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Verunsicherung prägt unsere Zeit: Krisen, Unwägbarkeiten und Überforderung lassen uns oft ratlos zurück. Doch schon die biblischen Propheten mahnten, solche Momente als Aufruf zum Umdenken und Vertrauen auf Gottes Heilshandeln zu nutzen. Denn der Glaube bietet Halt und eine Perspektive, die über das Zeitliche und Sichtbare hinausgeht.

«Sind wir sicher?» So titelt der «Spiegel» seine Ausgabe 49/2024 auf knallrotem Untergrund zum 2. Advent.

Ja, die Verunsicherung in letzter Zeit liess den Zürcher Tagesanzeiger (TA 19.11.2024) die Fachpsychologin Sabina Pedroli fragen: «Was kann man tun, wenn man die Weltlage nicht mehr aushält?» Und sie antwortet: «Das Gefühl globaler Unsicherheit und Ungewissheit ist eine Folge nicht beeinflussbarer Stressoren. Unser Gehirn ist aber nicht dafür geschaffen, das ganze Leid dieser Welt in Echtzeit wahrzunehmen und zu verarbeiten.»

Wir stecken offensichtlich in einem unauflösbaren Dilemma fest: Wir können uns nicht mehr gegen diese Verunsicherung versichern. Uns, die wir gegen alle möglichen Schadensfälle versichert sind, verunsichert das zutiefst.

Es geschieht nichts Neues unter der Sonne (Prediger 1,9-10)

Seit Beginn der Menschheitsgeschichte waren die Lebensbedingungen auf unserer Erde «jenseits von Eden» nie sicher. Bedrohungen und Gefahren durch Natur und Mensch erfahren alle Völker und Kulturen bis heute. Quelle der Verunsicherung und Angst ist die Fragilität und Vergänglichkeit allen Lebens. Die gesamte Kreatur stöhnt und ächzt unter diesem Verdikt. Wir Menschen nehmen das als einzige Wesen bewusst wahr. Wir leiden mit Leib, Seele und Geist an dem Gefühl, Schicksal spielenden Mächten und Gewalten unberechenbar ausgeliefert zu sein. Wir sind verunsichert, weil es kein Denksystem, kein Naturgesetz, keine Gesetzmässigkeit und keine Wahrscheinlichkeitsrechnung gibt, an denen sich ablesen liesse, wen es wann und wo und wie trifft.

Diese Unberechenbarkeit und Zufälligkeit, ja dieser Kontrollverlust machen oft ratlos. Wenn ein Unfall, der Tod oder sonst ein Schicksal in junge Familien einschlägt, verstört das zutiefst. Warum sterben wir eigentlich nicht altersgerecht schön der Reihe nach?

Keine Antwort, dafür bleierne Unsicherheit. Gegen viele Risiken können wir uns versichern, um den Fall ins Bodenlose wenigstens materiell abzufangen. Aber die Gefühle der Unsicherheit, Verlustangst und Zukunftssorge – sie bleiben.

Die nachmoderne Verunsicherung – doch etwas Neues?

Aktuell steigert sich unsere verunsicherte, verstörte und ängstlich sich sorgende Gesellschaft immer mehr in den Modus der Empörung und Aggression hinein. In diesem Modus kann Demokratie nicht mehr funktionieren. Emotionen ersetzen Argumente. Immer öfter wird ein undifferenzierter Widerstand provokant gegen «das politische System» in Szene gesetzt, das angeblich «an allem» schuld sei.

Ja, es stimmt: Wir haben eine Energiekrise, eine Klimakrise, eine Schuldenkrise und über 50 kriegerische Auseinandersetzungen. Die Hiobsbotschaften führen zu einem kollektiven Verlust an Lebensqualität. Dank medialer Vernetzung erleben wir in Echtzeit mit, was unser Gehirn nicht mehr packt! Deshalb haben wir nun auch noch eine Demokratiekrise!

Die unterschiedlichen Gründe all dieser Krisen zeugen von einer Störung des Menschen im Umgang mit sich, mit anderen und mit seiner Umwelt. Diese Störung ist nicht neu. Im AT lesen wir von Propheten, die unablässig verkehrte, gott-lose Lebensprinzipien aufgedeckt, gebrandmarkt und deren unausweichliche Negativfolgen angekündigt haben: Eine Gesellschaft würde zerfallen und sich schaden, wenn sie in ihrer masslosen Hab-, Geld- und Machtgier Ungerechtigkeit, Korruption und Ausbeutung toleriert, pseudoreligiös legalisiert und juristisch reinwäscht. Und wenn sich dann im Kulturverfall Verunsicherung, Angst und Furcht einstellen, seien das die logischen Folgen eigener Schuld. Die Propheten (z. B. Jesaja 2–3) deuten diese Schreckensmomente sogar als Gericht Gottes. Es soll verunsichern, um dadurch ein Aufwachen und Umdenken zu provozieren!

Das unauflösbare Dilemma der Nachmoderne

Seit Jahren lese ich im Buch «Apokalypse jetzt. Vom Schweigen der Theologie im Angesicht der Endzeit». Der Theologe, Philosoph und Journalist Gregor Taxacher bedauert angesichts «himmelschreiender Sünden der Ungerechtigkeiten» den Mangel an Propheten zutiefst und will die Kirchen zu einem «geistes-gegenwärtigen prophetischen Einsatz» motivieren (Kap. 5). Er reflektiert den katastrophalen Zustand unserer Welt im Horizont biblischer Prophetie und Eschatologie und postuliert: Die Gegenwart – inzwischen als Anthropozän und «permanente Endzeit» etikettiert – braucht dringend eine vertiefte theologische Qualifikation.

Immerhin weisen seit fünf Jahrzehnten unzählige Fachleute verschiedenster Wissenschaften hin auf die Fortschrittslüge «Wachstum bringt Wohlstand», auf die Grenzen des Wachstums und auf die Notwendigkeit, das bisherige Wachstum zu begrenzen. Sie charakterisieren die Neuzeit als «permanente Endzeit» mit apokalyptischem Charakter. Das meinen sie nicht nur prognostisch, sondern wirklich grundsätzlich unumkehrbar, weil niemand weiss, wie eine tiefgreifende Abkehr vom Wachstumswahn der Moderne geschehen kann!

Deshalb fragen sich viele resigniert: Lohnt sich überhaupt noch der Einsatz für eine lebenswerte Zukunft? Wenn z. B. trotz aller ökologischer und soziologischer Verwerfungen Konferenzergebnisse oft nur halbherzig zu Absichtserklärungen weichgespült und in der Umsetzung abgeschwächt werden? Der Mensch erweist sich mit seiner ungebremst wachsenden Konsumlust als grösster Risikofaktor!

Prophetische Klarheit statt banal-fromme Hoffnungseuphorie

Die Skepsis nimmt rasant zu. Im Blick auf die Zukunft wanken jetzt nicht nur alle irdischen Hoffnungen, auch die christliche Hoffnung steht auf dem Prüfstand. Zu Recht, wenn man nur Sätze wie «Gott ist gut und deshalb wird schon alles wieder gut» zu hören bekommt. Solche banal-zynisch fromme Euphorie ist tatsächlich schädliches «Opium für das Volk».

Es stellt sich vielmehr unerbittlich die Frage: Gibt es überhaupt noch Hoffnung, wenn alle Sicherheiten brechen, Grenzwerte überschritten sind und unser Globus schon gefährlich taumelt? Ist inzwischen jede Hoffnung illusionär, utopisch und realitätsfremd?

Die Erfahrungen des 20. und bisherigen 21. Jahrhunderts belegen unmissverständlich: Der Fortschrittsglaube der Aufklärung kann keine Hoffnung mehr geben. Sich ohne Gott allein auf die menschliche Vernunft zu verlassen, hat sich nicht bewährt.

Der Zauberlehrling hat recht, den J. W. von Goethe in entsetzlich steigender Wasserflut zum von ihm ignorierten Meister rufen lässt: «Herr, die Not ist gross. Die ICH rief, die Geister, werde ICH nun nicht mehr los!»

Jahrzehnte später lässt F. W. Nietzsche den «Tollen Menschen» in bestürzend prophetischer Klarheit sagen, was den Menschen übrigbleibt, nachdem sie Gott getötet und den Horizont weggewischt haben: «Ist nicht die Grösse dieser Tat zu gross für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden?»

Wenn der Horizont der Ewigkeit weggewischt ist, entwirft diese Autonomie ohne Gott inhumane Ideologien. Die Überforderung, Gott zu spielen, vernichtet dann jegliche Verantwortung. Der Holocaust und die ersten Atombomben markieren den Beginn einer nachmodernen Verunsicherung: Der Vernunft entgleitet die Kontrolle über das von ihr Gewollte und Erreichte.

