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Für viele genügt die Tatsache, dass ein Mensch jüdischer Abstammung ist, um etwas Besonderes aus ihm zu machen. Wenn einer dazu noch aus Jerusalem kommt, dann lassen sich damit Kirchen und Hallen füllen. Ais Jude kann man ein Objekt religiöser Bewunderung werden. So wie einige den Staat Israel und das Land schon fast religiös verehren.

Jeff Spivak, Pastor einer messianischen Gemeinde in Israel, sagte einmal: ?In der gegenwärtigen Landsituation müssen bibelgläubige Christen einen prophetischen Standpunkt einnehmen und endlich die Anbetung Israels aufgeben.?

Mir sind drei Problemfelder aufgefallen, bei denen ich den Eindruck habe, dass hinter der Israelliebe die biblische Nüchternheit fehlt. Nach den fatalen Folgen des Antisemitismus und dem Schrecken des Holocaust sollten wir bedenken, dass es in der Geschichte oft nur ein kleiner Pendelschlag vom Philosemitismus (Judenfreundschaft) zum Antisemitismus (Judenhass) war, wie das auch bei dem Reformator Martin Luther zu erkennen ist.

 

Zurück zum Judentum

Kürzlich war in einer christlichen Zeitung zu lesen, dass Israel als Bundesvolk Gottes unabhängig von seiner Beziehung zu seinem Messias Jesus von Nazareth gerettet werde. Als Beweis dafür diente Offb. 21 ,12, wo es heißt, dass die Namen der zwölf Stämme der Söhne Israels im himmlischen Jerusalem neben den Namen der zwölf Apostel des Lammes eingeschrieben sind. Es herrscht die Vorstellung, dass Gott zwei Wege des Heils anbiete: Einmal den Weg für die Juden über das orthodoxe Judentum und zum anderen den Weg für die Völker über den Glauben an Jesus ais Heiland. Dabei wird alles, was jüdisch ist, besonders verehrt. Doch das unmittelbare Heil für Juden in Jesus Christus wird verschwiegen. Petrus sagte damals zu den jüdischen Rabbinern (Apg. 4, 12): ?Es ist in keinem anderen das Heil, ? durch den wir gerettet werden?. Manch ein Christ ist inzwischen zum Judentum übergetreten, weil er denkt, dadurch Gott näher zu sein.

 

Mittel zum Zweck

Die zweite Form einer Überbetonung Israels liegt in einer egoistischen Heilserwartung, in der die Juden nur ein Mittel zum Zweck sind. Aufgrund der Rückkehr der zerstreuten Juden in das Land der Väter und der beginnenden Erfüllung von Hesekiel 37 wächst die Erwartung, dass die Wiederkunft des Herrn unmittelbar bevorsteht. Lasst uns die Ärmel hochkrempeln und Israel segnen, damit der Herr wiederkommt und WIR gesegnet werden. Der Einsatz für die Juden ist bewundernswert, doch es besteht die Gefahr, dass die Juden ein Mittel zum Zweck werden. Paulus und Mose traten mit einer selbstlosen Haltung für Israel ein.

 

Persönliche Schuldgefühle

Die dritte Form einer problematischen Israelliebe entsteht aufgrund persönlicher Schuld an Juden. Oftmals habe ich Momente erlebt, in denen deutlich wurde, dass sich vor allem ältere Menschen aufgrund enormer Schuldgefühle für Juden und für Israel einsetzen, ohne die eigene Vergangenheit aufgearbeitet zu ha ben. Nur durch die Vergebung in Jesus werden innere Wunden geheilt, nicht durch Aktivitäten und Verdrängung.

 

Wir brauchen eine biblische Nüchternheit

Es ist schwierig, wenn Juden übernatürlich im Mittelpunkt stehen. Wenn sie dann nicht wie gewünscht reagieren, ist die Gefahr gross, dass sie abgelehnt werden. Daher sind Juden oft skeptisch gegenüber all der Israelliebe. In der Geschichte des Judentums gab es immer wieder Epochen der Begeisterung, dann der Bedrängung und später der Bedrückung, und am Ende stand die Vernichtung. Eine übertriebene Israelliebe ist oft von einem nationalistischen Israel-Denken geprägt. Man ist pauschal für Israel und kontra Araber. Man sieht nur das Kollektiv und nicht das Individuum. Oft werden pauschale Aussagen gemacht.

 

Wir brauchen eine biblische Nüchternheit, die Folgendes festhält:

1.     Rettung geschieht allein aus Glauben (Apg. 4,12). Allein im Namen Jesu liegt die Rettung für Juden (Rom. 10,12-13).

2.     Es gibt in der Orthodoxie keine persönlich erfahrbare Vergebung von Schuld, egal wie streng religiös jemand lebt. Vergebung geschieht allein aus Glauben (1.Joh.1,7-9).

3.     Der Auferstandene hat uns beauftragt, allen Menschen Zeugnis von ihm abzulegen (Rom.10,14).

4.     Wir leben aus der Gnade des Neuen Bundes. Gott schenkt uns durch sein Opfer Gerechtigkeit (Hes. 36,2627; Jes. 61,10; Jer. 31,31).

5.     Die Bedeutung Israels liegt in seiner Beziehung zum Messias. Daher ist alles Engagement an Unterstützung und Begleitung von Israel und den Juden nur dann sinnvoll, wenn es zum Ziel hat, dass Israel wieder zu seinem Gott der Väter und seinem Messias zurückkehrt.

 

Jurek Schulz

Aus: Messianisches Zeugnis. AMZI ? Arbeitsgemeinschaft für das messianische Zeugnis an Israel. Reinach: Juli/August 2003. www.amzi.org

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Im 19. Kapitel des Propheten Jesaja hat Gott verheissen, den Nahen Osten zu einem Zentrum des Segens zu machen. Welcher Strategie er sich dazu bedient, ist das Thema dieses Lehrteils, der dritten Folge von „Der Islam und seine Beziehung zu Israel und der Gemeinde“.

 

Die Situation im Nahen Osten und die Beziehung zwischen Juden und Arabern ist heute durch den israelisch-palästinensischen Konflikt zum Inbegriff von Unversöhnlichkeit, Hass und Gewalt geworden. Weltweit fliesst in Hunderten von Konflikten und gewalttätigen Auseinandersetzungen oft viel mehr Blut. Aber der Nahost-Konflikt ist für die Welt zu dem Konflikt geworden, der alle Gemüter bewegt; und jeder, gefragt oder ungefragt, fühlt sich zu einer Stellungnahme gemüssigt. Dieser Konflikt hat schon viele israelische, arabische und internationale Friedensbewegte, Regierungschefs, Politiker und sonstige Vermittler an den Rand ihrer Kräfte, Fähigkeiten und Möglichkeiten gebracht; leider ohne bleibende Erfolge. Der einzige, der durch einen unglaublich mutigen Schritt eine Art von Erfolg verbuchen konnte, hat dies mit seinem Leben bezahlt: Der frühere ägyptische Präsident Sadat schloss 1979 mit Israel Frieden und wurde durch seine eigenen Leute umgebracht. Sein Erfolg ist durch die Jahre schleichend wieder rückgängig gemacht worden.

 

Laut einer Umfrage in Frankreich gilt zur Zeit der Irak als die grösste und Israel als die zweitgrösste Bedrohung für den Weltfrieden. Es wird gesagt, der Nahost-Konflikt habe das Potential, die ganze Welt zum Explodieren zu bringen. Das liegt kaum daran, dass Israel und der Irak Atom- bzw. chemische Waffen besitzen, denn das tun Länder wie Indien und Pakistan auch. Und deren Hass aufeinander ist nicht kiemer als der zwischen Juden und Arabern. Der Umgang mit dem Nahost-Konflikt in Bezug auf das persönliche und emotionelle Engagement des Einzelnen wie der Weltgemeinschaft ist einzigartig. West- und Osteuropäer, Amerikaner, Asiaten und Afrikaner tanzen auf den verschiedensten politischen Bühnen um diesen Konflikt herum und versuchen, sich mit Lösungsvorschlägen zu überbieten, ohne dass bisher ein Lösungsvorschlag gegriffen hätte.

 

Stolperstein Jerusalem

Jede Versöhnung, jede Friedensinitiative zerschellt an der Tatsache, dass sowohl das jüdische Volk als auch der Islam ihre Identität, ihr Zuhause und ihr Erbe mit Jerusalem verbinden, konkret mit dem Tempelberg als Ort der Gottesoffenbarung. Für Juden und Moslems ist es unmöglich, diesen Platz an den ändern abzutreten, ohne sich selbst aufzugeben. Jerusalem ist für die Moslems nicht etwa nur, wie viele im Westen denken, die drittheiligste Stadt. Dazu seien im Folgenden nur einige wenige Gründe genannt.

 

Etwa 18 Jahre nach der Etablierung des Islams in Medina wurde Jerusalem unter dem Kalifen Omar, dem Nachfolger Mohammeds, eingenommen. Der damalige Bischof von Jerusalem, Patriarch Sophoronius, übergab Omar den Tempelberg als Ort für den Bau einer moslemischen Gebetsstätte (Moschee). Zu jener Zeit war der Tempelberg von den Christen zu einem Abfallberg gemacht worden, um die weitverbreitete Lehre der Verwerfung des jüdischen Volkes durch eine bewusste Entweihung seiner heiligen Stätten darzustellen. Omar liess den Tempelberg reinigen und baute die AI Aksa Moschee in Anlehnung an Sure 17, die besagt, dass Mohammed in einer Nacht auf seinem geflügelten Pferd (AI Burak) zu der „entfernten Gebetsstätte“ (AI Aksa) ritt und von da in den Himmel entrückt wurde, um von allen Propheten zu ihrem Haupt eingesetzt zu werden. Das konnte nicht in Medina oder Mekka geschehen; denn nur Jerusalem war die Stadt der Propheten. Daher neigten sich die ersten Moslems beim Gebet nach Jerusalem, nicht nach Mekka. Die spätere Ausrichtung nach Mekka musste im Koran durch eine spezielle Offenbarung bewilligt und gerechtfertigt werden; es handelte sich dabei eigentlich um ein politisches Manöver, um Mekka, das schon vorislamisch die Zentrale der Macht in Arabien war, unter die Herrschaft des Islams zu bringen.

 

Die Bedeutung Jerusalems für den Islam und das Judentum

Jerusalem nimmt aber für das islamische Endzeitgeschehen eine zentrale Rolle ein. Jerusalem ist für den Islam die Stadt der Propheten und der Offenbarung Gottes. Sie ist nicht zufällig als einzige Stadt in der islamischen Welt „Al Quds“, die Heilige, genannt. Wer sie besitzt, gehört zu den Nachfolgern des Propheten, zu den Erwählten Gottes, zu den Rechtgläubigen, zu den Menschen, welchen Gott seine Herrschaft über diese Welt anvertraut hat. Für das jüdische Volk bedeutet Jerusalem schlicht die Mitte, den Ursprung und die Erfüllung seiner Identität und seiner Bestimmung als Volk und Nation. Darum wird seit zweitausend Jahren immer wieder am Ende von Pessach von allen Juden ihre Sehnsucht zum Ausdruck gebracht im Wunsch und Gebet: „Nächstes Jahr in Jerusalem.“ Wenn von Jerusalem die Rede ist, spreche ich vom Tempelberg; dem Ort, auf welchem der Tempel Salomos stand, bei dessen Einweihung der Gott Israels in seiner Heiligkeit herniederkam und den Ort für alle Zeiten heiligte, indem er erklärte: „Mein Herz soll für alle Zeiten an diesem Ort wohnen“ (1. Kön. 8, 10-11, und 9, 3). Israel ist berufen, in der Gegenwart seines Gottes zu leben und ihm ein Volk von Priestern und ein Licht für die Nationen zu sein. Es kann nicht anders zur Ruhe, zum Frieden und zur Erfüllung seiner Bestimmung kommen ausser durch die Rückkehr in die Gegenwart Gottes, durch „Aliya“ (=Hinaufziehen; im modernen Hebräisch das Wort für Einwanderung der Juden nach Israel), d.h. das Hinaufziehen zum Tempel, auf den Tempelberg, in die Gegenwart Gottes. Gott hat die Berufung und das Erbe Israels an dieses Land und speziell an diesen Ort gebunden.

 

Die Berufung Israels

Die Berufung Israels ist es, in und durch die Offenbarung Gottes zu leben, um diese der Welt zu bezeugen; aus der Gegenwart dessen, der das Licht der Welt ist, den Völkern das Licht zu bringen: „Mache dich auf, werde licht! Denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn strahlt auf über dir. Denn siehe, Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völker; doch über dir strahlt auf der Herr, und seine Herrlichkeit erscheint über dir, und Völker strömen zu deinem Lichte, und Könige zu dem Glanz, der über dir aufstrahlt“ (Jes. 60,1-3). Auch wenn ein Grossteil des jüdischen Volkes und des Staates Israel heute noch nicht zu diesem Licht durchgedrungen ist, noch nicht in die ihnen verheissene Gegenwart Gottes eingetreten ist, so ist doch Gott am Werk, Israel als Volk und Nation wiederherzustellen, um es in sein Erbe einzuführen, damit an ihm und durch es seine Herrlichkeit offenbart und sein Name unter den Völkern geheiligt werde.

 

Es geht aber nicht um Israel an sich, sondern um Israel in Bezug auf die Ehre Gottes und das Heil für die Völker (Ez. 36,31-38). Doch Israel kann nur in seine Berufung hineinkommen an dem Ort und in dem Land, das Gott dafür bestimmt hat. Land und Volk gehören nach dem Wort Gottes so sehr zusammen, dass der Zustand der Zerstreuung, des Lebens ausserhalb des Landes Israel für das Volk Israel einen Zustand des Gerichts und der Gottesferne darstellt. Wenn das jüdische Volk seine Identität und Bestimmung als Volk nicht verlieren und aufgeben will, – und Volk ist es nur als Volk Gottes muss es zurückkehren nach Israel, nach Zion, nach Jerusalem. Denn nur da wird Gott seinem Volk als Volk begegnen: „… .und sie werden auf den schauen, den sie durchbohrt haben“ (Sach.12,10).

 

Die Wurzeln des Nahost-Konflikts

Hier liegen die unlösbaren Wurzeln des Nahost-Konflikts. Die Nationen und oft ein Teil der israelischen Führung selbst betrachten den Konflikt als ein politisches, ethnisches, menschliches und kulturelles Problem, das mit vernünftigen Lösungen und Kompromissen zu lösen wäre. Dabei erfahren sie aber den Sisiphus-Charakter ihrer Bemühungen, ohne zu erkennen, dass es um mehr geht als um das Ringen zweier Völker um den gleichen Lebensraum, um historische Rechte und Unabhängigkeit. Es ist der Kampf um Identität und Bestimmung, der Kampf um die Erwählung und das Erbe. So zentral Jerusalem für das jüdische Volk und die Erfüllung der biblischen Verheissung ist, so zentral ist es für den Islam, der unmissverständlich bekennt und festhält, dass Gott die islamische Gemeinschaft mit der letzten und endgültigen Offenbarung der Wahrheit gewürdigt und berufen hat, die Welt unter die Herrschaft des Islams zu bringen. Jerusalem, die Stadt der Propheten, ist ein unaufgebbares Symbol der islamischen Herrschaft. Für den Islam gibt es keine grössere Infragestellung seiner Identität und seiner Herrschaft, als diese Stadt in den Händen von Juden zu wissen, die doch nach dem Koran und islamischer Überlieferung als ein verworfenes Volk | gelten, welches unter dem Fluch Gottes steht. Die Herrschaft über den Tempelberg ist Symbol und Legitimation, sich als Gottes Volk erwählt zu wissen und seine von ihm berufenen Zeugen zu sein. Nach dem Koran gibt es keine Zweifel, dass diese Erwählung durch Abraham und Ismael den Moslems, allen voran dem arabischen Volk allein gilt. Versöhnung mit Nicht- , Moslems gibt es nicht.

