Nächstenliebe

~ 3 min

In diesem Jahr feiern wir das 75-jährige Jubiläum der Genfer Konventionen, die das Fundament des humanitären Völkerrechts bilden. Die Schweiz, stolz auf ihre Rolle als Hüterin dieser Konventionen, trägt eine besondere Verantwortung für den Schutz und die Förderung des humanitären Völkerrechts.

Doch wie vereinbart sich diese Verantwortung mit der Weigerung der Schweiz, dem Atomwaffenverbotsvertrag (Wikipedia) beizutreten? Ein Vertrag, der die unmenschlichen Folgen von Atomwaffen klar benennt und deren Einsatz sowie Androhung verbietet.

Atomwaffen widersprechen den Grundprinzipien des humanitären Völkerrechts: Sie töten wahllos, verletzen das Gebot der Verhältnismässigkeit, verursachen unsägliches Leid und nehmen Menschen das grundlegendste Recht auf Leben und Sicherheit. Kein Land der Welt wäre vor den katastrophalen humanitären Folgen eines Atomwaffeneinsatzes gefeit.

Auch aus christlicher Sicht ist der Einsatz von Atomwaffen schwer zu rechtfertigen. Diese Form der massiven Zerstörung steht im Widerspruch zu grundlegenden christlichen Prinzipien wie Nächstenliebe, Menschenwürde, Gerechtigkeit, Friedensförderung und Gewaltlosigkeit. Deshalb unterstützen viele Kirchen und internationale christliche Verbände den Atomwaffenverbotsvertrag, darunter der Ökumenische Rat der Kirchen und die katholische Kirche. Papst Franziskus hat dazu klar Stellung bezogen und spricht von einer „falschen Logik der Angst“, die dem Besitz solcher Waffen zugrunde liege. Für ihn ist nicht nur der Einsatz von Atomwaffen ein „Verbrechen“, sondern bereits ihr Besitz „unmoralisch“ 1 . Auch die Weltweite Evangelische Allianz befürwortet die Nichtverbreitung von Atomwaffen, doch herrscht keine Einigkeit über ein vollständiges Verbot.

Die Argumente der Befürworter von Atomwaffen basieren vor allem auf der Abschreckungstheorie: Der Besitz von Atomwaffen soll potenzielle Angreifer davon abhalten, einen Angriff zu starten. Ein genanntes Beispiel ist die Ukraine, die nach Ansicht einiger Analysten wohl nicht unter russischen Angriff geraten wäre, hätte sie Nukleararsenal 1994 nicht abgegeben. Diese militärische Strategie ist als Mutual Assured Destruction (MAD) bekannt und war auch ein Grund, warum es während des Kalten Krieges zu keiner direkten Konfrontation zwischen den Supermächten USA und UdSSR kam. In diesem Szenario würden Atomwaffen niemals eingesetzt werden müssen, weil niemand es wagen würde, einen Atomstaat anzugreifen.

Doch die Vorstellung, dass der Weltfrieden allein durch Abschreckung – also durch die Angst vor gegenseitiger Zerstörung – gesichert werden kann, halte ich für fragwürdig und instabil. Diese Strategie ist extrem riskant, da sie keinen Raum für Fehler lässt, deren Folgen katastrophal wären. Ich wünsche mir daher einen Frieden, der auf einer anderen Vision basiert: auf das Völkerrecht und auf gegenseitigem Respekt zwischen allen Völkern und Mitgliedern der menschlichen Familie – oder aus christlicher Perspektive: auf Nächstenliebe.

Doch die Vorstellung, dass der Weltfrieden allein durch Abschreckung – also durch die Angst vor gegenseitiger Zerstörung – gesichert werden kann, halte ich für fragwürdig und instabil.

Dass die Schweiz dem Atomwaffenverbotsvertrag nicht beigetreten ist, obwohl sie sich an den vorbereitenden Verhandlungen aktiv beteiligt hat, liegt wohl weniger daran, dass sie viel auf die Abschreckungstheorie gibt. Vielmehr sieht sie den Nutzen des Vertrags für die nukleare Abrüstung als ungewiss an. Ein Beitritt würde keinen konkreten Nutzen bringen und hätte aussen- und sicherheitspolitische Nachteile (siehe Bericht des Bundesrats). Diese Entscheidung ist reines realpolitisches Kalkül: Man möchte seine Verbündeten nicht unnötig verärgern.

Zwar ist es grundsätzlich sinnvoll, Bündnispartner nicht zu verärgern, doch sollte dies nicht gelten, wenn es um so grundlegende Fragen wie die nukleare Abrüstung geht. Es sollte uns egal sein, ob unsere Forderungen auf Zustimmung stossen oder nicht – wir sollten meiner Meinung nach Teil der globalen Bemühungen um ein Atomwaffenverbot sein. Gerade weil die Schweiz eine starke humanitäre Tradition hat, sollte sie hier als Vorbild vorangehen.

Die Entscheidung, dem Atomwaffenverbotsvertrag nicht beizutreten, stellt einen Bruch mit der humanitären Tradition der Schweiz dar und beschädigt unsere Glaubwürdigkeit als humanitäre Akteurin. Diese Tradition ist stark von christlichem Gedankengut geprägt. Ein herausragendes Beispiel dafür ist Henri Dunant, der Gründer des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (1863) und erster Sekretär der Genfer Sektion der Evangelischen Allianz. Dunant, ein tiefgläubiger Christ, war erschüttert vom Leid der Verwundeten nach der Schlacht von Solferino (1859). Seine religiösen Überzeugungen motivierten ihn, sich für humanitäre Hilfe einzusetzen und eine Organisation zu gründen, die in Konflikten neutral und unabhängig agiert, um allen Verwundeten Hilfe zu leisten. Diese Tradition prägt bis heute das humanitäre Engagement der Schweiz und sollte uns – und besonders auch die Christinnen und Christen – weiterhin inspirieren. Ein Beitritt zum Vertrag wäre ein klares Bekenntnis zu unserer humanitären Verantwortung und eine Fortsetzung unseres langjährigen Engagements für nukleare Abrüstung.

Ich fordere mit der Allianz für ein Atomwaffenverbot die Schweiz auf, ihrer humanitären Verantwortung gerecht zu werden. Denn wer, wenn nicht die Schweiz, sollte für die Einhaltung des humanitären Völkerrechts einstehen?

1. https://www.swissinfo.ch/ger/papst-nennt-atomwaffen-anschlag-auf-menschheit/45388980

Photo: Flickr Commons, Public Domain (Link)

~ 4 min

Wie kann ich als Christin oder Christ aktiv werden?

Der Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden ist tief in der christlichen Tradition verankert. Doch schauen wir heute um uns und auf die Welt, ist diese von sozialen Konflikten, Armut bis hin zu bewaffneten Auseinandersetzungen geprägt. Wie kann ich als Christin oder Christ dazu beitragen, dem Shalom, Gottes grossem Friedensprojekt für uns Menschen, näherzukommen?

Der Prophet Micha rief bereits vor über 2500 Jahren zum sozialen Engagement zugunsten der Gerechtigkeit auf: «Es ist dir gesagt worden, Mensch, was gut ist und was Gott von dir erwartet: Gerechtigkeit üben, Gemeinschaftssinn lieben und aufmerksam mitgehen mit deinem Gott.» (Micha 6,8) Diese Worte haben bis heute nichts an ihrer Bedeutung verloren, denn wo wir auch hinschauen, ist unsere Gesellschaften von tiefen Kluften zwischen den Menschen geprägt. Oft spielen dabei Merkmale wie soziale Herkunft, Kultur, Geschlecht, Religion, politische Überzeugung oder Eigentum eine Rolle. Diese Kluften und das Macht- und Profitstreben einzelner Gruppen führen nicht selten zu bewaffneten Konflikten, die mit unbeschreiblichem Leid für Millionen von Menschen verbunden sind. Denken wir zum Beispiel an die Sahelzone, Israel/Palästina, Syrien, die Ukraine, Haiti oder Afghanistan, um nur einige der aktuellen Krisen zu nennen.