Insofern ist unsere Verunsicherung in sich paradox: Wissenschaftlich-technologisch wurde ein Standard erreicht, der beeindruckt und von dem wir alle gerne profitieren. Jetzt lässt uns die Digitalisierung zur globalen Familie werden, wir bereiten Mond- und Marsbesiedelungen vor und mit Künstlicher Intelligenz erreichen wir neue Horizonte – doch wozu denn eigentlich? Wozu, wenn wir zeitgleich die Welt so zurichten, dass sie einem sozial-ökonomischen und ökologischen Kollaps entgegenwankt? Und zeitgleich nehmen Ratlosigkeit, Überforderung, Ohnmacht und Wut zu. Eine globale Verantwortungsgemeinschaft ist nicht in Sicht!

Jetzt muss die biblische Theologie der Hoffnung (Eschatologie) in prophetischer Klarheit wieder neu sagen, was sie immer schon gesagt hat: GOTT markiert in Jesus Christus den Widerspruch gegen die Sünde des Menschen und den Tod. Eine umfassende Heilszukunft hat begonnen. Seine Liebe ist die neue Kraft, die alle Masslosigkeit vernichtet und Heil schafft.

Gerade die Kirchen könnten so die allgemeine, globale und regionale sowie die persönlich-private Verunsicherung seelsorgerlich begleiten und unsere Zeit eschatologisch einordnen.

Verunsicherung betrifft uns alle

Die Welt ist zerbrechlich, die Schöpfung leidet und der Mensch ist oft des Menschen Wolf. Die Bibel redet das nicht schön.

Viele Psalmen und persönliche Bekenntnisse alttestamentlicher Propheten schildern die Achterbahn der Gefühle und Empfindungen, den grübelnden Zweifel und die deprimierende Hoffnungslosigkeit, die Anfechtungen von innen und aussen sowie das Ausgeliefertsein an schlimme Umstände und traurige Zustände.

Auch Jesus hat dieses Verunsichert- und Getrennt-Sein von Gott als Passion erlebt. Mühsal und Trübsal sind bittere Realitäten menschlicher Existenz. Sie begleiten auch die Jesus nachfolgenden Kirchen und Gemeinden zunehmend in einer Weltgeschichte, die trotz weltweiter Evangelisation, Mission und Ausdehnung christlichen Lebens durch des Menschen Selbstbezogenheit dramatisch enden wird.

Prophetisch klare Sicht auf die Realität

Die durch den Menschen schuldhaft verursachten Zerstörungen an Gottes Schöpfung nehmen zu. Gericht ereignet sich in Gottes Abwesenheit, wo er den Menschen seine Freiheit ausleben lässt.

Diese Zusammenhänge zeigt Jesus in seinen «Endzeitreden» (Matthäus 24,1–36; Markus 13,1–32; Lukas 21,5–36) und seine Apostel in ihren Briefen und Sendschreiben auf. Es gilt also, die «Zeichen der Zeit» zu beobachten und sie permanent theologisch zu qualifizieren. Denn dadurch gewinnen wir eine spannungsvolle Perspektive auf das Kommen des Reiches Gottes, Hoffnung auf die nahende Erlösung, einen hoffnungsvollen Lebensstil «in Freiheit von der Welt und in Erwartung der Neuen Welt» (1. Korinther 7,29ff).

Weil das österliche Heilsdatum den Blick auf den auferstandenen Christus lenkt, kann ich in allen Verunsicherungen «meine ganze Gegenwart annehmen und Freude nicht nur in der Freude, sondern auch im Leide, Glück nicht nur im Glück, sondern auch im Schmerz finden. So geht diese Hoffnung durch Glück und Schmerz hindurch, weil sie Zukunft auch für das Vergehende, Sterbende und Tote an den Verheissungen Gottes erblicken kann.» (Jürgen Moltmann, Theologie der Hoffnung, 27).

Nüchternheit in einer unsicheren Übergangszeit

Im NT finden wir eine heilsgeschichtliche Einordnung dessen, dass es in der gegenwärtigen Welt keine Sicherheit gibt. Persönliche Krisen, politische Verwerfungen und irrende Ratlosigkeit gehören zu dieser Übergangszeit. Paulus fragt einmal: «Wo sind denn die Weisen und die Klugen dieser Welt? Hat nicht Gott selbst die Weisheit dieser Welt als Torheit entlarvt und uns in Christus die wahre Weisheit und Gerechtigkeit geschenkt?» (1. Korinther 1,20.30) Seit Ostern leben wir in einer Übergangszeit. Es gilt das «Es ist schon vollbracht» ebenso wie das «Es ist noch nicht erschienen, was sein wird». Die Utopie einer sicheren schönen Welt mögen wir als Sehnsucht träumen! Aber der Heilige Geist kann diese menschlich so verständliche Sehnsucht in Vertrauen, Liebe und Hoffnung verwandeln.

Deshalb gilt es, allen Utopien pseudomessianischer Autokraten – Jesus nennt sie falsche Propheten (Matthäus 24,11) – zu widerstehen anstatt sie zu wählen, damit sich die Dramatik des 20. Jahrhunderts nicht wiederholt.

Christliche Hoffnung bleibt nüchtern, weil sie um den vorletzten Charakter der Jetztzeit weiss: «Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker. Aber über dir strahlt Gott der Herr auf als Licht und seine Herrlichkeit erscheint über dir.» (Jesaja 60,1-2)

In dieser aktiven Hoffnungsperspektive erfährt die Gemeinde Jesu hier und da, je und dann den Frieden Gottes wie das «Auge im Sturm». Deswegen verfällt sie nicht in fatalistischer Resignation der Weltflucht, sondern folgt der Aufforderung Jesus: «Handelt, bis ich wiederkomme!» (Lukas 19,13) So entwickelt sich unaufhaltsam seit Pfingsten das Reich Gottes in dieser Übergangszeit, die Jesus mit den Geburtswehen am Ende einer schwierigen Schwangerschaft vergleicht.

Hoffnungsvolle Gewissheit

Zu Beginn habe ich Sabina Pedroli erwähnt mit ihrer Feststellung, unser Gehirn sei nicht dafür geschaffen, das ganze Leid dieser Welt – also die schweren Geburtswehen – zu verarbeiten. Um trotzdem zu überleben, empfiehlt sie eine moderate Medienverweigerung sowie Auszeiten zur Selbstfürsorge und Selbsterhaltung.

Ergänzend möchte ich noch auf das Raum- und Zeitkonzept jüdischen und christlichen Glaubens hinweisen: «Meine Zeit steht in Gottes Händen. Du stellst meine Füsse auf weiten Raum. Deshalb befehle ich meinen ängstlich aufgeregten Geist und meine angefochtene matt gewordene Seele in Deine Hände. Denn du hast mich erlöst, Herr, mein treuer Gott.» Dieser Psalm 31 zeigt uns den sicheren Ort inmitten aller Verunsicherung: Geborgenheit im dreifaltigen Gott und in seiner Heilsgeschichte. Glaube heisst: Meine Biografie einbinden lassen in den ewigen Bund, den Gott in Jesus Christus anbietet: «Ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein» – auch wenn es bedrängend wird.

Wer diesen Anruf und Zuruf aus Jesaja 43,1+2 für sich hört, lebt in einer das irdisch Unsichere, Dunkle und Finstere überwindenden Dimension.

Dieser Artikel erschien erstmals in der Zeitschrift «meinTDS» und auf der Website www.tdsaarau.ch

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Vor 12 Jahren gab ChristNet das Buch «Die Schweiz, Gott und das Geld» heraus. Es thematisierte den problematischen Umgang der Schweiz mit Geld und stellte viele gesellschaftliche und politische Missstände in den Fokus. Wo stehen wir heute?

Die Autorinnen und Autoren des Buches beschrieben die Schweiz als ein Land, dessen Geldpolitik und Wirtschaftspraktiken weltweit einen fragwürdigen Ruf geniessen. Die Liste der problematischen Aspekte war schon damals lang: Steuerflucht, illegale Geldströme und Steuerprivilegien für Reiche. Ein prominentes Beispiel ist bis heute die Praxis, dass Banken Steuergelder ausländischer Potentaten und korrupter Regime verwalten, ohne ernsthafte Konsequenzen fürchten zu müssen. Auch die Steuervermeidung durch Unternehmen und das Steuerdumping zugunsten ausländischer Konzerne, die Menschenrechte im Ausland verletzen, bleiben ein ungelöstes Problem. Im Buch wird betont, dass auch viele Christen in der Schweiz diesem Verhalten gegenüber entweder ohnmächtig oder indifferent seien.

Der schweizerische «Krämergeist»

Eine Episode, die das zynische Wirtschaftsdenken der Schweiz widerspiegelt, ist die Aussage des Direktors der International Chamber of Commerce (ICCC), vor Jahren bei einer Tagung: «Die Schweiz hat einen Krämergeist». Er beschrieb damit treffend eine bis heute dominierende Mentalität. Ein Beispiel aus der Berner Oberländer Gemeinde Wengen verdeutlicht diese Haltung: Der Gemeindepräsident unterstützt den Bau eines Luxushotels, da er überzeugt ist, dass nur solche Projekte Menschen anziehen würden, die viel Geld mitbringen werden. Diese Sichtweise auf wirtschaftliche Entwicklung und Wohlstand zeigt, wie stark das Streben nach finanziellen Vorteilen in vielen Bereichen der Gesellschaft verankert ist.

