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Die Verantwortung der Christinnen und Christen im Zusammenhang mit den jüngsten Asylgesetzrevisionen.

Als das Asylgesetz 1979 geschaffen wurde, spielte die Schweiz eine juristische und humanitäre Vorreiterrolle. Kein anderes Land Europas hatte ein so klar strukturiertes und offenes Asylrecht. Seither haben unzählige Revisionen dieses Vorbild bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Die jüngsten Änderungen, die vom Ständerat in der Frühlingssession beschlossen wurden, machen aus unserem Asylrecht in den Worten des ehemaligen UNO-Hochkommissars für Flüchtlinge das restriktivste Asylrecht Europas. Hier ein paar Müsterlein[1]:

–         Systematische Rückschaffung, wenn ein Asylbewerber aus einem sogenannt ?sicheren? Land stammt. Die Liste der sicheren Länder sieht in der EU ziemlich anders aus als in der Schweiz. Welche Länder sind nun wirklich sicher?

–         Starke Reduktion der humanitären Aufnahme für Asylbewerber, die nicht politisch sondern persönlich verfolgt werden. Dieses ?kleine Asylrecht? sollte Menschen Zuflucht schaffen, die in ihrem Land aus sozialen, familiären und nichtstaatlichen politischen Gründen in grosser Gefahr sind. Jetzt wird es auf eine ?unmittelbare Todesgefahr? beschränkt. Was ist da mit Folter und Vergewaltigung?

–         Auf ein Gesuch wird nicht eingetreten, wenn der Asylbewerber keinen Personalausweis vorzeigen kann. Diese Massnahme trifft etwa 80% der Fälle! Natürlich gibt es Fälle, wo Asylbewerber erst nach Eintritt in die Schweiz ihre Papiere vernichten, aber die Schweiz hat offenbar immer noch nicht verstanden, dass viele andere Flüchtlinge sie bereits in ihrer Heimat oder unterwegs aus Sicherheitsgründen vernichten mussten oder (insbesondere in Afrika) zum Teil nie im Leben Papiere besessen haben.

Die Quote der Menschen, die Asyl erhalten, wird somit künstlich tief gehalten, und viele verfolgte Menschen fallen durch die Maschen. Diese sollen nun noch weiteren brutalen Massnahmen ausgesetzt werden:

–         Möglichkeit, einen Asylbewerber bis 2 Jahre ins Gefängnis zu setzen, wenn sein Gesuch abgelehnt wurde. Diese Ausweitung der Zwangsmassnahmen ist darum umso absurder, weil der Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission gezeigt hat, dass die Ausschaffung unmöglicher ist je länger jemand in Haft bleibt.

–         Asylbewerber, deren Gesuch abgelehnt wurden, sind von der Sozialhilfe ausgeschlossen. Sie werden damit eigentlich auf die Strasse gesetzt in der Hoffnung, dass sie von selber verschwinden. Die Erfahrung mit den Nichteintretensentscheiden (NEE), die bereits von dieser Massnahme betroffen sind, hat gezeigt, dass die Menschen zwar aus den Statistiken und dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verschwinden, nicht aber aus der Schweiz!

–         Möglichkeit, die Nothilfe zu kürzen, wenn ein abgewiesener Asylbewerber die Schweiz nicht rechtzeitig verlässt. Damit widersetzt sich der Ständerat der Bundesverfassung, die das Recht auf eine würdige Existenz garantiert (Art. 12); ein Recht, das vom Bundesgericht kürzlich bestätigt wurde.

Es wird immer gesagt, dass die Missbräuche im Asylwesen vermieden werden sollen. An den hier vorgeschlagenen Massnahmen wird aber nur zu deutlich, dass nicht einfach die Missbräuche verhindert werden sollen, sondern das Recht auf Asyl überhaupt. Offenbar ist es das oberste Ziel, die Missbrauchsquote auf Null zu bringen, auch wenn es vielen Menschen die Würde und das Leben kostet. Damit werden Recht und Gerechtigkeit mit Füssen getreten.

Das können wir als Christen und Christinnen nicht zulassen! ?Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr für mich getan?, sagt Jesus (Matthäus 25,40). Der Umgang mit den Ausländern ? und die Flüchtlinge sind nun wirklich die Geringsten, d.h. die Schwächsten unter den Ausländern ? ist einer der deutlichsten Massstäbe für den Platz, den Jesus in unserer Gesellschaft hat.

Es ist an der Zeit, dass die Gemeinde in der Schweiz aufwacht und ihre prophetische Rolle für die Schweiz wahrnimmt. Hier geht es nicht nur um die Zukunft der Flüchtlinge oder unseres Landes. Hier steht die Zukunft der christlichen Gemeinde auf dem Spiel. Wenn ein Gemeinwesen die Schwächsten nicht mehr als Mitmenschen wahrnimmt, wie kann dann die Gemeinde noch von ihm erwarten, dass es den Schwächsten der Schwachen, Jesus, annimmt? Und wie kann die Gemeinde Jesus noch in die Augen blicken, wenn sie sich heute nicht für Seine Geringsten einsetzt?

„Sorgt dafür, dass jeder zu seinem Recht kommt! Recht und Gerechtigkeit sollen das Land erfüllen wie ein Strom, der nie austrocknet.“ (Amos 5,24)


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Das Kind als Ausgangspunkt zum Thema Frau und Gesellschaft

Eltern übernehmen die Verantwortung des Aufwachsens der Kinder. Die Gesellschaft hat die Aufgabe geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, um die Entwicklung der Kinder zu unterstützen. Dies sind ganz geraffte, zentrale Aufgaben der Familie und der Gesellschaft.

Ich möchte drei Schwerpunkte und Aspekte ein wenig näher betrachten.

– Biologische Aspekte

– Entwicklungsentsprechende Aspekte

– Gesellschaftliche Aspekte

Biologische Aspekte

Die Schwangerschaft und Geburt, sowie die Stillzeit sind zentrale Aufgaben der Frau und Mutter. Sie ist die erste Bezugsperson und ist sehr wichtig für die Sozialisation des Kindes. Man weiss heute, dass ein Baby, wenige Stunden nach der Geburt die Stimme der Mutter von andern Stimmen unterscheiden und erkennen kann. Das Kind nimmt schon während der Schwangerschaft, über die Sinnesorgane, verschiedene Bewegungen und Geräusche (Herzschlag, Stimmlage) der Mutter wahr.

Der Vater übernimmt nach der Geburt eine aktive Rolle, im kennen lernen des Kindes und ist bei der Pflege und Förderung des Babys sehr wichtig.

Das Elternpaar hat eine gemeinsame, interessante und vielfältige Aufgabe.

Entwicklungsentsprechende Aspekte

Die Förderung der Wahrnehmung  und Bewegung  ist eine und wichtige Aufgabe.

Vielseitige Bewegungs- und Wahrnehmungsmuster bilden die Grundlage für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung und für die Handlungsfähigkeit.

Der komplexe Integrationsprozess der verschiedenen Sinne ( Sehen, Hören, Tasten, Riechen und Schmecken ) ins Nervensystem ist eine weitere, grundlegende Entwicklungsphase.

Das Kleinkind braucht viel Zeit, um die erlernten Bewegungen und Eindrücke von seiner Umgebung, in sein Wahrnehmungssystem aufzunehmen und zu festigen. Die Wiederholungen der Abläufe, also hundert Mal das Gleiche tun, sind eine Voraussetzung für die Weiterentwicklung der neuen Eindrücke. Nur so können die vielseitigen Erlebnisse adäquat in das Nervensystem integriert werden.

Im freien Spiel der Kinder kann man diese Entwicklung sehr direkt beobachten. Deshalb ist es wichtig, dass die Kinder genügend Freiraum und Zeit haben diese Entwicklungen auszuschöpfen.

Ständig wechselnde Elementare Veränderungen der Umwelt  Bedeuten erhöhten  Stress für die Kinder. Sie brauchen viel Energie sich in der neuen Umgebung zu orientieren und dies hat auch negative Folgen für die Entwicklung.

Man hat festgestellt, dass die Kinder heute, viel weniger motorische Fähigkeiten entwickelt haben, als gleichaltrige Kinder vor zwanzig Jahren. Das Fazit daraus man hat die Norm der Test verändert, weil viele die Altersentsprechenden Bewegungen nicht mehr beherrschten.

Ich finde man sollte einen anderen Ansatzpunkt verfolgen, nämlich die Förderung des Erlebnisbereiches der Kinder, um die motorischen Fähigkeiten wieder in ganz verschiedenen Situationen einzuüben.

Ich biete seit 8 Jahren Töpferkurse für Kinder an. Die Kinder dürfen mit ganz verschiedenen Tonarten ihre eigenen Ideen umsetzen. Ich habe auch einen Schlammkessel wo die Kinder mit ihren Händen so richtig in dem weichen Ton wühlen können. Oft ist es nach einer eher lauten und kraftvollen Anfangszeit, wo der Ton mit Messer und anderen Werkzeugen so richtig durchgeknetet und bearbeitet wird, wieder ruhig und die Ideen bekommen eine Form und werden mit Eifer ausgestaltet.

