schwächung der Demokratie. Sie beobachten, dass christliche Werte zusehends an den Rand gedrängt werden und die sozial Schwachen unter die Räder geraten bzw. eine Entwertung erleben. Zwei Teilnehmende sind der Meinung, dass die Schwächung der Demokratie auf globaler Ebene zu einer erhöhten Kriegsgefahr führt.

Was macht mir Mut in Bezug auf die Demokratie?

Für die Teilnehmenden gehörten gewaltloser Widerstand und die Stärke der christlichen Werte zu den Ermutigungen angesichts der weltweiten Schwächung der Demokratie. Als konkrete Beispiele nannten siepositive Entwicklungen in Ländern wie Südkorea, Senegal und Serbien, sowie die Sojourners, die in den USA mutig ihre Stimme gegen Donald Trumps Anhänger erheben.

Was möchte ich an der direkten Demokratie in der Schweiz nicht missen?

Die direkte Demokratie der Schweiz hat aus Sicht der Teilnehmenden sehr viele Vorteile. Die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung haben das Stimmrecht, Politiker sind Teil des Volkes und in der Kommunalpolitik kann viel bewegt werden. Die Teilnehmenden schätzen die Möglichkeit zur Meinungsbildung, die Offenlegung der Abstimmungsfinanzierung, die Vielfalt der Abstimmungsthemen sowie das Referendumsrecht und Petitionen sehr. Sie betrachten die direkte Demokratie in der Schweiz als klar antidiktatorisch.

Wie setze ich meine politische Stimme am liebsten ein?

Für die Teilnehmenden ist die Mitgliedschaft bei ChristNet eine wertvolle Möglichkeit, ihre politische Stimme aktiv für Nächstenliebe in Politik und Gesellschaft einzusetzen. Während ein Mitglied gerne Leserbriefe schreibt, publiziert ein anderes Mitglied Beiträge im Forum integriertes Christsein. Die Beteiligung an Gemeindeabstimmungen- und Gemeindeversammlungen sowie nationalen Abstimmungen und Wahlen erwähnten die Teilnehmenden ebenfalls als wichtiges Mittel, die politischen Stimmeeinzusetzen. Wer sich konkret in die Politik einbringen möchte, könnte zum Beispiel einer Partei beitreten, für den Gemeinderat kandidieren oder Unterschriften sammeln. Hierbei empfinden die Teilnehmenden die Bereitschaft zur Diskussion und das Aufarbeiten von Themen wie Nächstenliebe und sozialer Gerechtigkeit als wichtig. Als Christinnen und Christen dürfen wir uns auch auf den Heiligen Geist verlassen, der uns die richtigen Worte schenkt und den Willen Gottes offenbart.

Einsatz für christliche Werte

Der Workshop zeigte auf, dass Christinnen und Christen im Angesicht einer weltweiten Schwächung der Demokratie eine zentrale Rolle in der Bewahrung christlicher Werte einnehmen dürfen. Lasst uns mutig unsere politische Stimme für christliche Werte in der Schweizer Politik und Gesellschaft einsetzen!

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Das Bundesgericht hat entschieden, dass eine Krankschreibung bei Konflikten am Arbeitsplatz nicht unbedingt vor Kündigung schützt. Wie wenn ein Konflikt auf Grund einer unmöglichen Arbeitssituation nicht zu einem Zusammenbruch führen könnte!

Im Zusammenhang mit dem Bundesgerichtsurteil fällt auf, dass Burnout in der Schweiz im Gegensatz zu einigen Staaten der EU nicht als Arbeitskrankheit anerkannt ist und der Arbeitgeber dafür nicht haftbar gemacht werden kann. Dies öffnet der Ausbeutung Tür und Tor. Im Zeitalter, in dem Elon Musk in den USA die grenzenlose Arbeit ausruft, sind Grenzen zum Schutz der Angestellten dringender als je zuvor.

In einem Aufsehen erregenden Fall hat das Bundesgericht1 im Jahr 2024 entschieden, dass die übliche Sperrfrist für eine Kündigung bei einer arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit (z.B. in Folge von Mobbing oder Konflikten) nicht gelten muss.

Konflikte ernst nehmen

Ein solcher Entscheid geht an der Realität vorbei: Konflikte bei der Arbeit haben immer auch mit Dysfunktionalitäten am Arbeitsplatz zu tun. Wenn ein Arbeitgeber sich diesen nicht annimmt, hat er seine Fürsorgepflicht nicht wahrgenommen.
Konflikte müssen frühzeitig angegangen werden, bevor sie ausarten. Regelmässige Umfragen zur Arbeitszufriedenheit und Klärung von Bedürfnissen der Mitarbeitenden, um sich in der Arbeit entfalten zu können, sind in allen Unternehmen unumgänglich. Leider werden in vielen Unternehmen – traurigerweise sind Nichtregierungsorganisationen diesbezüglich nicht besser – Unzufriedenheiten noch immer als Stänkerei angesehen, statt als Gelegenheit, durch die Verbesserung der Bedingungen oder der Entfaltungsmöglichkeiten auch die Produktivität zu erhöhen.
Die meisten Angestellten in der Schweiz wollen gute Arbeit leisten. Mangelnde Wertschätzung und Mitwirkungsmöglichkeiten untergraben aber die Motivation. Wenn dann Direktionen darauf hin noch autoritär reagieren und keine psychologische Sicherheit zum Ausdruck von Befindlichkeiten geben können, dann ist die Eskalation unausweichlich.
Menschen mit grosser Sensibilität brechen als erste zusammen. Eine darauffolgende Krankschreibung wird dann oft als «Beweis» der Stänkerei interpretiert, eine Entlassung als unausweichlich angesehen. Dabei handelt es sich hier meist um ein Burnout in Folge einer emotionalen Überlastung. Der Bundesgerichtsentscheid ist also falsch und erleichtert es Arbeitgebern, Konflikte nicht richtig anzugehen, da sie sich mit Entlassungen lösen lassen. So aber kommen wir nicht weiter.