 

Die Sicht der Bibel

Die Sicht der Bibel ist anders. Nach Jes. ‚ 19, 24-25 verheisst Gott durch seine Propheten, dass der Tag kommen wird, an dem er Ägypten, Assur (Assur umfasste damals die heutige arabische Welt des Nahen Ostens) und Israel durch sein Gericht reinigt, ihren Stolz bricht, sie miteinander versöhnt und zusammen verbindet, um sie gemeinsam zu einem Segen auf Erden zu machen. Gott hat das Unvorstellbare in Aussicht gestellt, nämlich dass Länder wie Syrien, Irak, Saudi-Arabien und Ägypten dereinst mit Israel einen Bund schliessen werden, der nicht nur für sie selbst, sondern für die ganze Welt zum gen wird. Und Gott macht keine leeren Worte! In 4. Mose 23,19 heisst es: „Gott ist nicht ein Mensch, dass erlüge, nicht Menschenkind, dass es ihn reue. Sollte er wohl reden und es nicht tun, sollte er etwas künden und nicht erfüllen?“ Die Verheissung Gottes, den Nahen Osten zum Segenszentrum zu machen, hat mit der Treue Gottes gegenüber Abraham zu tun. Den arabischen Völkern als Nachkommen Ismaels, des Sohnes Abrahams nach dem Fleisch, ist um Abrahams willen Segen verheisseb (1.Mose 21,13-20). Segen heisst immer Lebensfülle, Fruchtbarkeit in allen Lebensbereichen, Friede, Freiheit, Heil. Ägypten war nicht nur das Sklavenhaus Israels, wofür sie Gericht erfahren haben, sondern auch ein Ort der Zuflucht für Abraham, Joseph, Jakob und nicht zuletzt für den Messias selbst. Nicht zu vergessen, dass sich der Pharao zur Zeit Josephs von Jakob segnen liess; eine Demutshaltung, um derentwillen Gott trotz aller Gerichte Ägypten mit hineinnimmt in die besondere Berufung der Nachkommen Abrahams. Nicht zuletzt ist das ein Grund, warum neben Israel Ägypten als Volk und Nation eines der ganz wenigen Völker ist, das aus alter Zeit existiert: eben weil Gott in seiner Heilsgeschichte noch Verwendung für Ägypten hat. Ist es nicht erstaunlich und im wahrsten Sinne des Wortes merkwürdig, dass genau diese Völker, die bestimmt sind, zusammen ein Zentrum des Segens zu sein, heute nicht nur allen bekannt, sondern – wenn auch im Moment in negativer Weise “ in aller Leute Mund sind“!

 

Auflehnung gegen Gott

Gott trifft Vorbereitungen, um seine Verheissungen und Pläne umzusetzen. Eine Folge der Auflehnung gegen den Gott der Bibel ist der Hass, die Gewalt und Finsternis, die die Beziehung dieser Völker heute prägen und die aus Jerusalem, der Stadt des Friedens und des Heils (der Stadt des grossen Königs, d.h. des Messias, wie sie Jesus nennt), eine Stadt des Grauens, des Terrors, der unversöhnlichen Gegensätze und des Hasses machen. Die Auflehnung gründet in einem tiefen Misstrauen Gott gegenüber, weil man ihn nicht versteht und ihm nicht glaubt, dass er sich die Erlösung und das Heil aller Völker zum Ziel gesetzt hat. Jes. 2, 2-5: „Auf, lasst uns hinaufziehen zum Berge des Herrn, zum Hause des Gottes Jakobs! Er lehre uns seine Wege, und wir wollen in seinen Pfaden wandeln, denn von Zion wird ausgehen das Gesetz und das Wort des Herrn von Jerusalem, und er wird richten zwischen den Völkern und vielen Nationen Schiedsrichter sein. Sie werden umschmieden ihre Schwerter zu Pflugscharen … nimmermehr wird Volk gegen Volk zum Schwerte greifen…“

 

Gottes Strategie

Gott hat eine Strategie gewählt, welche allein Heil und Erlösung zu schaffen vermag; eine Strategie, an der jeder Stolz zerbrechen muss, weil sie für Gott selber eine unglaubliche Erniedrigung und Demütigung bedeutet. Er hat sich ein halsstarriges, stolzes, undankbares Volk erwählt und seinen Namen für alle Zeiten mit ihm verbunden als der „Gott Israels“. Er hat sich und seinen Namen in ihre Hände gegeben, sich ihnen offenbart, seine Herrlichkeit gezeigt und sein Wohnzelt unter ihnen aufgeschlagen. Er hat ertragen, dass sie in unzähliger Weise seinen Namen missbraucht und in den Dreck gezogen haben. Wohl hat er sie mit harten Gerichten gezüchtigt und unter alle Völker zerstreut; doch hat er sich nie von ihnen gelöst, sie nie verworfen, seine Pläne, sie zum Licht der Nationen, zu seinen Zeugen zu machen, nie zurückgenommen (Jes. 43,10; 44,8). Er wurde in der Fleischwerdung des Messias, des einzigen Sohnes des Vaters, sogar ein Teil dieses Volkes. Jes. 9,6: „Denn ein Sohn ist uns gegeben, ein Kind ist uns geschenkt, und er wird heissen Wunderrat, Friedefürst, starker Gott, ewig Vater, und die Herrschaft liegt auf seinen Schultern…“ Joh. 3, 18: „Gott hat niemand jemals gesehen. Der eingeborene Sohn, der an der Brust des Vaters ruht, der hat Kunde gebracht.“ Er wurde zum Fluch, um alle Finsternis der Schöpfung aufsich zu nehmen, um sie am Kreuz zu vernichten, damit durch die Auferstehung, durch die Überwindung des Todes Licht, Gnade und Wahrheit durchbrechen und von diesem berufenen Volk hinausgetragen werden konnten zu den Völkern. So erfüllt sich die Verheissung durch den Propheten Jeremia: „Zu dir werden die Heiden kommen und sprechen: Das Erbe unserer Väter war lauter Lüge…“ (16, 19). Auch das Wort des Propheten Jesaja wird so in Erfüllung gehen: „Gott, der Herr, Jahwe Zebaoth, wird allen Völkern ein fettes Mahl bereiten auf diesem Berg… Auf diesem Berg nimmt er die Hülle weg, die auf allen Völkern liegt, und die Decke, die über allen Heiden ausgebreitet ist. Er vernichtet den Tod auf immer. Und der Herr wischt ab die Tränen von jedem Angesicht und nimmt seines Volkes (Israel) Schmach hinweg vor der ganzen Welt“ (25,6-9). Es wird sich erfüllen, was der Prophet Sacharia sagt: „In jenen Tagen wird es geschehen, dass zehn Männer aus allen Sprachen und Völkern einen Judäer bei seinem Rockzipfel ergreifen und sagen: Wir wollen mit euch gehen, weil wir gehört haben, dass Gott mit euch ist“ (8,23).

 

Zerbruch des Islams

Gottes Strategie wird den Stolz des Islams und der arabischen Völker brechen, welche auf Macht und die Gewalt des Schwertes bauen, um sich Herrschaft, Ansehen und den ersten Platz anzueignen. Das Wort Gottes des Alten und Neuen Testaments bezeichnen sie als Fälschung und Lüge und setzen an seine Stelle ihr eigenes, ihrem Stolz und ihrer Ehre dienendes religiöses Bekenntnis. Der Stolz und die Macht des Islams und der arabischen Nationen müssen gebrochen werden, damit die arabischen Völker die Verheissung von Jeremia 16 erfahren können: „Das Erbe unserer Väter ist lauter Lüge.“ Befreit von der Lüge des Islams werden sie freigesetzt, an der Seite Israels in den versprochenen Segen hineinzukommen und dadurch zum Segen für die Welt zu werden. Das Hineinkommen in den verheissenen Segen ist für die arabischen Völker und Ägypten nur möglich an der Seite Israels. Sie müssen sich unter die gewaltige Hand des Gottes Israels beugen und demütig anerkennen, dass Gott das jüdische Volk nie verworfen hat. Im Gegenteil: Er hat ihnen Hunderte von Malen durch seine Propheten verheissen, sie nach einer Zeit des Gerichts und der Zerstreuung aus allen Völkern wieder zu sammeln in dem Land, das ihnen seit Abraham als Eigentum versprochen wurde. Um in ihre Berufung hineinzukommen, müssen das arabische und das ägyptische Volk akzeptieren, dass Gott die Juden als Nation nach zweitausend Jahren im Land Israel wiederherstellt, um sie in seiner Endzeit-Heilsgeschichte als ein Gefäss und als Botschafter zu brauchen.

 

Die Nachkommen Ismaels werden in Jes. 60,1-7 als erste unter den Völkern aufgezählt, die nach Jerusalem hinaufziehen, um dem Messias zu huldigen: Kedar, Nebaioth, Midian… Der Messias, dem sie huldigen werden, ist ein jüdischer Messias und König. Er wurde geboren als jüdischer Messias und König, starb als jüdischer Messias und König und wird wieder kommen als jüdischer Messias und König, um über ein Jerusalem zu herrschen, das die Hauptstadt des jüdischen Volkes ist; denn er ist das Licht, das das jüdische Volk erleuchten wird und das sie hinaustragen werden „zu den Enden der Erde“.

 

Israel muss sich demütigen

Gott widersteht dem Stolzen, dem Demütigen aber gibt er Gnade. Jede Form von Stolz wird an der Demut des Gottes Israels zerschellen müssen. Aber auch der Stolz des jüdischen Volkes muss an der Strategie Gottes zerschellen. Es wird erkennen müssen, dass es sich das verheissene Land, das Land der Väter, nicht kraft seiner eigenen Fähigkeiten, seiner Stärke oder seiner religiösen Errungenschaften aneignen kann. Israel hat weder das Recht, das Land an sich zu reissen, noch das Recht, das Land wegzugeben, denn es ist Gottes Land, ein Land, auf dem das Auge Gottes ruht (5. Mose 11,10-14). Es wird Israel von Gott gegeben als Geschenk, als Brautgabe, als Ort der Begegnung mit ihm. Nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch den Geist Gottes werden Land und Volk wiederhergestellt (Sach. 5, 6). Der jüdische Humanismus, die jüdische Religiosität, die Jüdische Vernunft, die israelische Armee müssen sich beugen und bekennen: „Wenn der Herr nicht die Stadt baut, so arbeiten die Arbeiter umsonst“ (ps. 127). Israel wird erkennen, dass weder sie noch ihre mächtigen Verbündeten in diesem Land Friede und Sicherheit schaffen und garantieren können, sondern nur die Hinwendung und der Hilferuf zu dem Einzigen, der imstande ist, diesem Land Frieden zu bringen, weil es SEIN Land ist. Wenn er eingreift, wird er weder Partei ergreifen noch sich um historische Rechte und um Nationalstolz kümmern. Er wird für alle Lebensraum, Frieden und Freiheit schaffen, aber eben zu seinen Bedingungen.

 

Der Stolz der Nationen

An der Strategie Gottes wird aber auch der Stolz der Nationen gebrochen werden. In Psalm 2 heisst es, dass die Mächtigen der Welt sich gegen den Gott Israels und seinen Gesalbten auflehnen. Diesen Mächtigen streckt Gott seine Hand entgegen, gerade durch das Volk, das sie durch die Jahrtausende hindurch gehasst, verachtet, verstossen, verfolgt und umgebracht haben. Das Volk Israel, das zum Inbegriff der Verfluchten geworden war und als Aussatz und Kehricht der Welt bezeichnet wurde, wird zum Bringer der frohen Botschaft, des Lebens, als Diener des Allmächtigen. Dieses Volk zu empfangen und zu ehren als jene, die den Weg zu dem hin zeigen, der das Licht der Welt ist, wird den Stolz der Nationen brechen. Die Nationen werden bekennen müssen: „Lasst uns mit euch gehen, denn Gott ist mit euch“ ‚(Sach. 8, 23). So wie Israel Jesus, den es gehasst, verachtet und verfolgt hat, lieben und ehren lernt, wenn es ihn als den Durchbohrten erkennt, so werden die Nationen Israel lieben und ehren ernen.

 

Die Kirche

Aber auch der Stolz der Kirche wird an der Strategie Gottes zerschellen müssen. Wie oft hat die Kirche das Wesen Gottes verkannt und das jüdische Volk als von Gott fallengelassen, enterbt und zur Bedeutungslosigkeit, wenn nicht gar zum Gericht bestimmt geglaubt! Wie wenn Gott wankelmütig und unberechenbar wäre in seinen Verheissungen   und   Berufungen! „Denn die Berufungen Gottes können ihn nicht gereuen!“ (Rom 11,29) Ohne die Berufung Israels gäbe es die Kirche nicht, und ohne die Wiederherstellung Israels und seine Freisetzung in seine Berufung wird die grosse Ernte für das Reich Gottes nicht eingebracht (Sach. 8, 23; Jes. 25). Die Kirche ist berufen, an der Berufung des jüdischen Volkes teilzuhaben; aber sie kann das Volk Israel nicht ersetzen. Sie ist nach Eph. 2,19 Mitgenossin und Teilhaberin und nicht alleinige Besitzerin des Heils und der Berufung. Die Fruchtbarkeit der Kirche hängt von ihrer Einheit und ihrer Verbundenheit und Gemeinsamkeit mit dem älteren, zuerst berufenen und erstgeborenen Bruder ab. Vor der Welt muss die Kirche neu bekennen: „Mein Herr und Messias Jesus ist der König der Juden, und die Juden sind mein Volk. Wir gehören als Kirche zu ihnen, und ihr Leben und ihre Geschichte betrifft uns ganz direkt.“ Wie die Ruth der Bibel wird die Kirche bekennen müssen: „Dein Gott ist mein Gott, und dein Volk ist mein Volk. Wo du hingehst, will ich auch hingehen; wo du bleibst, will ich auch bleiben“ (Ruth 1,16). Wenn die Kirche nicht bereit ist, die Schmähungen, die Verfolgungen und den Hass, die immer noch das jüdische Volk treffen, zu teilen und sich zu ihm zu stellen, wird sie auch Fruchtbarkeit, Vollmacht und Autorität, die Gott Israel verheissen hat, nicht teilen können. Mit Paulus könnte man sagen: „Was die Kirche bisher erlebt hat an Vollmacht und Autorität, ist kaum der Rede wert, verglichen mit dem, was sein wird, wenn Gott Israel in seiner Berufung freisetzen wird“ (Röm. 11, 15). Die Kirche muss sich unter die gewaltige Hand Gottes beugen, damit er sie zu seiner Zeit und zu seinen Bedingungen erhöhen kann. Die Kirche wird zur Aussenseiterin werden, selber verachtetet, verfolgt und gehasst, wenn sie bekennt, dass ihr Messias Jesus der Judenkönig und das jüdische Volk sein Volk ist. Aber das ist der Weg, in die Fülle ihres Erbes hineinzukommen.