Gesellschaftliche Aspekte

Eine kleine Exkursion zur Familienfrau und Mutter und ihren Funktionen in der Gesellschaft. Ich möchte ein paar Arbeitsbereiche aufzählen, um einen Einblick in den vielfältigen und spannenden, aber auch anspruchsvollen Alltag der Mutter  zu geben.

Sie ist Pädagogin, Köchin, Aktivierungstherapeutin, Raumpflegerin, Managerin, Werklehrerin, Hauswirtschaftlerin, Buchhalterin und Freizeitanimatorin?.

Sie vollbringt eine hohe Arbeitsleistung an unsere Gesellschaft und diese Werte werden oft nicht genügend anerkannt.

Ich denke es braucht wieder eine Lobby für die Kinder. Sie sind das schwächste Glied in der Gesellschaft und viele Freiräume, die ihnen zustehen würden, sind nicht mehr oder nur ungenügend vorhanden.

Der Artikel des Soziologen Prof. Dr. Klaus Hurrelmann mit dem Titel

?Kindheit heute ? Der Platz von den Kindern in unserer Gesellschaft?

kann uns dabei eine Diskussionsgrundlage geben. Er enthält interessante Informationen über die Entwicklung der Kindheit und die Familie in unserer heutigen Gesellschaft.

 

Elisabeth Geiser

Familienfrau, Sozialpädagogin mit Zusatzqualifikation Psychomotorik und Töpferin


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~ 14 min

Mit unheimlicher Lautstärke dröhnen die Glocken der Friedenskirche durch meine Nachbarschaft. Insbesondere am Sonntagmorgen schallen sie derart durchdringend, dass jedes Schlafen verunmöglicht wird. Ein Christ antwortete auf mein Klagen diesbezüglich: „Wir können doch froh sein um dieses Geläute. Das ruft uns Schweizern wenigstens wieder in Erinnerung, dass wir in einem christlichen Land leben.“ In einem christlichen Land? Wir? – Diese Idee macht mich stutzig. Was heisst es überhaupt, ein christliches Land zu sein? Und falls wir wissen was es heisst, ein christliches Land zu sein ? ist die Schweiz ein solches Land?

1. Sind die Schweizer Christen? ? ein erstes Kriterium

Ja, wann ist ein Land ein christliches Land? Für viele Leute ist die Antwort: Wenn es in diesem Land viele Christen gibt. Dieses Kriterium bedient sich des Mottos „Die Summe der Teile machen das Ganze aus“. Wenn alle Bewohner Christen sind, oder ein Grossteil, oder mehr als die Hälfte, so kann man das Land als Ganzes christlich nennen. Zur reinen Anzahl an Christen kommt Folgendes: In einem Land, in dem es viele Christen gibt, werden konsequenterweise auch die Gesetze, die Kultur und „die Luft, die man atmet,“ christlich geprägt sein. Deshalb wird oft auch gesagt, dass ein Land, das christliche Werte in Politik und Gesellschaft verwirklicht, ein christliches Land sei.

Ein erstes Kriterium für ein christliches Land wäre also: ein Land, in dem einerseits viele Christen leben, und in dem andererseits christliche Werte in der Öffentlichkeit eine wichtige Rolle spielen.

a) Heute

Ist die Schweiz nach diesem Kriterium ein christliches Land? Dazu müssen wir uns fragen, was es heisst, Christ zu sein. Fragt man die Christen danach, so betonen sie immer, dass Christsein viel mehr bedeute als an Weihnachten pro forma einen Gottesdienst über sich ergehen zu lassen. Christsein bedeute, in seinem Leben einen Punkt zu setzen und umzukehren, sich von Gott die Fehler vergeben zu lassen, Sorglosigkeit und Freude und Befreiung schenken zu lassen, mit Jesus , seiner Liebe und seinem Geist durch den Alltag zu gehen und vieles mehr. Wieviele der Schweizer Einwohner sind von dieser Vision geprägt? Wo ist auch nur ein Ort in der Schweiz, dessen Strassen mit Christenmenschen gefüllt wären? Ich sehe ihn nicht.

Und da die Öffentlichkeit immer von den Bürgern geformt wird, die sie ausmachen, sind somit auch unsere Gesetze, unsere Gesellschaft und Kultur nicht von christlichen Zielen geleitet (und wenn sie es sind, dann entspringt dies nicht mehr einer christlicher Motivation). In der Schweizer Öffentlichkeit wehen viele Geister, gute wie böse: die Geldliebe, die Bitterkeit, die Ehrlichkeit, die Sorge um die Natur, der Spass, usw. Der Geist Jesu aber ist inmitten dieser Stürme kein starker Wind.

Sehr viele Christen verwenden zwei verschiedene Definitionen von Christsein und christlichen Werten, je nachdem ob sie die Meinung vertreten, die Schweiz sei ein christliches Land oder ob sie sonst ? im Rahmen eines Gottesdienstes oder eines Hauskreises ? über ihren Glauben sprechen. In ersterem Fall gilt die Schweiz auf einmal als christliches Land, nur weil noch eine Minderheit manchmal den Gottesdienst besucht oder weil unsere Gesetze entsprechend den Zehn Geboten das Morden verbieten.

b) Gestern

Einige Leser werden eingestehen, dass die Schweiz heute tatsächlich nicht mehr von Christen bevölkert ist. Aber sie werden erwidern, dass dies in den vergangenen Jahrhunderten anders gewesen sei. Und: Unsere ganze heutige Kultur sei auf diesem christlichen Boden früherer Zeiten gewachsen und somit von ihm genährt.

 

Dazu ist dreierlei zu erwidern: Erstens, inwiefern kann einen der Glauben der Vorfahren tragen ? und inwiefern muss jeder Mensch selbst zu Gott finden? Zweitens, wie stark ist der Einfluss der Zeiten von Niklaus von der Flüe und Jeremias Gotthelf auf das Leben im 21. Jahrhundert überhaupt noch? Drittens ? und das ist die wichtigste Erwiderung ?, wie christlich sind unsere Wurzeln wirklich? Wer prägte das sogenannte christliche Abendland: Bibeltreue Prediger oder vom Aberglauben durchtränkte Volksfrömmigkeit? Ein paar wenige pazifistische Mennoniten oder unzählige kriegslustige Adlige? Matthias Claudius oder Denis Diderot? Die Liste liesse sich fortsetzen. Vergleichen wir doch einmal, was Jesus der Welt angepriesen hat und was die Öffentlichkeit und den Alltag eines Menschen in den Jahrhunderten des sogenannten christlichen Abendlandes geprägt hat! Stellt sich da nicht die Frage, ob nicht auch in der so vielbeschworenen christlichen Vergangenheit der Schweiz der „breite Pfad“ von mehr Menschen beschritten wurde ? das neue Leben hingegen, das Gott den Menschen geben möchte, nur einen kleinen Teil der Menschen und der Kultur und Politik echt verändern konnte?

Es sieht also so aus, dass sowohl heute als auch in der Vergangenheit ein Grossteil der Schweizer Bevölkerung zu jenen Menschen gehört, die das Evangeliums zu empfangen brauchen und nicht zu jenen, die es schon empfangen haben. Und somit war auch die Gesellschaft, Politik und Kultur nie besonders stark von christlichen Zielen geleitet. Wenn man die „Christlichkeit“ eines Landes daran messen will, ob die Teile, die es ausmachen ? seine Menschen, seine Führer, sein öffentliches Leben ? vom Glauben an den Gott Abrahams geprägt sind, so können wir die Schweiz nicht als christliches Land bezeichnen.

2. Ist die Schweiz Christ? ? ein zweites Kriterium

Es gibt Christen, die die Schweiz trotzdem als christliches Land bezeichnen, obwohl sie einsehen ? und auch beklagen -, dass die Schweizer die Prägung durch den Glauben an Jesus verloren haben oder nie gehabt haben. Und zwar, weil sie unter einem christlichen Land etwas anderes verstehen, als dass in diesem Land eine bestimmte Anzahl von Christen leben. Diese andere Sicht betont, dass wir uns im Bundesbrief und in der Verfassung Gott anbefohlen haben und Gott die Schweiz gesegnet hat. So wie ein Individuum sich zu Gott bekehren kann, so kann auch eine Nation ? wie eine Person ? mit Gott in eine Beziehung treten. Es spielt dabei keine Rolle, dass die Schweizer heute in ihren je individuellen Leben Gott verlassen haben. Die Schweiz als Ganzes ist und bleibt Gottes Kind ? so die Meinung vieler Christen. Dieses zweite Kriterium dafür, ob ein Land christlich ist oder nicht, bezeichnet ein Land nicht dann als christlich, wenn seine Teile es sind, sondern wenn das Land als Land eine spezielle Beziehung zu Gott hat.

a) Flaggen, Briefe und Präambeln

Es scheint äusserst fraglich, ob die Schweiz nach diesem zweiten Kriterium ein christliches Land ist. Oftmals wird zur Stützung dieser Idee auf das Kreuz in unserer Flagge verwiesen. Man muss sich jedoch fragen, ob zum Beispiel der Kanton Neuenburg wirklich ein christlicherer Kanton ist als der Kanton Bern, nur weil in seiner Flagge ein Kreuz prangt statt eines Bären. Macht das den Unterschied?