Gleiche Chancen für alle

Im christlichen Verständnis hat Gott allen Menschen die gleiche Würde mit auf den Weg gegeben. Daraus leitet sich das Prinzip der Chancengerechtigkeit ab. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte beginnt mit folgendem Artikel: «Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.» (AEMR, 1. Artikel) Die Staaten verpflichten sich dadurch, allen Menschen die gleichen Chancen und Möglichkeitenzu bieten. Und auf individueller Ebene ist uns geboten, unseren Mitmenschen gleichberechtigt und mit Respekt gegenüberzutreten. Jesu Prinzip der Nächstenliebe stellt genauso respektvolle Beziehungen zwischen den Menschen ins Zentrum sowie das sich gegenseitige Unterstützen.

Sich für die «anderen» interessieren

Doch was kann ich als Christin oder Christ konkret gegen Ungerechtigkeit um mich herum und weltweit unternehmen? Gott sieht für jede und jeden von uns eine spezifische Rolle im Leben vor. Indem wir in uns gehen und Gott zu uns sprechen lassen, können wir herausfinden, was diese Aufgabe ist und welche Bedeutung sie für das friedliche Zusammenleben in der Gemeinschaft hat. Wenn ich mich für mein Gegenüber interessiere, hilft mir das, Vorurteile bezüglich jenen, die «anders» sind, abzubauen. Zum Beispiel kann ich mit einer Frau,die aus einem Konfliktgebiet flüchten musste, ins Gespräch kommen und so beginnen, mich mit globaler Gerechtigkeit zu befassen. Indem ich Empathie gegenüber diskriminierten Menschen zeige, beginne ich mich für eine Gesellschaft zu öffnen, in der Respekt und Liebe gelebt werden sollen und in der der Glaube und die Hoffnung nach Shalom unter den Menschen weiter gedeihen können.


Gott sieht für jede und jeden von uns eine spezifische Rolle im Leben vor. Indem wir in uns gehen und Gott zu uns sprechen lassen, können wir herausfinden, was diese Aufgabe ist und welche Bedeutung sie für das friedliche Zusammenleben in der Gemeinschaft hat.


Was haben Krisen in anderen Ländern mit mir zu tun?

Um global einen Beitrag zu leisten, hilft es sicherlich, neugierig zu sein und Menschen aus anderen Kulturen kennenzulernen, sich über das politische Geschehen anderswo zu informieren und sich zu fragen, was Krisen in anderen Ländern mit mir zu tun haben. Denn es reicht nicht, dass es uns persönlich gut geht, wir sollten uns als Christinnen und Christenauch international solidarisch zeigen. Denken wir zum Beispiel an Grosskonzerne, die ihren Sitz in derSchweiz haben und Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden aufgrund ihrer Aktivitäten im Ausland tragen. Die Koalition für Konzernverantwortung, der die Kampagne StopArmut angehört, setzt sich seit vielen Jahren dafür ein, dass der Staat solche Konzerne für die Einhaltung der Menschenrechte und den Umweltschutz in die Pflicht nimmt. Die globale Vernetzung ist dabei eine Chance, sich gemeinsam mit anderen zu engagieren und Brücken zu bauen.

Auch ich kann Brückenbauerin oder -bauer sein

In der «Ge-Na Studie» zu Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit (www.glaubeklimahoffnung.net), an der rund 2500 Christinnen und Christen aus der Schweiz und Deutschland mitgemacht haben, stimmten über 90 Prozent der Befragten zu, dass sie der christliche Glaube motiviere, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen. Dieses Ergebnis ist ermutigend und fordert uns auf, diesen Weg weiterzugehen. Persönlich kann ich als Brückenbauerin oder -bauer für das friedliche Zusammenleben dienen, indem ich respektvolle Beziehungen mit meinen Nächsten pflege und wenn nötig auch für sie einstehe, egal welche Kultur sie haben oder ob sie arm oder reich sind. Der nächste Schritt ist nicht weit entfernt: sich auch auf gesellschaftlicher und politischer Ebene für die Menschenrechte und den Frieden auszusprechen. Denn um dem Shalom als Frucht der Gerechtigkeit näherzukommen, braucht es das gemeinsame Engagement von uns allen.


Dieser Artikel wurde von Katia Aeby, Verantwortliche für Kommunikation & Marketing bei Interaction, verfasst und stammt aus dem ERF Medien Magazin September 2024, dem monatlich erscheinenden Printmagazin von ERF Medien. www.erf-medien.ch

Foto von Azzedine Rouichi auf Unsplash

~ 6 min

Vor etwas mehr als 50 Jahren brachte die Banane, oder besser gesagt ihr Preis, eine Handvoll Frauen in Bewegung. Die sogenannten Bananenfrauen haben darüber sinniert, weshalb die Banane in der Schweiz trotz ihres langen Transportweges derartig günstig ist. Das Engagement dieser Frauen hat sogar die Geschäftsleitung des Detailhandels der Migros provoziert. Dies alles begann mit einer entscheidenden Frage, die bis heute nicht an Aktualität verloren hat.

Die Banane gehört – wie kaum eine andere Frucht – zum Repertoire unserer Beschimpfungen. So ist es kein Kompliment, wenn jemand als eine totale Banane bezeichnet wird. Oder wenn eine Politikerin oder ein Politiker das Wort Bananenrepublik benützt, dann ist kaum eine attraktive Urlaubsdestination in der Ferne gemeint. Über die Banane wird gelegentlich auch gewitzelt: «Warum ist deine Banane krumm?» fragt die kecke 8-Jährige ihren Schulkameraden, der gerade herzhaft in die Frucht beisst. «Damit sie in die Schale passt», erwidert sie gleich selbst und grinst.

Wenn Pfarrfrauen die richtige Frage stellen

Nicht selten leiten einfache Warum-Fragen Veränderungen ein. So hat auch diese eine Frage das Schicksal der «Bananenfrauen» rund um Ursula Brunner bestimmt. Sie war durch den Film «Bananera Libertad» von Peter von Gunten ausgelöst worden1 . Das in den frühen 1970er-Jahren noch eher unbekannte Bananengeschäft wurde von Pfarrfrauen in ihren regelmässigen Frauentreffen in Frauenfeld diskutiert. Es blieb aber nicht nur beim Reden. Die Frauen schritten zur Tat: Sie schrieben auf unorthodoxe Weise den Migros-Genossenschafts-Bund an. Dieser konnte es nicht auf sich sitzen lassen, dass Frauen eine derartige Frage stellten.

Die Geschichte der «Bananenfrauen» ist spannend. Sie gleicht einem Abenteuer, das sie nicht selbst gewählt haben. Der Detailhandelsriese Migros liess sich damals zwar auf ein Gespräch ein, war jedoch nicht gewillt, den Bananenproduzenten einen höheren Ankaufspreis zu bezahlen. Daraufhin suchten die Frauen das Gespräch mit den Konsumentinnen und Konsumenten auf der Strasse. Sie machten so in vielen Schweizer Städten auf die erdrückende Situation bei der Produktion von Bananen aufmerksam. Diese Aktionen lösten ein breites Echo aus und brachte viele Menschen zum Nachdenken.

Hören und dem Ruf nachgehen – alles Weitere ist Zugabe

Was diese Frauen damals nicht wussten: Sie legten mit ihren Aktionen einen Grundstein für das Anliegen «Faire Produkte». Die Erklärung von Bern (heute Public Eye) war fast zeitgleich die treibende Kraft bei der Kaffee-Aktion Ujamaa – sie sprach sich für einen limitierten fairen Kaffee aus –, sowie bei der Jute-statt-Plastik-Aktion Mitte der 1970er-Jahre. Hier wurde ein Jutebeutel mit der Aufschrift «Jute statt Plastic»2 lanciert. Die Aktion wurde zum Symbol der Sensibilisierung für einen sorgfältigeren Konsumstil3 .
Ende der 1970er-Jahre gründeten dann mehrere Schweizer NGOs eine Importgesellschaft namens OS3, heute Claro Fair Trade, um Fair Trade-Produkte in der Schweiz zu verkaufen. In den 1990er-Jahren wurden schliesslich verschiedene Fair Trade-Labels eingeführt: das Bekannteste unter ihnen war 1992 das Label «Max Havelaar». Es zeichnet heute eine grosse Anzahl von Produkten im Detailhandel aus, die unter fairen Bedingungen produziert worden sind – unter anderen auch die Banane.