 

Die ganze Welt ist betroffen

Der Nahost-Konflikt betrifft nicht nur Araber und Juden, sondern die ganze Welt, weil die Wiederherstellung Israels nicht das Resultat menschlichen, sondern göttlichen Handelns ist – dies auch, wenn Gott sich Menschen und Institutionen bedient, wie zum Beispiel im Jahr 1948 der UNO. Die Tatsache, dass seinem Handeln, welches das Heil der Welt im Blick hat, sowohl vom jüdischen Volkes wie von der nichtjüdischen Welt und der Kirche so viel Widerstand entgegengebracht wird, ist der Grund für viel Leid und Not. An seinem Handeln mit und an Israel macht Gott die Herzenshaltung sowohl des jüdischen Volkes wie der nicht-jüdischen Welt ihm und seinem Wort gegenüber offenbar. Jeder wird früher oder später gezwungen, Stellung zu beziehen, was für ihn normativ und damit Autorität ist: das biblische Wort oder die eigene, menschliche oder religiöse Sichtweise. Der Gott des alten und des neuen Bundes bietet dem jüdischen Volk und der ganzen Welt Leben, Frieden und Heil in Jesus an. Dieses Angebot auszuschlagen oder gar zu bekämpfen hat seine Konsequenzen. Wenn der Gott der Bibel allein das Leben und die Liebe ist – und das ist er! – kann ein Leben ohne ihn nur in der Not, im Elend und im Tod enden.

 

Marcel Rebiai

© 2002 COR-GDV, Gossau ZH.

 


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Mit diesem Text möchte ich erklären, wie die liberalen Theorien den Menschen beschreiben. Gleichzeitig untersuche ich die Sicht der Bibel und vergleiche die beiden Ansätze miteinander.

1.    Der rationale und gewinnorientierte Mensch

Die liberalen Denker beschreiben den Menschen als Wesen, das rational handelt und auf dem Markt immer auf Gewinnsteigerung aus ist. Er strebt immer grössere Effizienz an, um das Verhältnis zwischen Aufwand1  und Ertrag2ständig zu verbessern. Sein Verhalten beruht demnach nicht auf vorgefassten Werten, sondern passt sich von Fall zu Fall den Mitteln an, die den grössten Ertrag versprechen.

Diesem Postulat des rationalen Menschen steht entgegen, dass das Verhalten der wirtschaftlichen Akteure auch durch andere Faktoren beeinflusst wird: soziokulturelle Werte, persönlicher Geschmack usw. Auch die Bibel äussert sich detaillierter zum Thema: Sie sieht im Menschen ein komplexeres Wesen als einen simplen und immer konsequentenhomo oeconomicus. Der Mensch ist sündig und vereint zwei gegensätzliche Willensausprägungen, wie das platonische Gleichnis des Pferdegespanns veranschaulicht: Mal will er das Gute tun, mal das Böse. Die Bibel nennt das den Kampf zwischen Fleisch und Geist. Der Mensch soll gegen das Fleisch kämpfen und es täglich ans Kreuz tragen; er soll seine Fehler einsehen und Busse tun. Diese Haltung ist dem neoliberalen Menschenbild völlig fremd. Anders gesagt: Wir sind berufen, vorsichtig und selbstkritisch zu bleiben. Für uns Christen, die vom Heiligen Geist erneuert sind3, sollten geistliche Anliegen vor dem fleischlichen Materialismus Vorrang haben. Darum ist das liberale Menschenbild vereinfachend, monokausal oder gar utopisch, da es die Funktionsstörungen und Fehlverhalten des Menschen nicht in Betracht zieht.

Gleichzeitig widerspiegelt es eine zu pessimistische Sicht des Menschen, der sich vom Gewinn treiben lasse, ohne sich um andere Fragen zu kümmern. Gewiss ist der Mensch Sünder und egoistisch, doch hindert ihn das keineswegs daran, sich für soziale Hilfswerke zu engagieren, Mönch zu werden oder eine nichtgewinnorientierte Tätigkeit anzunehmen (Krankenpflege, Sozialarbeit, Pfarramt, Gewerkschaft usw.). Noch gefährlicher ist der Ansatz von Friedmann, der behauptet, die Gewinnsteigerung sei ein moralischer Wert für sich. Dies zeigt, dass die Theorie des Neoliberalismus’ über ihren Anspruch als Wissenschaft hinausgeht, denn wir treten hier in den Bereich der Ethik und Theologie ein. Sollte dieser Ansatz auf andere Bereiche ausgedehnt werden, könnten seine totalitären Ansprüche nicht weiter verborgen werden. Die Frage stellt sich dabei, wie ein solches Ideal in den öffentlichen Diensten umgesetzt werden kann. Wer wünscht sich denn einen Staat, in dem die Beamten lieber der Steigerung ihres Gewinns nachgehen, als dass sie das Gesetz anwenden?

Weitere Punkte kommen hinzu: Erstens beinhaltet der Gewinn zwei verschiedene Konzepte: Er kann einerseits einfach das sein, was übrigbleibt, wenn man den Verlust vom Ertrag abzieht. Er kann sich aber auch auf den Mehrgewinnbeziehen, der sich aus dem Vergleich des Gewinns eines Wirtschaftssubjekts mit dem relativ kleineren Gewinn der übrigen Marktteilnehmer ergibt. Man spricht beispielsweise von Mehrgewinn, wenn ein Unternehmen mehr als 20% Gewinn erzielt, während sich der marktübliche Gewinn auf unter 10% beläuft.

Zweitens war während der Industrialisierung die Gewinnsteigerung nicht immer das einzige Ziel der Unternehmer. Oft wurden die Gewinne zu ideologischen und politischen Zwecken verwendet. So hat der Erfolg insbesondere Henry Ford und Frederick Winslow Taylor dazu gebracht, sich besser um ihre Mitarbeiter zu kümmern und ihnen Weiterbildung, Wohnraum und „Erziehung zu guten Sitten“4 anzubieten. Oft widersprachen diese von nicht-geldlichen Zielen motivierten Massnahmen dem Gedanken der Gewinnsteigerung diametral. Übrigens beinhaltet diese Haltung das Konzept der Langfristigkeit in der Unternehmensführung.

Das Wirtschaftssubjekt versucht also nicht nur, seinen Gewinn zu steigern, sondern orientiert sich auch an seinen Werten und Ideologien. Dadurch wird die Fragestellung eindeutig auf die ethische und geistliche Ebene ausgedehnt. Dies gilt insbesondere für die Frage der Langfristigkeit und der Stabilität im Wirtschaftsbereich. Der christliche Mensch sollte darum geistliche und humanistische Werte vor materialistische und egoistische Überlegungen stellen. Er sollte sich vom Heiligen Geist leiten lassen und nicht von seinen materiellen Bedürfnissen und das Geldausgeben zur ethischen Frage machen.

2.    Der selbständige und autonome Mensch

Eine zweite Behauptung der liberalen Theorie lautet, der Mensch sei im Umgang mit seiner Existenz unabhängig und auf sich gestellt, er sei von niemand abhängig. Der Gedanke der Autonomie findet sich in der liberalen Definition von Solidarität wieder. Demnach empfängt der bedürftige Mensch seine Hilfe zuerst von der Familie, dann von Bekannten und schliesslich von der Dorfgemeinschaft. Der Staat soll dabei erst als letzte Instanz einspringen. So haben wir es mit einer Gruppe isolierter Einzelpersonen zu tun, deren soziale Bindung sehr schwach ist; als ob diese Bindung zweitrangig oder sogar schlecht wäre. Auch wenn diese Sicht von Solidarität auf den ersten Blick durchaus akzeptabel und legitim erscheinen mag, ist die verborgene Botschaft in Tat und Wahrheit die Ablehnung von allem, was kollektiv ist, wie z.B. dem Gemeinwohl oder dem gesellschaftlichen Zusammenhalt. Warum sonst sollte die Definition der Gesellschaft ausschliesslich beim Einzelnen ansetzen? Ist es tatsächlich möglich, eine Gesellschaft zu bauen, indem Individuen mit begrenzten und zufälligen Beziehungen angehäuft werden? Wo bleiben da die augenfälligen kollektiven Phänomene (Mode, Schaffung einer kollektiven Identität, in der sich das Ich über das Wir definiert usw.)? Diese Sicht verrät die Illusion, wonach sich jeder Mensch selber genügt, ohne auf Gott angewiesen zu sein. Das erinnert an Nietzsches Utopie des stolzen „Übermenschen“, der sich jeglicher „moralischer Fessel“ entledigt hat.

Dem gegenüber stellt die Bibel den Menschen in ein kollektives Umfeld, auch wenn sie den persönlichen Aspekt des Einzelnen5 respektiert und sogar verteidigt. Der Mensch lebt vor allem in der Beziehung zu Gott6 und den Menschen. So ist der Christ berufen, in der Kirche7, dem Leib Christi, freundschaftliche Beziehungen zu unterhalten. Die Kirche ist dabei nicht uniform, sondern durch die Bindung der Liebe und Solidarität zusammenhängend und geeint8. Gott hat demnach den Menschen nicht geschaffen, damit er allein und isoliert sei (und um diesen Zustand zu verherrlichen), sondern im Gegenteil, damit er mit Gott und den Menschen Beziehung pflege. Das atomistische Weltbild9 der Liberalen entspricht also weder der gesellschaftlichen Wirklichkeit noch dem biblischen Weltbild.

3.    Der Mensch als Zentrum der Welt

Weiterhin behaupten die Liberalen, der Mensch stehe im Zentrum der Welt und beherrsche die Schöpfung souverän. Sein Verhalten unterstehe seinem freien und unabhängigen Willen. Gewiss hat Gott dem Menschen bei der Schöpfung aufgetragen, den Tieren im Garten Eden einen Namen zu geben10 und über sie zu herrschen11. Doch diese Herrschaft entspricht nicht automatisch einer Menschenzentriertheit, denn die Bibel verlangt gleichzeitig Verantwortung gegenüber Gott. Die Menschenzentriertheit des Liberalismus vernachlässigt die Sünde des Menschen. Die Bibel sagt klar, dass auch der Mensch geistlichen12, moralischen und physikalischen Realitäten und Grenzen unterworfen ist. Die Anerkennung dieser Grenzen seiner Bewegungsfreiheit sollte ihn demütig machen, gerade im Umgang mit der Schöpfung.

Im Gegensatz zur liberalen Behauptung steht der Mensch also nicht im Zentrum der Schöpfung. Er leidet an seiner sündigen Natur, er lebt in der Abhängigkeit von seiner Umwelt und seinen Mitmenschen. Das Postulat der Menschenzentriertheit erscheint zwar in mancher Hinsicht optimistisch, es scheint die Würde des Einzelnen zu fördern, gleichzeitig widerspiegelt es aber den Stolz des Menschen seiner Umwelt gegenüber. Die Bibel erinnert uns daran, dass Hochmut oft vor dem Fall kommt.13

4.    Der eigenverantwortliche Mensch

Schliesslich wird behauptet, der Mensch sei durchaus fähig, sich um sich selber zu kümmern. Dieses Postulat der Eigenverantwortung wird oft benutzt, um staatliche Sozialleistungen zu kürzen, weil sie, so die Argumentation, unnütz seien und den Bezüger vom Staat abhängig machten. Hinter diesem Gedanken finden wir wieder das Bild des selbständigen und idealen Menschen. Dabei sagt die Bibel ganz klar, dass wir unserer sündigen Natur14 unterworfen sind, die uns zu verantwortungslosem Verhalten treibt: Autofahren unter Alkoholeinfluss oder Rauchen trotz Krebsrisiko. Welch schöne Beispiele von Eigenverantwortung! Um dieser Natur zu widerstehen sind wir auf die Erneuerung durch den Heiligen Geist angewiesen.

Ausserdem ist das Konzept der Eigenverantwortung zu kritisieren, weil es zu verstehen gibt, dass es überflüssig ist, dem Nächsten zu helfen – oder sich helfen zu lassen. Ein schwerer Schlag für die Solidarität. Und das obwohl das Neue Testament vom Amt der Diakonie spricht, womit unter anderem die Sorge für die Schwächsten der Gesellschaft, wie z.B. Kranke, Witwen und Waisen, gemeint ist. Mit dem neoliberalen Bild wird uns ein Mensch angepriesen, der wild ist und kurzfristig und fatalistisch denkt, da ja die Marktmechanismen ohnehin die Wirtschaft bestimmen… Dabei geht vergessen, dass ja auch der Wirtschaftslauf immer von menschlichen Entscheiden bestimmt wird, sei das auf Gesetzes-, geldpolitischer oder Unternehmensebene.

Wenn wir in unseren Betrachtungen noch etwas weiter gehen, fällt auf, dass das liberale Menschenbild so etwas wie ein „inneres Loch“ voraussetzt. Der Mensch ist ja so frei, er trägt in sich eine „heilige Kammer“, auf die die Gemeinschaft, das kulturelle Umfeld und andere Instanzen keinen Zugriff haben. Da dies als normal und rechtmässig angesehen wird, kann fast Alles aus dieser „Black Box“ kommen. Dies kann äusserst gefährlich sein, da hier keine moralischen Massstäbe gelten. Natürlich widerspricht das jeglicher Wirklichkeit, hat doch jeder Mensch seine eigene Geschichte und Persönlichkeit und ist von seinem Umfeld geprägt. Eine andere Gefahr dieses Menschenbildes liegt darin, dass die Menschen sehr uniform beschrieben werden. Das weckt Erinnerungen an totalitäre Regimes wie unter Stalin oder Hitler, wo der Einzelne ohne Unterschied in einer rassischen oder klassenbedingten Masse aufging. Beim Liberalismus geht er eher im Markt auf, auf dem er mit gleicher Vernunft, gleicher Autonomie, gleicher Eigenverantwortung usw. tätig ist.

In der Bibel lesen wir aber, dass der Mensch nicht leer und uniform geschaffen ist. Gott unterhält mit jedem von ihm geschaffenen Menschen eine ganz besondere Beziehung, da jeder Mensch einzigartig ist. Gleichzeitig ist Gott immer um Gerechtigkeit und Gleichbehandlung besorgt, denn „Gott schaut nicht die Person an“15. Die biblische Sicht übertrifft demnach die liberale Theorie an Komplexität, und das trotz der angeblichen Wissenschaftlichkeit des Liberalismus’. Der Mensch der Bibel kommt der alltäglichen Wirklichkeit viel näher, da die Bibel mit allen Aspekten des menschlichen Weltbildes und Verhaltens, aber auch mit seiner Verstiegenheit und Widersprüchlichkeit rechnet.

Thomas Tichy, Politologe, 2004

Übersetzung: Samuel Ninck

 


1. …oder erwartete Kosten…

2. …oder erstrebtem Gewinn…

3.  von neuem geboren: Titus 3,5-7.

4. Paternalismus.

5. So beruft uns Jesus, eine persönliche Beziehung mit Gott zu unterhalten. Matthäus 6,5-6.

6. Leider beeinträchtigt die Sünde diese Beziehung. Bezug herstellen zum Konzept des Bundes im Alten und Neuen Testament.

7. Die Rede ist hier nicht von der Kirche als Institution oder Organisation, sondern von der „weltweiten Kirche“, d.h. der Christen, die frei sind, sich zu organisieren wie sie wollen, mit oder ohne Hierarchie.

8. „Wenn ein Glied leidet… (1. Korinther 12) Wir können nicht über Solidarität sprechen, ohne die Solidarität der Urkirche zu erwähnen, in der die Güter zusammengelegt wurden. Dies hat keinen zwingenden Charakter, sondern zeigt beispielhaft, dass sich der Mensch andere Verhalten haben kann als den Egoismus, den der Neoliberalismus nahe legt.

9. In diesem Zusammenhang werden mir gewisse Liberale dankbar sein, dass ich nicht Tocqueville erwähnt habe. Dieser Autor beschreibt die amerikanische Gesellschaft und weist auf die wichtige Rolle hin, die die Bürgervereinigungen dort am Anfang des 19. Jahrhunderts gespielt haben.