 

Als weitere Stützung für die Idee einer „christlichen Schweiz“ wird oft der Bundesbrief von 1291 genannt. Nur ist es bei genauerem Hinsehen nicht einsichtig, wie der Bundesbrief die Schweiz irgendwie näher zu Gott geführt hätte. Der Bundesbrief ist ein Dokument, das einen Verteidigungsbund zwischen drei Tälern und die wichtigsten Regeln der Justiz kurz und schriftlich festhält. In keiner Weise ist es ein Bund mit Gott, wie dies zur Zeit unter Christen zu hören ist1 ! Natürlich beginnt der Bundesbrief „In Gottes Namen, Amen“ und an einer Stelle kommt ein „so Gott will“ vor. Aber weshalb diese zwei Formulierungen ein Militär- und Justizbündnis zu einem Gottesbund machen sollen, ist nicht einsichtig. Die Anrufung Gottes in der Einleitung war etwas Bescheideneres ? man bat Gott darum Herr oder Zeuge (oder etwas Ähnliches) des Bundes zwischen den Talschaften zu sein. Und wenn man bedenkt, wieviel tausend Bündnisse und Urkunden zu dieser Zeit (nicht zuletzt jene der Feinde der Eidgenossen) mit einer solchen oder ähnlichen Anrufung Gottes begonnen haben, so muss man anerkennen, dass die Einleitung nur teilweise das Gewicht eines ernsten Wortes besass, zum grössten Teil aber einfach gebräuchliche Floskel war. Auch muss man sich bewusst sein, dass der Bundesbrief nicht das Gründungsdokument der Schweiz ist. Es gab damals eine Reihe solcher Bündnisse ? im 19. Jahrhundert wurde einfach dieses besonders prägnante Beispiel als Anfang der Schweiz bestimmt.

Dann gibt es noch die Präambel zur Bundesverfassung: „Im Namen Gottes des Allmächtigen“. Die Bibel lehrt uns an so vielen Stellen, dass Gott nicht auf offizielle Bezeugungen achtet, sondern dass ihm die tatsächliche Herzenshaltung und die daraus fliessenden Taten wichtig sind2 . Weshalb eine solche Präambel die Schweiz christlicher machen soll, ist deshalb völlig unerklärlich. Dies ist umso unerklärlicher, wenn man die Bedeutung der Präambel bedenkt. Juristisch gesehen ist klar, dass die Präambel keine Rechtskraft hat ? ihr Wert ist allein symbolischer Art. Auch wurde in den parlamentarischen Beratungen deutlich, dass in dieser Anrufung nicht einfach der Gott der Christenheit angerufen wird. So sagte der federführende Bundesrat Koller: „Jede Person kann (…) Gott dem Allmächtigen einen persönlichen Sinn geben.“ Die meisten Parlamentarier machten deutlich, dass das „Im Namen Gottes des Allmächtigen“ vor allem die Begrenztheit unseres menschlichen Handelns ausdrücke, und nicht mehr. Wer kann die Propheten lesen und gleichzeitig behaupten, dass es Gott ehrt, wenn eine solche Präambel als Worthülse beschlossen wird, für die einer der wichtigsten Gründe laut bundesrätlicher Botschaft der Traditionsanschluss ist? Welches Land kann sich vor Gott rühmen, das zwar der Verfassung ein paar schöne Worte voranstellt, im Alltag aber dem Geld, dem Wirtschaftswachstum und der Leistungsgesellschaft verschrieben ist?

Weiters wird oftmals auf das Wohlergehen der Schweiz verwiesen, um zu beweisen, dass Gott unser Land speziell gesegnet hat. Was, wenn nicht Gottes Segen, hätte unser Land mit einer derart friedlichen Geschichte und einem derart grossen Bruttoinlandsprodukt ausgestattet? Nun, die Bibel ist voll von Klagen darüber, wie die Gottlosen saufen und fressen können3 , während diejenigen, die Gott gehören, unten durch müssen. Natürlich gibt es in der Bibel ebenso viele Beispiele, wo Gott die Seinen mit irdischem Wohlergehen segnet4 . Dass es diese beiden Seiten gibt, zeigt uns, dass man nie auf einfache Weise sagen kann: Uns geht es gut, also steckt Gott dahinter. Genausogut könnte unser Wohlergehen die Folge unserer guten wie schlechten Taten sein oder der freien Gnade Gottes entspringen.

Auch nach dem zweiten Kriterium gibt es also keinen Grund, die Schweiz als Land als besonders zu Gott gehörig zu betrachten5 .

b) Exkurs: Länder als Ansprechpartner Gottes?

Hier ein kleiner Exkurs über einen wichtigen, wenn auch komplexen Nebenaspekt:

Wir sind oft in Verwirrungen verstrickt, wenn wir Länder überhaupt als zu Gott gehörig zu betrachten. Wir können nicht davon sprechen, dass die Schweiz als Schweiz ? oder irgendein Land ? christlich sei, ohne zu beachten, dass wir moderne Menschen uns überhaupt nicht mehr gewohnt sind in Gruppen, Generationen und Nationen als organischen Einheiten zu denken. Für uns scheinen Gemeinschaften immer bloss eine Ansammlung von Individuen zu sein. Für die Menschen des 21. Jahrhunderts ist es ein querer Gedanke, ein Land ? und nicht einen Menschen ? als Gottes Partner zu bezeichnen. Unserem völlig individualistisch und liberal geprägten Denken fällt es schwer, die Tatsache, dass auch Gemeinschaften eine Beziehung zu Gott haben können, aufzunehmen, sauber einzuordnen und vor allem wahrzuhaben. Die Bibel aber spricht oft zu einer Gemeinschaft ? nicht als einer Summe von Einzelpersonen, sondern als einer einzelnen Person6 .

Natürlich ist es nicht eindeutig zu verstehen, wie Gott zu Gemeinschaften spricht (und sogar das „ob überhaupt“ ist nicht völlig klar). So sprach Gott damals z.B. zu Menschen, die sich vielmehr als Wir denn als Ich empfunden haben. Inwieweit können wir diese Aussagen auf uns heutige Menschen übertragen, die sich vielmehr als Ich denn als Wir empfinden? Die Gemeinschaften zu denen Gott gesprochen hat waren völlig andere als heute. Damals waren Stämme, Grossfamilien und Königtümer relevant. Heute sind es multi-ethnische demokratische Nationalstaaten, Freundeskreise und Kleinfamilien. Ebenfalls zu bedenken ist, dass Gott nicht jedesmal wenn er ein Volk anspricht wirklich das Volk als Volk meint. So sagen wir auch heute, dass die Schweiz Nein gesagt habe zum EWR, wenn wir eigentlich sagen wollen, dass eine Mehrheit der Individuen Nein gesagt habe. Des Weitern stiftet Verwirrung, dass Gott zur Nation Israel eine ganz besondere Beziehung gehabt hat ? inwieweit können wir aber aus der Beziehung Gottes zu Israel etwas über die Beziehung Gottes zu anderen Nationen lernen? Ein weiterer gewichtiger Punkt ist, dass Gott uns mit dem neuen Testament ein neues Denken bringt. Die Umkehr, die Taufe, die Geisterfüllung und die Gottesbeziehung des Individuums haben nun eine ganz andere Priorität als im alten Testament. Trotz dieser Fragen, die unser Verständnis etwas in Nebel hüllen, bleibt es dabei, dass Gott sowohl Einzelpersonen als auch Völker anspricht.

c) Schluss: Die Schweiz ist kein christliches Land

Zusammenfassend für den ganzen Text lässt sich folgendes sagen: Wir haben zwei Kriterien dafür begutachtet, was ein Land zu einem christlichen Land machen könnte. Das erste Kriterium sieht ein Land dann als christlich an, wenn sowohl ein ansehnlicher Teil seiner Bewohner als auch die dadurch geprägte Öffentlichkeit christlich sind. Das zweite Kriterium sieht ein Land auch dann noch als christlich an, wenn kaum mehr jemand aktiv Jesus nachfolgt, dieses Land aber ? als Land ? mit Gott in eine Beziehung getreten ist. Nach keinem dieser beiden Kriterien ist die Schweiz ein christliches Land.

3. Schweiz ohne Gott

Es ist also Tatsache, dass die Christen nicht die Vertreter der eigentlichen, wahren, christlichen Identität der Schweiz sind. Nein, sie leben in einem säkularen, liberalen Staat als eine unter vielen Minderheiten. Diesen Paradigmenwechsel nachzuvollziehen tut gut. Wenn wir der Wahrheit in die Augen schauen können, so ist das befreiend.