Burnout – Die Verursacher zur Verantwortung ziehen

In diesem Zusammenhang fällt auf, dass Burnout in der Schweiz im Gegensatz zu einigen Staaten der EU nicht als Berufskrankheit anerkannt2 ist und der Arbeitgeber dafür nicht haftbar gemacht werden kann. Bei gehäuften Burnouts in einem Unternehmen werden die Prämiensteigerungen der Krankentaggeldversicherungen hälftig den Arbeitnehmern und Arbeitgebern aufgebürdet, wie wenn die Arbeitnehmenden dafür mitverantwortlich wären.

Dabei zeigt die steigende Anzahl Burnouts, dass die Arbeitswelt grundsätzlich aus den Fugen geraten ist: Zwischen 2012 und 2020 sind die Arbeitsunfähigkeiten aufgrund psychischer Ursachen um 70 Prozent gestiegen. Der Job-Stress-Index3 zeigt bis 2020 eine stetige Steigerung der Anzahl Menschen, die im kritischen Bereich arbeiten. Rund 30 Prozent der Menschen sind heute emotional eher oder sehr erschöpft. Auch die ständigen Umstrukturierungen und Veränderungen tragen dazu bei.
Die Verdichtung und Intensivierung der Arbeit in den letzten Jahrzehnten, sowie die Aufweichung der gesetzlichen Schranken für die maximale Arbeitszeit4 haben zu dieser Entwicklung beigetragen. Es ist also Zeit, dass die Verantwortung für Burnouts besser wahrgenommen wird. Denn ein Burnout heisst nicht einfach, dass man endlich auf der faulen Haut liegen darf. Für zahlreiche Betroffene bedeutet dies ein schwerer Einschnitt in der Laufbahn; etliche finden nie wieder zu einer guten Gesundheit und werden aus der Arbeitswelt ausgeschlossen. Für einige Familien bedeutet dies den Abstieg in die Armut.

Ohne Verantwortung droht die Ausbeutung

Solange sich die Verursacher aus der Verantwortung ziehen können, wird sich an diesem Trend nichts ändern. Die Kosten für Burnouts werden so auf die Sozialhilfe und die IV verschoben. Der Druck der Finanzmärkte zu noch höherer Kapitalrentabilität und der Druck der sinkenden Budgets für soziale Aufgaben werden die Probleme noch verstärken. Ohne Schranken und ohne die Klärung der Verantwortlichkeiten für Schäden stehen Tür und Tor offen für jegliche Ausbeutung.
Grenzen zu setzen und Arbeitgeber zur Verantwortung zu ziehen, ist dringender denn je. Elon Musk, der momentan wohl mächtigste Mann der Welt, ist daran, die USA umzugestalten. Er treibt, mit Unterstützung von hiesigen Parteien seiner Gunst, auch in Europa sein Unwesen. Bei der Übernahme von Twitter hat er die grenzenlose Arbeit5 ausgerufen, streikende Angestellte in seinen Werken werden kurzerhand entlassen. Mit seinen riesigen Spenden an Donald Trump, die Republikanische Partei und deren Parlamentarier hat er die Empfänger von sich abhängig gemacht und diktiert ihnen nun seine eigene Politik, wie diverse Beispiele6 zeigen.
Damit kann er auch seine Sicht der Arbeitswelt durchsetzen. Hier ist es nicht mehr unangebracht, von Ausbeutung zu sprechen. Das Wohl der Arbeitnehmenden ist nicht seine Priorität, wie seine Weigerung, die Tesla-Produktion während der Covid-Pandemie zu unterbrechen, gezeigt hat: Darauf hin sind hunderte Angestellte erkrankt und haben das Virus weiterverbreitet.
Diese Entwicklungen erhöhen den Druck auf die Unternehmen in anderen Teilen der Welt, die Wettbewerbsfähigkeit ebenfalls auf Kosten der Arbeitnehmenden aufrecht zu erhalten. Es ist also höchste Zeit, Schranken gesetzlich zu fixieren und gerichtlich durchzusetzen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf INSIST.

1. https://www.beobachter.ch/magazin/gesetze-recht/auch-bei-krankschreibung-droht-nun-kundigung-719865?srsltid=AfmBOordYr64rRRcZD4ag4Ks8xvP6HvQ-aiDgJus1fIll2yE65bFBlxa
2. Postulat
3. https://gesundheitsfoerderung.ch/sites/default/files/remote-files/Faktenblatt_072_GFCH_2022-08_-_Job-Stress-Index_2022.pdf
4. siehe auch: https://www.insist-consulting.ch/forum-integriertes-christsein/24-3-5-arbeit-muessen-wir-arbeiten-bis-zur-erschoepfung-oder-brauchen-wir-mehr-raum-zum-leben.html
5. https://www.theverge.com/23551060/elon-musk-twitter-takeover-layoffs-workplace-salute-emoji
6. https://www.youtube.com/watch?v=79KDKWEOJ1s

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Mit dem Aschermittwoch am 5. März beginnt die Fastenzeit. Sie erinnert uns daran, dass weniger oft mehr ist – nicht nur für uns persönlich, sondern auch für die Umwelt.