Als die Fair Trade-Bewegung in den 1980er-Jahren von einer breiteren Zivilbevölkerung aufgenommen wurde – allen voran von NGOs –, war der Interpretationsrahmen stets der Kalte Krieg. So argumentiert etwa der Kulturanthropologe Konrad Kuhn, dass der starke Gegenwind gegen den Verkauf von Fair-Trade-Produkten zu Teilen in der Strukturveränderung lag, welche die Bewegung beabsichtigte4 . In Zeiten des Kalten Krieges wurden Strukturveränderungen sofort politisch interpretiert, völlig unabhängig vom eigentlichen Problemfeld. Dieser hochpolitische Deutungsrahmen legte sich nach dem Ende des Kalten Krieges. Nun wurde nicht mehr jedes Wort politisch gedeutet. Ab 1991 gewannen vordergründig dann Aspekte der Wirtschaft ein höheres Gewicht.

Der Weg der «Bananenfrauen» war ähnlich mit dem, wie die Jungfrau zu ihrem Kinde kam: Der Ruf ihrer Zeit hatte diese Frauen und diese hatten ihre Berufung gefunden. Sie betrieben keine Parteipolitik, was jedoch nicht heisst, dass sie nicht politisch waren. Die fair produzierte Banane wurde 1992 von Max Havelaar übernommen. Die «Bananenfrauen» hatten aber schon zwei Jahrzehnte vorher entscheidende Impulse für den fairen Handel gegeben.

Die Warum-Frage bleibt auch heute aktuell

Heute die «Bananenfrauen» nachahmen zu wollen, würde heissen, in der Vergangenheit zu schwelgen. Der Konsum von Fair Trade-Produkten ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Rückblickend ist das Engagement der «Bananenfrauen» zweifellos beeindruckend.

Trotz und gerade wegen ihres Engagements sollten wir uns auch heute fragen, welche Probleme denn heute vorhanden sind. Wie heissen heute die brennenden Themen rund um den Konsum – und darüber hinaus? Und vor allem: Haben wir gegenwärtig überhaupt noch Orte, an denen wir diese Warum-Fragen stellen können? Oder stehen vor allem die Konzepte, durch die wir Menschen für unsere Ideen und Programme erreichen möchten, im Vordergrund?

Inspiriert von den «Bananenfrauen» möchte ich an dieser Stelle eine der heutigen Warum-Fragen aufwerfen, in der Hoffnung, dass andere in diese Frage einsteigen und die Frage weiterdenken. Meine Frage lautet: Warum sind eigentlich Kirchgemeinden und Organisationen, ja selbst unsere persönliche Karriere so stark auf Wachstum und Wirksamkeit ausgerichtet? Eine Ausrichtung nach Wachstumsindikatoren ist ja direkt oder indirekt immer mit Produzieren und Konsumieren verbunden, auch dann, wenn das äussere Erscheinungsbild unserer Aktionen trendig als «authentisch» bezeichnet wird. Warum spielen wir eigentlich dieses unauthentische Spiel in den unterschiedlichsten Bereichen der Gesellschaft, inklusive Kirchen und Organisationen, mit?

Zum Beispiel Hamburg

Ein Beispiel soll Anregungen geben, wie heute Menschen statt Konsum und Programme im Vordergrund stehen können, ohne Strukturen und Planung zu diskreditieren.

Am Hamburger Bahnhof kommen auf engem Raum täglich 550‘000 Reisende an. Konflikte sind keine Seltenheit. Beispielsweise haben während der Flüchtlingskrise 2016 viele Geflüchtete u.a. vor den Einkaufsgeschäften ihre wenigen Habseligkeiten ausgebreitet, um zu schlafen, was wiederum das Einkaufen für Passanten verunmöglichte und so die Umsatzzahlen der Läden tangierte. Wie geht die Bahnhofsmission damit um?

Bei einem Besuch beim Leiter der Bahnhofsmission Hamburg, Axel Mangad, werden keine Mission Statements oder Alleinstellungsmerkmale der 140-jährigen Organisation zitiert. Man könnte beinahe den Eindruck gewinnen, da gebe es keine genauen Ziele, die verfolgt werden, was sicherlich den einen oder anderen Geschäftsführer beunruhigen würde.

Wenn Axel Mangad erzählt, dann fällt auf, dass die Menschen im Vordergrund stehen. Er erzählt, dass die Bahnhofsmission flexibel sein will, um auf schnelle Veränderungen wie zum Beispiel eine Flüchtlingskrise reagieren zu können.

Das sind keine eingeübten Floskeln, das neu eingeweihte Gebäude bestätigt seine Erklärungen: Mitten im Raum steht eine Empfangstheke, damit die Mitarbeitenden sofort bei den Hilfesuchenden sind. Mit einer Falttür könnte der kleine Raum zum Beispiel sofort in ein kleines Café umgewandelt werden, falls nötig. Der Sanitätsraum nebenan, der mit ausgebildeten Pflegefachkräften besetzt ist, dient Menschen mit medizinischen Beschwerden, die etwa aus Scham über gewohnte Wege keinen Arzt aufsuchen würden. Ebenso können Menschen ihr mobiles Telefon zum Aufladen abgeben. Klingt banal, aber welcher fremden Person würde man heute das Telefon mit persönlichen Daten geben? Das geht nur, wenn ein hohes Grundvertrauen vorhanden ist. Das neugebaute Gebäude ist natürlich sorgfältig geplant worden. Aber das Konzept ist so ausgearbeitet worden, damit nicht der Konsum, sondern Menschen mit ihrer Not im Vordergrund stehen.

Wie wäre es, wenn wir lernen würden, zuallererst an die Menschen zu denken und erst dann an Strukturen und Zahlen? Der Inhalt kann dann völlig unterschiedlich sein, wie bei den «Bananenfrauen» vor 50 Jahren oder aktuell in der Bahnhofsmission in Hamburg. Der entscheidende Punkt liegt darin, die Fragen richtig zu stellen.


1. vgl. Brunner, Ursula: Bananenfrauen. Frauenfeld, 1999, insbesondere die Seiten 16-38

2. Der Slogan «Jute statt Plastic» steht mit Jute für die die natürlichen Materialien, «Plastic» mit einem c statt k symbolisierte das Fremde.

3. vgl. Strahm: Der aktionserprobte Achtundsechziger im Team der EvB 1974-1978, (2008), Seiten 139-140; in: Holenstein, Anne-Marie; Renschler, Regula; Strahm, Rudolf: Entwicklung heisst Befreiung. Erinnerungen an die Pionierzeit der Erklärung von Bern (1968-1985), Zürich, 2008 (Seiten 113-166).

4. vgl. Kuhn, Konrad J.: Fairer Handel und Kalter Krieg. Selbstwahrnehmung und Positionierung der Fair-Trade-Bewegung in der Schweiz 1972-1990. Bern, 2005, Seiten 115-117

Dieser Artikel erschien erstmals am 01. Juni 2024 auf Forum Integriertes Christsein.

Foto von Rodrigo dos Reis auf Unsplash

~ 2 min

Rund um den Flüchtlingstag vom 16. Juni 2024 findet in verschiedenen Schweizer Städten die Aktion «Beim Namen nennen» statt. ChristNet gehört zu den Erstunterzeichnenden des Manifests «Menschen schützen – auch an den Grenzen» im Rahmen dieser Aktion.

Ein stilles Drama geht seit Jahren auf den Meeren und an den Grenzen Europas vor sich und schafft es nur gelegentlich in die Medien. Seit 1993 sind über 60’000 Kinder, Frauen und Männer an den EU-Aussengrenzen gestorben. Der diesjährige Flüchtlingstag gedenkt unter dem Titel «Beim Namen nennen» dieser Menschen in 10 Schweizer Städten. Es finden öffentliche Lesungen der «List of Deaths» statt. Dazu werden die Angaben jeder verstorbenen Person auf ein Stück Stoff geschrieben und an einer Installation befestigt, die dadurch zu einem Mahnmal im Gedenken an die Verstorbenen wird.

«Symptome statt Ursachen werden bekämpft»

Bereits jetzt kann das Manifest «Menschen schützen – auch an den Grenzen» zuhanden des Bundesrats unterzeichnet werden. Es kritisiert die im Dezember beschlossene Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS), die nun umgesetzt wird. Unter anderem ruft es den Bundesrat dazu auf, sich im Rahmen der Schengen/Dublin-Assoziierung der Schweiz für die Einhaltung von Menschenrechtsstandards und die vollumfängliche Respektierung der Rechte von Asylsuchenden einzusetzen. «Die geplanten Massnahmen verletzen die Grundprinzipien nationaler, europäischer und internationaler Rechtsabkommen, die jedem Menschen aufgrund seines Menschseins zustehen», heisst es darin.
ChristNet gehört zu den Erstunterzeichnenden des Manifests und ist überzeugt, dass die Entwicklungen an den EU-Aussengrenzen auch die Schweiz etwas angehen, nicht bloss aufgrund des Schengen- und des Dublin-Abkommens, sondern auch als Geburtsstätte der Genfer Flüchtlingskonvention. Menschen müssen legal nach Europa einreisen und ein Asylgesuch stellen können.