 

a) Ein neues Haus bauen, statt die Trümmer des Alten zu bewachen

Wir Christen sollen nicht mehr krampfhaft im Namen des ganzen Schweizervolkes die christliche Fassade hochhalten. Nein, wir dürfen die alten Wurzeln absterben lassen und etwas Neues säen! Jesus hat nicht Bewahrung, sondern Umkehr gepredigt. Es gibt in der Schweiz auch gar nicht viel zu bewahren, was mit der Erlösung durch Jesus zu tun hätte und den Werten, die er gebracht hat. Diese Botschaft und diese Ethik müssen den Schweizerinnen und den Schweizern zuerst gebracht werden und können nicht „reaktiviert“ werden. Eine traurige Formulierung hat das Aktionskomitee CH-CH gewählt, als es das christliche Erbe der Schweiz als „grosses, weitgehend ruhendes Kapital“ bezeichnete. Wie können wir den Glauben als Kapital bezeichnen, als etwas was wir ? unabhängig von unserer gegenwärtigen Verfassung ? besitzen? Oft werden im Rahmen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung die Kirchen dazu aufgefordert, die Hüter des sogenannten „christlichen Abendlandes“ zu sein. Doch die Christen sollten sich nicht dazu hinreissen lassen, ihre Zeit und Energie aufzuwenden, um die Liquidation dieses Abendlandes zu verwalten und zu bremsen. Statt ihre Kräfte für die Aufrechterhaltung einer Kultur zu verschleissen, die oft herzlich wenig mit dem Zimmermann und Gottessohn Jesus zu tun hatte, sollten die Christen sich neu auf Gott besinnen, die Sonne über dem Abendland untergehen lassen und das Licht des Morgensterns verkünden. Ein hoffnungsvoller Schimmer am Horizont ist, dass in letzter Zeit Christen die Schweiz vermehrt in ihr Gebet miteinschliessen.

b) Die wahre Situation nicht verschleiern

Es tut gut einzugestehen, dass die „christliche Schweiz“ viel mehr Tünche denn Substanz ist. Erst wenn wir ehrlich unsere Ferne von Gott und unsere Mängel eingestehen, können wir zu ihm umkehren. Dass diese Gottesferne Tatsache ist, sehen auch Aussenstehende. So schreibt ein Muslim über seine Erfahrungen in der Schweiz: „Zwar ist die Schweiz ein christliches Land, davon spürt man im Alltag aber reichlich wenig. Typisch christliche Werte wie Hingabe zu Gott, Nächstenliebe u.s.w. treten immer mehr in den Hintergrund und machen den ‚modernen‘ Werten wie Kapitalismus, Egoismus und Säkularismus Platz. Wir Muslime leben also mitten in einer Welt, die dem materiellen Wohlergehen höchste Priorität einräumt, während für die Muslime das geistige Wohlergehen Vorrang hat.7

Die Christen sollten die Ersten sein, die ihren Mitbürgern die Heuchelei verwehren, dass wir ein christliches Land seien. Wieviele unserer Mitbürger beruhigen sich damit, dass wir in der Schweiz Christen seien und christliche Werte hochhalten würden, ohne dass sie je etwas vom frischen Wind des Evangeliums gespürt haben? Weshalb unterstützen wir Christen diese Heuchelei? Weshalb stehen ausgerechnet christliche Politiker dafür ein, dass die Bundesverfassung immer noch in Gottes Namen beginnt, obwohl dies in einem heidnischen Land wie der Schweiz vor allem die Augen vor der Realität verblendet ? einer Realität, die uns zur Umkehr animieren sollte?8

Warum bieten die Christen fröhlich Hand, wenn die offizielle Schweiz ihr christliches Deckmäntelchen umhängen will wie andere Leute ein Kreuz um den Hals als Talisman tragen? Hoffen gewisse Christen nicht auf eine „top-down“-Erneuerung ? was nichts anderes als Geisterfahren wäre ?, wenn sie von ihrem Traum der Hinwendung der offiziellen Schweiz zu Gott sprechen? Weshalb berufen sich Politiker in ihren Argumentationen immer wieder auf christliche Prämissen (mit dem Hinweis darauf, dass wir ja ein christliches Land seien), obwohl eine christliche Prämisse einen Nichtchristen nie und nimmer wird überzeugen können, egal ob sein Heimatland „christlich“ genannt wird oder nicht? Weshalb wird in der NZZ9 eine Bundesverfassung gepriesen, die sich ihres religiösen „Fundaments“ bewusst sei, obwohl klar ist, dass der Glauben in der Schweiz höchstens noch Oberfläche ist, aber nie und nimmer mehr Fundament?

Manche Christen geniessen vielleicht unbewusst, dass das Pathos des Offiziellen, Staatlichen und Mächtigen sich damit auf das Christentum, ihren Glauben, überträgt: „Mir si öppis ? auf unserem Glauben fusst die ganze Schweiz!“. Doch dieser Pathos entspricht nicht dem Geist der Bibel (und der Grund für den Pathos nicht der Realität). Auch vermischen manche Christen ihre Liebe zur Schweiz (was an sich, sofern es wirklich Liebe ist und nicht Egoismus, etwas Schönes darstellt) mit ihrer Liebe zu Gott, so dass am Schluss die Heimat im Glauben gar nicht mehr von der Heimat in den Bergen unterschieden werden kann. Sogar eine gewisse Romantik mag hinzukommen ? wie bei Novalis: „Es waren schöne glänzende Zeiten, wo Europa ein christliches Land war, wo eine Christenheit diesen menschlich gestalteten Weltteil bewohnte.10

 

(Johannes der Täufer: Er muss zunehmen, ich muss abnehmen.)

c) Das Ziel: Eine christliche Stimme für Neues

So menschlich gestaltet war dieser Erdteil aber nie ? und er ist es auch heute nicht. Deshalb muss die christliche Minderheit in der Schweiz nicht frustriert irgendetwas zu restaurieren versuchen, oder sich als Sprachrohr der schweizerischen Seele verstehen, die ja „eigentlich“ christlich wäre. Nein, die kleine christliche Stimme inmitten der vielen Stimmen der modernen Schweiz soll eine Stimme sein, die etwas Neues bringt. Eine Stimme, die inmitten von Unheil das Leben des Einzelnen und der Öffentlichkeit verändert. Eine Stimme, die der Schweiz den Weg zu Christus und seinen Werten zeigt.

 

Dominic Roser, November 2004, dominic.roser@vwi.unibe.ch



2. Vgl. z.B. Amos 5, 21 ? 27 oder Matthäus 6, 5 – 6

3. Als Bsp.: Psalm 73, 4; Psalm 8, 14; 2. Korinther 11, 23 ? 28.

4. Als Bsp.: 5. Mose 11, 13 ? 17; 2. Chronik 1, 11 ? 12; Psalm 37, 9.

5. Wenn jemand trotzdem die Meinung vertritt, dass die Schweiz Gott sehr nahe stünde, so müsste er immerhin eingestehen, dass sie dies nicht mehr als viele andere Länder tut. Wieviele Länder Europas haben sogenannt ?christliche? Elemente in ihrer Geschichte, wie z.B. Könige, die gebetet haben, und ähnliches? Wie sieht es erst mit den USA aus? Ragt die Schweiz in dieser Beziehung wirklich heraus?

6. Unterstützende Bibelstellen für diesen Punkt sind z.B.: 5. Mose 32, 8 ? 9; Jesaja 43, 1 ? 4; Sacharja 11, 10; am deutlichsten wird die Tatsache jedoch dadurch, dass man bedenkt, dass Gott mit dem Volk Israel einen Bund geschlossen hat.

7. http://www.barmherzigkeit.ch/Leseproben/muslime_in_der_ch.html. Eine ähnliche Aussenperspektive gibt der jüdische Humanist Erich Fromm in seinem Werk ?Haben oder Sein?. Er ist der Meinung, dass die Bekehrung Europas zum Christentum weitgehend an der Oberfläche blieb. Höchstens noch zwischen dem 12. und dem 16. Jahrhundert könne man von einem Wandel des Herzens sprechen.

8. Es waren Sozialdemokraten, die die Aufgabe übernommen haben, bei der Beratung der Präambel der neuen Bundesverfassung auf die Realität aufmerksam zu machen: Jean Ziegler: „De quoi le Christ se plaint-il tout le temps? Des Pharisiens. Que font les Pharisiens, cette secte de semi-intellectuels à Jérusalem? Ils proclament la gloire de Dieu. Ils proclament et ils font le contraire. Ici, on veut de nouveau nous engager dans la voie proclamatoire. Ce préambule est une absurdité. Il n’y a pas d’Etat chrétien (…). Ce matin, nous avons l’occasion de mettre fin à cette effroyable hypocrisie (…).“ Andreas Gross: „In diesem Sinne ist die Anrufung Gottes zu einer Floskel geworden. (…) Damit, so denke ich, erweisen wir der Tradition einen schlechten Dienst (…). Ich würde sogar noch weiter gehen und sagen, der erste Absatz sei eigentlich eine Anmassung.“ Hans Widmer: „Der grosse Theologe Karl Barth hat schon in den vierziger Jahren festgestellt, dass das heutige Volk der Eidgenossen keine Glaubensgemeinschaft ist, sondern ein ‚aus Reformierten, Katholiken, Idealisten, Materialisten aller Art wunderlich gemischtes Volk‘.“

9. NZZ am Sonntag, 22. Juni 2003

10. Die Christenheit oder Europa ? Ein Fragment  (1799).

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Er sagte aber zu dem Mann, der die erstorbene Hand hatte:

Steh auf und stelle dich in die Mitte!

Und er stand auf und stellte sich dahin.