Dem ist entgegen zu halten, dass nicht alle Liberalen Schüler von Tocqueville sind und dass die Bürgervereinigungen (Bürgerbewegung) doch immer im übermächtigen Schatten des Einzelnen stehen. Es gibt keine Garantie dafür, dass der Einzelne den Entschluss fasst, auf die Anderen zuzugehen und sich mit ihnen zusammen zu schliessen. Im Gegenteil kann er sich ohne Weiteres für ein einsames und zurückgezogenes Leben entscheiden, da das Grundpostulat, dass er frei ist, weiterhin gilt..

10. 1. Mose 2,19-20. Römer 7,14-19.

11. 1. Mose 1,26.28-30.

12. Galater 5,17.

13. Sprüche 16,18.

14. Römer 7,14-19.

15.  z.B. Kolosser 3,25.

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~ 18 min

Referat von Roland Hardmeier an der ChristNetKonferenz vom 1. Februar 2003, Bern.

EINLEITUNG

Früher dachte ich, dass das Evangelium von Jesus Christus mit der Tagesordnung der Welt nicht viel zu tun hat. Ich wuchs in einem konservativen christlichen Umfeld auf. Der Jesus, den ich kennenlernte, war ein individueller Erlöser aber niemals ein politischer Mensch! Der Gedanke der Weltveränderung schien mir ein Verrat des Evangeliums zu sein. Glaube hatte für mich nichts mit Weltzugewandheit zu tun. Glaube war für mich eine Flucht aus der Gegenwart. Wäre ich damals zu einer Konferenz mit dem Thema ?Jesus in der Politik?? eingeladen worden, hätte ich gesagt: ?Das ist irrelevant, es interessiert mich nicht!? Heute denke ich anders. Ich bin der Überzeugung, dass das Leben und die Lehre von Jesus Christus eine hohe Relevanz für die sozialethischen Herausforderungen unserer Zeit haben.

Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder sagte nach dem 11. September 2001: ?Wir wissen, dass die Anschläge von New York und Washington nichts, aber auch gar nichts mit Religion zu tun haben?. Der katholische Theologe Hans Küng dagegen sagt: ?Man braucht… nicht religiös zu sein, um Religion… ernst zu nehmen. Eine Zeitanalyse, welche die religiöse Dimension ausklammert… ist defizitär!? 1

Man kann ja bekanntlich auf beiden Seiten des Pferdes herunterfallen. Eine Zeitanalyse, welche die religiöse Dimension ausklammert – wie Schröder das tut – ist defizitär. Umgekehrt gilt: Glaube, der die politische Dimension ausklammert ist ebenso defizitär. Glaube hat eine politische Dimension, und Politik hat eine religiöse Dimension.

Der amerikanische evangelikale Christ und Friedensaktivist Jim Wallis hat gesagt, dass die alten politischen Kategorien, die wir kennen, so gut wie unbrauchbar geworden sind. Was er von der Politik in seinem Land sagt, trifft auch auf die politische Szene in unserem Land zu. Wallis sagt:

?Der links-progressive Ansatz ist gescheitert, weil er unfähig ist, jene ethischen Werte zu formulieren…, die jede… Bewegung speisen müssten, wenn sie tiefgreifende soziale Veränderung will. Der Linken fehlt die notwendige Zusammenschau von persönlicher Verantwortung und gesellschaftlicher Veränderung.?

?Der Konservatismus hingegen leugnet nach wie vor das Faktum struktureller Ungerechtigkeit und sozialer Unterdrückung. Wenn man… die Rückkehr zu Familienwerten predigt und gleichzeitig die Augen verschliesst vor den verheerenden Auswirkungen von Armut, Rassismus und Sexismus… schiebt man… die Schuld auf die Opfer.? 2

Nachdem Wallis mit den Linken und den Rechten ins Gericht gegangen ist, folgert er:

?Beide ideologischen Ansätze sind ausserstande, mit dem Ausmass und der Vielschichtigkeit der sozialen Krise umzugehen, mit der wir konfrontiert sind.?3

Was wir brauchen ist ein Brückenschlag zwischen links und rechts – ein Brückenschlag, der die Stärken beider Seiten vereinigt und die Schwächen überwindet. Wir brauchen geistliche Werte in der Politik – geistliche Werte, welche uns die moralische Kraft geben, das Gemeinwohl zum Fokus der Politik zu machen. Ich glaube, dass das Evangelium von Jesus Christus diesen Brückenschlag ermöglicht, sofern es richtig verstanden und radikal gelebt wird.

I. DIE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE SITUATION ZUR ZEIT JESU

Als Jesus öffentlich aufzutreten begann, befand sich das jüdische Volk in einem Zustand der Zerrissenheit:

Politisch war das Land in drei Lager gespalten. Die erste Kraft im Land war Rom. Die Römer waren den meisten Juden verhasst. Die zweite Kraft war die Königsfamilie des Herodes. Rom liess den herodianischen Herrschern weitgehend freie Hand. Diese nutzten ihren Spielraum aus und taten sich durch Ausbeutung und Willkür hervor. Die dritte Kraft konzentrierte sich in den hohepriesterlichen Familien. Das Nervenzentrum ihrer Macht war der Tempel.

Wirtschaftlich tat sich eine Kluft zwischen Arm und Reich auf. Die hohepriesterlichen Familien und deren Günstlinge gehörten zur reichen Oberschicht. Der überwiegende Teil der Bevölkerung gehörte bildete die arme Mittelschicht. Aus ihr kam Jesus und wahrscheinlich der grösste Teil seiner Nachfolger. Zur untersten Schicht gehörten Bettler, Aussätzige und Herumtreiber. Ihnen mangelte es am Lebensnotwendigen.

Diese Unglückssituation provozierte die unterschiedlichsten Reaktionen:

·        REVOLUTION. Die Zeloten wählten den Weg der Revolution. Die Römer und alle, die mit ihnen kollaborierten waren den Zeloten zutiefst verhasst. Sie waren die ?Befreiungstheologen? ihrer Zeit.

·        TEILVERWEIGERUNG. Die Pharisäer und Schriftgelehrten waren Teilverweigerer. Sie wählten den Weg des Kompromisses. Ihr Versuch, umfassende Veränderung durch strikte Religionsausübung herbeizuführen artete in fromme Haarspalterei aus.

·        TOTALVERWEIGERUNG. Die Essener traten als Totalverweigerer den Weg in die Wüste an. Sie lebten in einem geistlichen Ghetto. Sie weigerten sich, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

·        ANPASSUNG. Die Sadduzäer reagierten mit Anpassung an das System. Sie rekrutierten sich aus der Priesteraristokratie und entpuppten sich als Opportunisten. Sie waren auf Machterhaltung aus und vertraten ein gemässigt progressives Weltbild.

·        ALTERNATIVE. Es gab Juden, die den aufreibenden Mittelweg zwischen Verweigerung und Anpassung gingen, ohne ihren Glauben zu komprimitieren. Der kleinere Teil von ihnen diente Gott und der Gesellschaft im Zentrum der Macht. Der grössere Teil führte ein unauffälliges Leben.

Diese Skizze zeigt, dass es zwischen der gesellschaftspolitischen Situation damals und unserer heutigen durchaus Parallelen gibt. Wie heute gab es damals eine Kluft zwischen den Armen und den Reichen, den Mächtigen und den Schwachen und den Gewaltbereiten und Friedfertigen. Die Parallelen zwischen damals und heute erlauben es uns, Linien von der Vergangenheit in die Gegenwart zu ziehen.

II. DAS RADIKALE UND WELTVERÄNDERNDE HANDELN JESU

Es gibt Leute die der Meinung sind, dass Jesus kein politischer Mensch war. Doch diese Behauptung hält einer genaueren Prüfung nicht stand. Wir müssen die besondere Situation verstehen, in der Jesus sich befand. Er lebte in einer römischen Provinz, die Teil einer totalitären Diktatur war. Jesus hatte das römische Bürgerrecht nicht und damit keine politischen Rechte. Die politischen Möglichkeiten, die sich Jesus boten, waren äusserst beschränkt.

Die Botschaft Jesu war nicht vorrangig politischer Natur. Der Kern seiner Lehre war das Kommen des Reiches Gottes. Jesus rief die Menschen in seine Nachfolge und forderte sie auf, Gottes Reich über alles andere zu stellen. Die Botschaft Jesu war so radikal, dass sie unweigerlich politisch wurde. Jesus war radikal, weltverändernd und damit unweigerlich ein politischer Mensch. Ich gebe Ronald Sider recht, der gesagt hat:

?Wenn man sagt, dass Jesu messianische Sendung an die jüdische Nation keine ?politische? gewesen wäre, heisst das, das ganze Evangelium vom Reich Gottes zu vergeistigen und damit misszuverstehen.? 4

Wie hat Jesus auf die Unglückssituation des jüdischen Volkes reagiert? Ich möchte die Antwort auf diese Frage in Stichworten und einem je entsprechenden Bibeltext geben.

1. Gewaltfreiheit (Matthäus 16,21-23[^i] )

In dieser Begebenheit widerspiegelt sich die Tatsache, dass der zelotische Weg ein reale Versuchung für Jesus darstellte.5 Jesus wirkte zweifellos anziehend auf die Zeloten. Aus den Evangelien wissen wir, dass zumindest einer seiner engeren Jünger ein Zelot war. Von seiner Versuchung am Anfang seines öffentlichen Auftretens bis zu seinem inneren Ringen vor seiner Verhaftung kämpfte Jesus mit der zelotischen Option, aber er gab ihr nie nach. Er erkannte sie als satanisch. Jesus vernahm in den gutgemeinten Worten von Petrus die Stimme des Versuchers und wies ihn deshalb schroff zurecht: ?Weg mit dir, Satan!?

Jesus hätte zweifellos gegen die Römer mobil machen können. Die Zeloten waren bereit, die Menschen wären ihm gefolgt. Die Versuchung, Macht ohne Dienst und ohne Leiden zu erlangen war für Jesus real. Aber Jesus ging den Weg ans Kreuz. Er wusste, dass dies der Weg des Vaters ist. Er wusste auch, dass der bewaffnete Kampf gegen Rom in der Katastrophe geendet hätte. Tatsächlich tat er dies im Jahre 70 n.Chr., nachdem die Zeloten den Aufstand gegen Rom provoziert hatten und die römischen Legionen Jerusalem zerstörten. Der Kampf hätte keine grundlegende Änderung der Situation gebracht. Das eigentliche Hindernis für die Herbeiführung einer Welt der Gerechtigkeit und des Friedens lag – und liegt immer noch – im Menschen selber. Die Mission Christi war es, durch seine Tat am Kreuz die Menschen mit Gott zu versöhnen und so Veränderung von innen her zu bewirken. Wie will jemand ein Friedenstifter sein, wenn er mit Gott und dem Nächsten keinen Frieden hat?

2. Solidarität (Lukas 4,16-19[^ii] )

In diesem sogenannten ?Nazareth-Manifest? definiert Jesus seine Aufgabe: Er wusste sich zu den Armen gesandt. Mit den Armen sind im Neuen Testament zwei Personengruppen gemeint: Zum einen diejenigen, die wegen der Benachteiligung durch das herrschende System oder wegen Katastrophen verarmt waren. Zum andern die, welche in ihrer Ohnmachtssituation ihre Hoffnung bei Gott suchten und deshalb die ?geistlich Armen? genannt werden.6  Im Lukasevangelium sind die Armen ein Sammelbegriff für alle in irgendeiner Weise Benachteiligten.7

Jesus erklärt sich im Nazareth-Manifest also solidarisch mit den Armen und Unterdrückten. Er sah seine Aufgabe darin, sie zu befreien und ihnen Heil zu schenken. Nie verlor Jesus den einzelnen Menschen aus den Augen. Er schenkte seine besondere Aufmerksamkeit denen, die am Rande der Gesellschaft waren – seien es diskriminierte Frauen, sich selbst überlassene Kranke oder sonstige Randständige. Jesus ging zu diesen Menschen. Er scheute sich nicht, sie zu berühren. Er gab ihnen Würde. Er liebte sie.

Für die Randständigen hatte man damals einen passenden Begriff parat: Man nannte sie ?Sünder?. Die Sünder – das war die Prostituierten, die Zolleinnehmer, die Kranken etc. Wenn Jesus einen ?Sünder? sah, sah er in ihm ein verirrtes Kind Gottes. Jesus zog den Zorn des jüdischen Establishments auf sich, als er reuigen Sündern die Gnade Gottes zusprach, während er den ?Frommen? das Gericht ankündigte. Warum tat er das? Weil die Frommen durch ihren Stolz kränker geworden waren als die Sünder durch ihre Sünde!

Mit seinem solidarischen Handeln setzte Jesus Zeichen. Er kümmerte sich ganzheitlich um den Menschen. Leib und Seele waren ihm gleichermassen wichtig. Das lehrt uns, dass wir niemals einen Keil zwischen ein ?persönliches? und ein ?soziales? Evangelium treiben dürfen. Es gibt nur ein Evangelium, das von Jesus Christus.8

Durch sein ausserordentliches Leben hat Jesus vordemonstriert, was die Bibel mit dem Begriff der Nächstenliebe konkret meint: Nächstenliebe heisst solidarisch mit den Armen und Unterdrückten zu sein. Würde Jesus heute leben, würde er den Begriff der Nächstenliebe ausweiten. Jesus würde sich für die einsetzen, die im Namen des freien Marktes ausgebeutet werden. Von der Globalisierung profitieren hauptsächlich der reiche Norden und eine kleine Elite in der Zwei-Drittel-Welt. Der grösste Teil der Weltbevölkerung hat vom Globalisierungssegen noch nichts gespürt – im Gegenteil. Wir leben heute global. Wir essen Bananen aus Honduras, trinken Kaffee aus Brasilien und tragen Kleider aus China. Die Menschen, die diese Konsumgüter produzieren sind – obwohl sie tausende von Kilometern von uns entfernt sind – unsere Nächsten. Wir sind durch den Welthandel mit ihnen verbunden. Die Nächstenliebe gebietet es uns, uns auch für sie einzusetzen. Wer Christus folgen will muss heute globale Nächstenliebe leben.

3. Prophetie (Matthäus 21,12-13[^iii] )

In der Tempelreinigung zeigt sich noch einmal, dass die Gewalt durchaus eine Option war. Der mennonitische Theologe John H. Yoder schrieb in seinem bahnbrechenden Buch Die Politik Jesu folgendes dazu:

?Jesus hat nun den weiteren Verlauf der Ereignisse in seiner Hand. Es bräuchte nur einen Schritt mehr, diese Macht zu festigen, sich auf dem Gipfel der Massenbegeisterung tragen zu lassen… Der Staatsstreich ist zu zwei Dritteln gewonnen; es bliebe nur noch, das römische Fort nebenan zu stürmen. Doch es gehört zum Wesen der neuen Ordnung, dass sie, obwohl sie die alte verdammt und ablöst, dies nicht mit deren Waffen tut.? 9

In der Tempelreinigung, diesem Akt zivilen Ungehorsams, zeigt sich, dass Jesus die Linie der alttestamentlichen Propheten fortsetzte, die sich gegen Unrechtszustände zur Wehr gesetzt hatten. Die Tempelreinigung war nicht nur ein religiöser, sondern auch ein wirtschaftlicher und ein politischer Akt:

Er war religiös, weil es Jesus darum ging, dass Gottes Dinge heilig bleiben sollen. Es erschütterte ihn, dass der Tempel als Haus des Gebets zweckentfremdet wurde. Die Tempelreinigung war zudem ein wirtschaftlicher Akt. Der Tempel war nicht nur das religiöse, sondern auch das wirtschaftliche Zentrum des Landes.10

Schliesslich war die Tempelreinigung auch ein politischer Akt. Durch seinen Angriff auf den ungezügelten Materialismus, der sich im Tempel breit gemacht hatte, traf Jesus den empfindlichsten Nerv der herrschenden Priesteraristokratie. Er griff sie frontal an und prangerte damit den Unrechtszustand an, für den sie verantwortlich waren.