Wer verzichtet, gewinnt neue Perspektiven: Dankbarkeit für das, was wir haben und Achtsamkeit im Umgang damit. Doch warum nicht auf etwas verzichten, das nicht nur uns selbst, sondern auch unserer Umwelt guttut? Die Klimakrise fordert uns heraus, unser Verhalten zu überdenken – und die Fastenzeit bietet die perfekte Gelegenheit, bewusst eine klimaschädliche Angewohnheit abzulegen.

Folgend einige konkrete Fastenideen, die gleichzeitig zu einer klimafreundlicheren Lebensweise führen.

Ernährung

• Eine vegetarische oder vegane Ernährung ausprobieren
• Regionale und saisonale Lebensmittel kaufen
• Auf importierte Früchte (z. B. Avocados, Bananen) verzichten
• Keine Lebensmittel wegwerfen – bewusster einkaufen und Reste verwerten
• Fairtrade- und Bio-Produkte kaufen
• Leitungswasser statt Flaschenwasser trinken

Mobilität

• Das Auto stehen lassen und stattdessen zu Fuss gehen oder Velo fahren
• Öffentliche Verkehrsmittel statt das Auto nutzen
• Keine Flugreisen in der Fastenzeit
• Fahrgemeinschaften bilden
• Kurzstreckenflüge durch Zugreisen ersetzen

Energie & Konsum

• Den Heizenergieverbrauch reduzieren: z. B. ein bis zwei Grad weniger heizen
• Elektronische Geräte konsequent ausschalten statt auf Stand-by lassen
• Duschzeit verkürzen und Wasser sparen
• Keine neuen Kleider shoppen – stattdessen tauschen oder secondhand kaufen
• Auf Online-Bestellungen verzichten, um unnötigen Transport und Verpackung zu vermeiden

Digitale Gewohnheiten

• Weniger Streaming und Videokonsum: Netflix, YouTube – wegen des hohen Stromverbrauchs
• Social-Media-Detox: weniger Bildschirmzeit spart Strom und fördert Achtsamkeit
• Unnötige E-Mails löschen: E-Mail-Server verbrauchen viel Energie

Ressourcen & Abfall

• Auf Einwegprodukte verzichten: z. B. Coffee-to-go-Becher, Plastikflaschen
• Müll reduzieren und besser recyceln
• Wiederverwendbare Produkte nutzen: Stofftaschen statt Plastiktüten, Glasflaschen statt PET
• Kosmetik und Pflegeprodukte ohne Mikroplastik wählen
• Papier sparen: Digital lesen statt drucken

Der Artikel erschien erstmals auf www.stoparmut.ch

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Verunsicherung prägt unsere Zeit: Krisen, Unwägbarkeiten und Überforderung lassen uns oft ratlos zurück. Doch schon die biblischen Propheten mahnten, solche Momente als Aufruf zum Umdenken und Vertrauen auf Gottes Heilshandeln zu nutzen. Denn der Glaube bietet Halt und eine Perspektive, die über das Zeitliche und Sichtbare hinausgeht.

«Sind wir sicher?» So titelt der «Spiegel» seine Ausgabe 49/2024 auf knallrotem Untergrund zum 2. Advent.

Ja, die Verunsicherung in letzter Zeit liess den Zürcher Tagesanzeiger (TA 19.11.2024) die Fachpsychologin Sabina Pedroli fragen: «Was kann man tun, wenn man die Weltlage nicht mehr aushält?» Und sie antwortet: «Das Gefühl globaler Unsicherheit und Ungewissheit ist eine Folge nicht beeinflussbarer Stressoren. Unser Gehirn ist aber nicht dafür geschaffen, das ganze Leid dieser Welt in Echtzeit wahrzunehmen und zu verarbeiten.»

Wir stecken offensichtlich in einem unauflösbaren Dilemma fest: Wir können uns nicht mehr gegen diese Verunsicherung versichern. Uns, die wir gegen alle möglichen Schadensfälle versichert sind, verunsichert das zutiefst.

Es geschieht nichts Neues unter der Sonne (Prediger 1,9-10)

Seit Beginn der Menschheitsgeschichte waren die Lebensbedingungen auf unserer Erde «jenseits von Eden» nie sicher. Bedrohungen und Gefahren durch Natur und Mensch erfahren alle Völker und Kulturen bis heute. Quelle der Verunsicherung und Angst ist die Fragilität und Vergänglichkeit allen Lebens. Die gesamte Kreatur stöhnt und ächzt unter diesem Verdikt. Wir Menschen nehmen das als einzige Wesen bewusst wahr. Wir leiden mit Leib, Seele und Geist an dem Gefühl, Schicksal spielenden Mächten und Gewalten unberechenbar ausgeliefert zu sein. Wir sind verunsichert, weil es kein Denksystem, kein Naturgesetz, keine Gesetzmässigkeit und keine Wahrscheinlichkeitsrechnung gibt, an denen sich ablesen liesse, wen es wann und wo und wie trifft.

Diese Unberechenbarkeit und Zufälligkeit, ja dieser Kontrollverlust machen oft ratlos. Wenn ein Unfall, der Tod oder sonst ein Schicksal in junge Familien einschlägt, verstört das zutiefst. Warum sterben wir eigentlich nicht altersgerecht schön der Reihe nach?

Keine Antwort, dafür bleierne Unsicherheit. Gegen viele Risiken können wir uns versichern, um den Fall ins Bodenlose wenigstens materiell abzufangen. Aber die Gefühle der Unsicherheit, Verlustangst und Zukunftssorge – sie bleiben.

Die nachmoderne Verunsicherung – doch etwas Neues?

Aktuell steigert sich unsere verunsicherte, verstörte und ängstlich sich sorgende Gesellschaft immer mehr in den Modus der Empörung und Aggression hinein. In diesem Modus kann Demokratie nicht mehr funktionieren. Emotionen ersetzen Argumente. Immer öfter wird ein undifferenzierter Widerstand provokant gegen «das politische System» in Szene gesetzt, das angeblich «an allem» schuld sei.