Korruption und die Schattenseiten der Finanzwelt

Ein weiteres zentrales Thema ist bis heute die Unfähigkeit der Schweiz, gegen Geldwäsche und illegale Finanzpraktiken wirksam vorzugehen. Zwar gibt es Gesetze wie das Geldwäschereigesetz, doch gerade die Rechtsanwälte wurden bei der Umsetzung weitgehend verschont. Zudem sind die sogenannten «Clans», die illegale Gelder verschieben, ein zunehmendes Problem. Der schon fast verzweifelte Ruf des Bundesanwalts nach mehr Polizei und strengeren Kontrollen findet kaum Widerhall in der Sicherheitskommission des Bundes.

Oder ein weiteres aktuelles Beispiel: Die Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) zum Fall der ehemaligen Grossbank «Credit Suisse» hat kürzlich aufgezeigt, dass der Umgang mit den Banken und deren Fehlverhalten lange Zeit zu lasch war – obwohl frühzeitig Alarmsignale vorlagen. Dies spiegelt ein grundlegendes Problem wider: Das Streben nach Gewinn und Macht geht oft zu Lasten von ethischen Standards und öffentlichem Wohl.

Politische Missstände und die Macht des Geldes

Organisationen wie die «Erklärung von Bern» – heute: «Public Eye» – und die «Swiss Social Watch» haben wiederholt auf die problematischen Praktiken hingewiesen, bei denen Parteien grosse Spenden von wohlhabenden Einzelpersonen oder Unternehmen erhalten, ohne dass diese ausreichend transparent gemacht werden. Diese Organisationen fordern strengere Regeln und eine echte Kontrolle der Wahlkampfspenden. Zwar gibt es mittlerweile Regeln, dass grosse Spenden bei Wahlkämpfen offengelegt werden müssen; doch die Kontrollbehörde, die diese Geldflüsse überwachen soll, wird bewusst schlank gehalten. Das Geld dürfte somit weiterhin grossen und intransparenten Einfluss auf politische Entscheidungen haben.

Eine besonders auffällige Haltung der Schweizer Gesellschaft gegenüber dem Geld ist die weit verbreitete Vorstellung, dass Ausgaben als «Verlust» betrachtet werden und nicht berücksichtigt wird, dass auf der anderen Seite Einnahmen und Investitionen wirtschaftliches Wachstum und Existenzen fördern. Die Frage «Was kostet das?» wird bei vielen gesellschaftlichen Ideen zu einem zentralen Hemmschuh. Investitionen in das Gemeinwohl oder in eine nachhaltige Zukunft werden dabei häufig nicht ausreichend gewichtet. Diese Sichtweise führt zu einer weiteren Verengung des Blicks auf Wohlstand, bei dem nur das Sichtbare und unmittelbar Einträgliche als wertvoll erachtet wird.

Schulden und Spekulation: Ein gespaltenes Verhältnis zum Geld

In der Schweiz ist es nahezu eine gesellschaftliche Schande, Schulden zu machen. Das Bild von Schulden als moralischem Versagen prägt das Denken der Bevölkerung. Das geltende System zur Entschuldung ist jedoch oft so schwierig, dass viele Menschen in der Falle von Schulden gefangen bleiben, ohne eine echte Chance auf Befreiung. Ein Gesetz, das die Schuldentilgung für Private ermöglicht, gibt es in der Schweiz bislang nicht.

Im Gegensatz dazu erscheint Spekulation auf den Finanzmärkten – das Umverlagern von Geld ohne reale Wertschöpfung – unproblematisch. In der Schweiz herrscht die weit verbreitete Illusion, dass Geld ohne Schaden für andere unbegrenzt vermehrt werden könne. Börsentipps sind populär, und es wird suggeriert, jeder könne nur gewinnen.

Die Kirche und das Geld: Ein ambivalentes Verhältnis

Das Verhältnis der Kirchen zum Geld ist ebenfalls einseitig. In vielen Kirchenreformen der letzten Jahre dominierte unterschwellig der Umgang mit den sinkenden Steuereinnahmen. Die Frage, wie die Kirche ihre finanziellen Ressourcen verwalten und erhalten kann, wird intensiv diskutiert – die Gewinnung von Seelen hingegen nicht.

In einem Beitrag weist die NZZ vom 14. Januar 2025 darauf hin, dass die Missionierung und der persönliche Glaube heute oft von finanziellen Überlegungen überschattet werde. Wichtiger als die spirituelle Ausrichtung sei in vielen Fällen die Frage, wie die Kirche ihre finanzielle Stabilität sichern könne. Die Frage bleibt: Warum wird nicht mehr Energie in die geistliche Erneuerung und die Verbreitung des Glaubens gesteckt, statt in die finanzielle Existenzsicherung?

Der Einfluss von Vermögen auf die gesellschaftliche Stellung und Macht

In einer Gesellschaft, in der das Vermögen so stark mit der gesellschaftlichen Stellung und Macht verknüpft ist, stellt sich die Frage, wie viel Einfluss materieller Wohlstand auf politische und soziale Entscheidungen haben sollte. Kann und will die Politik hier einen Ausgleich schaffen?

Die Antwort darauf ist in der Schweiz oft unklar. Zwar gibt es einige Bestrebungen, Ungleichheit zu bekämpfen und den Wohlstand gerechter zu verteilen, doch der Widerstand gegen entsprechende Massnahmen bleibt stark. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Schweiz in Zukunft zu einer gerechteren und ethischeren Verteilung von Ressourcen positionieren wird.

Ein ethischer Kompass für Christen

Abschliessend stellt sich die Frage, wie sich Christen in der Schweiz zu all diesen Themen verhalten sollen. Sollten sie sich weiterhin mit den gesellschaftlichen Normen und den vorherrschenden Wirtschaftsmodellen arrangieren oder einen alternativen Weg einschlagen, der stärker auf Gerechtigkeit sowie soziale und ökologische Verantwortung setzt? Die Bibel fordert die Gläubigen zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Geld und Reichtum auf.

Der Weg der Christen sollte daher auch darin bestehen, für ein gerechteres Wirtschaftssystem einzutreten, das nicht nur den Wohlstand der Reichen sichert, sondern auch den Ärmsten zugutekommt.

Es bleibt zu hoffen, dass die Schweiz und ihre Bürger, besonders in christlichen Kreisen, sich verstärkt der ethischen Frage stellen, wie Wohlstand geschaffen und verteilt werden sollte – und dass der Umgang mit Geld nicht länger als ein Selbstzweck angesehen wird, sondern als Mittel, das Wohl aller zu fördern. Aktuell zum Beispiel mit der Initiative zur Schöpfungsverantwortung, die im Abstimmungskampf typischerweise von kurzfristigen wirtschaftlichen Argumenten bekämpft wird. Hier gilt es, ein Gegenzeichen zu setzen.


Dieser Artikel erschien zuerst auf INSIST.

Foto von Claudio Schwarz auf Unsplash

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Die Koalition «Christ:innen für Klimaschutz» ruft auf, Verantwortung für die Schöpfung zu übernehmen und am 9. Februar die Umwelt­ver­antwortungs­initiative, über die die Schweiz am 9. Februar 2025 abstimmt, anzunehmen. ChristNet ist Teil der Koalition und unterstützt ihre Argumentation.

Die Initiative «Für eine verantwortungsvolle Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen»1 setzt sich zum Ziel, die Umweltbelastung der Schweiz innerhalb von zehn Jahren so zu reduzieren, dass die Belastbarkeitsgrenzen unserer Erde eingehalten werden.

Die Koalition «Christ:innen für Klimaschutz» bedauert, dass der Bundesrat die Initiative zur Ablehnung empfiehlt und keinen Gegenvorschlag vorlegt, obwohl Nachhaltigkeit durch Artikel 73 in der Bundesverfassung explizit gefordert wird. «Christ:innen für Klimaschutz» unterstützt politische Vorstösse wie die Umweltverantwortungsinitiative, die die Bewahrung der Schöpfung und die Schweizer Verfassung gleichermassen ernst nehmen.

Die bisher von der Schweiz umgesetzten Massnahmen reichen nicht aus, um die Umweltbelastung auf ein planetenverträgliches Mass zu reduzieren. Deswegen braucht es klare Ziele, Fortschrittsmessung und Fristen zur Senkung der Umweltbelastung. Die Initiative macht den Weg frei für einen Paradigmenwechsel und basiert auf wissenschaftlichen Empfehlungen für eine nachhaltige Zukunft: Die planetaren Grenzen sollen innerhalb von zehn Jahren von der Schweiz eingehalten werden. Die Einhaltung dieser Grenzen in der Verfassung mit einer Frist zu verankern, entspricht einer konkreten Schöpfungsverantwortung aus christlicher Perspektive.

Sechs von neun planetaren Grenzen überschritten

Die Umweltverantwortungsinitiative orientiert sich am Konzept der planetaren Grenzen, das 2009 von einem Forschungsteam des Stockholm Resilience Center unter der Leitung von Johan Rockström entwickelt wurde. Als planetare Grenzen werden die ökologischen Belastungsgrenzen der Erde bezeichnet. Die Überschreitung dieser Grenzen zieht unumkehrbare Veränderungen im Ökosystem nach sich. Derzeit haben wir einige dieser Grenzen bereits überschritten. Das gefährdet die Stabilität des Ökosystems und die Lebensgrundlagen der Menschheit.