In der ökumenischen11 und neuerdings auch in der evangelikalen12 Missionstheologie hat man aus den Handlungen der alttestamentlichen Propheten und der Tempelreinigung Jesu das ?prophetische Amt der Kirche? abgeleitet. Der Begriff besagt, dass die Kirche nicht nur das Evangelium zu verkünden hat, sondern auch die Pflicht hat, Unrechtszustände anzuprangern. Das prophetische Amt ist keine neue Erfindung. Martin Luther sah es als die Aufgabe eines Predigers, das Unrecht der Mächtigen zu kritisieren.13

Jesus hat also solidarisch und prophetisch gehandelt. Solidarität und Prophetie sind im Grunde genommen zwei Seiten der gleichen Sache. Die Solidarität mit den Ausgebeuteten nimmt bei Jesus unter anderem die Form der propethischen Anklage an, denn die Mächtigen sind mitschuldig am Elend der Armen. Jesus beschränkte sich also nicht auf diakonisches Handeln. Er setzte sich gegen die strukturellen Ursachen des Elends zur Wehr. Was ist das anders als eine politische Handlung?

4. Machtkritik (Matthäus 20,25[^iv] )

Dieser Satz fasst Jesu polit-ökonomische Analyse zusammen.14  Rom und seine Verbündeten missbrauchen ihre Macht, die Pax Romana ist nichts als Unterdrückung und Ausbeutung. Damit erweist sich Jesus als Prophet. Das alttestamentliche Prophetentum erlebte seinen Höhepunkt in der Zeit nach Salomo. Die Propheten erkannten klarer als andere die Kehrseite des salomonischen Wohlfahrtstaates. Das Wirtschaftswachstum und der Wohlstand unter Salomo veränderte die jüdische Gesellschaft. Als nach Salomos Tod das Reich geteilt wurde, kam zu einem sozialethischen Dammbruch. Die Kapitaleigner übernahmen das wirtschaftliche Diktat. Als Folge davon tat sich die Schere zwischen Arm und Reich auf. Dagegen traten die Propheten an. Getrieben vom Geist Gottes entwickelten sie eine machtkritische Sicht der Dinge und stellten sich im Namen Gottes auf die Seite der Armen und Unterdrückten.

Dieselbe machtkritische Sicht der Dinge finden wir bei Jesus. Jürgen Moltmann hat treffend gesagt: ?Jesus war Torheit für die Weisen und ein Ärgernis für die Frommen und ein Störenfried für die Mächtigen.?15  Jesus war machtkritisch, aber er war nicht gegen die staatliche Ordnung als solche. Das zeigt sich in seinem berühmten Wort: ?Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört? (Markus 12,17). Jesus gesteht in diesem Wort dem römischen Kaiser das Recht zu, Steuern zu erheben. Selbst wenn der römische Staat totalitäre Züge aufwies – es braucht die ordnende Staatsgewalt. Der Staat darf sich aber nicht absolut setzen. Mit der Aufforderung: ?Gebt Gott, was Gott gehört? verweigert Jesus dem Kaiser den Kult.

Sowohl die Propheten als auch Jesus entwickelten aus Liebe zu Gott und ihrer Nation eine machtkritische Sicht. Daraus können wir für heute lernen: Wir müssen den Status quo kritisch hinterfragen. Wir brauchen eine kritische Distanz zu unserem eigenen Kontext. Dann sind wir am besten in der Lage, unserer Nation zu dienen.

5. Dienst (Matthäus 20,26-28[^v] )

In diesem Wort stellt Jesus die Alternative zur Macht vor. Die Alternative zur Macht ist der Dienst. Wir hatten gesehen, dass Jesus beschränkte politische Möglichkeiten hatte, um etwas zu verändern. Die einzige ?politische Weg? war die Schaffung einer Alternativgemeinschaft. Deshalb rief Jesus nicht nur einzelne Menschen in seine Nachfolge, er kündigte nicht nur die Gottesherrschaft an, sondern er begann auch das Volk zu sammen, das zu dieser Herrschaft gehört.16  Jesus wollte, dass die Werte, die er lebte und lehrte, in der Gemeinschaft seiner Nachfolger konkrete Gestalt gewinnen. Wenn einzelne sich von Gott verändern lassen und diese Veränderung gemeinschaftlich ausleben – dann hat die Welt sich zu verändern begonnen.

Nun wird klarer, wie Jesus auf die Unglückssituation seines Volkes reagierte: Es ging ihm um eine neue geistliche und gesellschaftliche Verfassung. Jesus wählte dazu weder den Weg der Revolution, noch der Verweigerung. Er passte sich weder dem herrschenden System an, noch entwarf er ein politisches Programm. Jesu Strategie bestand – um es mit Ulrich Duchrow zu sagen – im Aufbau einer Alternativgemeinschaft als Kontrast zum herrschenden System. Jesus begann die Verhältnisse zu verändern, in dem er Menschen zu einer erneuerten Gottesbeziehung rief und indem er sie anwies, ihm zu folgen und wie er radikal zu handeln. Das ist weltverändernd. Streng genommen ist das kein politisches Programm. Aber es hat mit voller Absicht politische Auswirkungen.

Niemand anders als Jesus selbst dient als Vorbild für diese weltverändernde Alternative. Jesus erklärte seinen Jüngern, dass er gekommen sei, um sein Leben als Lösegeld für viele hinzugeben (Vers 28). Die radikale Liebe Jesu ging bis zum äussersten. Jesus ging bis ans Kreuz. Er starb den schändlichsten Tod. Er, der Sohn Gottes, der ohne Sünde war, starb als jüdischer Aufrührer an einem römischen Verbrecherpfahl. Jesus stellte sich nicht mit Gewalt gegen die Ungerechtigkeit, sondern überwand sie durch Liebe, Dienst und Vergebung. Sein Leben bedeutete den Beginn einer neuen Art von Menschsein. Mit seinem Leben und Sterben wies Jesus den Weg, wie Hass mit Liebe, Macht mit Dienst und Unversöhnlichkeit mit Vergebung überwunden werden kann.

III. ABGELEITETE GRUNDSÄTZE FÜR KIRCHE, GESELLSCHAFT UND POLITIK HEUTE

Im abschliessenden Teil möchte ich vom Leben Jesu einige Grundsätze für Kirche, Gesellschaft und Politik ableiten. Ich möchte das tun, indem ich frage, welches im Licht der Taten Christi unsere Aufgabe in unserer Situation ist.

1. Die Gute Nachricht verkündigen

Die erste und wichtigste Aufgabe, die Christen haben, ist die Verkündigung der guten Nachricht von der Gnade Gottes in Jesus Christus.

Zu dieser Verkündigung gehört:

·        dass der Mensch nach Gottes Bild geschaffen ist und darum eine ihm angeborene Würde und das Recht auf Freiheit und Gerechtigkeit hat;

·        dass der Mensch ein gefallenes Geschöpf ist, in der Schuld Gottes steht und die Versöhnung mit dem Schöpfer durch Jesus Christus braucht;

·        dass Christus für unsere Sünden gestorben und auferstanden ist und durch Umkehr und Glaube zu seiner Nachfolge aufgefordert wird;

·        dass Christen ihre Stimme in der Gesellschaft erheben. Wir dürfen nicht schweigen zu den Fragen der Abtreibung und Homosexualität, aber ebenso wenig zum ungezügelten Materialismus, zum dreisten Marktliberalismus und zum ungerechten Welthandel;

·        dass Gott diese Welt immer noch liebt und eines zukünftigen Tages den ganzen Kosmos erneuern wird.

Ein Evangelium, welches auch nur eine dieser grundlegenden Wahrheiten verschweigt ist ein verkürztes Evangelium.

2. Das Heil verkörpern

Die zweite Aufgabe, die der ersten unbedingt folgen muss, besteht darin, dass die Kirche das Heil, das sie verkündigt auch verkörpern muss.

Wenn das Leben der Kirche keine relevante Alternative zum Status quo ist, verdient sie es, nicht gehört zu werden. Die Kirche ist wichtig. Es braucht mehr als einzelne Menschen, die Christus nachfolgen. Das Evangelium erweist sich nur durch das Ausleben in Gemeinschaft als glaubwürdig und weltverändernd. Die Bestimmung der Kirche ist es, eine sichtbare Demonstration des Heiles Gottes zu sein. Am wichtigsten ist die Liebe untereinander. Die Kirche sollte eine Alternative sein. Das Leben ihrer Mitglieder sollte eine glaubwürdige Möglichkeit darstellen, ein Leben in Liebe, Solidarität und Gerechtigkeit zu leben. Das fängt im Alltag an. Jesus gebietet denen, die ihm nachfolgen, wie er radikal zu lieben. In einer Welt voller zerbrochener Beziehungen stellt die Liebe, die Christen untereinander haben ein unübersehbares Zeichen dar.

3. Christus zum Herr in allen Lebensbereichen machen

Die dritte Aufgabe besteht darin, der ganzen Welt das ganze Evangelium zu bringen mit dem Ziel, dass Christus Herr in allen Lebensbereichen wird.

Im Rückblick auf sein Lebenswerk schrieb Francis Schaeffer, was ihn während all den Jahren antrieb:

?Wenn Christus wirklich der Herr ist, dann muss er Herr in allen Lebensbereichen sein – in geistlichen Angelegenheiten… aber in genau demselben Masse auch im gesamten Spektrum des Lebens, einschliesslich der intellektuellen Fragen und den Gebieten der Kultur, der Gesetzgebung und der staatlichen Gewalt.?17

Was bedeutet es, dass Christus in allen Lebensbereichen Herr wird?

·        Im religiösen Bereich bedeutet es, dass der Ruf zur Umkehr nicht verstummen darf. Gott bietet allen Menschen eine ungetrübte Beziehung zu ihm an, doch bedingt diese den Glauben an Jesus Christus und die Anerkennung seiner Herrschaft. Das wird nicht von allen gern gehört. Trotzdem dürfen wir nicht schweigen. Es geht nicht nur um die Lehre, sondern um die Person des auferstandenen Christus. Was nützt uns die Bergpredigt ohne den Bergprediger?

·        Im gesellschaftlichen Bereich bedeutet es, dass der Kampf gegen ungerechte Strukturen fortgesetzt werden muss. Das Böse zeigt sich nicht nur in individuellen Vergehen, es kann sich auch in schlechten Institutionen und falschen Gesetzen einnisten; diese müssen bekämpft und verbessert werden. Die Demokratie bietet hier Einflussmöglichkeiten, die es früher so nicht gab.

·        Im wirtschaftlichen Bereich bedeutet es die Befreiung von wirtschaftlicher Ausbeutung. Das Ziel muss sein, eine gerechte Wirtschaftsordnung zu entwickeln, in der die Maxime der Gewinnanhäufung gebrochen und als unmenschlich gebrandmarkt wird.

·        Im kulturellen Bereich bedeutet es, die Kreativität, die der Schöpfer in den Menschen gelegt hat freudig zu nutzen, dies jedoch innerhalb der Grenzen seiner moralischen Weisungen zu tun.

·        Im ökologischen Bereich bedeutet es, sich aktiv für die Bewahrung der Schöpfung einzusetzen und damit auf Gott, den Schöpfer hinzuweisen.

Die radikale Liebe Christi ist auf die sozialethischen Herausforderungen unserer Zeit anwendbar. Durch sein Leben und seine Tat am Kreuz hat Jesus den Massstab für unser Denken und Handeln gesetzt. Im Leben und Sterben Christi zeigt sich die Liebe Gottes so vollkommen, dass hier der Ausgangspunkt für all unser Tun sein muss. Wenn wir uns an Jesus Christus orientieren ist der Brückenschlag möglich, den wir heute so nötig haben. Die Politik wird durch geistliche Werte belebt werden – Werte, die uns die moralische Kraft geben das Gemeinwohl zum Fokus der Politik zu machen. Wir werden viel Zeit brauchen und unsere besten Fähigkeiten aufbieten müssen, um die Implikationen des Evangeliums auf unsere Zeit anzuwenden. Der Weg ist lang, aber er lohnt sich.

LITERATUR

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Yoder, John Howard. 1981. Die Politik Jesu – der Weg des Kreuzes. Maxdorf: Agape.



[^i]: ?Von der Zeit an fing Jesus an und zeigte seinen Jüngern, wie er müßte hin gen Jerusalem gehen und viel leiden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und am dritten Tage auferstehen. Und Petrus nahm ihn zu sich, fuhr ihn an und sprach: HERR, schone dein selbst; das widerfahre dir nur nicht! Aber er wandte sich um und sprach zu Petrus: Hebe dich, Satan, von mir! du bist mir ärgerlich; denn du meinst nicht was göttlich, sondern was menschlich ist.?

[^ii]: ?Und er kam gen Nazareth, da er erzogen war, und ging in die Schule nach seiner Gewohnheit am Sabbattage und stand auf und wollte lesen. Da ward ihm das Buch des Propheten Jesaja gereicht. Und da er das Buch auftat, fand er den Ort, da geschrieben steht: „Der Geist des HERRN ist bei mir, darum, daß er mich gesalbt hat; er hat mich gesandt, zu verkündigen das Evangelium den Armen, zu heilen die zerstoßenen Herzen, zu predigen den Gefangenen, daß sie los sein sollten, und den Blinden das Gesicht und den Zerschlagenen, daß sie frei und ledig sein sollen, und zu verkündigen das angenehme Jahr des HERRN.“?

[^iii]: ?Und Jesus ging zum Tempel Gottes hinein und trieb heraus alle Verkäufer und Käufer im Tempel und stieß um der Wechsler Tische und die Stühle der Taubenkrämer und sprach zu ihnen: Es steht geschrieben: „Mein Haus soll ein Bethaus heißen“; ihr aber habt eine Mördergrube daraus gemacht.?

[^iv]: ?Aber Jesus rief sie zu sich und sprach: Ihr wisset, daß die weltlichen Fürsten herrschen und die Obersten haben Gewalt.?

[^v]: ?So soll es nicht sein unter euch. Sondern, so jemand will unter euch gewaltig sein, der sei euer Diener; und wer da will der Vornehmste sein, der sei euer Knecht, gleichwie des Menschen Sohn ist nicht gekommen, daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.?