Ja, es stimmt: Wir haben eine Energiekrise, eine Klimakrise, eine Schuldenkrise und über 50 kriegerische Auseinandersetzungen. Die Hiobsbotschaften führen zu einem kollektiven Verlust an Lebensqualität. Dank medialer Vernetzung erleben wir in Echtzeit mit, was unser Gehirn nicht mehr packt! Deshalb haben wir nun auch noch eine Demokratiekrise!

Die unterschiedlichen Gründe all dieser Krisen zeugen von einer Störung des Menschen im Umgang mit sich, mit anderen und mit seiner Umwelt. Diese Störung ist nicht neu. Im AT lesen wir von Propheten, die unablässig verkehrte, gott-lose Lebensprinzipien aufgedeckt, gebrandmarkt und deren unausweichliche Negativfolgen angekündigt haben: Eine Gesellschaft würde zerfallen und sich schaden, wenn sie in ihrer masslosen Hab-, Geld- und Machtgier Ungerechtigkeit, Korruption und Ausbeutung toleriert, pseudoreligiös legalisiert und juristisch reinwäscht. Und wenn sich dann im Kulturverfall Verunsicherung, Angst und Furcht einstellen, seien das die logischen Folgen eigener Schuld. Die Propheten (z. B. Jesaja 2–3) deuten diese Schreckensmomente sogar als Gericht Gottes. Es soll verunsichern, um dadurch ein Aufwachen und Umdenken zu provozieren!

Das unauflösbare Dilemma der Nachmoderne

Seit Jahren lese ich im Buch «Apokalypse jetzt. Vom Schweigen der Theologie im Angesicht der Endzeit». Der Theologe, Philosoph und Journalist Gregor Taxacher bedauert angesichts «himmelschreiender Sünden der Ungerechtigkeiten» den Mangel an Propheten zutiefst und will die Kirchen zu einem «geistes-gegenwärtigen prophetischen Einsatz» motivieren (Kap. 5). Er reflektiert den katastrophalen Zustand unserer Welt im Horizont biblischer Prophetie und Eschatologie und postuliert: Die Gegenwart – inzwischen als Anthropozän und «permanente Endzeit» etikettiert – braucht dringend eine vertiefte theologische Qualifikation.

Immerhin weisen seit fünf Jahrzehnten unzählige Fachleute verschiedenster Wissenschaften hin auf die Fortschrittslüge «Wachstum bringt Wohlstand», auf die Grenzen des Wachstums und auf die Notwendigkeit, das bisherige Wachstum zu begrenzen. Sie charakterisieren die Neuzeit als «permanente Endzeit» mit apokalyptischem Charakter. Das meinen sie nicht nur prognostisch, sondern wirklich grundsätzlich unumkehrbar, weil niemand weiss, wie eine tiefgreifende Abkehr vom Wachstumswahn der Moderne geschehen kann!

Deshalb fragen sich viele resigniert: Lohnt sich überhaupt noch der Einsatz für eine lebenswerte Zukunft? Wenn z. B. trotz aller ökologischer und soziologischer Verwerfungen Konferenzergebnisse oft nur halbherzig zu Absichtserklärungen weichgespült und in der Umsetzung abgeschwächt werden? Der Mensch erweist sich mit seiner ungebremst wachsenden Konsumlust als grösster Risikofaktor!

Prophetische Klarheit statt banal-fromme Hoffnungseuphorie

Die Skepsis nimmt rasant zu. Im Blick auf die Zukunft wanken jetzt nicht nur alle irdischen Hoffnungen, auch die christliche Hoffnung steht auf dem Prüfstand. Zu Recht, wenn man nur Sätze wie «Gott ist gut und deshalb wird schon alles wieder gut» zu hören bekommt. Solche banal-zynisch fromme Euphorie ist tatsächlich schädliches «Opium für das Volk».

Es stellt sich vielmehr unerbittlich die Frage: Gibt es überhaupt noch Hoffnung, wenn alle Sicherheiten brechen, Grenzwerte überschritten sind und unser Globus schon gefährlich taumelt? Ist inzwischen jede Hoffnung illusionär, utopisch und realitätsfremd?

Die Erfahrungen des 20. und bisherigen 21. Jahrhunderts belegen unmissverständlich: Der Fortschrittsglaube der Aufklärung kann keine Hoffnung mehr geben. Sich ohne Gott allein auf die menschliche Vernunft zu verlassen, hat sich nicht bewährt.

Der Zauberlehrling hat recht, den J. W. von Goethe in entsetzlich steigender Wasserflut zum von ihm ignorierten Meister rufen lässt: «Herr, die Not ist gross. Die ICH rief, die Geister, werde ICH nun nicht mehr los!»

Jahrzehnte später lässt F. W. Nietzsche den «Tollen Menschen» in bestürzend prophetischer Klarheit sagen, was den Menschen übrigbleibt, nachdem sie Gott getötet und den Horizont weggewischt haben: «Ist nicht die Grösse dieser Tat zu gross für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden?»

Wenn der Horizont der Ewigkeit weggewischt ist, entwirft diese Autonomie ohne Gott inhumane Ideologien. Die Überforderung, Gott zu spielen, vernichtet dann jegliche Verantwortung. Der Holocaust und die ersten Atombomben markieren den Beginn einer nachmodernen Verunsicherung: Der Vernunft entgleitet die Kontrolle über das von ihr Gewollte und Erreichte.