Lukas 6,8

Jesus stellt die Realität der Bedürftigen ins Zentrum

?NEE? sagen die Deutschen und meinen damit ?NEIN?. Einfach ?NEIN?. Die so bezeichneten Massnahmen, die heute gegen die abgewiesenen Asylbewerber ergriffen werden, lassen sich damit kaum mehr von diesem fundamentalen, und umso schrecklicheren NEIN trennen; dem NEIN zur Realität. Am Anfang steht die Realität einer Welt mit ihren Leiden, ihrer Gewalt und ihrem Exil. Dann die Realität der betroffenen Männer und Frauen, die ihr Glück für die Zukunft suchen. Schliesslich die Realität ihres Mit-uns-Seins, die wir nicht einfach wegleugnen können.

Ein Mann steht im schieren Gegensatz zu dieser blinden Ablehnung. Er trug der vollen Realität der Menschen, die seinen Weg kreuzten, Rechnung: Christus. Von ihm wollen wir lernen, die Würde jedes Menschen zu verteidigen und wiederherzustellen, ohne Ansehen der Person. Von ihm wollen wir den Ruf vernehmen, uns um die volle Realität der Welt zu kümmern, ohne uns von ihrer Komplexität und Flüchtigkeit abschrecken zu lassen. Und wenn heute Menschen unter uns noch der kümmerlichsten Hilfeleistungen beraubt werden, wollen wir unsere Verantwortung wahrnehmen, damit diese Realität von den Behörden unseres Landes ernstgenommen wird.


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Solidarität mit den Schwachen

Was hat Solidarität mit dem Christlichen Glauben zu tun? In diesem Text werden die aktuellen Entwicklungen in der Gesellschaft, in der Arbeitswelt und die Veränderungen der Wertvostellungen mit den Lehren der Bibel verglichen. Es ist Zeit, zu handeln!

Persönliche Erfahrungen

Die Neunziger Jahre waren eine Zeit, wo vor allem die Einkommensschwachen und die Randgruppen in Bedrängnis gerieten. Vor allem in der Arbeitswelt hatten die Lohnsenkungen für die Einkommensschwachen verheerende Wirkungen, und die Liberalisierungen der Arbeitszeiten hatten ihre Wirkungen auf das Zusammenleben der Familien. Ich hatte auch das Gefühl, dass durch die immer wieder beschriebene internationale Konkurrenz diese Abwärtsspirale seine Fortsetzung finden würde, wenn nicht die Angestellten selber sich wehren können. Deshalb wollte ich für eine Gewerkschaft arbeiten, und bewarb mich vor vier Jahren bei verschiedenen Gewerkschaften. Ich landete schliesslich bei der Gewerkschaft VHTL in Basel, wo ich heute als Regionalsekretär arbeite. VHTL, das heisst Verkauf, Handel, Transport, Lebensmittel. Ich freute mich besonders, hier eine Stelle zu erhalten, denn diese Gewerkschaft vertritt genau die Gruppen, die mir ein Anliegen sind. Es sind dies die Angestellten in den Dienstleistungsberufen mit den niedrigsten Einkommen, so zum Beispiel die Migros-Kassiererinnen, die Putzfrauen, die Nachtwächter und die Arbeiter in der Bell-Wurstfabrik.

Die vergangenen vier Jahre gaben mir einen tiefen Einblick in die Welt derer, mit denen viele von uns kaum je zu tun haben. Hier ein paar Stichworte dazu:

Der Lohn

Tatsächlich gab es im Verlauf der 90er-Jahre immer mehr ?Working Poor?, vor allem in den Bereichen, die ich vertrete. Zu Beginn meiner Tätigkeit hatten viele VerkäuferInnen oder Putzfrauen einen Lohn von unter 2500 Franken netto. Das reicht knapp zum Leben, wenn man alleine ist, aber sobald man noch zusätzlich Kinder mit aufziehen muss, dann ist dies zu wenig. Zudem muss man sich im Klaren sein, dass dies nicht nur Frauen betrifft, sondern auch Familienväter. Und so wird es nur zu verständlich, dass beide Elternteile arbeiten müssen, um überhaupt die Familie durchzubringen. Deshalb wird auch als Zweitverdiener die Lohnhöhe wichtig. Durch die Mindestlohnkampagnen der Gewerkschaften konnten die Löhne im untersten Bereich in den letzten Jahren kräftig angehoben werden.

Stichwort Arbeitszeiten

Seit Ende der achtziger Jahre griff immer mehr Arbeit auf Abruf um sich. Ich musste z.B. selber zusehen, wie meine Mutter Schwierigkeiten hatte, ihr Privatleben zu organisieren, wenn sie immer warten musste, ob der Arbeitgeber sie zur Arbeit rief oder nicht. Das neue Arbeitsgesetz, das Ende der neunziger Jahre kam, brachte dann einen neuen Schub an Deregulierung der Arbeitszeiten. Es wurden immer mehr Abendarbeit eingeführt, abgesehen davon, dass die Einführung von Nacht- und Sonntagsarbeit erleichtert wurde. Hinzu kam verstärkte Deregulierung der Ladenöffnungszeiten. All dies betraf gerade die schwächsten Arbeitnehmer besonders. In diesen Bereichen haben nicht viele Angestellte eine Lehre oder sonstige berufliche Fähigkeiten, die ihnen erlauben würden, den Job zu wechseln, wenn die Arbeitszeiten ein Familienleben nicht mehr zulassen. Ich habe selber in meiner Arbeit etliche Fälle miterleben müssen, wo die Familien auseinandergekracht sind, unter Anderem weil sich die Partner wegen den hyperflexiblen Arbeitszeiten kaum mehr gesehen haben.

Stichwort Konkurrenz

Die Deregulierungen und Lohnsenkungen werden immer wieder mit der internationalen Konkurrenz und der damit einhergehenden Gefahr für unsere Arbeitsplätze gerechtfertigt. Nach dem, was ich gesehen habe, muss ich feststellen, dass es gerade die Schwächsten sind, die bei dieser Art der Wirtschaft unter die Räder kommen.

Zunehmender Stress

Früher waren Leer-Zeiten, wo es nicht viel Arbeit gab, gang und gäbe. Heute wird im Gegenteil so viel in die Arbeitszeit hineingepresst, dass die Stressbedingten Schäden massiv zunehmen. Ich habe einige dramatische Zusammenbrüche von Angestellten erleben müssen. Es heisst heute zwar, Leistung müsse belohnt werden, aber genau diese massiven Leistungssteigerungen in den untersten Einkommensschichten wurden überhaupt nicht honoriert…

Die Arbeitslosen

Die Gewerkschaften haben bekanntlich eigene Arbeitslosenkassen, so auch wir. So habe ich ein Bisschen Einblick, wie es funktioniert. Viele der Angestellten, die bei uns ihr Arbeitslosengeld beziehen, haben enorm Mühe, wieder eine Arbeit zu finden. Die Arbeitswelt verlangt immer mehr Fertigkeiten und eine 100%ige Leistungsfähigkeit. Es gibt aber eine Schicht von Menschen die entweder die intellektuellen Fähigkeiten dazu kaum haben oder aus irgendwelchen Gründen nicht im Vollbesitz der Kräfte sind. Diese will kein Arbeitgeber, auch nicht im Aufschwung, denn in der heutigen Arbeitswelt sind nur noch die Leistungsfähigen gefragt. Dies ergibt die wachsende sogenannte Sockel-Arbeitslosigkeit. Am Schluss landen viele von ihnen in der IV.

Ich habe deshalb besonders Mühe mit pauschalen Postulaten der ?Selbstverantwortung? und der Etikettierung als ?Scheininvalide?. Natürlich gibt es einige Leute in den genannten Gruppen, die tatsächlich nicht arbeiten wollen. Und es gibt auch solche, die der Sozialstaat träge macht. Da sollte man Massnahmen ergreifen. Aber es ist schlicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, wenn man nun für alle die Arbeitslosengelder, die IV oder die Fürsorgegelder zusammenstreicht. Schliesslich stellt sich die Frage, was ist uns wichtiger: dass niemand leidet oder dass niemand profitiert?

 

Biblische Gedanken

Das Thema Solidarität nimmt in der Bibel einen erstaunlich breiten Raum ein. Zentral ist dabei der Begriff der Armen. Dieser Begriff wird einerseits für die materielle Armut und für Unterdrückung (auch ?Elende, Geringe?, etc.), aber auch für geistlich Arme, das heisst Demütige gebraucht. Ich befasse mich hier nur mit den zwei ersten Gebrauchsweisen.

Wie werden die Armen in der Bibel betrachtet? Welche Schuld haben sie an ihrer Situation? Die Stellen, wo Armut mit Selbstverschulden in Verbindung gebracht wird, sind rar. Sie finden sich nur im Buch der Sprüche und in der Aussage im NT, wer nicht arbeiten WILL, soll auch nicht essen. Ansonsten wird Armut als gesellschaftliches Übel, oft in Verbindung mit sozialer Benachteiligung oder Unterdrückung, beschrieben. Natürlich kann man deshalb nicht sagen, dass die Armen heute generell unschuldig sind an ihrer Situation, aber ich sehe gewisse Parallelen.

Deshalb ist das Alte wie das Neue Testament voll von Aufrufen, die Armen zu schützen (physisch und rechtlich) und mit ihnen zu teilen.

–        Wir sollen dem Armen die Hand grosszügig offnen (5. Mose 15. 7-11)

–        Spr. 21.13 ?Wer Ohren verstopft vor dem Hilfeschrei der Geringen, der wird einst rufen und keine Antwort erhalten.?