Bitte unterzeichnen Sie das Manifest jetzt:


Weiterführende Links

Dokument, um handschriftliche Unterschriften sammeln zum Download

Weitere Informationen zu den Aktionen rund um den Flüchtlingstag vom 16. Juni 2024 Link: www.beimnamennennen.ch

~ 7 min

Viele Menschen spüren eine zunehmende Verunsicherung. Die Globalisierung, die Komplexität vieler Zusammenhänge und die Digitalisierung lassen immer mehr Menschen ratlos zurück. Und auch die Kriege an den Rändern Europas sind eine Realität, von der wir dachten, dass wir sie überwunden hätten.

In dieser um sich greifenden Rat- und Hilflosigkeit erstarken die Extreme, die uns Sicherheit und Klarheit versprechen. In vielen Ländern erleben die rechtspopulistischen und nationalistischen Kräfte starken Zulauf. Diktatoren haben Hochkonjunktur, weil sie einfache Lösungen für komplexe Fragestellungen anbieten. Was passiert gerade mit unserer Welt, mit unserer Kultur und unserer Gesellschaft?

Normalität

Was viele Menschen aktuell als verunsichernd und anstrengend erleben, ist der Verlust der Normalität. «Normalität bezeichnet in der Soziologie das Selbstverständliche in einer Gesellschaft, das nicht mehr erklärt und über das nicht mehr entschieden werden muss. Dieses Selbstverständliche betrifft soziale Normen und konkrete Verhaltensweisen von Menschen. Es wird durch Erziehung und Sozialisation vermittelt.» (Wikipedia) Wir kommen aus einer längeren Phase gesellschaftlicher Normalitäten. Vieles war geklärt, galt als «normal» und fand breite Akzeptanz. Man musste nicht ständig überlegen, wie man in der Norm bleibt. In der normierten Normalität kann man sich unbeschwert bewegen, weil einem viele Entscheidungen abgenommen sind. Normalität schafft Sicherheit, Orientierung und Geborgenheit. Sie ist unsere Komfortzone. Normalität ist eine Art verbindende Schnittmenge der Gesellschaft.

«Normalität bezeichnet in der Soziologie das Selbstverständliche in einer Gesellschaft, das nicht mehr erklärt und über das nicht mehr entschieden werden muss. Dieses Selbstverständliche betrifft soziale Normen und konkrete Verhaltensweisen von Menschen. Es wird durch Erziehung und Sozialisation vermittelt.»

Verlust der Normalität

Seit Jahren erleben wir, wie das Feld der Normalität kleiner wird – und die Verunsicherung grösser. Die Schnittmenge wird kleiner, weil die Diversität der Gesellschaft grösser wird. Was über Jahrzehnte als geklärt galt, wird neu verhandelt und infrage gestellt. Wir erleben den Verlust an Normalität in einem Tempo, wie das selten zuvor der Fall war. Im Folgenden nenne ich einige Beispiele, die diese Verunsicherung und Normverluste zum Ausdruck bringen.

Unsere Sprache

Wie dürfen wir noch reden? Plötzlich löst man durch einen Satz oder ein Wort einen Shitstorm aus. Darf ich Begriffe, die mir mein ganzes Leben lang vertraut waren, überhaupt noch gebrauchen oder diskriminiere ich damit jemanden? Darf ein Restaurant noch «Zum Mohren» heissen? Muss ein Strassenname umbenannt werden, wenn er nach einem General aus dem Ersten Weltkrieg benannt ist? Auch das Gendern bedroht die Normalität unserer Sprache. Der Sprachfluss verändert sich und neue Endungen müssen kreiert werden. Selbst in einer der neuesten Kinderbibeln wird konsequent gegendert, was das Vorlesen offen gesagt herausfordernd macht.

Kultur und Nationalität

Eine andere Verunsicherung betrifft Fragen der Kultur und Nationalität. Dürfen meine Kinder an Fasching noch als «Indianer» verkleidet in den Kindergarten gehen? Darf ich als Schweizer Dreadlocks tragen, einen Sombrero aufziehen und Paella kochen – oder ist das bereits kulturelle Aneignung? Dürfen die Kirchenglocken in einem Dorf noch läuten oder ist das jetzt Ruhestörung? Ist die klassische Familie mit Mutter, Vater und Kindern noch der Normalfall oder wird das durch alternative Familienmodelle abgelöst? Und dann hat uns zudem die Coronakrise unverhofft aus unserer Alltagsnormalität herausgerissen.

Konsequenzen

Eine Konsequenz dieses Normalitätsverlusts ist die wachsende Sehnsucht vieler Menschen nach der alten Normalität. Und viele, die eine Rückkehr zu den alten Normen versprechen, erleben Zulauf, egal ob radikale Partei oder fundamentalistische Religion. Eine weitere Konsequenz ist der Rückzug in die eigenen vier Wände und dadurch die Abkehr von der Verunsicherung da draussen. Es wächst das Zugehörigkeitsgefühl zu denen, die den Verlust an Normalität ebenfalls beklagen und gleichzeitig eine deutliche Abgrenzung denen gegenüber, die diese neuen Klärungen einfordern. Damit vergrössert sich die Spaltung innerhalb der Gesellschaft. Die Menschen werden fremdenfeindlicher, weil es «die Fremden» sind, die mit ihrer Kultur, ihren Sitten und Werten unsere Normen bedrohen. Und gleichzeitig werden die Fremden unzufriedener, weil sie durch ihren sozialen Stand und den Mangel an Ressourcen ihre eigene vertraute Normalität nicht wieder aufbauen können. Die Anziehungskraft der eigenen Normalität ist daher auch einer der Gründe, warum Integration oft nur schwer gelingt. Integration bedeutet nämlich für fremde Menschen, ihre Normalität aufzugeben und dafür unsere Normalität zu übernehmen. Aber Normalität wächst über Jahrzehnte, über Generationen hinweg und lässt sich nicht einfach austauschen. Und wer Vertreibung, Krieg oder Flucht hinter sich hat, verspürt umso mehr das Bedürfnis nach vertrauter Normalität. Der Mangel an Integrationsbereitschaft muss nicht Ablehnung der neuen Kultur bedeuten, sondern bringt vielmehr die starke Anziehungskraft des Vertrauten zum Ausdruck, die sich in der eigenen Kultur, der eigenen Sprache, den eigenen Traditionen und Sitten zeigt. Bei alledem gibt es eine Schizophrenie in unserer Gesellschaft: Auf der einen Seite will man den maximalen Individualismus, die Verwirklichung der eigenen Bedürfnisse und Sichtweisen. Und auf der anderen Seite will man ganz viel Normalität und eine möglichst grosse Schnittmenge in der Gesellschaft. Aber man kann auf Dauer nicht beides haben. Wie gehen wir als Christen und als Gemeinden mit dem Verlust von Normalität um?

1. Die Schattenseiten der Normalität wahrnehmen

Ich habe bisher die Vorzüge von Normalität geschildert. Die Geschichte zeigt: Normalität war auch ein Machtinstrument, ein Werkzeug der Unterdrückung. Die Normalität hat Blut an ihren Fingern. Sie war der Nährboden, auf dem ausgegrenzt, ausgeschlossen, diffamiert, denunziert, kriminalisiert und eingesperrt wurde. «Arisch» galt in der Nazi-Ideologie als normal und darum wurden Juden als Ungeziefer betrachtet, die es auszurotten galt. «Weiss-Sein» galt als normal und darum durfte man dunkelhäutige Menschen als Sklaven halten. «Katholisch-Sein» galt als normal und darum durfte man Protestanten verfolgen. Der Mann als Ebenbild Gottes galt als normal und darum wurde in vielen Kirchen Frauen das Lehren und Leiten untersagt. Heterosexualität gilt in vielen Ländern als normal und darum werden in manchen davon queere Menschen mit lebenslanger Haft oder dem Tode bestraft. In Anbetracht dieser Beispiele hat der Verlust der Normalität auch etwas Gutes, denn er zerstört gewachsene Unterdrückungsstrukturen und Ausgrenzungsmechanismen.