Insofern ist unsere Verunsicherung in sich paradox: Wissenschaftlich-technologisch wurde ein Standard erreicht, der beeindruckt und von dem wir alle gerne profitieren. Jetzt lässt uns die Digitalisierung zur globalen Familie werden, wir bereiten Mond- und Marsbesiedelungen vor und mit Künstlicher Intelligenz erreichen wir neue Horizonte – doch wozu denn eigentlich? Wozu, wenn wir zeitgleich die Welt so zurichten, dass sie einem sozial-ökonomischen und ökologischen Kollaps entgegenwankt? Und zeitgleich nehmen Ratlosigkeit, Überforderung, Ohnmacht und Wut zu. Eine globale Verantwortungsgemeinschaft ist nicht in Sicht!

Jetzt muss die biblische Theologie der Hoffnung (Eschatologie) in prophetischer Klarheit wieder neu sagen, was sie immer schon gesagt hat: GOTT markiert in Jesus Christus den Widerspruch gegen die Sünde des Menschen und den Tod. Eine umfassende Heilszukunft hat begonnen. Seine Liebe ist die neue Kraft, die alle Masslosigkeit vernichtet und Heil schafft.

Gerade die Kirchen könnten so die allgemeine, globale und regionale sowie die persönlich-private Verunsicherung seelsorgerlich begleiten und unsere Zeit eschatologisch einordnen.

Verunsicherung betrifft uns alle

Die Welt ist zerbrechlich, die Schöpfung leidet und der Mensch ist oft des Menschen Wolf. Die Bibel redet das nicht schön.

Viele Psalmen und persönliche Bekenntnisse alttestamentlicher Propheten schildern die Achterbahn der Gefühle und Empfindungen, den grübelnden Zweifel und die deprimierende Hoffnungslosigkeit, die Anfechtungen von innen und aussen sowie das Ausgeliefertsein an schlimme Umstände und traurige Zustände.

Auch Jesus hat dieses Verunsichert- und Getrennt-Sein von Gott als Passion erlebt. Mühsal und Trübsal sind bittere Realitäten menschlicher Existenz. Sie begleiten auch die Jesus nachfolgenden Kirchen und Gemeinden zunehmend in einer Weltgeschichte, die trotz weltweiter Evangelisation, Mission und Ausdehnung christlichen Lebens durch des Menschen Selbstbezogenheit dramatisch enden wird.

Prophetisch klare Sicht auf die Realität

Die durch den Menschen schuldhaft verursachten Zerstörungen an Gottes Schöpfung nehmen zu. Gericht ereignet sich in Gottes Abwesenheit, wo er den Menschen seine Freiheit ausleben lässt.

Diese Zusammenhänge zeigt Jesus in seinen «Endzeitreden» (Matthäus 24,1–36; Markus 13,1–32; Lukas 21,5–36) und seine Apostel in ihren Briefen und Sendschreiben auf. Es gilt also, die «Zeichen der Zeit» zu beobachten und sie permanent theologisch zu qualifizieren. Denn dadurch gewinnen wir eine spannungsvolle Perspektive auf das Kommen des Reiches Gottes, Hoffnung auf die nahende Erlösung, einen hoffnungsvollen Lebensstil «in Freiheit von der Welt und in Erwartung der Neuen Welt» (1. Korinther 7,29ff).

Weil das österliche Heilsdatum den Blick auf den auferstandenen Christus lenkt, kann ich in allen Verunsicherungen «meine ganze Gegenwart annehmen und Freude nicht nur in der Freude, sondern auch im Leide, Glück nicht nur im Glück, sondern auch im Schmerz finden. So geht diese Hoffnung durch Glück und Schmerz hindurch, weil sie Zukunft auch für das Vergehende, Sterbende und Tote an den Verheissungen Gottes erblicken kann.» (Jürgen Moltmann, Theologie der Hoffnung, 27).

Nüchternheit in einer unsicheren Übergangszeit

Im NT finden wir eine heilsgeschichtliche Einordnung dessen, dass es in der gegenwärtigen Welt keine Sicherheit gibt. Persönliche Krisen, politische Verwerfungen und irrende Ratlosigkeit gehören zu dieser Übergangszeit. Paulus fragt einmal: «Wo sind denn die Weisen und die Klugen dieser Welt? Hat nicht Gott selbst die Weisheit dieser Welt als Torheit entlarvt und uns in Christus die wahre Weisheit und Gerechtigkeit geschenkt?» (1. Korinther 1,20.30) Seit Ostern leben wir in einer Übergangszeit. Es gilt das «Es ist schon vollbracht» ebenso wie das «Es ist noch nicht erschienen, was sein wird». Die Utopie einer sicheren schönen Welt mögen wir als Sehnsucht träumen! Aber der Heilige Geist kann diese menschlich so verständliche Sehnsucht in Vertrauen, Liebe und Hoffnung verwandeln.

Deshalb gilt es, allen Utopien pseudomessianischer Autokraten – Jesus nennt sie falsche Propheten (Matthäus 24,11) – zu widerstehen anstatt sie zu wählen, damit sich die Dramatik des 20. Jahrhunderts nicht wiederholt.

Christliche Hoffnung bleibt nüchtern, weil sie um den vorletzten Charakter der Jetztzeit weiss: «Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker. Aber über dir strahlt Gott der Herr auf als Licht und seine Herrlichkeit erscheint über dir.» (Jesaja 60,1-2)

In dieser aktiven Hoffnungsperspektive erfährt die Gemeinde Jesu hier und da, je und dann den Frieden Gottes wie das «Auge im Sturm». Deswegen verfällt sie nicht in fatalistischer Resignation der Weltflucht, sondern folgt der Aufforderung Jesus: «Handelt, bis ich wiederkomme!» (Lukas 19,13) So entwickelt sich unaufhaltsam seit Pfingsten das Reich Gottes in dieser Übergangszeit, die Jesus mit den Geburtswehen am Ende einer schwierigen Schwangerschaft vergleicht.