Sechs von neun planetaren Grenzen sind bereits überschritten: Klimawandel, Artenvielfalt, Stickstoff- und Phosphor-Kreislauf, Süsswasser, Landnutzung und neuartige Substanzen wie z. B. Plastik. Die Umweltverantwortungsinitiative fordert, dass die Schweiz nur so viele Ressourcen nutzt, dass die planetaren Grenzen eingehalten werden. Mit ihrem hohen Konsumniveau gehört die Schweiz zu den Ländern mit überdurchschnittlicher Umweltbelastung.

Die Grenzen der Schöpfung respektieren

Für Christ:innen ergibt sich eine besondere Verantwortung, die Schöpfung zu bewahren. Die Übernutzung natürlicher Ressourcen und die Zerstörung der Umwelt stehen im Widerspruch zu dieser Aufgabe und zu der Verantwortung, die wir gegenüber künftigen Generationen und unseren Mitmenschen haben. Der christliche Glaube ruft dazu auf, nicht nach kurzfristigem Profit auf Kosten der Schöpfung zu streben, sondern nach Gerechtigkeit, Solidarität und dem Wohl aller. Ein Wirtschaftssystem, das auf Nachhaltigkeit, Gemeinwohl und Respekt vor der Schöpfung basiert, ist nicht nur ökologisch notwendig, sondern entspricht auch den zentralen Werten einer christlichen Ethik.

Der Verfassung verpflichtet

Die Umweltverantwortungsinitiative ebnet einem grundlegenden und nachhaltigen Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft den Weg. Dieser Nachhaltigkeit hat sich die Schweiz auf höchster politischer Ebene verpflichtet.

Im Jahr 1999 wurde der Artikel 73 «Nachhaltigkeit» in die Bundesverfassung aufgenommen. Damit setzte sich die Schweiz das Ziel, ein dauerhaft ausgewogenes Verhältnis zwischen der Natur und ihrer Erneuerungsfähigkeit auf der einen Seite sowie ihrer Nutzung durch den Menschen auf der anderen Seite zu erreichen.

Umso unverständlicher ist für die Koalition «Christ:innen für Klimaschutz» die Entscheidung von Bundesrat und Parlament, die Initiative zur Ablehnung zu empfehlen und weder einen direkten noch einen indirekten Gegenvorschlag vorzulegen.

Christliche Organisationen sind gefordert

Durch die Klima- und Umweltkrise sind Kirchen und christliche Organisationen gefordert, Stellung zu beziehen und sich für Gerechtigkeit, Nächstenliebe und ein gutes und gelingendes Leben für alle Lebewesen einzusetzen. In einer globalisierten Welt hängen die Schicksale von Menschen in verschiedenen Teilen der Erde zusammen. Die Verantwortung für den Planeten und seine Grenzen wahrzunehmen, ist für Christinnen und Christen Teil ihrer Glaubensverantwortung.

1. UVI

Quelle: Medienmitteilung «Christ:innen für Klimaschutz»

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Das ChristNet-Forum vom vergangenen Samstag unter dem Thema «Demokratie – gefährdet oder gefährlich?» zeigte auf, dass erste Anzeichen dieser Staatsform durchaus im Neuen Testament ausgemacht werden können.

Bei der Begrüssung wies ChristNet-Präsident Markus Meury auf die Dringlichkeit des Themas hin. Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten viele Staaten ihre demokratischen Strukturen ausgebaut. Heute zeige der Demokratieindex, der von der britischen Zeitschrift The Economist jährlich berechnet wird, in allen Regionen der Welt nach unten. Die Schweizer Demokratie werde zwar wegen ihrer direktdemokratischen Instrumente als vorbildlich wahrgenommen, sei aber ebenfalls vor Angriffen nicht gefeit.

So käme es immer wieder vor, dass sich Parlamente auf Kantons- und Bundesebene weigerten, vom Volk angenommene Initiativen auch wirklich umzusetzen. Ein Beispiel seien die F-35-Jagdflugzeuge, die die Bundesversammlung «wegen der zunehmenden Bedrohung durch Russland» bestellt hat, obwohl eine Initiative dagegen hängig ist.

Jesus trat für «innere Theokratie ein»

Simon Grebasch, evangelisch-reformierter Pfarrer in Münsingen und ehemaliger Präsident der EVP Kanton Freiburg, setzte sich mit den Herrschaftsformen in der Bibel auseinander. Jesus habe keine bestimmte Staatsform unterstützt, sondern das Reich Gottes realisieren wollen mit dem Ethos der Liebe und Gottes guter Geistkraft im Herzen als Zentrum. Das komme einer Art «innerer Theokratie» (griech. Theos, kratos = Gott herrscht) gleich – mit Auswirkungen auf die äussere Lebensführung. Die Herrschaftsform im künftigen Reich Gottes, die auch äusserlich gemeint sei, könne als «demokratische Theokratie» gesehen werden: «Wo der Gott von Jesus Christus regiert, da sind auch Freiheit und Mitbestimmung garantiert. Man liegt also falsch, wenn man sich eine Theokratie bloss autokratisch vorstellt. In der Bibel ist das nicht der Fall», betonte Grebasch. Auch die Jesus-Nachfolge selbst sei ja freiwillig.

Was hat Demokratie mit dem christlichen Glauben zu tun?

Das Miteinander der ersten Christen sei «aussergewöhnlich partizipativ, egalitär und sozial» gewesen. Dabei wäre die «Koinonia» wichtig gewesen – die Gemeinschaft als Teilhabe und Teilnahme. Die kirchliche Selbstbezeichnung «Ekklesia» hätte auf die politische Volksversammlung im alten Griechenland verwiesen. Das Bild vom Leib Christi und das Wirken des Geistes in allen Gliedern – auch in den Frauen, Sklaven und Kindern – sei revolutionär demokratisch gewesen. Auch die Dreieinigkeit Gottes könne als «in der Gottheit selbst inhärentes demokratisches Prinzip verstanden werden», schloss Grebasch seine Überlegungen ab.

Josef (Jo) Lang, ehemaliger Zuger Nationalrat und Verfasser des Buches «Demokratie in der Schweiz», unterstrich die Direkte Demokratie als Stärke der Schweiz. Das Recht, eine Initiative oder ein Referendum zu ergreifen, werde in Zukunft noch wichtiger werden, was auch dasvergangene Jahr eindrücklich aufgezeigt habe.

Konkrete Fragen gegen MAGA-Slogans

Während der US-amerikanische Wahlkampf vom ideologischen Schlagwort «Make America Great Again» (MAGA) geprägt gewesen sei, «ging es bei den letztjährigen Urnengängen in der Schweiz um konkrete Fragen wie Sozial- und Krankenversicherung, Mietrecht oder Klima- und Landschaftsschutz». In der Direkten Demokratie seien Politiker und Politikerinnen gezwungen, Fragen zu konkretisieren, während in den USA ein Vertreter des Grosskapitals mit einem nationalistischen Slogan die Mehrheit der Arbeiterklasse habe hinter sich bringen können.

Lang zeigte anhand der Abstimmungen zur Gleichberechtigung der Juden und zum Frauenstimmrecht auf, dass die Schweiz seit den ersten Volksabstimmungen nach der Gründung des Bundesstaates bis heute dreigeteilt sei in die progressive Romandie, die urbane Deutschschweiz und die ländliche Deutschschweiz und plädierte in diesem Zusammenhang für die Abschaffung des Ständemehrs. Dieses ermögliche es, die die Mehrheiten in der Romandie durch die konservative Innerschweiz auszubremsen, ein Phänomen, das unter anderem zur Ablehnung der Konzernverantwortungsinitiative geführt hat.

Die aktuell grösste Gefahr drohe „der Schweizer Demokratie bei einem Versagen in der Klimafrage“. Der Klimawandel werde nicht nur ein Chaos in der Natur auslösen. Wenn es nicht gelinge, Mehrheiten für klimapoltische Massnahmen zu finden, sehe es düster aus.

Meinungsvielfalt nicht immer gewährleistet

Markus Dütschler, langjähriger Lokalredaktor der Berner Tageszeitung «Der Bund» und heutiger Co-Leiter des Kommunikationsdienstes der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn, kritisierte, dass in den aktuelle (Bezahl-)Medien die Meinungsvielfalt nicht immer gewährleistet sei. Eine Befragung von Journalistinnen und Journalisten durch das Institut für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW zeige, dass das Personal auf den Redaktionen nicht sehr divers zusammengesetzt sei. Es sei daher auch kein Wunder, dass gewisse Themen sehr breit und andere überhaupt nicht transportiert würden. So interessierten sich Journalisten oft nicht für religiöse Themen und deren Botschaft, weil die meisten von ihnen einen konfessionslosen Hintergrund hätten. Zudem würden zu gewissen Themen immer wieder die gleichen Experten befragt.