1. Küng, Weltethos für Weltpolitik und Weltwirtschaft, 167.

2. Wallis, Die Seele der Politik, 22.

3. Wallis, Die Seele der Politik, 22.

4. Sider, Denn sie tun nicht, was sie wissen, 166.

5. Vgl. Cullmann, Der Staat im Neuen Testament, 9-34.

6. Sider, Rich Christians in an Age of Hunger, 41; Kirk, What is Mission?, 48; Wenk, Community-Forming Power, 211-217.

7. Houston in Evangelisation mit Leidenschaft, 109-112.

8. Kuzmic in Evangelisation mit Leidenschaft, 74.

9. Yoder, Die Politik Jesu – der Weg des Kreuzes, 48.

10. Jeremias, Jerusalem zur Zeit Jesu, 16; 59.

11. Beyerhaus, Er sandte sein Wort, Bd. 1, 225-234.

12. Costas, Liberating News, 63; Steuernagel in Evangelisation mit Leidenschaft, 150-152.

13. Duchrow, Alternativen zur kapitalistischen Weltwirtschaft, 206.

14. Duchrow, Alternativen zur kapitalistischen Weltwirtschaft, 177.

15.  Moltmann, Der gekreuzigte Gott, 29.

16. Kittel, Der Name II, 186-187.

17. Schaeffer, Die grosse Anpassung, 189-191.

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~ 5 min

Es ist eine Ursehnsucht des Menschen, in einer heilen Welt leben zu können. Entsprechend viele Menschen und Ideologien haben der Menschheit den Himmel auf Erden versprochen – und die Hölle gebracht. Man denke nur an Leute wie Stalin, Hitler oder Mao. Die Sehnsucht nach einer heilen Welt ist indes gottgewollt. Es erstaunt deshalb nicht, dass sich die Sehnsucht nach einer Welt der Gerechtigkeit und des Friedens auch in der Bibel findet und integrativer Bestandteil der prophetisches Hoffnung des Alten Testamentes ist.

1. Die Propheten des Alten Testamentes

Die Propheten des Alten Testamentes haben Gottes Heil unter anderem unter dem Begriffspaar Frieden und Gerechtigkeit angekündigt (z.B. Jesaja 2,2-4; 9,5-6). Die Propheten waren Visionäre, die über ihre eigene dunkle Zeit hinausblickten und die Zukunft mit Gottes Augen sahen. Sie sprachen nicht aus sich selbst – in diesem Sinn waren sie keine Idealisten –, sondern im Auftrag Gottes und getrieben vom Heiligen Geist (2.Petrus 1,21).

Der Erfüllung der prophetischen Vision bedingte den Gehorsam des Volkes Israel gegenüber den Geboten Jahwes. Er hatte es aus Ägypten befreit und zu seinem besonderen Eigentum gemacht. Die eigentliche Aufgabe Israels bestand darin, durch den Gehorsam gegenüber Gott gesegnet zu werden, um so zum Licht für die Völker zu werden. Doch Israel versagte. Am Ende des Alten Testamentes war deshalb das Reich Gottes – so nannte man die Vision der Propheten später – in weite Ferne gerückt.

2. Das Reich Gottes im Neuen Testament

Das Neue Testament knüpft an die Hoffnung der Propheten an. Die Botschaft des Neuen Testamentes ist: In Jesus Christus, dem Sohn Gottes, ist das Reich Gottes endlich da! Jesus verkündete: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,15).

Jesu Botschaft weckte Hoffnungen, doch sie warf auch Fragen auf. In Israel glaubte man an die Propheten und wartete demzufolge auf das Hereinbrechen der Herrschaft Gottes. Doch Jesus und seine Jünger schienen nichts zu bewegen. Man stellte fest, dass Jesus mit ehemaligen Prostituierten, Betrügern und einfachen Burschen vom Lande umherzog und das Reich Gottes verkündete. Doch Ungerechtigkeit und Unterdrückung wichen nicht. Die Frage blieb: Wo war das Reich Gottes?

Jesus trieb Dämonen aus und heilte Krankheiten und überwältigte dadurch Satan und sein Reich. Darin zeigte sich die Gegenwart des Reiches Gottes. Ein weithin vergessener Aspekt ist, dass Jesus auch auf seine Nachfolger verweisen und an ihnen die Gegenwart des Reiches Gottes vor Augen führen konnte. In der Gemeinschaft von erlöstem Gesindel, das Jesus nachfolgte, war Gottes Reich angebrochen, denn in dieser Gemeinschaft wurden die Werte des Reiches Gottes radikal in die Tat umgesetzt. Das Reich Gottes ist eben nicht nur ein geistliches, sondern ebenso ein menschliches, greifbares Geschehen.

Jesus blieb den meisten Juden ein Rätsel, denn allgemein erwartete man, dass das Reich Gottes mit Macht hereinbrechen würde. In der Zeit zwischen dem Alten und dem Neuen Testament hatte sich eine ausgeprägte Messiaserwartung herausgebildet. Die allgemeine Messiasvorstellung – so vielfältig sie war – bestand in der Annahme, dass der Messias ein politischer Befreier sein und das Reich Gottes Israel zu alter Blüte, ähnlich dem Reich Davids und Salomos bringen würde. Doch Jesus lehrte, dass das Reich Gottes nicht mit Macht kommt, sondern klein wie ein Same beginnt (Mt 13,31-32) und so unscheinbar wie ein wenig Sauerteig (Mt 13,33) ist. Jesus hatte kein politisches Programm, sondern er verkündete das Heil Gottes einzelnen Menschen. Allerdings war seine Botschaft derart radikaler, umgestaltender Natur, dass sie, sofern sie von einer Gruppe von Menschen gelebt wurde, sehr wohl gesellschaftliche und politische Auswirkungen haben konnte und auch sollte.

3. Eine Reich-Gottes-Gemeinschaft

Ein sorgfältiges Studium der Evangelien zeigt, dass Jesus die christliche Gemeinde wollte. Er verkündete nicht nur das Reich Gottes, er sammelte auch das Volk, das zu diesem Reich gehört. Er rief einzelne Menschen in seine Nachfolge und begann, sie zu einer Reich-Gottes-Gemeinschaft zu formen. Die Beziehung zwischen der christlichen Gemeinde und dem Reich Gottes ist von grundlegender Wichtigkeit. Die Gemeinde ist das Volk des Reiches Gottes. Sie ist nicht mit dem Reich Gottes gleichzusetzen, sondern ist eine sichtbare Demonstration des in die Geschichte hereingebrochenen Reiches. In ihr beginnt sich die Hoffnung der Propheten zu erfüllen, die davon gesprochen hatten, dass Gottes Reich nicht nur einzelne Menschen verändern, sondern eine veränderte Gesellschaft hervorbringen würde.

Erst nachdem die Jünger Jesu mit dem Heiligen Geist überschüttet worden waren (Apg 2,1ff), setzte sich bei ihnen die grundlegende Erkenntnis durch, dass sie das Volk des Reiches Gottes waren. Diese Erkenntnis revolutionierte ihre Beziehungen. Sie begannen, sich nicht nur als erlöste Individuen, sondern ebenso als erlöste Gemeinschaft zu verstehen. Die Apostelgeschichte legt ein eindrückliches Zeugnis von der transformierenden Kraft dieser Erkenntnis ab. Die erste christliche Gemeinde wurde eine anziehende Alternative zur herrschenden Gesellschaftsstruktur. Man konnte sehen und spüren, dass in ihrer Gemeinschaft das Reich Gottes gegenwärtig war.

4. Drei Reich-Gottes-Werte für heute

Jede Kirche, sofern sie den Anspruch erhebt, Christi Kirche zu sein, muss sich den Werten des Reiches Gottes verschreiben. Sie muss im wahrsten Sinne des Wortes eine Reich-Gottes-Gemeinschaft sein.

Das erste und herausragendste Kennzeichen der christlichen Gemeinde muss die Liebe sein. Jesus hat die Liebe zur obersten Priorität erklärt (Joh 13,34). Diese darf allerdings nicht mit dem postmodernen Toleranzbegriff in eins gesetzt werden. Sie orientiert sich vielmehr an Jesus Christus selbst (Joh 13,35).

Ein zweiter Reich-Gottes-Wert ist die Freude (Gal 5,22). Jesus hat mit seinen Jüngern Freudenmähler gefeiert. Man warf ihm deshalb vor, ein Fresser und Säufer zu sein (Lk 7,34). Doch Jesus reagierte bloss anders auf die politische Unterdrückung und die wirtschaftliche Not als das jüdische Establishment es tat. Während letztere klagten und fasteten feierte Jesus! Die Gottesherrschaft war für ihn, wie Jürgen Moltmann gesagt hat, gleich einer Hochzeitsfreude. Christen sollten trauern und feiern können, denn sie leben in der Gewissheit, dass Gott mit der Erneuerung von Himmel und Erde bereits begonnen hat.

Ein dritter Reich-Gottes-Wert ist der Friede. Jesaja sah voraus, dass durch das Kind, das geboren ist, ewiger Friede den Menschen zuteil wird (Jes 9,5-6). Das Neue Testament sieht in diesem Friedenskind Jesus Christus (Lk 2,14). Jesus pries die Friedenstifter und nannte sie Gottes Kinder (Mt 5,9). Christen sollten Friedenstifter sein. Die Gemeinde ist aufgerufen, in ihren eigenen Reihen Grenzen zu überwinden und Versöhnung zu leben.

Wenn das Neue Testament Liebe, Freude und Frieden als entscheidende Reich-Gottes-Werte sieht, ist damit keiner säkularen Heilsutopie das Wort geredet. Aus dem Neuen Testament wird deutlich, dass der Friede das Resultat des Wirkens des Heiligen Geistes ist (Gal 5,22-23), und dass es den Frieden nur durch Jesus Christus gibt. „Er ist unser Friede“ (Eph 2,14). Eine Friedensphilosophie, die von der gläubigen Nachfolge des grössten Friedenstifters aller Zeiten abgekoppelt wird, ist nichts als Utopie; umgekehrt ist Glaube ohne radikale Verpflichtung zum Reich Gottes nichts als Heuchelei.


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~ 5 min

Sind wir nicht immer wieder besorgt über den Zustand unserer Gesellschaft? Grundwerte wie Ehrlichkeit und Verantwortungsbewusstsein sind am schwinden. Unsere TV-Geräte spuken Gewalt, Banalitäten und Obszönitäten aus. Wir leben in einer Welt voller Missstände.

In der Bergpredigt sagte Jesus, dass seine Nachfolger etwas gegen die Missstände tun können und sollen.

Er tat dies unter Zuhilfnahme des Bildes vom Salz und vom Licht. ?Ihr seid das Salz der Erde…ihr seid das Licht der Welt?, sagte er zu seinen Jüngern (Mt 5,13-16). Mit Salz wurden Lebensmittel haltbar gemacht. Salz hat bewahrende Kraft. Jesus übertrug diese einfache Tatsache auf unser Leben. Er wollte, dass seine Nachfolger für die Welt wie Salz sind; sie sollten durch ihr Leben bewahrenden Einfluss auf ihre Umwelt haben. Das Bildwort vom Licht liegt ähnlich. Als es noch keine Elektrizität gab, zündete die Hausfrau beim Eindunkeln eine Öllampe an. Sie stellte sie in der Mitte des Raumes auf einen erhöhten Platz, damit die Flamme ihr Licht im ganzen Raum ausbreiten konnte. Jesus wollte, dass seine Nachfolger solche Lichter in der Dunkelheit sind. Dunkelheit steht hier für Gottferne und Orientierungslosigkeit. Christi Nachfolger sollen Licht ins Dunkel ihrer Umgebung bringen und Orientierung geben.

Wie können Christen Salz und Licht sein und zur Erneuerung der Gesellschaft beitragen?

Die Bibel vermittelt uns praktische Leitlinien und gibt uns hilfreiche Beispiele. Sie hilft uns, unsere Gesellschaft kritisch zu durchleuchten und gibt Antworten von Gott her. Die Bibel entstand in ähnlichen Situationen wie der unsrigen. Viele biblische Texte wurden als Antwort auf gesellschaftliche Missstände gegeben. Die Menschen, an die Gottes Wort damals erging, waren genau besorgt um den Zustand ihrer Gesellschaft, in der sie lebten, wie wir heute. Auch sie fragten sich, was sie angesichts der Missstände tun sollten.

Etwas vom wichtigsten das wir tun können ? ja tun müssen ? ist eine kritische Haltung zu entwickeln.

Der Apostel Paulus ruft in Römer 12,1-2 dazu auf, eine gesellschaftskritische Haltung zu entwickeln. Er richtet an seine Leser die Aufforderung, die Denkvorgaben ihrer Kultur nicht unkritisch zu übernehmen. Der Apostel lässt damit erkennen, dass er wie Jesus in einer prophetischen Tradition stand, welche den Status quo nicht einfach unkritisch übernahm, sondern ihn der Kritik der Offenbarung Gottes unterwarf. Dabei muss sogleich gesagt werden, dass es nicht um ein ?Neinsagertum? geht, sondern um eine kritische Weltzugewandtheit.

Die besten Beispiele für eine kritische und zugleich konstruktive Haltung geben die alttestamentlichen Propheten. Sie liebten ihr Volk mit einer leidenschaftlichen Liebe, gleichzeitig waren sie seine schärfsten Kritiker.

Ein Beispiel für die Haltung der Propheten findet sich in Jesaja 2,6-8. Jesaja kritisierte seine Zeitgenossen dafür, dass sie das Land mit Zauberern und Wahrsagern überzogen hatten (Jes 2,6). Im gleichen Atemzug kritisierte er den ungezügelten Materialismus. ?Dein Land ist voll von Silber und Gold und unzähligen Schätzen? (Jes 2,7). Schliesslich wandte er sich auch gegen den Götzendienst. Er klagte darüber, dass das Land voller Götzen ist und jeder sein eigenes Werk anbetet (Jes 2,8).

Die Propheten des alten Israel begründeten eine Gesellschaftskritik, die sich an der Offenbarung Gottes orientiert. Sie waren keine Idealisten im engeren Sinn des Wortes, sondern wussten sich vom Geist Gottes getrieben. Sie entschuldigten sich nicht dafür, für Gott als den einzig Wahren und seine Forderungen an den einzelnen und die jüdische Gesellschaft einzutreten. Das bemerkenswerte an ihrer Gesellschaftskritik ist ihre Ausgewogenheit. Es gab keinen Propheten, der sich auf die moralischen Verfehlungen sozusagen spezialisierte und dadurch die anderen Missstände ausblendete. Jesaja unterwarf sein Volk einer umfassenden Kritik. Spiritismus und Materialismus wurden ebenso wie der Götzendienst angeklagt.

Die Bibel ist ein sehr praktischer Wegweiser zu einer konstruktiven Gesellschaftskritik. Wer sie ernst nimmt, kann den Status quo nicht ungefragt übernehmen.

Eine kritische Haltung allein reicht aber nicht aus.

Christen müssen das, was die Bibel sagt, auch tun. In der Bibel werden gläubige Menschen beständig aufgefordert, Gutes zu tun (z.B. Mt 5,16; 2Tim 3,17; Eph 2,8-10). Es ist nun aber von grundlegender Wichtigkeit, die Gnade nicht mit dem Tun bzw. den Werken zu verwechseln. Versöhnung mit Gott ist reine Gnade. Sie geschieht auf der Grundlage des für uns erlittenen Todes Jesu Christi. Sie ist zugänglich durch Glauben und Annahme Christi als Herrn, nicht durch das Tun. Im Neuen Testament zeigt sich folgendes Bild: Wenn es um die Annahme bei Gott geht, heisst es: ?Aus Gnade seid ihr durch den Glauben gerettet? (Eph 2,8). Wenn es darum geht, was Gott aus dem Leben derer machen will, die sein Heil empfangen haben, heisst es: ?Seine Geschöpfe sind wir, in Jesus Christus dazu geschaffen, in unserem Leben die guten Werke zu tun, die Gott für uns im voraus bereitet hat? (Eph 2,10).

Der Glaube an Jesus Christus, den Sohn Gottes, setzt Menschen frei, das tun zu können, was sie tun sollen. Christliche Freiheit ist kein Freipass, sondern die Freiheit aus der Sklaverei der zerstörerischen Selbstbezogenheit, um Gottes Willen tun zu können. Der Glaube drängt zur Tat; in der Liebe zu Gott und zum Nächsten erweist er seine Lebendigkeit. Gott macht uns für die Ursachen der gesellschaftlichen Missstände nicht verantwortlich, denn die meisten sind nicht die direkte Folge unserer Taten. Wir sind gefangen in einem grösseren Zusammenhang sündiger Strukturen. Doch wir laden Schuld auf uns, wenn wir das Fortbestehen der Missstände hinnehmen und nichts dagegen tun.