Hoffnungsvolle Gewissheit

Zu Beginn habe ich Sabina Pedroli erwähnt mit ihrer Feststellung, unser Gehirn sei nicht dafür geschaffen, das ganze Leid dieser Welt – also die schweren Geburtswehen – zu verarbeiten. Um trotzdem zu überleben, empfiehlt sie eine moderate Medienverweigerung sowie Auszeiten zur Selbstfürsorge und Selbsterhaltung.

Ergänzend möchte ich noch auf das Raum- und Zeitkonzept jüdischen und christlichen Glaubens hinweisen: «Meine Zeit steht in Gottes Händen. Du stellst meine Füsse auf weiten Raum. Deshalb befehle ich meinen ängstlich aufgeregten Geist und meine angefochtene matt gewordene Seele in Deine Hände. Denn du hast mich erlöst, Herr, mein treuer Gott.» Dieser Psalm 31 zeigt uns den sicheren Ort inmitten aller Verunsicherung: Geborgenheit im dreifaltigen Gott und in seiner Heilsgeschichte. Glaube heisst: Meine Biografie einbinden lassen in den ewigen Bund, den Gott in Jesus Christus anbietet: «Ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein» – auch wenn es bedrängend wird.

Wer diesen Anruf und Zuruf aus Jesaja 43,1+2 für sich hört, lebt in einer das irdisch Unsichere, Dunkle und Finstere überwindenden Dimension.

Dieser Artikel erschien erstmals in der Zeitschrift «meinTDS» und auf der Website www.tdsaarau.ch

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Das Referat von Debora Alder-Gasser kann man hier herunterladen.


In der «1h Eco-Runde» vom 26. November 2024, einem Online-Format von Eco Church Network, sprachen David Hachfeld von Public Eye und Debora Alder-Gasser von TEIL über die zahlreichen Missstände in der Textilindustrie. Während Hachfeld betonte, es herrsche in der Branche ein «System der organisierten Verantwortungslosigkeit», lud Alder-Gasser die Teilnehmenden dazu ein, die eigenen Gewohnheiten bezüglich Kleiderkauf zu reflektieren.

In der Schweiz kauft jede und jeder im Durchschnitt 50–70 Kleidungsstücke und sechs Paar Schuhe pro Jahr. Viele davon werden kaum getragen, sondern landen im Müll oder in der Kleidersammlung. Die gespendete Ware ist meist von schlechter Qualität, was zu zahlreichen, oft illegalen Müllhalden im globalen Süden beiträgt. «Wir steuern auf eine Riesenkatastrophe zu«, meint Hachfeld. Viele Textilien werden aus Plastik und fossilen Rohstoffen hergestellt, was die Klimakrise verschärft. Hinzu kommt die grosse Menge an Pestiziden, die namentlich auf Baumwollplantagen eingesetzt wird. Diese sind nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die Arbeiterinnen auf den Plantagen extrem schädlich.

«Der Kampf der Arbeiterinnen läuft immer wieder vor eine Mauer»

In der Textilindustrie herrschen bekanntlich sehr schlechte Arbeitsbedingungen, führt Hachfeld weiter aus. In Ländern wie China, Bangladesch, Türkei und Indonesien verdienen die Arbeiterinnen und Arbeiter nur ca. 400 Dollar pro Monat. Die betroffenen Menschen protestieren und vereinen sich in Gewerkschaften, da der Lohn mindestens dreimal so hoch sein müsste, um ein Leben in Würde zu leben. Doch die mächtigen Grosskonzerne nutzen die begrenzten Möglichkeiten der Zivilgesellschaft gnadenlos aus. Hachfeld nennt es ungeschönt ein «System der organisierten Verantwortungslosigkeit». Genau da setzt die Organisation Public Eye mit ihren Aktionen an: durch die Sensibilisierung der Öffentlichkeit soll das perfide Profitsystem der Konzerne offengelegt werden, damit diese gerechte und nachhaltige Praktiken umzusetzen beginnen.

Die wirkliche Ursache des Problems

10 % des CO2-Ausstosses geht auf Kosten der Textilindustrie und jede Sekunde wird eine Ladung von Textilien auf eine Müllhalde geworfen. Doch was sind die Ursachen dafür, fragt sich Alder-Gasser: der Überkonsum? die schlechte Qualität der Kleider? die fehlenden gesetzlichen Rahmenbedingungen? oder alles davon ein bisschen? In den Augen der Berner Stadträtin gibt es eine tieferliegende Ursache, und zwar in den Gewohnheiten, wie wir Kleider konsumieren. Denn viele wissen zwar, dass dieser Konsum nicht nachhaltig ist, doch kaufen sie wie immer weiter ein. «Darum sollten wir mehr über unsere Gewohnheiten ins Gespräch kommen», meint Alder-Gasser.

TEIL

Mit dem Projekt TEIL, das sie mitbegründet hat, möchte Alder-Gasser ein Teil der Lösung sein und das kreislaufwirtschaftliche Denken fördern. Das Geschäft in der Berner Innenstadt ist wie eine «Bibliothek», aber für Kleider: Mit einem Abo kann man sich Kleider ausleihen. Das ist eine von vielen Möglichkeiten, konkret und persönlich etwas Gutes in Richtung Nachhaltigkeit zu tun. In der Praxis ist es jedoch oft schwieriger, wie Alder-Gasser aus ihrer Projekterfahrung berichtet. Es mangelt nicht an Zustimmung für das Projekt, doch die grösste Hürde liegt in der konkreten Veränderung des Konsumverhaltens. Rhetorisch schliesst sie ihren Impulsvortrag mit der Frage, was wir ändern können, und schlägt Ideen vor, wie das Abbestellen von Newslettern, die uns Schnäppchen zu einem hohen Preis für Mitmenschen und Umwelt bieten.