Im Internet hingegen kämen Leute zu Wort, die bislang nicht gehört worden seien, was nicht nur schlecht sei. Durch die neuen Medien könne unter Umständen die „Schweigespirale“ durchbrochen werden, die auf einer Theorie fusst, die in den 70er-Jahren von Elisabeth Noelle-Neumann formuliert wurde: Menschen sind gehemmt, sich öffentlich zu ihrer Meinung zu bekennen, wenn sie davon ausgehen, dass diese von der vorherrschenden abweicht, was für die Meinungsvielfalt in einer Demokratie eine Gefahr darstellen könne.

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Ein erfolgreiches Gelingen der angestrebten Energiewende beruht gemäss der Schweizerischen Energie Stiftung (SES) auf drei Säulen: Erneuerbare Energien, Energie-Effizienz und Energie-Suffizienz.

Während erneuerbare Energien seit 40 Jahren im Gespräch und seit 20 Jahren als Teil der Lösung breit anerkannt sind und eingesetzt werden, gewinnt eine Verbesserung der Energie-Effizienz primär im Zusammenhang mit den neuerlichen Energiepreissteigerungen an Bedeutung, ist also kostengetrieben. Demgegenüber hat die Energie-Suffizienz in der öffentlichen Diskussion immer noch einen schweren Stand.

Offenbar wirkt das Wort «Suffizienz» abstossend. Gemäss Duden heisst es «ausreichend, genügend», es riecht aber nach Einschränkung oder Verlust. Und dies ist anscheinend mit der immer noch verbreiteten wirtschaftlichen Forderung eines notwendigen steten Wachstums unvereinbar. Auch in der Bevölkerung löst dieses Wort Ängste aus: Man befürchtet Einschränkungen beim Konsumieren oder fürchtet sich vor einer ungewissen Zukunft.

Das ist für den Bundesrat Grund genug, eine Politik zu verfolgen, die Energie zu jeder Zeit und in jeder Menge uneingeschränkt verfügbar halten will. Deshalb will er auch das bestehende Bauverbot für neue Kernkraftwerke aufheben. Und dies unter Beifall weiter Kreise der Bevölkerung!

Warum wir nicht mit weniger auskommen

Der unbedingte Wille, Energie uneingeschränkt verfügbar zu haben, zeichnet meines Erachtens ein bedenkliches Bild vom Zustand unserer Gesellschaft. Es scheint verbreitet akzeptiert zu sein, dass wir in der Schweiz weit über unsere Verhältnisse leben und bedenkenlos von Energie-Importen aller Art abhängen.

Dank unserer Kaufkraft beschaffen wir uns rund um den Erdball, was wir zu benötigen glauben. Das kommt uns billiger, als unsere eigenen natürlichen Ressourcen zu nutzen und entsprechende Infrastrukturen zu errichten. Wir betreiben damit aber modernen Kolonialismus und entziehen den wirtschaftlich schwächeren Ländern ihre Ressourcen – und das zu Spottpreisen. Das Ergebnis ist klar: Die Reichen werden reicher – die Armen werden ärmer! Solches Wirtschaften widerspricht zutiefst dem christlichen Verständnis von der Teilhabe aller am Wohlstand! Ein aktuelles Beispiel dafür sind die Diskussionen um den Lithium-Abbau in Serbien.

Der Energieverbrauch einer Gesellschaft hängt direkt mit der allgemeinen und persönlichen Lebens- und Wirtschaftsgestaltung ab. In diesem Bereich sind wir permanent einer intensiven Werbe-Berieselung ausgesetzt. Dank unserem verbreiteten Wohlstand vermögen wir es, den mannigfaltigen Verlockungen genüsslich zu erliegen. Sich diesen Versuchungen zu widersetzen, erfordert Kraft und ein Mindestmass an Bewusstsein für die Problematik, was nicht sehr verbreitet zu sein scheint.

Suffizienz-orientiertes Verhalten ist sowohl im privaten wie auch im geschäftlichen Bereich bislang weitgehend freiwillig. Es wird durch die derzeitigen ökonomischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht gefördert. Im Gegenteil, es gibt viele Anreize, die in eine andere Richtung führen. Diese entspringen dem dominierenden Gedanken der Wirtschaftsfreiheit und versprechen kurzfristigen Gewinn – und Genuss.

Was ist zu tun, um das zu ändern?

Eine nachhaltige Energiewirtschaft kann aber nicht ohne Energie-Suffizienz erlangt werden. Und diese wiederum ist ohne Verhaltensänderung im privaten wie im geschäftlichen Bereich nicht zu erreichen. Da Freiwilligkeit offensichtlich nicht ausreicht, wird die Politik für griffige Massnahmen sorgen müssen. Dies verbunden mit dem Ziel, den Energieverbrauch bei gegebenem Komfortstandard zu begrenzen.

Eine SES-Studie von 20231 skizziert einen Katalog von Vorschlägen für mögliche Massnahmen und beschreibt diese im Detail mit ihrer Wirksamkeit bzw. dem erwarteten Einsparpotenzial. Sie umfassen die Politikbereiche Energieversorgung, Mobilität, Konsum, Gebäude sowie Information/Sensibilisierung und betreffen die Energieformen Strom, Wärme, Treibstoffe und Graue Energie2 . Angesprochen sind Bund, Kantone, Städte, Gemeinden, Unternehmen und Private.

Zusammengefasst schlägt die SES-Studie folgende Massnahmen vor: Im Bereich Energieversorgung geht es um die Entkoppelung der Energieabsatzmenge vom Gewinn, progressive Energiepreise (das Gegenteil von Mengenrabatt), Verzichtsauktionen (Minderverbrauch gegenüber eines im Voraus vereinbarten Verbrauchsziels kann an andere Unternehmer, welche Mehrverbrauch hatten, weiterverkauft werden), Lenkungsabgaben, Stromsparbonus bzw. -malus sowie Effizienzvorgaben an Energieversorgungsunternehmen.

Bei der Mobilität ist Mobility-Pricing beim öffentlichen und beim Individualverkehr nötig, eine Raum- und Stadtplanung der kurzen Wege – die berühmte 15-Minuten-Stadt, in der man alle wichtigen Ziele in 15 Minuten erreicht –, vermehrte Telearbeit (Home Office) und Coworking Spaces – gemeinsam nutzbare Büros; beim Flugverkehr müssen Fehlanreize wie Befreiung von Mehrwert- und Kerosinsteuer beseitigt und Alternativen, z.B. Nachtzüge, vergünstigt werden. Schliesslich ist der Pendlerabzug in der Steuererklärung zu hinterfragen.

Beim Konsum müsste die Lebens- und Nutzungsdauer von Produkten verlängertwerden, sie sollten repariert statt ersetzt werden. Energieaufwendige Werbemittel sind einzuschränken.

In Sachen Gebäudepark geht es darum, den Verbrauch grauer Energie zu minimieren, ganz nach dem Motto: mehr sanieren als abreissen, Bauteile wiederverwenden und den Wohnflächenbedarf pro Person reduzieren.

Im Bereich Information/Sensibilisierung sind Sensibilisierungskampagnen gefragt und für die Verbraucher nachvollziehbare Feedbacks zu ihrem Energieverbrauch.

Weniger kann mehr sein

Die hier aufgeführte Studie beruht auf europäischen Datenbanken, die seit 2021 aktualisiert werden. Sie wurden für die Schweiz analysiert, es wurde eine Selektion nach ihrer potenziellen Wirkung sowie der politischen und gesellschaftlichen Umsetzbarkeit vorgenommen.

Seither laufen in verschiedenen Fachkreisen fruchtbare Diskussionen, die zeigen, dass es noch viele andere einfache Möglichkeiten zum Einsparen von Energie gibt, die teilweise sogar gleichzeitig zu einer erhöhten Lebensqualität führen können.

Es bleibt zu hoffen, dass von der Politik bald zielgerichtete Rahmenbedingungen vorgegeben werden. So kann eine gesellschaftliche Verhaltensänderung und eine allmähliche Anpassung der Lebensgestaltung erreicht werden, bei der wir mit weniger Energie besser auskommen.

1. https://energiestiftung.ch/studie/studie-zu-wirksamen-energiesuffizienzmassnahmen

2. Graue Energie ist die Summe jener Energien, die in Produkten und Gütern stecken – von der Herstellung und dem Transport bis hin zur Entsorgung; sie steht für eine ganzheitliche Betrachtung des Energieaufwandes über den ganzen Lebenszyklus hinweg.


Dieser Artikel erschien erstmals am 1. November 2024 auf Forum Integriertes Christsein

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Unsere Migrationspolitik ist unverhältnismässig restriktiv. Es wäre Zeit für eine Allianz des Anstands.

Der Wahlsieg Donald Trumps folgt einem Muster, das in immer mehr westlichen Demokratien Erfolge feiert: der gezielten Bewirtschaftung von Ängsten. Zum einen ist da die Angst vor dem Wohlstandsverlust, die viele Menschen umtreibt, und zum anderen das Übermass an gesellschaftlichen und weltweiten Krisen, die überfordern. Diese Ängste werden heute nicht verantwortungsbewusst begleitet, sondern verstärkt und instrumentalisiert.