–        Und in Matthäus 25 lesen wir, wonach gerichtet wird: Ich war hungrig, und ihr habt mir zu Essen gegeben, etc.

Almosen werden in der Bibel allgemein als gut angesehen. Es gab im alten Testament aber auch gesetzlich geregelte Umverteilung:

–        Der Zehnte diente auch zur Armutslinderung

–        Alle 3 Jahre ging 10 % der Ernte an Arme

–        Die Nachlese nach der Ernte war den Armen vorbehalten (3. Mose 19.10)

–        Alle 7 Jahre blieb ein Feld unbestellt. Die Frucht gehörte den Armen (2. Mose 23.11)

–        Alle 7 Jahre wurden die Schulden erlassen (?damit kein Armer unter Euch sei?, wie es in 5. Mose 14.4 heisst)

–        Von den Angehörigen des eigenen Volkes durften keine Zinsen verlangt werden

–        Alle 50 Jahre ging in der Not verkauftes Land zurück an die ursprüngliche Besitzer, damit es keine Anhäufung von Reichtum bzw. keine Landlosigkeit geben sollte

Gesetzliche Umverteilung ist also nicht gleich Raub, wie Anhänger des Wohlstandsevangeliums es behaupten.

Die verschiedenen Verfasser des Alten Testaments forderten auch auf, die Armen und Geringen zu schützen und ihnen Recht zu verschaffen. Denn nur zu oft versuchten die Starken, die Rechte der Armen zu ignorieren oder beugten ungerechte Richter die Sache der Armen. Damals (wie heute) war Armut auch oft mit Machtlosigkeit verknüpft. Vor allem die Propheten gingen hart mit den Israeliten ins Gericht, wenn diese trotz Reichtum die Armen im Elend liessen oder deren Rechte beugten.

Die Bibel fordert uns denn auch auf, die Armen und Geringen als gleichwertige Menschen zu behandeln und uns für deren Rechte und soziale Gerechtigkeit einzusetzen. So zum Beispiel in Ps. 82.3-4: Schafft Recht dem Geringen und der Waise, dem Elenden und dem Bedürftigen lasst Gerechtigkeit widerfahren! Rettet den Geringen und den Armen, entreisst ihn der Hand der Gottlosen.

Abgesehen davon ist laut Jesus das höchste Gesetz die Liebe zu Gott und zu den Nächsten: da ist die Solidarität auf Grund des im ersten Teil gesagten selbstverständlich.

Wir haben gesehen, dass dem Teilen besondere Bedeutung zukommt, da der Armut offenbar auch strukturelle Ursachen zu Grunde liegen.

Wie denn Teilen?

–        Die Urchristen teilten praktisch alles. Dies könnte als Modell dienen, ist deswegen aber noch kein ?Muss?.

–        Teilen wir, so viel wir teilen können und nicht nur von unserem Überfluss. Dies zeigt uns die Geschichte von der armen Witwe im Tempel in Markus 12. Tendenziell führt uns dies zu einem einfacheren Lebensstil

–        Es heisst auch, wir sollen ?arbeiten, damit wir den Armen geben können?. Wir sollten also unser gutes Einkommen nicht für uns alleine behalten und reich bleiben. Aber wir müssen auch nicht unbedingt arm werden. Unsere Haltung sollte geprägt sein von Grosszügigkeit und von Zufriedenheit mit dem, was wir haben.

– Ich glaube, dass echte Solidarität und Nächstenliebe nur gelebt werden wann, wenn wir selber frei sind von unseren eigenen Ängsten um unser täglich Brot, wenn wir in allen unseren Bedürfnissen vollständig von unserem himmlischen Vater getragen werden. Dann wird Solidarität zur Freude und geschieht nicht einfach aus Schuldgefühlen.

–        Wie wir in der Bibel gesehen haben, ist manchmal auch gesetzlich verordnete, organisierte Umverteilung angesagt, denn offensichtlich sind die Armen Gott zu wichtig, als dass Er deren Wohlergehen der reinen Freiwilligkeit der Spender überlassen würde.

Aktuelle Tendenzen

Die Gesellschaften in allen Ländern der westlichen Welt scheinen heute aber trotz zunehmender Armut ein wachsendes Problem mit dem Teilen zu haben. Es besteht eine allgemeine Tendenz der Desolidarisierung. Nachdem ein Teil der Solidarität an Institutionen delegiert worden ist, werden diese Institutionen selber nun auch in Frage gestellt (ohne dass allerdings die frühere Solidarität deshalb zurückkehren würde). Sichtbar ist diese Desolidarisierung auch im Wertewandel: Untersuchungen zeigen die zunehmende Beliebtheit des Begriffes ?Freiheit? gegenüber des Begriffes der ?sozialen Gerechtigkeit?.

Meines Erachtens beruht dieser Wertewandel unter Anderem auf den folgenden drei Punkten, die in gegenseitiger Abhängigkeit stehen:

1. Zunehmender Individualismus: die gegenseitige Abhängigkeit der Menschen wird mit dem zunehmenden Wohlstand und den daraus resultierenden Lebens-Gestaltungsmöglichkeiten immer kleiner. Die Interdependenz (und damit die Notwendigkeit der gemeinsamen Organisation) wird nicht mehr wahrgenommen.

2. Der wachsende Wohlstand hat auch die Angst vor Verlust immer stärker werden lassen.

3. Diese Angst erzeugt eine immer grössere Priorisierung des wirtschaftlichen Wachstums, was einen Übergriff des wirtschaftlichen Denkens auf alle gesellschaftlichen Bereiche nach sich zieht.

Diese Desolidarisierung wird von Rechtfertigungsideologien und beliebten Mythen begleitet, die wir nur allzu gerne glauben:

1. ?Jeder kann alles selber?. Die Unterschiedlichkeiten in Fähigkeiten, Herkunft, etc. zeigen genug, dass diese Behauptung der Realität nicht standhält.

2. ?Der Sozialstaat wird immer mehr missbraucht?. Eine um sich greifende Behauptung, die kaum belegt ist und eher unsere zunehmenden Ängste widerspiegelt. Die Angst vor Profitismus ist in der Bibel ebenfalls nie so stark gewesen.

3. ?Der Sozialstaat hält die Armen und Arbeitslosen nur in Abhängigkeit, deshalb ist es für die Bedürftigen besser, man gibt ihnen nichts mehr?. Wie wir vorher gesehen haben, ist den Betroffenen genauso wenig geholfen, wenn wir nichts mehr geben, denn sie können zum grossen Teil nichts an ihrer Situation.

4. ?Wenn es der Wirtschaft gut geht, dann geht es allen gut?. Meist ist es aber so, dass die Schwächeren unter Liberalisierungen doppelt leiden: sie sind dann weniger geschützt, und sie haben in Wirtschaften mit weniger Umverteilung kaum etwas vom Wirtschaftswachstum (was auch eine Weltbankstudie nachweist)

5. ?Armut kann nur durch mehr Wachstum bekämpft werden?. Die westlichen Länder sind so reich, dass theoretisch alle genügend haben könnten. Doch dies ist schlicht eine Frage des Teilens.

In den Westlichen Staaten ist eine zunehmende Angst vor dem Verlust der angehäuften Güter zu spüren. Dies wirkt sich auch dahingehend aus, dass die Angst vor Profiteuren, die auf unsere Kosten leben (und uns ärmer machen könnten), zunimmt. Genährt wird sie durch eine tatsächliche Zunahme der Zahl der Fürsorgeempfänger, Arbeitslosen und IV-Rentner, die meist auf Grund ihrer Leistungsunfähigkeit aus dem Arbeitsalltag ausgeschlossen worden sind. Die Angst bringt es mit sich, dass es vielen Menschen heute wichtiger ist, dass niemand profitieren kann, als dass niemand im Elend lebt. Die Sozialwerke sollen abgebaut werden und damit wird die grosse Zahl der unschuldig Abhängigen genauso bestraft… Dies wird auch dort durchgezogen, wo es eigentlich klar sein müsste, dass die Betroffenen nichts dafür können: so wird auch bei Schwerkranken oder armen AHV-Rentnern Selbstverantwortung eingefordert und die Solidarität gekürzt. Wir sind drauf und dran, nicht einmal mehr die Chancengleichheit finanzieren zu wollen, obwohl wir sagen ?Jeder kann selber?. So werden Stipendien für Kinder einkommensschwacher Eltern in mehr und mehr Kantonen abgeschafft.


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Die NEE in der Schweiz

Am 1. April 2004 traten die Bestimmungen in Kraft, mit denen die Asylbewerber, für deren Gesuch das Bundesamt für Flüchtlinge einen Nichteintretensentscheid (NEE) erlassen hat, von jeglicher Sozialhilfe ausgeschlossen werden.

Eine dramatische Situation

Ich habe an 3 überkantonalen Sitzungen mit sehr kompetenten und dynamischen Personen teilgenommen, die fest entschlossen sind, diesem ?Randständigen? unserer Zeit bis auf die Strasse und tief in den Winter zur Seite zu stehen.