2. Christen haben schon lange den Bereich der Normalität verlassen

Die Geschichte der Jahwe-Religion ist im Kern die Geschichte des Auszugs und des Aufbruchs aus der Normalität. Abraham als Vater der jüdischen Religion hört von Gott: «Geh fort aus deinem Land, verlass deine Heimat und deine Verwandtschaft und zieh in das Land, das ich dir zeigen werde!» (Gen 12,1). Land, Heimat und Verwandtschaft sind der Inbegriff der Normalität. Aber genau aus dieser Normalität musste Abraham aufbrechen in die Fremde, ins Unbekannte, ins Ungewisse. Und bis heute ist für die Juden der Exodus unter Mose ihre konstituierende Erfahrung als Volk und als Religion. Das Volk Gottes ist und bleibt ein Volk im Aufbruch, ein Volk auf Wanderschaft, ein Volk in der Fremde. Auch im Neuen Testament bestätigt Petrus diese Fremdheit der Christen: «Ihr wisst, liebe Geschwister, dass ihr in dieser Welt nur Ausländer und Fremde seid» (1Petr 2,11). Und Paulus redet davon, dass wir unser Bürgerrecht im Himmel haben (Phil 3,20). Aus der irdischen Normalität wurde für uns eine himmlische Identität. Das griechische Wort für Gemeinde (Ecclesia) heisst wörtlich «die Herausgerufenen». Wir sind herausgerufen aus den Normen der irdischen Gesellschaft. Unsere Zugehörigkeit, Heimat, Verbundenheit und Sicherheit nehmen wir nicht aus dem Bereich der irdischen Normalität, sondern aus der Kraft unserer himmlischen Identität. Was für uns Christen normal ist, orientiert sich nicht an irdischen Normen, sondern an himmlischen Werten. Nicht am gesellschaftlichen Konsens, sondern am Lebensstil Jesu. Als Bürger des Himmels hätte ich viel früher damit beginnen müssen, mich den Machtstrukturen der Normalität entgegenzustellen, mich auf die Seite der Diskriminierten, der Benachteiligten, der Fremden und der Vergessenen zu stellen und mich der betäubenden Wirkung der Normalität zu widersetzen.

3. Die Bedeutung von Solidarität

Dem Verlust der Normalität folgt der Verlust der Solidarität. Der höhere Energieverbrauch für ein Leben mit geringerer Normalität muss irgendwo kompensiert werden. Als Konsequenz konzentrieren wir uns auf uns selbst und müssen uns ganz neu zurechtfinden. Oft geht das auf Kosten der Solidarität, des Ehrenamts und der Hilfsbereitschaft. Alle wollen frische Brötchen am Sonntagmorgen, aber keiner will um 4:00 Uhr diese Brötchen backen. Alle wollen am Sonntag in die Notaufnahme gehen können, aber immer weniger Menschen sind bereit, am Wochenende zu arbeiten. Alle sind dankbar, wenn ihre Kinder im Sportverein gefördert werden, aber an vielen Orten fehlt es an ehrenamtlichen Trainern oder Trainerinnen. Ich erlebe einen dramatischen Rückgang an Solidarität in unserer Gesellschaft. Und der Grund ist nicht, dass Menschen so gottlos, böse und egozentrisch sind, sondern der Verlust der Normalität wird als so verunsichernd und anstrengend erlebt, dass keine Energie und Kapazität übrigbleiben. Als Christen werden wir keine neue Normalität erschaffen! Aber wir können eine Kultur der Solidarität prägen. Wir können unserem Umfeld auf Schritt und Tritt zeigen, was es heisst, solidarisch zu sein. Wir können vorleben, dass sich unsere Solidarität nicht aus der Normalität speist, sondern aus den Werten des Himmels und der Gegenwart des Heiligen Geistes in unserem Leben. Wir können nicht erst dann wieder solidarisch sein, wenn wir in unserer Komfortzone zurückgefunden haben. Solidarität bezeichnet eine Haltung der Verbundenheit mit – und eine Unterstützung von – Ideen, Aktivitäten, Bedürfnissen und Zielen anderer Menschen und Geschöpfe. Das ist nichts anderes als Nächstenliebe. Wie wäre es also, wenn wir als Kinder Gottes mithelfen würden, dort die Normalität zu hinterfragen, wo sie als Machtinstrument missbraucht wird, um Menschen oder diese Schöpfung zu dominieren, zu diskriminieren, auszubeuten oder auf ihre Kosten zu leben? Und wie wäre es, wenn wir unser eigenes Gefühl von Sicherheit, Geborgenheit und Zugehörigkeit weniger aus der Normalität um uns herum speisen, sondern viel mehr aus dem Bewusstsein, in dieser Welt Fremde zu bleiben, deren Heimat, deren Familie und deren Bürgerrecht im Reich Gottes und in unserem Vater im Himmel liegen? Und wie wäre es, wenn wir trotz dem Verlust an Normalität umso mehr um Solidarität bemüht sind? Wenn wir überall dort, wo wir sind, den Geruch der Solidarität hinterlassen und so unsere Gesellschaft inmitten des Normalitätsverlusts stärken? Diese drei Dinge wünsche ich mir für die Christen.

Dieser Artikel ist erstmals im Bienenberg Magazin Winter/Frühling 2024 erschienen.

Foto von Christian Erfurt auf Unsplash

~ 5 min

Rechts oder links bestimmt unser politisches Denken und Agieren. Ist dies noch zeitgemäss, um den heutigen Anforderungen an die Politik zu genügen? Oder bräuchte es auch da ein Umdenken, um Lösungen für komplexe Probleme zu finden?

Die parlamentarische Rechts-Links-Sitzordnung bestimmt den politischen Diskurs der Neuzeit. Wie kam es dazu? Während der französischen Revolution wurden die räumliche Platzierung «Rechts» und «Links» politisch aufgeladen zu einem politischen Ordnungssystem, das in den revolutionären Umwälzungen ab 1791 Übersicht versprach. Die neue Nationalversammlung setzte die konservativen Aristokraten/Monarchisten auf die rechte, die fortschriftlich-revolutionären Patrioten auf die linke Seite.
Seitdem gilt diese Sitzordnung als Nomenklatur für alle Parteien im demokratischen Parlamentarismus. Sie bestimmt die politische Debatte bis heute, obwohl – und das ist der Anlass zu den folgenden Überlegungen – die Grenzlinien zwischen «links» und «rechts» programmatisch längst nicht mehr eindeutig sind.

Anachronistische Kategorien

Es mehren sich die Stimmen, welche die Kategorien «rechts und/oder links» für anachronistisch halten. Sie hinterfragen diese Zuweisungen von Parteien und Initiativen 1. .
Ich teile diesen Argwohn und reagiere besonders sensibel, wenn diese Etikettierung auch im christlichen Umfeld permanent unkritisch verwendet wird. Wenn also Einzelne oder Gruppen als «linksevangelikal» oder «rechts» tituliert werden, nur weil sie sozial und ökologisch agieren oder sich für traditionelle Werte einsetzen.

Gäbe es nicht auch ein Politisieren jenseits von links und rechts?

Diese Frage stellte Jim Wallis 1995 in seinem Buch «Die Seele der Politik» 2.
Die alten Schubladen der herrschenden politischen Ideologien von progressiv und konservativ, links und rechts seien gleichermassen unfähig, die gegenwärtige Krise klar zu benennen. Vertreten nicht Konservative und Progressive gemeinsam im Kern die grossen moralischen, sozialen und humanen Werte jüdisch-christlicher Tradition? War nicht das Auseinanderdividieren dieser Werte die Quelle für die daraus entstandenen, bis heute andauernden Polarisierungen und Grabenkämpfe?

Dass sich im 19. Jahrhundert die sozialpolitisch-progressiven Kräfte mit dem atheistischen Materialismus/Humanismus verbündeten, ist ja leider auch dem Umstand zuzuschreiben, dass die meisten Christen und Kirchen den absurden Scheingegensatz von «sozialer Politik» und «Evangelium» jahrzehntelang kultiviert haben. Das zu verhindern ist den wenigen Persönlichkeiten der «Inneren Mission» (Joh. Hinrich Wichern +1881) und der religiös-sozialen Bewegung (Christoph Blumhardt +1919, Hermann Kutter +1931, Leonhard Ragaz +1945) damals leider nicht gelungen.