In biblischen Zeiten gab es mit dem Sündenbock ein Ritual, um Ängste zu beruhigen. Ein Ziegenbock wurde in die Wüste geschickt, um symbolisch alles Böse, die Schuld und die Angst vor dem Zorn der Gottheit wegzutragen und so das Volk zu befreien. Stellvertretend übernehmen heute Flüchtlinge diese Rolle. Sie eignen sich ideal als Projektionsfläche für eigene Ängste und Wut. Der inzwischen verstorbene Soziologe Zygmunt Bauman äusserte sich dazu wie folgt: «Asylbewerber nehmen heute die Rolle ein, die ehemals den Hexen, Kobolden und Gespenstern der Sagen zukam.»

Trump schürt Ängste gegenüber Migranten, bezeichnet sie als Ungeziefer oder Müll und macht sie für fast jedes Unheil verantwortlich. Auch die SVP als wählerstärkste Partei der Schweiz und mit ihr neuerdings die FDP folgen dieser miserablen Strategie: Mit Flüchtlingen als Sündenböcken gewinnen Parteien Wählerstimmen und erringen damit politische Macht. Der moralische Preis dafür ist jedoch hoch, denn ein solch polemischer Diskurs vergiftet eine Gesellschaft.

Isolation, Perspektivlosigkeit und Ohnmacht schaden ihrer psychosozialen Entwicklung und ihrer psychischen Gesundheit.

Als Konsequenz dieser Sündenbock-Strategie haben wir eine mittlerweile sehr restriktive Migrationspolitik. Wer die Zahlen der Asylmigration sorgfältig analysiert – und sie nicht mit der Arbeitsmigration vermischt –, stellt fest, dass relativ wenige Flüchtlinge die Schweiz erreichen. Deshalb ist die Rede von einer angeblichen «Überflutung» reines Geschwätz, ganz nach dem Motto: «Lerne, zu klagen, ohne zu leiden.»

Eine weitere Konsequenz davon ist, dass in der Schweiz abgewiesene Asylsuchende über Monate und Jahre hinweg in Rückkehrzentren untergebracht werden, in denen ganze Familien in einzelnen Zimmern leben. Häufig handelt es sich um Personen, die aus autokratisch regierten Ländern kommen und nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen in ihr Herkunftsland zurückkehren können. Eine Studie des Marie-Meierhofer-Instituts für das Kind hat gezeigt, dass die in Rückkehrzentren befindlichen Kinder und Jugendlichen – rund 700 an der Zahl – in einem schlechten psychischen Zustand sind. Sie sind traumatischen Erlebnissen ausgesetzt. Isolation, Perspektivlosigkeit und Ohnmacht schaden ihrer psychosozialen Entwicklung und ihrer psychischen Gesundheit. Rückkehrzentren dürfen keine Menschendeponien werden.

Es braucht in der politischen Schweiz eine Allianz des Anstands, die sich von machiavellistischem Streben verabschiedet und anerkennt, dass Geflüchtete zunächst einmal Menschen sind, die unsere Zuwendung verdienen. Es ist eine Binsenwahrheit, dass es in jeder Bevölkerungsgruppe anständige und unanständige Menschen gibt, und die Proportionen sind überall ähnlich. Gleichzeitig muss anerkannt werden, dass nicht alle Migranten hier in der Schweiz bleiben können. Es sei denn, es handelt sich um Oligarchen oder Milliardäre. Ihnen stehen bei uns alle Türen offen.

Dieser Artikel erschien im Dezember 2024 als Gastkommentar im «Tagesanzeiger», im «Bund» und im «Berner Landboten».

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Am 18. Januar 2025 findet das nächste ChristNet-Forum unter dem Thema «Demokratie – gefährdet oder gefährlich» statt. ChristNet-Präsident Markus Meury erklärt, was es mit dem Thema auf sich hat.

Mit dem 2. Weltkrieg wurde endgültig klar, welche Katastrophen der Nationalismus und Diktaturen anrichten können. Danach wurden in vielen Staaten die demokratischen Strukturen ausgebaut. Mit dem «Fall der Mauer» schien es, dass die Demokratie gesiegt hätte und dass sie und die Menschenrechte sich dank der Zunahme der Bildung und des Wohlstandes automatisch ausbreiten würde. Bis zum Jahr 2015 war dies tatsächlich der Fall, seither hat aber eine Trendwende eingesetzt. Der Demokratieindex 1 zeigt seither nach unten, und zwar in allen Regionen der Welt.

Zunehmend Machterhaltung – auch wegen der Polarisierung im Internet

In Ungarn, Polen, Israel oder El Salvador versuchen Regierungen vermehrt, ihre Macht zu zementieren, indem sie Kritik übertönen oder unterdrücken und die Kontrolle durch Gerichte abschaffen. Mexiko und Indien versuchen, demokratische Wahlen «besser zu kontrollieren». In Südkorea wurde eben ein «Putsch von oben» versucht. Auch der Sturm aufs Capitol in den USA von 2021 kann in dieser Kategorie genannt werden. Wird die Demokratie nur noch toleriert, solange das Resultat den Mächtigen dient?

Ein wichtiger Faktor hierin ist sicher die zunehmende Polarisierung der Meinungen, die durch die allgemeine Verunsicherung und die ungebremste Hetze und Verleumdung gegen die politischen Gegner in den sozialen Netzwerken (auch bewusst) gefördert wird. Durch die Algorithmen im Internet, die unsere Interessen und Meinungen spiegeln, finden wir uns in Meinungs-Bubbles wieder und werden zunehmend einseitig informiert. Wenn der politische Gegner nur noch Feind ist, wird dessen Unterdrückung zur Priorität, da sonst «das Böse überhandnimmt». Machterhaltung ist die Devise, Konsens und damit die Suche nach dem Guten für alle ist nicht mehr Ziel. Im Kampf der Guten – wir – gegen die Bösen – die anderen –, wird die Aufhebung von demokratischen Regeln gerechtfertigt.

Der Soziologe Anthony Giddens hat bereits in 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts geschrieben, dass das 21. Jahrhundert ein Jahrhundert der autoritären Regierungen werde, da mehr Menschen wegen den schnellen technischen und kulturellen Veränderungen2 wieder nach Sicherheit versprechenden Führern rufen. Nur so ist es zu erklären, dass in den USA mit Donald Trump von einer Mehrheit des Volkes wiedergewählt wurde. Dies mit Elon Musk als rechte Hand, der vor einem von ihm angestrebten Sturz des bolivianischen Präsidenten meinte: «We coup against whoever we want».

«… in der heutigen, polarisierten und von Ängsten vor den Feinden erfüllten Gesellschaft ist die Suche nach Bestätigung der eigenen Welt- und Feindbilder stärker.»

Erosion der Wahrheit

Das Internet mit seinem grossen Angebot an Rechtfertigungsideologien hilft uns, das zu glauben, was wir glauben wollen. Wir passen die Realität an unsere Weltsicht an. Hier ist die Frage der Wahrheit zentral: Kümmern wir uns nicht mehr um die Suche nach Wahrheit? Oder nehmen wir einfach an, was wir glauben, ist die Wahrheit. Wenn wir Facts statt Unterstellungen den Vorzug geben, entstehen weniger Feindbilder. Aber in der heutigen, polarisierten und von Ängsten vor den Feinden erfüllten Gesellschaft ist die Suche nach Bestätigung der eigenen Welt- und Feindbilder stärker.

Menschenrechte, Demokratie und Nächstenliebe bedingen sich gegenseitig

In diesem Zusammenhang geraten weltweit auch die Menschenrechte unter Druck. Menschenrechte sind die Grundpfeiler der Menschenwürde: gleicher Wert jedes Menschen vor Gott heisst auch, jedem Menschen gleiche Rechte und Lebenschancen zuzugestehen. Das ist die Grundlage der Nächstenliebe. Diese bedingt die Menschenrechte und ist nur durch eine vollständige Demokratie gewährleistet. Denn nur dort, wo die Stimme der Benachteiligte hörbar ist und ihr politischer Einfluss gleichwertig ist, wo vertrauenswürdige Informationen im Vordergrund stehen und wo Mächtige abgewählt werden können, kann das Gute für alle gedeihen. Denn: wo die Mächtigen Rechenschaft abgeben müssen, wird das Wohl für alle respektiert. Umgekehrt hat die Konzentration und Zementierung von Macht in der Geschichte meist Unheil gebracht. Unterdrückung, Kriege, Tod und Zerstörung sind die Folge.

Und in der Schweiz?