Doch was können wir konkret tun?

Ich möchte ein paar Gedanken skizzieren: Das wichtigste ist, dass wir beginnen – auch wenn es der berühmte Tropfen auf den heissen Stein ist! Am besten beginnen wir mit der Liebe. Liebe, Liebe, Liebe! Man muss kein Experte sein um zu lieben. Die Liebe ist durch den Heiligen Geist in unsere Herzen ausgegossen (Röm 5,5).

Wir haben auch eine politische Verantwortung. Salz und Licht sein heisst in unserer Zeit, auch am politischen Prozess teilzunehmen. Nichts tun heisst, die Dinge zu akzeptieren wie sie sind. Deshalb können wir Wahlen und Abstimmungen nicht ?den anderen? überlassen. Wenn sich unser Demokratieverständnis darauf beschränkt, zwischen 25 Zahnpastamarken im Supermarkt zu unterscheiden, müssen wir uns fragen, ob wir begriffen haben, wozu Jesus uns berufen hat.

Wir müssen auch kritisch uns selbst gegenüber sein und unseren Lebensstil hinterfragen. Sofern wir uns als überzeugte Christen verstehen ? spricht beispielsweise unser Konsumverhalten für unseren Glauben? Schwimmen wir mit oder sind wir eine Alternative? Wenn wir weniger unkritisch konsumieren würden, würde das die Marktordung verändern. Den Marktstrategen und Werbefachleuten würden graue Haare wachsen, denn sie fürchten nichts so sehr, als dass die Leute aufhören, sich von ihren hirnverbrannten Werbefeldzügen beeinflussen zu lassen. Stellen wir uns vor: Bei der Werbung schalten die Menschen einfach ab! Sollen die mit ihren Banalitäten doch wuchern ? uns kann es einerlei sein! Das würde etwas in Bewegung setzen. Die Frage ist: Wer macht den Anfang?


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~ 8 min

Die heutigen Umweltprobleme haben nichts mit dem Evangelium zu tun ?

Der Erhalt der Schöpfung erscheint vielen Christen eher unwichtig. Anders ist es nicht erklärbar, wie unbekümmert mit dem Auto herumgefahren wird, Flugreisen unternommen werden und energieintensive Vergnügungen konsumiert werden. In den USA hat mit der Wahl von Präsident Bush, welcher bekanntlich stark von Christen unterstützt wurde, dieser Raubzug auf Gottes Schöpfung einen neuen Höhepunkt erfahren. Warum verhalten sich viele Christen so wenig schöpfungsorientiert?

Eine entscheidende Antwort liegt wohl in der Bibel selbst begründet. Es gibt nur minimale Aufforderungen zum Schutz und Bewahren der Schöpfung (1.Mo. 1,28). Wir Menschen sollen die Erde untertan machen und über die Tiere herrschen. In Röm. 8,19.22 schreibt Paulus wohl auch davon, dass die Schöpfung unter der Sünde leidet und auf die völlige Wiederherstellung durch Jesus Christus wartet. Ein Aufruf an die Jünger Jesu zu einem schöpfungsgerechten Lebensstil fehlt aber weitgehend. (Wäre zu jenem Zeitpunkt ja auch völlig unnötig und unverständlich gewesen).

Solange wir uns nur direkt mit den Aussagen der Bibel zur Schöpfung befassen, werden wir uns persönlich und in unseren Gemeinden weiterhin den weltweiten schweren Umweltproblemen entziehen. Sobald wir allerdings erkennen, dass Umweltprobleme letztlich soziale Probleme sind, erhält das Thema brennende biblische Aktualität. Und die Gemeinde Jesu lässt sich hoffentlich aus ihrem Dornröschenschlaf aufrütteln. Darum soll es in den folgenden Abschnitten gehen.

Ankunft in einer Millionenstadt eines Entwicklungslandes

Geht es uns nicht allen so, wenn wir in einem Entwicklungs- oder Schwellenland eintreffen: Schockierendes Verkehrschaos raubt uns in mehrfacher Hinsicht den Atem. Zum einen ist es das grosse Gedränge der vielen, meist schlecht geschützten Verkehrsteilnehmer, welche in uns Angst vor Unfällen und Verletzungen wecken. Zu Recht, denn es ist eine Tatsache, dass der Verkehr grossen Blutzoll fordert (in den indischen Millionenstädten je 3 ? 6 Todesopfer pro Tag!). Hinzu kommen Lärm und Luftverschmutzung in einem Masse, dass schwere Gesundheitsschäden bei Mensch und Tier unvermeidlich sind.

Neben dem Verkehr wird uns die allgegenwärtige Armut auffallen. Sobald wir an der ersten Rotlicht-Ampel warten, erscheinen in Lumpen gehüllte, verkrüppelte Menschen und schleichen mit flehenden Blicken – um eine Gabe bettelnd um die stehenden Autos. Viele haben auch kein Bett oder Haus in welches sie sich zurückziehen könnten. Die meisten rackern sich mühsam den ganzen Tag ab, um gerade soviel zu verdienen um einigermassen satt zu werden. Manchmal reicht es auch dazu nicht. Das kleine Einkommen (gemäss UNO gilt ein Einkommen von weniger als 1 US$ pro Tag als Armutsgrenze) bewirkt ein Ausgesetzt sein all diesen sehr unangenehmen Erscheinungen in modernen Grossstädten. Kein Schutz vor dem gefährlichen Verkehr, kein Rückzug in eine stillere Umgebung, keine Ruhe für die Augen durch Anblick einer schönen Landschaft, keine Entspannung in einem bequemen Sessel, in einer Gartenwirtschaft oder sportlichen Betätigung.

Wer der stinkenden Grossstadt eines Entwicklungslandes nicht schon früher entflohen ist, wird noch etwas anderes feststellen. Wasser ist eine riesige Mangelware. Und falls Wasser gesichtet wird, ist es oft unansehnlich, stinkig und generell nicht trinkbar. Da ist man nun in einem heissen Land und würde besonders gerne sich mit Wasser abkühlen, waschen und viel trinken, aber nein: Wassermangel, d.h. Wasser sparen und auf vieles verzichten! Als westliche Besucher mit viel Geld kann man sich bestimmt genügend Wasser in gewünschter Qualität kaufen, aber was macht die lokale, ärmere Bevölkerung? Es ist keine Kunst sich vorzustellen, wie die schlechte Wasserverfügbarkeit auch zu vielen gesundheitlichen Problemen führt.

Die Reichen verseuchen, die Armen leiden

In Anbetracht dieser widrigen Umstände machte ich eine nachdenkliche Feststellung. Arme Menschen in Grossstädten sind vor allem wegen Umweltproblemen drangsaliert. Lärm, giftige Luft, Gestank, Staub und Rauch, minimale Flora und Fauna, fehlende Landschaft, mangelndes Wasser, alles Umweltprobleme, die von Menschen verursacht sind. Eine grosse Ungerechtigkeit ist dabei, dass diejenigen, welche die grösste Umweltverschmutzung verursachen, am wenigsten davon betroffen sind. Wohlhabende Menschen konsumieren viele industrielle Güter, welche in teilweise sehr schmutzigen Industrien produziert werden, während die Armen in den Abwassern derselben ihre Wäsche und sich selber waschen müssen! Und diese Industrien produzieren auch für uns in der reichen Schweiz. Also immer dann, wenn wir Güter mit Hinweisen wie beispielsweise made in China, made in India usw. kaufen, machen wir uns an diesen Verschmutzungen mitverantwortlich! Wo bleibt da die Gerechtigkeit? Eine Barmherzigkeit und Gerechtigkeit von welcher die Bibel so oft („Gerechtigkeit“ wird allein im Neuen Testament 98 Mal erwähnt) spricht, wird im Zusammenhang mit den Umweltproblemen von Christen in keiner Weise weder gefordert noch gelebt! Christen in aller Welt müssten sich vehement für einen Stop dieser todbringenden Gewässerverschmutzungen einsetzen. Stellen wir uns das einmal realistisch vor: praktisch alle Gewässer sind stark gesundheitsschädlich vergiftet und dies in Ländern, wo Wasser ohnehin sehr knapp ist und die wirtschaftliche Not vielen Menschen gar keine Alternative ermöglicht als dieses ungesunde Wasser zu nutzen. Da wird überdeutlich um was es geht. Nicht nur um den Erhalt einiger Tier- und Pflanzenarten. Nein, es geht um Leben und Tod von Menschen. Wir viel konsumierenden Menschen machen uns via Boden und Gewässerverschmutzung am Tod unzähliger Menschen schuldig. Arme Menschen haben genügend mit mangelndem Einkommen zu kämpfen. Wieso bürden wir ihnen auch noch den Schmutz der für uns produzierenden Industrien auf?

Armut auf dem Land

Auf dem Land, in abgelegenen Gebieten, handelt es sich primär um eine Armut an Möglichkeiten. Man lebt unter grossem Aufwand von dem was das Land (die Landwirtschaft) gerade hergibt. Ein Einkommen, welches weitere Bedürfnisse (z.B. Schulbildung, Arbeitsgeräte) erfüllen liesse, ist nicht erzielbar. Vielen Krankheiten sind die Menschen weitgehend hilflos ausgesetzt. Diese Armut ist am ehesten mit unserer vorindustrialisierten Zeit vergleichbar. Oder man spricht richtigerweise von Unterentwicklung. Umweltverschmutzungen sind hier glücklicherweise meistens noch keine Ursache von Problemen. Aber, das Leben ist derart beschwerlich und aussichtslos verglichen mit dem was man in der Stadt vielleicht haben könnte, dass viele Menschen in die Städte ziehen.

Entwicklungen dürfen nicht einseitig und nicht zu schnell erfolgen

Kann eine zweckmässige Entwicklung diese Probleme lösen? Der Kurs „Technologie und nachhaltige Entwicklung“, welchen ich anfangs dieses Jahres während 4 Monaten in Südindien besuchte, versuchte unter anderem auch dieser Frage nachzugehen. Dabei war eine erste Erkenntnis sehr ernüchternd. Eine Entwicklung führt tendenziell zu weniger Nachhaltigkeit. Dies ist einfach beispielsweise am Ersatz der Jutetasche durch Plastiktaschen zu erkennen. Oder dem Ersatz des Bananenblattes als Teller durch Metall- und Plastikteller. Eine zweite Feststellung: Niemand möchte letztlich wirklich auf Entwicklung verzichten (konsequente Aussteiger gibt es nicht). Folglich ist entscheidend: Entwicklungen dürfen nicht einseitig (unvernetzt) und nicht zu schnell erfolgen. Was heisst einseitig? Leider ist das die heute übliche Form wie Entwicklungen in liberalen Marktwirtschaften erfolgen. Ein entstehendes Bedürfnis wird durch findige Unternehmer möglichst rasch und günstig mit einem Produkt abgedeckt. Also schnell und falls nur minimale oder schwache Gesetze und Regulierungen vorhanden sind, ohne Rücksicht auf soziale und ökologische Ansprüche. In den westlichen Industrieländer ist man bezüglich Regulierungen glücklicherweise weiter.

In einem Entwicklungsland wie Indien denkt eigentlich noch niemand ernsthaft an Umweltschutz. Im Gegenteil, zur Zeit wird der Bau von 3000 km Autobahn geplant! Wer kann es ihnen verübeln, wir haben das ja auch. Zudem gilt bis hinauf zu Professoren: Was der Westen hat, wollen wir auch. Das heisst nichts anderes als schnelle und einseitige Entwicklung. Die Folge wird sein: noch mehr Ungerechtigkeit, noch mehr soziale Not, noch mehr Belästigung durch Umweltverschmutzungen. Aus meiner Sicht gibt es nur einen Ausweg aus der Sackgasse und diesen könnten gerade wir Christen konsequent beschreiten.

Es braucht einen Wertewandel. Und dieser muss in den reichen Ländern, bzw. bei den wohlhabenden Menschen beginnen.

Die unerkannten Sünden der Wohlstandsgesellschaft

Wir Westler sind von einem Drang nach immer mehr besessen und wir sollten davon Abstand nehmen. Diese Sucht nach immer mehr Genuss und Befriedigung, lässt sich wie folgt kennzeichnen:

  1. Konsum: Ich bin glücklicher, je mehr ich kaufe/konsumiere
  2. Mobilität: Ich bin glücklicher, je mehr Orte ich besuche
  3. Individualismus: Ich bin glücklicher, je mehr ich meine Zeit alleine gestalten kann

Diese Botschaften von mehr Konsum, mehr Wissen und mehr Individualität sind tief in uns verankert und werden täglich bei uns genährt. Nicht nur durch die böse Werbung ? nein durch unsere eigenen Freunde und Familienmitglieder sowie unsere eigenen Gedanken! Diese Botschaften sind aber sicher nicht biblische Botschaften. Die Bibel sagt, die Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott macht glücklich. Die Liebe zu Gott Vater, zu Jesus Christus und zum heiligen Geist machen glücklich. Und liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst. Wir verkürzen dieses zentrale erste Gebot immer auf den letzten Punkt: … liebe Dich selbst.

Wir müssen diese ?Lügen? erkennen, vor Jesus bekennen, um Vergebung bitten und uns durch IHN verändern lassen. Also beispielsweise lernen:

  1. Weniger Konsum macht uns freier (mehr Zeit wird verfügbar) und kreativer. Sprechen wir mit unseren Freunden doch mehr darüber was wir in Gemeinschaft, beim Spielen und Werken sowie beim Sport und in der Natur erleben anstelle von unseren neusten Anschaffungen und extravaganten Bedürfnisbefriedigungen.
  2. Es gibt so vieles in der Nähe, das spannend ist und noch entdeckt werden kann. Woher nehmen Christen nur die Idee, dass nur Ferien im Ausland wirklich Ferien sind ..?
  3. Der Mensch ist für die Gemeinschaft geschaffen. Warum leben auch sehr viele Christen ausserordentlich individualistisch und egozentrisch?
  4. Mit meiner überschüssigen Kaufkraft kann ich sehr wirkungsvoll Menschen in Entwicklungsländern helfen (mit dem Geld das für 1 Kind in der Schweiz aufgewendet wird, können mindestens 25-30 Kinder in Indien unterhalten/aufgezogen werden)
  5. Qualität kaufen. Darauf achten, dass soziale und ökologische Kriterien bei der Herstellung erfüllt wurden und dass das Produkt langlebig ist (von der indischen Industrie weiss ich, dass diese sich nun um Umweltverschmutzung vermehrt kümmert, seit die Kunden (wir!) das vermehrt verlangen, beispielsweise via Umweltzertifikaten).

Und wir finden uns sogar wieder im Einklang mit der Bibel (z.B. „Werdet wie die Kinder?). So oft stelle ich bei unseren Kindern fest, dass sie keinen Konsum suchen. Das Nahe, Ruhende und Gemeinschaft mit Menschen und Tieren ist das Schönste für sie. Als einfacher Massstab für mehr Umweltverträglichkeit lassen sich folgende Regeln anwenden:

– Transporte: wenige und vor allem nur über kurze Distanzen sowie energiesparende Transporte

– Material: minimaler Aufwand bei Herstellung und Transport sowie gut biologisch abbaubare Materialien

– Raum/Anlagen: wenig Heizenergie für Räume und Warmwasser sowie wenig Betriebsenergie für Anlagen

Evangelisch ausgedrückt müsste Wertewandel heissen: Ein neues Leben mit Jesus Christus beginnen.