Das Rechts-Links-Schema franst aus

So prägt das Rechts-Links-Schema unser politisches und gesellschaftliches Bewusstsein als unverrückbares Ordnungsraster. Trotzdem scheint es nicht mehr zu passen.
Das hat das Taktieren der Parteien mit Unterlisten und Listenverbindungen für die letzte Nationalratswahl im Oktober 2023 gezeigt. Wer da mit wem wieso und warum koalierte – da konnte man nur staunen! Mutmassungen, Kopfschütteln und kritische Häme meldeten sich, denn das entsprach ganz und gar nicht unserem Bedürfnis nach verlässlichen Koordinaten.

Eine neue, ungewohnte Gemengelage entsteht global

Diese letztjährige Verwirrung in der Parteienlandschaft ist kein helvetischer Sonderfall, sondern ein europäisch-transatlantisches Phänomen. Es spiegelt einen Epochenwandel wider, der mit dem Fall der Mauer 1989 begonnen hat. Die bisherigen ideologischen Kategorien konservativ-traditionell-national und progressiv-multikulturell-global bröckeln ebenso wie das frühere Gegenüber von Kapitalismus und Kommunismus. China zeigt zum Beispiel, wie erfolgreich ein kapitalistischer Kommunismus sein kann, wenn er nicht von Korruption zersetzt würde.

Eine ideologisierte Politik wie bisher verhindert schon länger gemeinsame Strategien zur Bewältigung der Multikrisen und zur Deeskalation internationaler Konflikte.
Gegenwärtig erleben wir, dass narzisstische Autokraten, selbstgefällige Oligarchen und egomanische Machtmenschen diese Ideologien nur noch propagandistisch nutzen, um Feindbilder zu kreieren und um dadurch ihre Nation – nein, sich selbst – gross zu machen. Und die Welt beginnt bedenklich zu taumeln.

In welche Richtung wird es gehen?

Die aktuellen Problemfelder «lassen sich nicht mehr so einfach auf der alten politischen Koordinatenachse zwischen rechts und links» verorten 3. Denn wir sind nicht mehr nur ökonomisch und wirtschaftlich, sondern auch politisch, kulturell, sozialethisch, normativ, existentiell und neuerdings digital/medial in einer noch nie da gewesenen Intensität herausgefordert. Diese in sich autodynamische interagierende Vielfalt sprengt jede monokausale Erklärung. Ideologisch einseitiges, konservatives oder progressives Politisieren muss jetzt dringend offenlegen, welche Interessen da in Wirklichkeit noch wirkmächtig mitspielen.
Besonders bedenklich ist es in kürzester Zeit geworden, wie sich aktuell eine Intoleranz ausgerechnet bei denen radikalisiert, die für sich Toleranz einfordern. Politikerinnen und Parlamentarier, Wissenschaftler und Journalistinnen beklagen, wie seit der Pandemie eine teilweise gehässige Polarisierung und aggressiver werdende Verdächtigungskultur zunimmt, völlig jenseits der alten Rechts-Links-Gräben 4.

Politischer Gegner bleibt Mitmensch

Der christliche Glaube steht in unserer direkten Demokratie permanent in politischer Entscheidung. Umso mehr ist er jetzt gefordert, alte Polarisierungen und ideologische Gegensätze aufzubrechen und durch eine Gesamtschau zu überwinden, die wir beispielhaft bei den Propheten des Alten Testaments und natürlich bei Jesus finden: Es geht nicht um Macht, Profit und «gross sein wollen», sondern um den Dienst umfassender Mitmenschlichkeit.
Der Christliche Glaube analysiert die nationale Politik sowie die internationale und globale Wirklichkeit kritisch und merkt dann schnell, wie unzeitgemäss und perspektivlos das herkömmliche «Rechts-Links-Schema» wirkt. Es entspricht einfach nicht den biblischen Kriterien für eine Politik des Friedens, der Gerechtigkeit und der Bewahrung der Schöpfung.

Was könnte eine Politik bewegen, die sich in letzter Verbindlichkeit – oder wenigstens minimal prinzipiell – an Jesu Botschaft, Gesinnung und Verhalten orientiert? Natürlich ist es enorm schwierig, Nächstenliebe von Klasse zu Klasse, Partei zu Partei, Rasse zu Rasse, Religion zu Religion und Nation zu Nation politisch umzusetzen. Aber jeder noch so gering erscheinende Versuch liesse uns eine politische Kultur «jenseits von rechts und links» entdecken, einen «dritten Weg», eine «neue Mitte», ein neues Verhalten, eine neue Freiheit von ideologischer Befangenheit.

Und es gab und gibt sie schon, die Politiker und Politikerinnen, die jenseits ihrer Parteizugehörigkeit als Brückenbauer agieren und die ihre Sachkompetenz und politische Überzeugung mit offener Dialogbereitschaft verbinden. Ihr argumentatives Ringen im Gespräch ermöglicht, einander zu verstehen und zu respektieren. Jede anständige, seriöse politische Kommunikation ohne Gehässigkeiten schafft eine Atmosphäre, in der mein politischer Gegner kein Feind ist, sondern Mitmensch bleibt! Gesprächsverweigerungen sind für eine Demokratie gefährlich, sie verhindern lösungsorientierte Sachpolitik und fördern subtile Machtpolitik.

In Schubladen denken – bitte nicht mehr!

Ich weiss: Die Sprachformel «Rechts/Links» lässt sich noch nicht aus der Welt zu schaffen.
Sie wird mir morgen und übermorgen in den Nachrichten und Medien begegnen wie eh und je. Wer aber dieses Schubladen-Denken aus seiner Denkkultur und dann auch aus seinem politischen Alltagsgeschäft verbannt, hebt sein politisches Denken und Agieren auf ein anderes – höheres – Niveau. Und das wird nachhaltige Folgen generieren.
Jeder zaghafte Versuch ist zu begrüssen und wäre unbedingt zu unterstützen!


1 Jüngst Martin Notter: «Die Einteilung in Konservative und Progressive folgt einer Parteilogik. Mit einem Zukunftsrat besteht die Chance, dass diese Logik überwunden wird (TAMagazin 34/2023)
2 Jim Wallis, Die Seele der Politik. Eine Vision zur spirituellen Erneuerung der Gesellschaft. München 1995. S.50-69
3 Robert Habeck, Von hier an anders. Köln 2021. S.68. Habeck ringt ab S.240 um eine Politik der Gemeinschaft in auszuhaltender Differenz jenseits herkömmlichen Lagerdenkens
4 Edgar Schuler, Die Schweiz ist im internationalen Vergleich stark polarisiert. TA 9.8.2023

Dieser Artikel erschien erstmals am 01. Oktober 2023 auf Insist Consulting. Er wurde für ChristNet leicht überarbeitet.

Foto von Pablo García Saldaña auf Unsplash

~ 4 min

Man sagt, dass im alten Ägypten die Überbringer von schlechten Nachrichten hingerichtet wurden. Dasselbe ist bei uns zwar nicht der Fall, aber Klimaschützer sind nicht gerade beliebt, in Teilen der Gesellschaft sind sie zu Feinden geworden.

In unserer Kultur ist die Freiheit eines der höchsten Güter. Wir sind uns gewohnt, vom technischen Fortschritt intensiv zu profitieren, uns von Neuerungen und neuen Möglichkeiten begeistern zu lassen. Manchmal versprechen diese, unsere Lebensfreude zu vergrössern, neue Perspektiven und Aktivitäten zu ermöglichen (z.B. in die Ferne fliegen), oder vielleicht auch, Mühseligkeiten zu verringern (z.B. durch vereinfachende Apps).

Keine Grenzen

Allerdings ist da nie ein «Genug» vorgesehen. Der Komfort und der Luxus müssen ständig vergrössert werden, was aber «den Wohlstand erhalten» genannt wird. Wir reden zwar von Wirtschaftswachstum, aber nur wenige geben zu, dass es ums «Immer-Mehr» geht. Nicht mal die Fussballstars, die trotz hunderten von Millionen Euro auf dem Bankkonto jetzt nach Saudi-Arabien gehen, um noch viel mehr Geld zu scheffeln und das zwanzigste Haus zu kaufen.