Die Schweiz hat unter den Demokratien eine besondere Stellung und wird wegen seiner direktdemokratischen Instrumente als die Demokratie schlechthin angesehen. Doch auch bei uns gibt es demokratische Grundregeln, die noch mangelhaft sind. Demokratie heisst nicht einfach, «man kann ja wählen und abstimmen, wenn man will». Im Folgenden einige wichtige Voraussetzungen, die in der Schweiz unseres Erachtens im Vergleich zum Ausland Verbesserungen benötigen:

  • Zuverlässige und korrekte Information in klassischen und sozialen Medien
  • Gleich lange Spiesse im politischen Konkurrenzkampf durch Offenlegung der Politikfinanzierung
  • Unterbindung von undurchsichtigen Lobbying-Aktivitäten im Parlament
  • Die Einführung eines Verfassungsgerichts, das die Übereinstimmung von neuen Gesetzen mit der Verfassung überwacht

Zudem sind Einschränkungen von demokratischen Prozessen auch hierzulande wahrnehmbar:

  • Bei der Abstimmung zur Konzernverantwortungsinitiative waren die Wirtschaftsverbände erstaunt, dass die Zivilgesellschaft plötzlich gewichtigen Einfluss auf die Meinungsbildung hatte. Dieser Entwicklung begegneten sie mit einem Verbot der politischen Arbeit von subventionierten NGO und von Schulbesuchen durch Entwicklungshilfeorganisationen.
  • Das Parlament beschloss – trotz hängiger gegnerischer Volksinitiative – die sofortige Bestellung der FA-35-Kampfflugzeuge und begründete dies mit der zunehmenden Bedrohung durch Russland. Nun werden wir ein überteuertes und lärmiges Angriffsflugzeug haben. Dies ohne Koordination mit den umliegenden und ebenfalls bedrohten Ländern.
  • Gerade im Zuge der Nichtumsetzung der Initiative «Kinder ohne Tabak» wird einmal mehr klar, dass das Parlament sich zu weigern kann, Volksinitiativen korrekt umzusetzen. Zwar ist das Gesetz noch nicht fertig beraten, aber die vorberatenden Kommissionen setzen alles daran, dehnbare Formulierungen zu schmieden.
  • Im Kanton Schaffhausen haben sich das Parlament und die Regierung offen geweigert, die vom Volk angenommene Initiative zur Offenlegung der Parteispenden umzusetzen. Im Nachhinein wollten sie einen verwässerten Gegenvorschlag vors Volk bringen und gleichzeitig über eine Durchsetzungsinitiative der ursprünglichen Volksinitiative nicht abstimmen lassen. Das Bundesgericht hat inzwischen entschieden, dass auch über Letztere abzustimmen sei.

Wir müssen also auch hierzulande gegenüber der Erosion demokratischer Prozesse wachsam sein – auch wenn sich unsere politische Identität stark auf die Demokratie bezieht und nicht unmittelbar die Gefahr einer Diktatur droht.


1. https://de.wikipedia.org/wiki/Demokratieindex_(The_Economist)

2. s. auch Rosa, Hartmut: Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne. Frankfurt am Main 2005

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In der Wintersession im Bundeshaus wurde bei der Armee aufgestockt und bei der Umsetzung des Klimaschutz-Gesetzes massiv gekürzt. Klimalösungen sind aber trotz bremsender Mehrheiten weiterhin gefragt. Wenn sogar kleine Schritte blockiert werden, wie sollen dann die grossen Schritte eine Chance haben?

Wenn sogar ein Land wie die Schweiz beim Klimaschutz spart, wer soll dann vorangehen? Wenn sogar kleine Schritte blockiert werden, wie sollen dann die grossen Schritte eine Chance haben?

Ein Gedankenexperiment kann uns mit diesen Fragen helfen. Stellen wir uns vor, wir können mit einer Zeitmaschine ins Jahr 2100 reisen. Dort angekommen, stellen wir überrascht fest, dass die Welt das Klimaproblem doch noch gelöst hat. Wir fragen die Menschen der Zukunft: «Wie ist denn das bloss gegangen?» Wahrscheinlich wären wir von jeder möglichen Antwort überrascht. Die grosse Frage ist aber: Welche Antwort auf diese Frage würde uns am wenigsten überraschen?

Dem Nächsten wirkungsvoll dienen

Diese Frage ist zentral – und zwar ganz besonders, wenn sich die Klima-Politik anderen Prioriäten unterordnen muss. Wir müssen nicht nur voll heiligem Zorn die Bremser in der Klimapolitik anprangern. Sondern: wir müssen mit der gleichen Leidenschaft fragen, was denn unsere Nachfahren auch dann vor Klimagefahren schützen würde, wenn diese Bremser weiterhin in der Mehrheit bleiben.

Das ist letztlich eine sehr christliche Perspektive: wir rechnen fix mit dem Bösen in dieser Welt und richten unsere ganze Energie darauf, wie wir unseren Nächsten auch unter diesen Umständen wirkungsvoll dienen können.

Wenn ich im Jahr 2100 hören würde, dass die Menschheit die Klimakurve doch noch gekriegt hat, würde mich folgende Erklärung am wenigsten überraschen: Es gab ein paar Länder und Individuen, die mit grossem Einsatz saubere Technologien so sehr verbilligt haben, dass alle andern freiwillig auf diese sauberen Technologien umgestellt haben.

Null Emissionen

Die Anforderungen an eine Klimalösung sind ja schliesslich enorm: die Emissionen müssen auf Null. Wie aber sollen sie auf Null sinken, ohne dass sie jedes einzelne Land und jede einzelne Person auf Null senkt? Die Tatsache, dass es genaugenommen Netto-Null ist, lässt zwar ein bisschen Spielraum, aber über den Daumen gepeilt ist das immer noch Null. Wenn aber nicht mal ein Land wie die Schweiz zu kleinen Schritten bereit ist, wie soll dann ein Land wie Rumänien oder gar Indien zu grossen Schritten bereit sein?

Die Tragödie scheint perfekt: alle müssen auf Null – aber eine Lösung, bei der alle mitmachen, werden wir nie finden. Der Beweis dafür ist, dass nicht mal diejenigen mitziehen, die für grosse Schritte prädestiniert wären – wie unser eigenes Land.

Zeichen der Hoffnung

Doch es gibt Hoffnung. Es müssen zwar tatsächlich alle das gleiche Null-Ziel erreichen. Das heisst aber nicht, dass alle den gleichen Effort machen müssen. Emissionsreduktionen ≠ Effort. Willige Länder und Individuen können den Effort anstelle von andern übernehmen – sogar, wenn sie in der Minderheit sind.

Wie geht das konkret, dass im globalen Klimaschutz «einer des andern Last trägt»? Der erste – und weniger wichtige – Weg besteht darin, Emissionsreduktionen im Ausland zu finanzieren. Der zweite – und viel wichtigere – Weg besteht darin, enorm viel Geld, Zeit, Energie und politisches Kapital in die Verbilligung von emissionsfreien Technologien zu stecken, damit diese so attraktiv werden, dass sie alle andern freiwillig einsetzen. In einigen Bereichen sind saubere Technologien zwar einsatzbereit, aber noch so teuer, so dass sie wieder von Menschen, die in Armut leben, noch von jenen, die in Geiz leben, in grossem Ausmass verwendet werden. In anderen Bereichen sind unverzichtbare Technologien noch kaum einsatzbereit, so zum Beispiel im Bereich Stahl, Zement, Flugverkehr, kultiviertes Fleisch oder negative Emissionen.

Saubere Technologien attraktiv machen

Wer auf eine Klimalösung brennt, sollte nicht lange um die Frage kreisen, ob man seinen fairen Anteil auch dann beitragen sollte, wenn die anderen nicht mitziehen. Die zentrale Frage lautet vielmehr: Wie kann ich über meinen fairen Anteil hinaus dazu beitragen, die Mitmenschen in Armut vor Klimakatastrophen zu schützen? Die eigenen Emissionen immer tiefer unter Null zu drücken, führt nicht ans Ziel – damit können die Verzichtsbereiten die Emissionen der Unwilligen niemals wettmachen. Der indirekte Weg hingegen könnte funktionieren: die sauberen Technologien so attraktiv machen, dass sich diese Technologien von selbst in reichen und armen Ländern verbreiten. Bei reichen Ländern ist das Hindernis zur Verwendung der jetzt schon vorhandenen sauberen Technologien ein materialistischer Egoismus, bei armen Ländern ist es hingegen der berechtigte Willen dank den billigstmöglichen Technologien der Armut schneller zu entkommen. In beiden Fällen können wir das Hindernis zu überwinden helfen.

Bei den Armen und Geizigen ansetzen

Das wäre zwar in vieler Hinsicht unfair für die Verzichtsbereiten, die den ganzen technologischen Fortschritt finanzieren. Aber es ist eine der wenigen Strategien, die letztlich auch ohne Mehrheiten Resultate liefern könnte. Wir müssen aufhören, Klimaschutz primär als die Verringerung des eigenen Fussabdrucks zu sehen. Unsere Hauptaufgabe besteht darin, dort anzusetzen, wo wir Hebelwirkung haben: nämlich andern – den Menschen in Armut und den Geizigen – die Verringerung ihres Fussabdrucks zu vereinfachen.

Dieser Artikel erschien erstmals in den oeku-Nachrichten 2/2021 und wurde von ChristNet aktualisiert, da das Thema an sich nichts an Aktualität eingebüsst hat.

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Das Referat von Debora Alder-Gasser kann man hier herunterladen.