Wir haben Informationen zu dieser dramatischen Situation, die jeden Kanton betrifft, ausgetauscht. Und, ehrlich, die darauffolgenden Nächte waren schwer für mich. Trotz meiner humanitären Erfahrungen mit Kriegssituationen, die mich sicher gestärkt haben, zittere ich angesichts der Unmenschlichkeit, die mir hier entgegenkommt.

In Solothurn habe ich Menschen gesehen, die nicht einmal in einer verlassenen Bauhütte Zuflucht und Erholung finden konnten. Und das, obschon der Kanton diese Baracke eigens renoviert hatte, um dort eine Anlaufstelle zu schaffen, und obschon es an Platz nicht mangelte.

Um beim Beispiel Solothurn zu bleiben: Die ?NEE? leben dort auf der Strasse und müssen selber für eine Schlafstelle sorgen. Oft versuchen sie, im Flüchtlingsheim Unterschlupf zu finden, werden aber für die Nacht weggescheucht. Sie finden sich auf der Strasse wieder, wo sie den harten Kontrollen der Polizei ausgesetzt sind. Und natürlich: keinerlei Anrecht auf Gesundheits- oder Körperpflege.

Die Nothilfe von 8 Franken pro Tag und Person für Nahrung, Körperpflege und Kleidung, sowie 13 Franken für Übernachtung entspricht in keiner Hinsicht den Mitteln, die nötig wären, um eine menschenwürdige Existenz zu ermöglichen, wie sie die Bundesverfassung garantiert.

Wie wenn dies nicht genug der Schrecken wäre, sind die Menschen afrikanischer Herkunft regelmässig verbalen und körperlichen Attacken rassistischer Gruppen ausgesetzt.

Natürlich wissen wir, dass es in jeder Volksgruppe Personen gibt, die sich nicht korrekt verhalten. Aber wenn wir den Drogenhandel alleine den Afrikanern in die Schuhe schieben, folgen wir dann der selben Logik und hängen die Pädophilie pauschal den Westlern an? Das ist doch zu bezweifeln.

Handeln für ein möglichst gutes Zusammenleben

Eines weiss ich: Ich will nicht warten ? und ich bin sicher: ihr auch nicht ?, bis Menschen unter unmenschlichen Lebensbedingungen zu leiden haben oder gar daran sterben, um aktiv zu werden und unseren Behörden zuzurufen, dass ich diese unwürdigen Bestimmungen nicht akzeptiere, die überdies bald auf alle abgewiesenen Asylbewerber ausgedehnt werden könnten.

Artikel 12 der schweizerischen Bundesverfassung fordert ja auch, dass jede Person in Not ein Recht auf Hilfe, Unterstützung und die erforderlichen Mittel für eine Existenz in menschlicher Würde hat.

Das ist unsere Kraft, unser Reichtum und unser Stolz. So fordern wir SchweizerInnen und andere MitgenossInnen unseres schönen Landes, dass dieses Land jeder Person Respekt schuldet, sowie das Recht, ein Dach über dem Kopf zu haben und sich anständig ernähren zu können.

Darum fangt schon heute an und lasst die Petitionen auf Solidarité sans frontières unterschreiben, damit der Respekt unter den Mitgliedern dieser Gesellschaft gewahrt bleibt und wir unser Zusammenleben bestmöglich gestalten können.


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Der Druck auf den arbeitsfreien Sonntag wächst. Dies einerseits aufgrund unseres veränderten Einkaufsverhaltens, andererseits auch infolge Profitdenken und mangelndem Respekt gegenüber der Familie und dem Privatleben der Arbeitnehmer. Ungeachtet verschiedener Volksentscheide gegen die Liberalisierung von Ladenöffnungszeiten verfolgen die Behörden eine sehr lasche Bewilligungspraxis. Die SBB eröffnen in den grösseren Städten unter dem Deckmantel des Reisebedarfes RailCities, die meist illegal als Shopping Centers mit Sonntagsöffnung funktionieren. Das Bundesgericht hat deshalb im Frühjahr 2002 entschieden, dass Läden mit einem für Reisebedarf zu weit gehenden Angebot (Kleiderläden, Möbelgeschäfte usw.) am Sonntag kein Personal beschäftigen dürfen. Das Seco, die für Sonntagsarbeit zuständige Bundesbehörde, hat daraufhin den betroffenen Betrieben eine Übergangsfrist bis zum 31.12.2004 gewährt.

Als Antwort darauf wurde im März 2004 im Eilverfahren ein Antrag auf Änderung des Arbeitsgesetzes im Nationalrat durchgebracht. An Bahnhöfen soll am Sonntag nicht nur für den Verkauf von Reisebedarf, sondern generell gearbeitet können. Die Bahnhöfe sollten zu Sonntags-Einkaufszentren werden. Nach einigem Hin und Her zwischen National- und Ständerat haben die beiden Räte Anfang Oktober dieser Liberalisierung zugestimmt. Sie beschränkten dies zwar auf die ?grösseren Bahnhöfe?, nach Bundesrat Deiss würde dies etwa 25 Bahnhöfe betreffen. Das heisst aber konkret, dass wohl alle Bahnhöfe, die ein Interesse haben, ihre Sonntags-Einkaufszentren eröffenen werden: es betrifft dies also selbst Thun, Chur, Bellinzona, Olten, etc… Es wurde zudem auch kein Arbeitnehmerschutz in die Vorlage eingebaut. Auch wer regelmässig am Sonntag arbeiten muss, erhält keinen Lohnzuschlag.

Von den Gewerkschaften wurde das Referendum lanciert. Die christlichen Parteien und die Evangelische Allianz unterstützen es und helfen Unterschriften sammeln. Denn beim Referendum geht es nicht nur um den Schutz der ohnehin schlecht bezahlten Angestellten im Detailhandel. Die Gesetzesänderung könnte verheerende Auswirkungen auf die Stellung des Sonntages generell haben: Da Bahnhöfe zu Sonntagseinkaufszentren werden, verlangen Geschäftsvereinigungen der Innenstädte nun ?gleich lange Spiesse?, um ebenfalls am Sonntag offen halten zu dürfen. Der Ständerat hat deshalb gleichentags mit der Liberalisierung der Bahnhöfe einer Motion zugestimmt, die den Bundesrat beauftragt, ein Gesetz zu erarbeiten, das die Liberalisierung des Sonntagsverkaufs um die Bahnhöfe herum ermöglicht. Eine Freigabe an den Bahnhöfen könnte daher dazu führen, dass bald ein grosser Teil Läden am Sonntag offen haben und der Sonntag immer mehr ein Tag wie jeder andere wird. Denn offene Läden sind der Ausdruck der Säkularisierung des Sonntags. Die Einführung solcher Gesetze führt zur Abschaffung der christlichen Tradition eines gemeinsamen Ruhetages.

Authors: 
Andreas Peter

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Der Sonntag ist ein Geschenk Gottes an uns Menschen, zunächst in Form des Sabbat, im christlichen Gebrauch als Sonntag. Gott hat uns in den zehn Geboten anerboten, den Sabbat zu heiligen: ?Denke an den Sabbattag, um ihn heilig zu halten. Sechs Tage sollst du arbeiten und all deine Arbeit tun, aber der siebte Tag ist Sabbat für den Herrn, deinen Gott. Du sollst an ihm keinerlei Arbeit tun, du und dein Sohn und deine Tochter, dein Knecht und deine Magd und dein Vieh und der Fremde bei dir, der innerhalb deiner Tore wohnt.?(2. Mose 20, 8-10). Wie die anderen Gebote ist das Gebot des Sabbats nicht einfach eine mühsame Regel, sondern es ist für uns lebenserhaltend. Dies zeigt sich gerade heute: Der Arbeitsstress, der Aktivismus und der Konsumismus nehmen vor allem in den Industriestaaten immer mehr zu. Wenn wir uns nicht aktiv Zeit nehmen, unsere Beziehung zu Gott und zu unseren Bekannten und Verwandten zu pflegen, so zerbrechen diese Beziehungen und damit auch die Gesellschaft. Die Vereinsamung und ihre Folgen haben vor allem in den Grosstädten in den letzten Jahrzehnten immer mehr zugenommen.

Der Sonntag nimmt deshalb eine zentrale Stellung ein: dies ist der einzige Tag, wo die Mehrheit der Bevölkerung gleichzeitig freie Zeit zur Verfügung hat und wo Kirchgang, Besuche und Familienleben möglich sind. Ohne diesen gemeinsam planbaren Tag sind Familien und Vereine, und damit der gesellschaftliche Zusammenhalt in Gefahr. Dies umso mehr, als dass sich die Berufsarbeit unter der Woche immer öfter auch bis in den Abend hinein erstreckt.

Das Ringen um den Sonntag hat sich in den letzten zwei Jahren intensiviert. Nun sollen Bahnhöfe zu Sonntags-Einkaufszentren werden , und die Konkurrenz verlangt ?gleich lange Spiesse?. Doch offene Läden sind der sichtbarste Ausdruck, dass der Sonntag ein Tag wie jeder Andere geworden ist. Es wird normal, am Sonntag auch zu arbeiten. Viele andere Arbeitsbereiche (Frisch-Produktion, Lager-Arbeiten und Transport) werden in direkter Folge der Sonntags-Öffnung nachziehen.