Spielverderber werden zum Feindbild

Wir möchten selber entscheiden können, wie wir unser Leben, unsere Aktivitäten und zum Beispiel auch unsere Mobilität gestalten. Menschen, die einwenden, dass unsere Konsum- und Spasskultur nicht nachhaltig ist und die Lebensmöglichkeiten unserer Kinder einschränkt, sind unangenehm. Sie lassen uns nicht guten Gewissens unsere Aktivitäten und unseren Luxus geniessen. Das ist gemein. Dagegen werden zahlreiche Rechtfertigungen angeboten wie zum Beispiel, dass wir ja mit unserem Konsum Arbeitsplätze schaffen, oder es wird gleich der Klimawandel selber als Grundproblem in Zweifel gezogen. Es scheint einfacher, den Kopf in den Sand zu stecken.

Sehr beliebt ist die Verteufelung der Warner selber. Wechselweise werden sie Neider, Gutmenschen oder Wokisten genannt, die gar unsere Kultur – eigentlich unsere Konsumkultur – zerstören wollen. Anwürfe wie «sie wollen unsere Lebensfreude zerstören» oder «sie wollen uns jeden Genuss wegnehmen» sind öfters zu hören. Mit dem «sie» gegen «wir» werden Feindbilder geschaffen, wodurch jede Nachricht über die Zerstörungen durch unsere Konsumkultur (Klimawandel, Feinstaub, Plastikinseln im Meer, Artensterben, Mikroplastik im Trinkwasser, Zunahme der Krebshäufigkeit bei jungen Menschen) abgewimmelt werden kann. Denn: da die «Feinde» böse sind, kann man auch nicht wissen, ob es stimmt, was sie sagen.

Schäden kurzfristig reparieren, statt die Ursachen anzugehen

Eine Mehrheit der Bevölkerung ist im Moment nur für die Reparatur der Schäden nach dem Konsum zu haben. Katalysatoren, um trotzdem mit dem Auto herumfahren zu dürfen, Umstellung auf «saubere» Energie, um unseren Energiekonsum weiter erhöhen zu können, oder die Hoffnung auf Techniken, die das CO2 senken. Doch langfristig kann auch das nicht funktionieren, denn es warten in der Welt noch Milliarden von Menschen, die unseren Lebensstil kopieren wollen. Ein Luxusleben, wie wir es in der Schweiz kennen, ist auch mit Schadensbegrenzung nicht möglich: Katalysatoren und Sonnenkollektoren müssen entsorgt werden und auch weniger Plastik landet schliesslich im Meer. Und jedes neue Mikro- und Nanoprodukt wird letztendlich im organischen Kreislauf angereichert, bis es zu grossen und nicht mehr reparablen Schäden kommt. Wer Einschränkung fordert oder dies gar durchsetzen will, indem er sich an die Fahrbahn klebt, wird zum Feindbild. Dann kommt es zum kollektiven Greenbashing – auch im aktuellen Wahlkampf. Die FDP in der Romandie hat’s mit ihrem Plakat vorgemacht: Sie will «décoller», also die Bahn für mehr Wachstum freimachen, und hat bewusst die «Klimakleber» als feindliches Sujet ausgesucht. Der Konsum darf ja nicht eingeschränkt werden!

Ein Kulturwandel ist unumgänglich – wann ist «genug»?

Doch, den Kopf in den Sand zu stecken, geht nicht: auch mit Reparaturtechniken werden wir auf Kosten unserer Kinder leben. Die einzige Möglichkeit, die bleibt, ist, uns auf ein «Genug» zu besinnen. Die gesellschaftliche Diskussion dazu, wann wir genug zum Leben und zum Glücklichsein haben, muss geführt werden. Auch über gesetzliche Grenzen müssen wir diskutieren dürfen. Man müsste meinen, unter uns Christinnen und Christen sollte das einfacher sein, denn wir beziehen unser Glück ja nicht nur aus dem Materiellen. Aber selbst unter uns wird Wachstum beschworen. Auch bei uns ist also der Aufruf angebracht: Fangen wir bei uns an!

Und ja: es gibt Menschen, die Mühe haben, über die Runden zu kommen. Für diese braucht es ein «Mehr». Doch dies muss nicht mit noch mehr Wachstum geschaffen werden. Wer kann sagen, dass die Schweiz nicht genügend Ressourcen hat, um auch für die Armen zu sorgen? Oder haben wir noch immer Angst, zu wenig zu haben oder zu eingeschränkt zu sein, wenn wir etwas abgeben? Wer kann uns gegen diese Angst helfen?

In 1. Joh. 4,18 heisst es: «Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus». Und auch die Schuldgefühle werden ausgetrieben. Denn wir müssen uns nicht schuldig fühlen, sondern einfach verantwortungsvoll handeln!

Foto de Rux Centea sur Unsplash

~ 3 min

Was ist der Hauptantrieb, wenn Menschen ihren Glauben mit anderen teilen? Ist es die Liebe? Oder ist es die Gerechtigkeit?

Ich habe tatsächlich den Eindruck, dass trotz anderer Behauptungen die zentrale Grundperspektive klassisch konservativer / evangelikaler Theologie nicht die Liebe, sondern die Gerechtigkeit ist. Diese Gerechtigkeit ist der Liebe übergeordnet. Erst wenn der Gerechtigkeit Genüge getan ist – was oft bedeutet, dass ein Mensch in bestimmte Vorstellungen von Richtigkeit und Gehorsam hineinpasst – kann die Liebe zum Zug kommen. Zu lieben, ohne vorher klarzustellen oder geistlich einzurenken, scheint für so manchen Christen kein gangbarer Weg zu sein. Das wird als Verrat an der über allem stehenden Gerechtigkeit Gottes verstanden. Liebe ist zwar immer der erklärte Wille und die erklärte Absicht, aber diese Liebe kommt eben praktisch an der geforderten Gerechtigkeit (Korrektheit) nicht vorbei.

Und leider geht es wie oben erwähnt bei dieser Gerechtigkeit nicht um die klassische Glaubensgerechtigkeit, die Luther so wichtig wurde, sondern oftmals um Konformität subjektiv biblischen und moralischen Vorstellungen eines bestimmten frommen Milieus gegenüber.

In meinem Buch nenne ich als eines von mehreren Merkmalen progressiver Theologie:

„DIE LIEBE GOTTES ALS HAUPTANTRIEB – Menschen mit progressivem Glauben lassen sich von der Liebe Gottes motivieren, ihren Glauben mit anderen zu teilen. In dieser Liebe sehen sie auch ihre Offenheit gegenüber anderen Lebensentwürfen und -formen begründet.“

Auch wenn konservative Theologie immer wieder behauptet, Liebe und Gerechtigkeit gehören untrennbar zusammen, stelle ich nach 30 Jahren Leben in diesen Kreisen fest, dass die Gerechtigkeit der Liebe im konkreten Vollzug meist übergeordnet ist. Immer wieder höre ich konservative Pastoren sagen, dass ihnen in all ihren Jahren solch eine Vorrangstellung der Gerechtigkeit gegenüber der Liebe nie begegnet ist. Und ich frage mich dann manchmal, ob es einfach gar nicht mehr wahrgenommen wird, weil es so gewohnt ist. Haben diese Pastoren und Christen wirklich noch nie erlebt, dass ein Jugendpastor entlassen wurde, weil er mit seiner Freundin zusammengezogen ist? Dass Menschen nicht mehr in die Gemeinde gehen konnten, weil sie sich haben scheiden lassen? Dass Musiker nicht mehr auf der Bühne mitspielen durften, weil sie sich als homosexuell geoutet haben? Dass jemand die Hauskreisleitung entzogen wurde, weil er nicht mehr an die Historizität der Schöpfungserzählung glauben konnte? Dass begabte Frauen bloss wegen ihres Geschlechts nicht leiten oder predigen durften?

Vielen konservativen Christen erscheinen diese Konsequenzen absolut einleuchtend und es käme ihnen nicht in den Sinn, dass das lieblos ist, denn es ist doch richtig! Aber wieder und wieder wird die Liebe und die Barmherzigkeit auf dem Altar der Korrektheit (was natürlich mit Gottes Gerechtigkeit gleichgesetzt wird) geopfert.
Wenn schon biblisch, dann sehe ich dort den klaren Vorrang in der Liebe. Das wird zum einen explizit so zum Ausdruck gebracht (z.B. 1.Kor.13), zum anderen in vielen Geschichten, Begegnung und Gleichnissen Jesu illustriert.