Die «1h ECO-RUNDE» ist ein regelmässiges stattfindendes Online-Format von Eco Church Network, ein Projekt von StopArmut. Ziel ist es, einen kurzen Impuls zu jeweils einem ökologischen Aspekt zu erhalten, Ideen auszutauschen und sich gegenseitig zu inspirieren, damit es nicht nur beim Wissen bleibt.

Mehr Informationen

www.publiceye.ch/de/themen/mode
www.teil.style
Zum Referat von Debora Alder-Gasser

Dieser Artikel erschien erstmals auf www.stoparmut.ch und wurde von ChristNet leicht bearbeitet.

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Letzten Samstag nahmen 200 Personen an der Jacques-Ellul-Tagung «Welche Hoffnung für unsere Krisenzeiten?» teil. Sie wurde aus Anlass von Elluls (1912–1994) 30. Todestag von ChristNet und weiteren Organisationen in St-Légier (VD) organisiert. Referate, Workshops mit Plenumsrückmeldung und ein Podiumsgespräch haben dem technikkritischen, pessimistischen, aber fundamental hoffnungsvollen Denken des französischen Autors Tiefe und Schärfe verliehen.

Auf dem Campus der Theologische Hochschule HET-Pro erfuhren die Tagungsteilnehmenden, dass Elluls Schriften auch 30 Jahre nach seinem Tod erstaunlich aktuell sind und Antwortansätze bieten, die aber nicht einfach sind. Die grosse Zahl der Anwesenden zeigte, dass das Bedürfnis gross ist, solche Fragen gemeinsam zu vertiefen. Mit der Publikation der Wortbeiträge im Juni 2025 («Das Desaster ist da») und einer Ideenbörse geht es nach der Tagung weiter.

Neun Referenten aus Fachbereichen wie Theologie, Philosophie, Sozial-, Ingenieurs- und Wirtschaftswissenschaften stellten das fruchtbare Werk von Ellul in Referaten, Workshops und in einem Podiumsgespräch vor.

Zu Beginn sprach Jacob M. Rollison, Theologe und Worker in der Gemeinschaft L’Abri (Huémoz VD), über die Technik, die den Menschen mächtig mache, aber in Hoffnungslosigkeit stürze. Laut Ellul sei die Technik selbstwachsend – eine Erfindung führt zur nächsten und bietet zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten –, wobei die Richtung der Entwicklung dem Menschen entgleite. Wie ein steuerloses Rennauto rase sie richtungs- und ziellos voran und verursache Katastrophen, die sich immer weniger vermeiden liessen. Rollison fragte sich: «Warum nehmen wir nicht den Fuss vom Gaspedal?»

Ohnmacht oder Machtverzicht?

Auf diese hoffnungslose Diagnose reagierte Frédéric Rognon, Philosophieprofessor an der Universität Strassburg und einer der grössten Ellul-Kenner unserer Zeit: «Ohne Hoffnungslosigkeit keine Hoffnung.» Ellul fordere uns auf, die Hoffnung auf eine technische Lösung der Krise aufzugeben. Zwar verfüge der Mensch dank der Technik über eine nie dagewesene Macht, die aber zutiefst ambivalent (mit untrennbar verknüpften positiven und negativen Effekten) und selbstwachsend sei. Dagegen habe Ellul die «Nicht-Macht» gestellt, also den Verzicht auf (technische) Machtmittel, der darin besteht, nicht alles zu tun, was machbar ist. Als Vorbild dafür bezeichnete er Jesus, der als allmächtiger Gott seine Macht abgelegt habe und Mensch geworden sei.
Den Vormittag schloss David Bouillon ab, Professor an der HET-Pro. Anhand des ellul’schen Kommentars zum Jona-Buch warf er ein biblisches Licht auf den Katastrophismus. Die Geschichte dieses Propheten zeige, dass es Gottes Liebe sei, die uns für unseren Auftrag verantwortlich mache. Angesichts der technischen Allmacht (Ninive) bekräftige Gott sein Erbarmen mit allen Lebewesen. Dies sei unser Ausweg aus der «Hölle» und unseren Krisen, dies sei unsere Hoffnung.

Workshops und Partizipation

An der Jacques Ellul Tagung arbeiteten die Teilnehmenden aktiv mit. Ein Höhepunkt am Nachmittag waren die acht Workshops, die über eine Stunde dauerten und Raum schufen für einen kollektiven Prozess, um konkrete Lösungsansätze für die Tagungsthemen zu suchen. Das Ergebnis wurde am Podiumsgespräch vorgestellt und diskutiert. Die Organisatoren sind zuversichtlich, dass die Tagung den Anwesenden geholfen hat, in unserer krisengeschüttelten Gesellschaft ihren Platz besser zu finden.

Das Buch zur Tagung

Im Juni 2025 wird ein Buch mit den Referaten, Workshop-Präsentationen und den kollektiven Lösungsansätzen publiziert:
« Face aux désastres – Avec Jacques Ellul, penser la crise et choisir l’espérance.» («Das Desaster ist da – Mit Jacques Ellul Krise denken und Hoffnung wählen.»)
Verlag Editions Mennonites (Dossier «Christ seul»), 96 Seiten. Ab sofort sind Vorbestellungen möglich.