Neue Arbeitsplätze werden damit auch kaum geschaffen, denn bei den Einkäufen am Sonntag handelt es sich vor Allem um die Verlagerung von Einkäufen aus der Woche. Und sind wir wirklich gezwungen, den Sonntag zu opfern, damit wir ein Auskommen für alle schaffen können?

Es ist sicher richtig, dass wir notwendige Dienste wie Polizei, Krankenpflege und öffentliche Verkehrsmittel auch am Sonntag aufrechterhalten. Und Dienstleistungen, die der Beziehungspflege und der Erholung dienen, sind bis zu einem gewissen Grad auch zu rechtfertigen. Doch wo ist die Grenze? Müssen wir immer alles sofort einkaufen können? Können wir nicht bis am Montag warten, wenn mal ein Compi streikt? Als Kunden bestimmen wir, wie viel Andere am Sonntag arbeiten müssen.

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Rezension des Berichts über erfolgte Wasserprivatisierungen von Emanuele Lobina und David Hall (Problems with private water concessions: a review of experience: http://www.psiru.org/reports/2003-06-W-over.doc)

 

Emanuele Lobina und David Hall legten im Juni 2003 eine Studie vor, die auf 35 Seiten (ohne Fussnoten und Literaturverzeichnis ) die Problematik der Wasserprivatisierung mit neusten Beispielen und Trends beschreibt.

 

Unter Privatisierung verstehen sie sowohl Totalprivatisierung wie auch die sogenannten Public-Private-Partnerships (PPP?s). Letztere sind mehr im Trend, und tönen nach Miteinbezug der öffentlichen Organe. Doch in Wirklichkeit laufen PPP?s oft darauf hinaus, dass die öffentliche Hand vom Wasserkonzern dazu gezwungen wird, folgende Risiken zu übernehmen:

·         Wechselkursverluste (der Investor bringt Dollars oder Euro, die Bevölkerung zahlt in der lokalen Währung) und Inflation (z.B. Philippinen, S. 12 ff; Buenos Aires, S. 16)

·         Unruhen bei zu hohen Wasserpreisen

·         zu kleinen Gewinnen für den Wasserkonzern (in Santiago de Chile und Cochabamba, Bolivien, wurden zum Beispiel ein fixer Profit festgelegt)

 

PPP heisst also oft, dass die Firma vom Staat noch mehr Garantie für ihre Gewinne erhält. Im Jahr 2000 wurde das arme Land Paraguay gar gezwungen, von der Weltbank einen 20 Millionen-Franken-Kredit aufzunehmen, um die Vorbereitungen für die Privatisierung zu finanzieren, darunter drei Millionen für eine PR-Kampagne, um die Bevölkerung von der Privatisierung zu überzeugen… (S. 22).

 

In unzähligen Beispielen zeigen die Autoren, wie die Wasserfirmen zuerst mit attraktiven Offerten (oder auch via Korruption) von einem Land oder einer Stadt eine Konzession erhalten haben, um dann innert wenigen Monaten die Wasserpreise zu erhöhen, die Investitionen zu verkleinern oder eine Neuverhandlung des Vertrages mit besseren Konditionen für den Konzern (siehe oben) zu erzwingen. Die öffentliche Hand kann dem meist nichts entgegensetzen, da sie viel weniger Mittel für juristische Streite und technisches Know-how für die Verhandlungen haben als die Konzerne. Zudem ist die Regierung oft abhängig von der Weltbank, die hinter dem Konzern steht. Oft werden die Verträge auch vor den lokalen Kontrollorganen geheimgehalten (Cochabamba, Bolivien, und Guinea), sodass Missbräuche durch die Firma nur nach langen Prozessen zu beweisen sind. In vielen Fällen geben die konzessionierten Firmen Aufträge statt an lokale Firmen an die eigenen Tochterfirmen, und zwar zu massiv überhöhten Preisen, um noch mehr zu profitieren.

 

Das Argument, dass die Armen von der Wasserprivatisierung profitieren, fällt nach der Lektüre dieses Dokumentes in sich zusammen.

·         In der Provinz Santa Fe in Argentinien verlangte die Firma etwa 2000 Franken für einen Anschlss ans Netz (S. 26), in anderen Ländern sind die Preise ähnlich unerschwinglich.

·         In Buenos Aires wurden Armenviertel erst durch die Fronarbeit der Einheimischen und eine Sondersteuer angeschlossen. Für die Weltbank nichtsdestotrotz eine Erfolgsgeschichte für die Privatisierung… (S. 32)

·         Die Firmen schliessen oft bewusst arme Gebiete gar nicht an (El Alto, Bolivien; Paranà, Brasilien, Cartagena, Kolumbien), S. 31)

·         Manchmal treiben sie die Preise in derartige Höhen, dass die Armen das Wasser wieder in unsauberen Quellen beschaffen (KwaZulu, Südafrika, wo danach eine Choleraepidemie mit 260 Toten ausbrach, S. 30f)).

 

In den letzten Jahren haben die Firmen denn auch gemerkt, dass Wasser in den meisten Ländern kein Gewinngeschäft ist, wenn tatsächlich auch die Armen ans Wasser angeschlossen werden sollten. Die Firmen forderten die Weltbank und andere internationale Finanzinstitutionen auf, mehr Fonds für Wasserprivatisierungen zu äufnen, die dann als Kredite den Entwicklungsländern zugesprochen werden, damit diese die Investitionen schon mal tätigen können, damit der Wasserkonzern diese nicht zahlen muss.

 

Lobina und Hall zeigen, dass die Wasserprivatisierung wegen der fehlenden Konkurrenz, wegen der den der Überlebensfrage des Wassers nicht angepasste Gewinnmaximierungsphilosophie der Privatwirtschaft und auch wegen der Macht der Konzerne (Vivendi, Ondeo (Suez-Lyonnaise), RWE/Thames und SAUR (Bouygues), die sich den Kuchen praktisch aufteilen) ein Fehlschlag ist. Sie schlagen vor, wieder mehr auf Know-how-Transfer zwischen öffentlichen Versorgern in Nord und Süd zu setzen und mehr direkte Hilfe für den Aufbau der Wasserversorgung zu leisten. Vor allem die Ideologie, dass der Wasserpreise kostendeckend sein müssten, ist für arme Bevölkerungen schlicht nicht anwendbar.

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Gebet in Liebe und Erkenntnis

Für jemand beten heisst nicht, mit seinem Handeln einverstanden zu sein. Gott ist der Erste, wenn es darum geht, Fehler schonungslos aufzudecken und doch ganz zu seinen Geliebten zu stehen. So können wir vorbehaltlos für Israel und für die Palästinenser beten.

 

·      Wir beten für die Juden; durch eine tausendjährige Geschichte des Leidens und der Verfolgung fühlen sich die Juden oft verunsichert und verletzbar. Terroranschläge und das Gefühl, als Minderheit einer Übermacht von 150 Millionen Arabern gegenüber zu stehen, fördern diesen Eindruck. Betet für Sicherheit, Vertrauen und Gelassenheit. Wir beten, dass nicht die Angst sie dazu treibt, ihre Geschwister, die Palästinenser, ungerecht zu behandeln.

·      Wir beten für die PalästinenserInnen; sie fühlen sich oft von der Welt verlassen und ihrem Elend überlassen. Gott möchte ihnen Frieden geben. Wir beten, dass ihre Führer wirklich das Wohl des Volkes suchen und nicht ideologische Eigeninteressen vertreten.

·      Wir beten, dass der Geist oder die Logik von Gewalt und Tod einem Geist/einer Logik der Vergebung und des Lebens weichen kann.

·      Wir beten für den Frieden von Jerusalem (Ps. 122,6) und aller seiner Einwohner, für die Juden, Moslems und Christen, dass sie zur Versöhnung mit Gott finden können.

·      Wir beten für Frieden im Nahen Osten (vgl Jes. 19,24-25; Ps. 122,6); Gott sehnt sich nach Frieden für seine Menschenkinder, warum nicht auch im politischen Bereich?

·      Wir beten für den Erfolg politischer Initiativen; Gott hat sich immer wieder auf Menschen (auch Ungläubige) gestützt, um seine Heilspläne umzusetzen.

·      Wir beten für christliche und nicht-christliche Versöhnungs- und Friedensarbeiten vor Ort (z.B. MusalahaWahat as-SalamMar Elias Educational Institutions von Elias Chacour und andere). Und überhaupt für die Menschen, die es immer wieder wagen, die ethnischen Schranken zu überwinden und sich für den Frieden einzusetzen.

·      Wir beten für die arabischen Christen, die Konvertiten aus dem Islam und die messianischen Juden, die sich immer wieder zwischen den Fronten finden und oft an Leib und Leben bedroht sind.

·      Wir beten besonders dafür, dass die Gläubigen ihren Volksgenossen Vorbilder der Versöhnung und der Friedensförderung sein können und dass sich immer mehr Gemeinden für die Versöhnung engagieren und so zu Licht und Salz für die Welt werden.

·      Wir beten, dass die Gläubigen auf beiden Seiten nicht der Versuchung des Nationalismus? und Zynismus? erliegen, sondern ihre Hoffnung auf Jesus setzen.

·      Wir beten dafür, dass immer mehr Menschen bereit werden, sich dem Leiden des anderen Volkes zu stellen und es mitzutragen.