  • Die Gerechtigkeit fordert die Steinigung der Ehebrecherin, die Liebe Jesu spricht: ich verurteile dich nicht, gehe in Frieden, aber verfehle in Zukunft das Ziel deines Lebens nicht mehr (vgl. Joh.8,11).
  • Die Gerechtigkeit des älteren Bruders fordert Konsequenzen für den verlorenen Sohn. Die Liebe des Vaters nimmt ihn bedingungslos an (vgl. Lk. 15)

Wenn die Liebe die Hauptmotivation ist, schliesst das Gerechtigkeit überhaupt nicht aus. Aber Gerechtigkeit ist eben eine Ausdrucksform der Liebe Gottes, die Liebe führt zur Gerechtigkeit und es geht nicht um ein unbedingt ausgewogenes Verhältnis zwischen diesen beiden Eigenschaften. Und wenn ich mich entscheiden müsste, wollte ich mich immer für die Liebe entscheiden! Das empfinde ich als am Göttlichsten. Denn nicht die Gerechtigkeit am Kreuz hat der Liebe Gottes den Weg freigeräumt, sondern die Liebe Gottes hat das Kreuz erst möglich gemacht. Die Liebe geht allem voraus und am Ende hat sie das letzte Wort.

Der Artikel ist erstmals am 23. März 2023 auf www.movecast.de erschienen.

~ 3 min

Ohne persönliche Reflexion und die Bereitschaft, bei sich selber anzufangen, wird unser Glaube hohl, selbstgerecht und unbarmherzig – und politische Aktionen verlieren an Glaubwürdigkeit

Deshalb: 130 Tipps für ein engagiertes und gesundes Christsein

Die Tipps sollen uns motivieren, herausfordern, provozieren …

  1. Ich bete für Politiker
  2. Ich fahre Velo, statt Auto
  3. Ich bitte Gott um Weisheit
  4. Ich liebe Ausländer
  5. Ich spende mind. 10 % von meinen Einkommen
  6. Ich mogle nicht bei der Steuererklärung
  7. Ich übernehme eine Patenschaft in einem Drittweltland
  8. Ich wähle keine Rechtspopulisten
  9. Ich lade meine Nachbarn zum Essen ein
  10. Ich teile mein Auto mit andern
  11. Ich muss nicht immer alles haben
  12. Ich muss nicht immer Recht haben
  13. Ich bete für meine Nachbarn
  14. Ich kaufe bewusst Fair Trade Produkte
  15. Ich verzichte auf umweltbelastende Verpackungen
  16. Ich lese Zeitung
  17. Ich motiviere andere Menschen
  18. Ich packe an
  19. Ich gönne mir eine Pause zum Nachdenken
  20. Ich bespreche wichtige Entscheidungen mit Gott
  21. Ich lasse mich korrigieren
  22. Ich glaube an Jesus Christus
  23. Ich gehe auf Menschen zu
  24. Ich überwinde meine Ängste
  25. Ich bete für unseren Staat
  26. Ich besuche Flüchtlinge
  27. Ich orientiere mich an der Bibel
  28. Ich will Gott von ganzem Herzen lieben
  29. Ich nehme Schwache in Schutz
  30. Ich ziehe nicht über Ausländer her
  31. Ich engagiere mich bei ChristNet
  32. Ich übernehme Verantwortung
  33. Ich lese in der Bibel
  34. Ich interessiere mich für meine Nachbarn
  35. Ich helfe einer alten Frau über die Strasse
  36. Ich starte ein Sozialprojekt in der Gemeinde
  37. Ich treibe gesunden Sport
  38. Ich besuche ein Drittweltland
  39. Ich bete für Bush, statt über ihn zu lästern
  40. Ich kaufe in der Brockenstube ein
  41. Ich schlage nicht auf Kriegstrommel
  42. Ich habe keine Angst vor der Welt
  43. Ich unterstütze Greenpeace
  44. Ich verschenke Dinge, die ich doppelt habe
  45. Ich kaufe Biogemüse
  46. Ich bekenne meine Sünden
  47. Ich unterstütze Frauen in der Politik
  48. Ich bete für mehr Ehrlichkeit und Transparenz in der Politik
  49. Ich organisiere eine Party für unser Quartier
  50. Ich lese auch unbequeme Passagen in der Bibel
  51. Ich verzichte auf Gentech-Nahrungsmittel
  52. Ich benütze die öffentlichen Verkehrsmittel
  53. Ich engagiere mich in einer Partei
  54. Ich sage nicht zu allem Ja
  55. Ich lese genauer, was auf Verpackungen steht
  56. Ich setze Prioritäten
  57. Ich lebe mit anderen Leuten zusammen
  58. Ich lästere nicht über andere Leute
  59. Ich bete für Moslems
  60. Ich (Mann) übernehme selbstverständlich Haushaltsarbeiten
  61. Ich erzähle keine frauenfeindliche Witze
  62. Ich mache Werbung für ChristNet
  63. Ich halte mich von jeglicher Pornographie fern
  64. Ich unterschreibe Briefe gegen Menschenrechts-verletzungen
  65. Ich nehme Rücksicht auf zukünftige Generationen
  66. Ich unterstütze den Quartierladen
  67. Ich renne nicht jedem Modegag hinterher
  68. Ich schaue einen Monat nicht fern
  69. Ich schreibe Leserbriefe
  70. Ich lade einen Randständigen zum Essen ein
  71. Ich bin selbstkritisch
  72. Ich gebe anderen den Vortritt
  73. Ich nehme jeden Tag als Geschenk an
  74. Ich produziere weniger Abfall
  75. Ich stelle meine Heizung tiefer
  76. Ich gebe ein grosszügiges Trinkgeld
  77. Ich gehe an eine Demo
  78. Ich will für Waren einen fairen Preis bezahlen
  79. Ich denke nicht immer nur an mich
  80. Ich nutze meine Versicherung nicht aus
  81. Ich verschenke meinen Fernseher
  82. Ich versuche mehr zuzuhören
  83. Ich mache eine alkoholfreie Party
  84. Ich hüte die Kinder meiner Nachbarn
  85. Ich bete für meinen Pastor
  86. Ich bewundere und achte Gottes Schöpfung
  87. Ich fliege höchsten 1 mal pro Jahr
  88. Ich teile Haushaltsgeräte mit anderen
  89. Ich bete für die Kirche
  90. Ich unterstütze Umweltorganisationen
  91. Ich nehme mir Zeit für die Familie
  92. Ich bringe Lebensmittel für Bedürftige in die Kirche
  93. Ich spekuliere nicht an der Börse
  94. Ich bete für Kinder in der 3. Welt
  95. Ich freue mich an der Natur
  96. Ich bringe Sachen in die Brockenstube
  97. Ich vertraue nicht auf mein Geld
  98. Ich distanziere mich vom „Prosperity Gospel“
  99. Ich lerne eine Fremdsprache
  100. Ich esse weniger Fleisch
  101. Ich telefoniere einem einsamen Freund
  102. Ich schreibe einen Artikel für ChristNet
  103. Ich danke Gott für das Leben
  104. Ich betrachte Tiere nicht als Ware
  105. Ich überwinde den Röstigraben
  106. Ich bete für den Irak
  107. Ich sage meine Meinung
  108. Ich kaufe mir nicht stets die neusten Markenartikel
  109. Ich lasse mich von Gott verändern
  110. Ich schaue nicht neidisch auf den Besitz anderer
  111. Ich tue Busse
  112. Ich vertraue nicht meinem Wohlstand
  113. Ich stimme für die Schwachen
  114. Ich zeige mich versöhnlich
  115. Ich will keine Waren, die mit Kinderarbeit hergestellt wurden.
  116. Ich verzichte auf Büchsenfood
  117. Ich danke Gott für das, was ich habe
  118. Ich lasse mich nicht für dumm verkaufen
  119. Ich schenke Zeit
  120. Ich denke lösungsorientiert
  121. Ich kaufe Energiesparlampen
  122. Ich überlasse die Politik nicht anderen
  123. Ich verzichte einen Tag lang auf Geld
  124. Ich tue Busse für unser Land
  125. Ich werfe keinen Sondermüll in den Kehricht
  126. Ich nutze den Staat nicht aus
  127. Ich suche meine Anerkennung nicht in Statussymbolen
  128. Ich verzichte auf Gewalt
  129. Ich verschliesse meine Augen nicht
  130. Ich kann etwas tun