In der «1h Eco-Runde» vom 26. November 2024, einem Online-Format von Eco Church Network, sprachen David Hachfeld von Public Eye und Debora Alder-Gasser von TEIL über die zahlreichen Missstände in der Textilindustrie. Während Hachfeld betonte, es herrsche in der Branche ein «System der organisierten Verantwortungslosigkeit», lud Alder-Gasser die Teilnehmenden dazu ein, die eigenen Gewohnheiten bezüglich Kleiderkauf zu reflektieren.

In der Schweiz kauft jede und jeder im Durchschnitt 50–70 Kleidungsstücke und sechs Paar Schuhe pro Jahr. Viele davon werden kaum getragen, sondern landen im Müll oder in der Kleidersammlung. Die gespendete Ware ist meist von schlechter Qualität, was zu zahlreichen, oft illegalen Müllhalden im globalen Süden beiträgt. «Wir steuern auf eine Riesenkatastrophe zu«, meint Hachfeld. Viele Textilien werden aus Plastik und fossilen Rohstoffen hergestellt, was die Klimakrise verschärft. Hinzu kommt die grosse Menge an Pestiziden, die namentlich auf Baumwollplantagen eingesetzt wird. Diese sind nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die Arbeiterinnen auf den Plantagen extrem schädlich.

«Der Kampf der Arbeiterinnen läuft immer wieder vor eine Mauer»

In der Textilindustrie herrschen bekanntlich sehr schlechte Arbeitsbedingungen, führt Hachfeld weiter aus. In Ländern wie China, Bangladesch, Türkei und Indonesien verdienen die Arbeiterinnen und Arbeiter nur ca. 400 Dollar pro Monat. Die betroffenen Menschen protestieren und vereinen sich in Gewerkschaften, da der Lohn mindestens dreimal so hoch sein müsste, um ein Leben in Würde zu leben. Doch die mächtigen Grosskonzerne nutzen die begrenzten Möglichkeiten der Zivilgesellschaft gnadenlos aus. Hachfeld nennt es ungeschönt ein «System der organisierten Verantwortungslosigkeit». Genau da setzt die Organisation Public Eye mit ihren Aktionen an: durch die Sensibilisierung der Öffentlichkeit soll das perfide Profitsystem der Konzerne offengelegt werden, damit diese gerechte und nachhaltige Praktiken umzusetzen beginnen.

Die wirkliche Ursache des Problems

10 % des CO2-Ausstosses geht auf Kosten der Textilindustrie und jede Sekunde wird eine Ladung von Textilien auf eine Müllhalde geworfen. Doch was sind die Ursachen dafür, fragt sich Alder-Gasser: der Überkonsum? die schlechte Qualität der Kleider? die fehlenden gesetzlichen Rahmenbedingungen? oder alles davon ein bisschen? In den Augen der Berner Stadträtin gibt es eine tieferliegende Ursache, und zwar in den Gewohnheiten, wie wir Kleider konsumieren. Denn viele wissen zwar, dass dieser Konsum nicht nachhaltig ist, doch kaufen sie wie immer weiter ein. «Darum sollten wir mehr über unsere Gewohnheiten ins Gespräch kommen», meint Alder-Gasser.

TEIL

Mit dem Projekt TEIL, das sie mitbegründet hat, möchte Alder-Gasser ein Teil der Lösung sein und das kreislaufwirtschaftliche Denken fördern. Das Geschäft in der Berner Innenstadt ist wie eine «Bibliothek», aber für Kleider: Mit einem Abo kann man sich Kleider ausleihen. Das ist eine von vielen Möglichkeiten, konkret und persönlich etwas Gutes in Richtung Nachhaltigkeit zu tun. In der Praxis ist es jedoch oft schwieriger, wie Alder-Gasser aus ihrer Projekterfahrung berichtet. Es mangelt nicht an Zustimmung für das Projekt, doch die grösste Hürde liegt in der konkreten Veränderung des Konsumverhaltens. Rhetorisch schliesst sie ihren Impulsvortrag mit der Frage, was wir ändern können, und schlägt Ideen vor, wie das Abbestellen von Newslettern, die uns Schnäppchen zu einem hohen Preis für Mitmenschen und Umwelt bieten.

Die «1h ECO-RUNDE» ist ein regelmässiges stattfindendes Online-Format von Eco Church Network, ein Projekt von StopArmut. Ziel ist es, einen kurzen Impuls zu jeweils einem ökologischen Aspekt zu erhalten, Ideen auszutauschen und sich gegenseitig zu inspirieren, damit es nicht nur beim Wissen bleibt.

Mehr Informationen

www.publiceye.ch/de/themen/mode
www.teil.style
Zum Referat von Debora Alder-Gasser

Dieser Artikel erschien erstmals auf www.stoparmut.ch und wurde von ChristNet leicht bearbeitet.

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Letzten Samstag nahmen 200 Personen an der Jacques-Ellul-Tagung «Welche Hoffnung für unsere Krisenzeiten?» teil. Sie wurde aus Anlass von Elluls (1912–1994) 30. Todestag von ChristNet und weiteren Organisationen in St-Légier (VD) organisiert. Referate, Workshops mit Plenumsrückmeldung und ein Podiumsgespräch haben dem technikkritischen, pessimistischen, aber fundamental hoffnungsvollen Denken des französischen Autors Tiefe und Schärfe verliehen.

Auf dem Campus der Theologische Hochschule HET-Pro erfuhren die Tagungsteilnehmenden, dass Elluls Schriften auch 30 Jahre nach seinem Tod erstaunlich aktuell sind und Antwortansätze bieten, die aber nicht einfach sind. Die grosse Zahl der Anwesenden zeigte, dass das Bedürfnis gross ist, solche Fragen gemeinsam zu vertiefen. Mit der Publikation der Wortbeiträge im Juni 2025 («Das Desaster ist da») und einer Ideenbörse geht es nach der Tagung weiter.

Neun Referenten aus Fachbereichen wie Theologie, Philosophie, Sozial-, Ingenieurs- und Wirtschaftswissenschaften stellten das fruchtbare Werk von Ellul in Referaten, Workshops und in einem Podiumsgespräch vor.

Zu Beginn sprach Jacob M. Rollison, Theologe und Worker in der Gemeinschaft L’Abri (Huémoz VD), über die Technik, die den Menschen mächtig mache, aber in Hoffnungslosigkeit stürze. Laut Ellul sei die Technik selbstwachsend – eine Erfindung führt zur nächsten und bietet zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten –, wobei die Richtung der Entwicklung dem Menschen entgleite. Wie ein steuerloses Rennauto rase sie richtungs- und ziellos voran und verursache Katastrophen, die sich immer weniger vermeiden liessen. Rollison fragte sich: «Warum nehmen wir nicht den Fuss vom Gaspedal?»

Ohnmacht oder Machtverzicht?

Auf diese hoffnungslose Diagnose reagierte Frédéric Rognon, Philosophieprofessor an der Universität Strassburg und einer der grössten Ellul-Kenner unserer Zeit: «Ohne Hoffnungslosigkeit keine Hoffnung.» Ellul fordere uns auf, die Hoffnung auf eine technische Lösung der Krise aufzugeben. Zwar verfüge der Mensch dank der Technik über eine nie dagewesene Macht, die aber zutiefst ambivalent (mit untrennbar verknüpften positiven und negativen Effekten) und selbstwachsend sei. Dagegen habe Ellul die «Nicht-Macht» gestellt, also den Verzicht auf (technische) Machtmittel, der darin besteht, nicht alles zu tun, was machbar ist. Als Vorbild dafür bezeichnete er Jesus, der als allmächtiger Gott seine Macht abgelegt habe und Mensch geworden sei.
Den Vormittag schloss David Bouillon ab, Professor an der HET-Pro. Anhand des ellul’schen Kommentars zum Jona-Buch warf er ein biblisches Licht auf den Katastrophismus. Die Geschichte dieses Propheten zeige, dass es Gottes Liebe sei, die uns für unseren Auftrag verantwortlich mache. Angesichts der technischen Allmacht (Ninive) bekräftige Gott sein Erbarmen mit allen Lebewesen. Dies sei unser Ausweg aus der «Hölle» und unseren Krisen, dies sei unsere Hoffnung.

Workshops und Partizipation

An der Jacques Ellul Tagung arbeiteten die Teilnehmenden aktiv mit. Ein Höhepunkt am Nachmittag waren die acht Workshops, die über eine Stunde dauerten und Raum schufen für einen kollektiven Prozess, um konkrete Lösungsansätze für die Tagungsthemen zu suchen. Das Ergebnis wurde am Podiumsgespräch vorgestellt und diskutiert. Die Organisatoren sind zuversichtlich, dass die Tagung den Anwesenden geholfen hat, in unserer krisengeschüttelten Gesellschaft ihren Platz besser zu finden.

Das Buch zur Tagung

Im Juni 2025 wird ein Buch mit den Referaten, Workshop-Präsentationen und den kollektiven Lösungsansätzen publiziert:
« Face aux désastres – Avec Jacques Ellul, penser la crise et choisir l’espérance.» («Das Desaster ist da – Mit Jacques Ellul Krise denken und Hoffnung wählen.»)
Verlag Editions Mennonites (Dossier «Christ seul»), 96 Seiten. Ab sofort sind Vorbestellungen möglich.