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Am 24. November 2024 stimmt die Schweiz unter dem Titel «einheitliche Finanzierung des Gesundheitswesens» (EFAS) über eine Änderung des Kranken­versicherungs­gesetzes ab. Einmal mehr erhofft man sich eine Dämpfung der Gesundheitskosten.

«Da liess Gott, der Herr, einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, so dass er einschlief.» 1
Als Adam die Augen aufschlug, sah er vor sich EFAS. EFAS war vollkommen und in ihrer Schönheit unübertrefflich.

Wenig später schlitterte der Beginn der Menschheit in die erste grosse Krise. Krankheit und Tod wurden initiiert. Und obwohl Adam und Eva seit längerem Geschichte sind, kämpfen wir heute in der Schweiz auch nach Jahrtausenden immer noch mit den Folgen dieses «Apfels». Unendlich viele Krankheiten und die Vermeidung von Tod prägen einen grossen Teil unseres Denkens. Die Hauptsorgen der Schweizerinnen und Schweizer waren 2023 die Gesundheit und die Prämien der Krankenkassen2 . Und die jährlich steigenden Prämien sind ein Abbild der steigenden Kosten, die im Gesundheitswesen der Schweiz generiert werden.

Seit Jahrzehnten wird verzweifelt nach den Ursachen dieses Kostenanstiegs gesucht.

Expertinnen, Politiker, Journalisten, ja, wir alle, kennen die Bösewichte: Einmal sind es die überteuerten Spitäler, dann die viel zu gut bezahlten Ärztinnen und Ärzte, dann die extrem teuren Medikamente und Implantate, ja, auch die Spitex und die Physio kosten einfach zu viel, nicht zu vergessen die horrenden Verwaltungskosten der Krankenversicherer. Ob diese Aussagen nun jeweils so im Detail stimmen oder nicht, Tatsache ist, dass bei jeder Diskussion, ob im privaten Rahmen, am Stammtisch oder in der «Arena», die Emotionen hoch schwappen.

Es ist nun nicht von der Hand zu weisen, dass die Kosten ansteigen. Es ist keine Kostenexplosion, sondern mehr oder weniger ein jährlich linearer Anstieg um rund 4%, wie die folgende Grafik zeigt:3

Und es sind nicht nur die Kosten, die steigen. Auch die Anzahl «konsumierter» Leistungen bewegt sich kontinuierlich nach oben, wie an den Balken in der Graphik ersichtlich ist.

Der Sorgenbarometer zeigt, dass unsere grösste Sorge die Gesundheit ist.

Einer Sorge und einem so grossen Problem begegnet man in der Regel, indem wir als Hauptverursacher etwas dagegen tun. Eine Schuldzuweisung an andere ist nun mal selten eine wirklich gute Lösung. Wie wäre es, wenn wir das Problem uns zu eigen machen und in dieser Angelegenheit anpacken und beispielsweise die Sache mit der Selbstverantwortung ernst nehmen? Sind wirklich nur die andern, wie oben ausgeführt, Schuld an dieser Misere im Gesundheitswesen? Schon Adam und Eva versuchten ihrem Schöpfer klarzumachen, dass nicht sie selber die Verantwortung tragen wollen. Bei Eva war die Schuldige die Schlange, bei Adam war es Eva.
So sollten wir selber die Sache in die Hand nehmen und mit einer positiven und konstruktiven Haltung und mutigen Vorgehensweise dem Lösungsansatz EFAS eine Chance geben.

Nach vielen Jahren des Ringens zwischen Kantonen, Krankenversicherern und den sogenannten Leistungserbringern ist nun endlich EFAS mit einem einheitlichen und klaren Verteilschlüssel für die ambulanten, stationären und pflegerischen Leistungen zu Stande gekommen. Die Gegner der Vorlage monieren, dass insbesondere mit dem Einbezug der Pflegeleistungen die Prämien für die Krankenkassen steigen werden. Das stimmt, die Prämien werden steigen. Wie wir wissen, steigen sie aber seit vielen Jahren und werden auch künftig steigen, mit oder ohne EFAS. Dies darf aber kein Grund sein, einem unsinnigen und schon zu lange dauernden Finanzierungs-Hickhack endlich mit EFAS eine gute valable Lösung gegenüberzustellen. Lösungsorientiert unterwegs sein heisst, für das nächste anstehende Problem eine neue Lösung zu suchen. Und nicht, aus Angst vor vielleicht möglichen Schäden stehen zu bleiben.

Auch die Bedenken, dass die Krankenkassen mit dem grösser werdenden Finanzierungsanteil mehr Macht erhalten werden, kann ich nachvollziehen. Aber auch hier gilt es, diese Herausforderung anzunehmen und zu überlegen, wie wir genau diesem Problem etwas Konstruktives entgegenstellen können.

Als Arzt bin ich persönlich zuversichtlich, dass wir unsere Selbstverantwortung mehr und mehr wahrnehmen und künftig aktiver für unsere persönliche Gesundheit und unser Gemeinwohl einstehen werden. Auch wenn EFAS nicht in jeder Hinsicht vollkommen und unübertrefflich ist, so lohnt es sich, verantwortungsvolle Schritte zu tun, indem wir als erstes ein klares JA für EFAS haben und als zweites jetzt die Turnschuhe anziehen und eine Runde laufen gehen ☺!

1. Genesis 2,21; Einheitsübersetzung 1980
2. CS-Sorgenbarometer 2023; https://www.credit-suisse.com/about-us/de/research-berichte/studien-publikationen/sorgenbarometer/download-center.html (Zugriff 20241101)
3. BAG Bundesamt für Gesundheit, Dashboard Krankenversicherung; https://dashboardkrankenversicherung.admin.ch/kostenmonitoring.html (Zugriff 20241101)


Foto von Jair Lázaro auf Unsplash