Zuerst aber müssen wir uns ganz klar von Mammon lossagen (Mt. 6.24: Niemand kann zwei Herren dienen; denn entweder wird er den einen hassen und den anderen lieben, oder er wird einem anhängen und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon). Oder wollen wir Gottes Erwartung an unsere Liebe, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit weiterhin ignorieren und uns „Bequemerem“ zuwenden? Sich vor der Verantwortung verstecken hat sich bei Gott noch nie gelohnt (Mt 23,23). Mit unserem wilden Mit-Konsumieren, mit dem in aller Welt herumreisen und Ego frönen, tun wir aber genau das.

Einen attraktiven, evangeliumsgemässen Lebensstil entwickeln

Um wirklich weiter zu kommen, müssen wir vor allem eine Attraktivität und die richtige Sprache für diese anderen Werte zu finden. Denn heute wird das Attraktive gesucht, nicht Verzicht. Wie wäre es, wenn wir in kleinen Gruppen unserer Gemeinden wie beispielsweise Hauskreisen und Leitungsteam der Sonntagsschule damit beginnen würden? Spannende Familiennachmittage im Wald anbieten, Tiere in einem Naturschutzgebiet beobachten, Baden im Moorsee, Mountain-Bike-Touren mit Freunden oder Nachbarn, gemeinsam etwas werken, Gastfreundschaft üben usw.

Es gäbe noch viele weitere attraktive Möglichkeiten das Evangelium nicht nur zu kennen, sondern es auch ganzheitlich zu leben. Allerdings gilt auch hier: wir können es nicht machen. Der heilige Geist muss unser Herz verändern, damit wir voll Freude und tiefer Überzeugung uns auf den neuen Weg begeben. In der Familie oder dem Hauskreis können wir damit beginnen, unseren Lebensstil vor Gott zu bringen, auf Seine Stimme zu hören und verändert in unsere Gesellschaft hinein zu wirken.

Erschienen in der Zeitschrift „Bausteine“ Nr. 7/2002

Werner Hässig


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~ 7 min

Vortrag gehalten im Rahmen des ForumChristNet „I.D. Schweiz“ am 15. Juni 2002 in Bern.

Das Konzept der „Nation

1. Einführung

Was macht mich zum Schweizer? Meine Herkunft, meine Mentalität, meine Sprache, meine Geschichte, meine politische Ausrichtung? Ich hätte in der Tat eine Menge zu sagen, auch wenn ich deutsche Wurzeln habe. In dieser facettenreichen Schweiz habe ich mich entschieden, zu leben und zu arbeiten. Ich möchte in dieses Land integriert sein, mich für es verantwortlich fühlen.

2. Das Konzept der „Nation

Eine Nation ist ein Zusammenschluss von Menschen, die durch gleiche Denk- und Verhaltensweisen verbunden sind und damit potenziell zur politischen Selbstbestimmung und Willensäußerung fähig sind. Dieses Konzept nahm im 19. Jahrhundert zunächst im Westen eine politische Dimension an und breitete sich dann ab dem 20. Jahrhundert auf den Rest der Welt aus.

Die Schweiz hat durch ihre Geschichte und ihre einheitliche politische Verfassung ein starkes Nationalgefühl entwickelt: Sie umfasst vier „Sprachnationen“, ist sehr aufmerksam gegenüber Unterschieden auf regionaler und kommunaler Ebene und konnte den demokratischen Entscheidungsprozess konsolidieren. Die Schweiz ist eine „proaktive Nation“.

Der Begriff „Nation“ wird in der Bibel etwa 700 Mal verwendet, wobei er sich auf „Völker“ bezieht. Dies sind große Gemeinschaften, die aus Familien, Stämmen oder Clans mit einer gemeinsamen Vergangenheit bestehen. Im Mittelalter und sogar während der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, die damals ein aus mehreren Nationen bestehender Staat war, wurde der Begriff „Nation“ noch verwendet. Es ist zu beachten, dass in der Bibel der Begriff für Nation (oder Volk) goi (goijim im Plural) ist, während der Begriff ?am für Israel, das auserwählte Volk, reserviert ist.

3. Nationalismus:

Nationalistische Ideologien zielen darauf ab, die als einzigartig empfundene nationale Identität zu verteidigen, zu stärken und abzugrenzen. Diese nach innen gerichtete Haltung, die auf die Festigung des inneren Zusammenhalts abzielt, schließt sogar Minderheiten aus, die innerhalb des Landes leben. Nationalistische Ideologien können je nach historischem, politischem und sozio-ökonomischem Kontext unterschiedliche Formen annehmen. Der Zweig der Politikwissenschaft unterscheidet zwischen kulturellem, politischem, wirtschaftlichem und religiösem Nationalismus.

Ich habe gesehen, dass einige Christen mit nationalistischen Tendenzen sich oft mit Israel identifizieren. Ich teile diese Ansicht nicht, und zwar aus den folgenden Gründen:

– In den Augen Gottes ist Israel Gottes auserwähltes Volk, das Volk Nr. 1. Die „Nationen“ kommen also an 2. Stelle, und das gilt auch für die Schweiz.

– Als Angehörige der „Nationen“ können wir nicht zum Volk Israel gehören (es sei denn, wir können unsere jüdische Herkunft begründen). Im Gegenteil, wir sind eins in Christus mit den Gläubigen Israels.

– Israel ist nicht unser Heimatland, das wir auf die eine oder andere Weise zurückgewinnen sollten. Das Land Israel ist Teil der Verheißung, die Gott Abraham, dem Vater der Nation, gegeben hat (1. Mose 15,18): „An jenem Tag schloss Gott einen Bund mit Abraham und sagte: ‚Das Land Israel ist nicht das Land Ich gebe dieses Land euren Nachkommen, vom Fluss Ägypten bis zum großen Fluss Euphrat. »)

– Außerdem hat selbst Israel keine Rechte über sein Land. Sie ist ein Geschenk Gottes, und er könnte sie ihr sehr wohl wieder wegnehmen, wenn er darin das Mittel sieht, sein Ziel zu erreichen: sein Volk zu ihm zurückzubringen.

– Als Schweizer können wir nicht in der Illusion leben, das Land Nr. 1 zu sein oder dazuzugehören.

– In Sacharja 8,23 lesen wir: „In jenen Tagen werden zehn Männer aus allen Sprachen der Heiden einen Juden ergreifen, und sie werden ihn beim Rock seines Gewandes packen und sagen: ‚Ich bin ein Jude, und ich bin eine Jüdin, und ich bin eine Jüdin: Wir werden mit uns gehen, denn wir haben gehört, dass Gott mit euch ist.“ In dieser Prophezeiung finde ich diese Tendenz, die manche Christen haben, sich mit Israel zu identifizieren.

Das Erbe der Reformation

– Die Reformer haben der Politik unbestreitbar ihren Stempel aufgedrückt, und das im globalen Maßstab.

– Martin Luther verteidigte seine Position deutlich vor dem Reichstag in Worms. Ein Politiker brachte ihn dann in Sicherheit.

– Ulrich Zwingli war mehrere Jahre lang Berater der Zürcher Regierung. Er starb im Zweiten Kappeler Krieg.

– Jean Calvin hinterließ in Genf einen starken Eindruck, auch in der Organisation des öffentlichen Lebens und durch seine ethischen Werte. Seine Aktivitäten hatten erhebliche Auswirkungen in England, aber auch in Amerika und Osteuropa.

– In Bern war die Reformation die lang ersehnte Gelegenheit für die Regierung, sich dem Einfluss Roms zu entziehen und sich bestimmte Territorien, insbesondere das Berner Oberland, anzueignen.

– Nach der Reformation galt in Deutschland lange Zeit das politische Prinzip, dass die jeweils amtierende Regierung das konfessionelle System bestimmt.

Die Freikirchen

– Während der Reformation wurden die Baptisten unter Druck gesetzt, weil sie sich weigerten, sich der Politik und der vorherrschenden Konfession zu unterwerfen. Viele von ihnen wurden enteignet, hingerichtet oder vertrieben.

– Um 1831 etablierte Bern allmählich eine fortschrittliche Regierung. Die adeligen Kreise mussten sich aus der Politik zurückziehen und schlossen sich der pietistischen Bewegung an, die zur „Evangelischen Gesellschaft“ wurde.

– Um 1880 begannen die großen Evangelisationskampagnen, die es vielen Menschen ermöglichten, einen Sinn in ihrem Leben zu finden, indem sie es Gott übergaben.

Freunde Israels

– Sie identifizieren sich eindeutig mit dem aktuellen Israel des Nahen Ostens auf nationaler Ebene.

– Die Tatsache, dass sie aus verschiedenen Bewegungen kommen, die sich gegen die vorherrschenden Kirchen stellen, erklärt ihre Tendenz, nach innen gerichtet zu sein (wie die Pharisäer zur Zeit Jesu). Das bringt sie näher an die jüdische Tradition, die im Laufe der Geschichte deutlich isolationistisch war.

Schweiz

– Gegründet im Jahr 1291 auf der Grutliwiese.
Der Pakt beginnt wie folgt: „Im Namen des Herrn. Es ist eine ehrenvolle und dem öffentlichen Wohl dienende Handlung, die Maßnahmen, die für die Sicherheit und den Frieden ergriffen wurden, gemäß den geweihten Formen zu bestätigen? Die oben aufgezeichneten Entscheidungen … sollen, so Gott will, für immer Bestand haben.“
Es ist bemerkenswert, dass damals in der Landschaft um den Vierwaldstättersee (die sich damals im Umbruch befand) autonom und im völligen Bruch mit den Behörden eine politische Einigung erzielt wurde. Diese Vereinbarung sollte „für immer“ gelten. Nach Meinung von Experten war dies für die damalige Zeit außergewöhnlich. Aus diesem summarischen „Notpakt“ wurde im Laufe der Zeit eine Konföderation, d.h. die verschiedenen Territorien gruppierten sich nach und nach zu Staaten mit einem gemeinsamen politischen Ziel.

– Im 19. Jahrhundert, nach der Neuordnung des öffentlichen Lebens durch Napoleon I., entstand eine moderne Konföderation. Im 18. und 19. Jahrhundert wurden unter dem Einfluss der Aufklärung demokratische und liberale Prinzipien entwickelt und etabliert, wodurch die verschiedenen Glaubensrichtungen des Christentums gleichgestellt wurden. In politischen und religiösen Kreisen setzte sich der Gedanke der Toleranz durch. Das erklärt, warum es nach 1848 keinen Religionskrieg mehr gab. Auch die Freikirchen, deren Mitglieder um 1700 noch stark unterdrückt wurden, durften sich frei organisieren.

Unsere Identität in Christus

– Unsere christliche Identität ist allein in Jesus Christus zu finden (vgl. Gal 2,20: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir; mein Leben, das im Fleisch ist, lebe ich durch den Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat“ [Revidierte Zweite Fassung]).

– Angesichts dieser primären Identität ist meine Schweizer Identität (die meines Passes) sekundär, sie ist eine Adiaphora. Ob ich nun Türke, Jude, Palästinenser oder Schweizer bin, es kommt darauf an, dass wir alle eins sind in Jesus Christus (vgl. Gal 3,28: „Da ist nicht mehr Jude noch Grieche, da ist nicht mehr Sklave noch Freier, da ist nicht mehr Mann noch Frau, denn ihr seid alle eins in Christus Jesus“). Dies ist unsere wahre Identität. Deshalb ist es nutzlos, der Nationalität zu viel Bedeutung beizumessen. Nur unser Glaube an Jesus Christus erlaubt uns zu wissen, was wir als Schweizer in die Welt und zu den Nationen bringen können.
Unter bestimmten Umständen bekommt die Adiaphora eine große Bedeutung, d.h. sie wird zum Mittel, um unser Glaubensbekenntnis auszudrücken. So kann eines Tages unsere Zugehörigkeit zu Jesus Christus durch unsere Schweizer Nationalität manifestiert werden. Dies ist zum Beispiel in einem rein islamischen Land der Fall, in dem es verboten ist, das Schweizerkreuz zu zeigen.

– Phil. 3,20-21: „Für uns ist unsere Stadt im Himmel; von dort erwarten wir den Herrn Jesus Christus als unseren Retter, der unseren demütigen Leib verwandeln wird, um ihn seinem herrlichen Leib gleich zu machen durch die Kraft seiner Macht, die alle Dinge unterwirft.
Dieser Abschnitt spricht vom „Jenseits“ unserer Staatsbürgerschaft. Die „Himmel“ sind das Ziel der Geschichte, das gelobte Land, der Ort, an dem der Vater ewig regiert. Wir haben dort unseren Platz. Unsere nationale Identität wird auch in dem Ausdruck „gedemütigter Körper“ verstanden.
Der deutsche Pastor Dietrich Bonhoeffer (ein Widerstandskämpfer unter dem Naziregime) sprach von den „letzten“ und „vorletzten Dingen“, also von dem, was entscheidend ist gegenüber dem, was zweitrangig ist. Die „letzten Dinge“ stehen für die Zugehörigkeit zu Gott, der unser himmlisches Bürgerrecht garantiert. Zu den „vorletzten Dingen“ gehört unsere Zugehörigkeit zu einem Volk, einer Region oder einer Rasse. Die „vorletzten Dinge“ gehen also den „letzten Dingen“ voraus.

– 2 Kor 5,17: „Wenn jemand in Christus ist, ist er eine neue Kreatur. Das Alte ist vergangen; siehe, es ist alles neu geworden.“
Zu den „alten Dingen“ gehört die Nation als Grundlage für unsere Pläne, unsere Entscheidungen und unser Handeln. „Neues“ bedeutet, offen zu sein für diejenigen, die uns stören oder ängstigen könnten, nämlich die Schwachen, die Fremden oder die Anderen.

– ChristNet hat die schwierige Aufgabe, auf dieser Basis die Schweizer Identität neu zu definieren.

Bibliographie

Hans Küng, Schweizer katholischer Theologe, der in Deutschland lebt. 1991, anlässlich der 700-Jahr-Feier der Schweizerischen Eidgenossenschaft, veröffentlichte er das Buch „Die Schweiz ohne Orientierung? Europäische Perspektiven“. Die Vision einer möglichen Zukunft. (S. 91ff.). (Benziger-Verlag 1992).

Scott MacLeod, Musiker und Schriftsteller, Leiter einer christlichen Streetwork-Gruppe in Nashville, Tennessee, USA. „Der Löwe des Lichts“. Ein Wort zur Schweiz. “ (Schleife Verlag, Winterthur: 2001).

Werner Ninck, Juni 2002

~ 4 min

Eine Bibelarbeit zu Röm. 14,1 ? 15,13

 

Einleitende Überlegungen

 

Ab Kapitel 14,1 greift Paulus ein Problem der Gemeinde in Rom auf. Offensichtlich gab es zwei Gruppen, die miteinander im Streit lagen: die ?Starken? und die ?Schwachen?. Auslöser für den Zwist waren die Fragen von Speisevorschriften und das Beachten von besonderen Tagen. Das Problem war nicht neu, bereits im Konzil von Jerusalem (Apg. 15) wurde es debattiert.

 

Bevor wir uns in den Text stürzen, halten wir zwei Beobachtungen fest:

 

· Im Gegensatz zu Gal. 4,10ff. und Kol. 2,16-23, wo auch von Speisevorschriften die Rede ist, gibt sich Paulus den Römern gegenüber sehr tolerant und grosszügig. In den zwei anderen Briefen geht er auf Konfrontation. Offensichtlich besteht zwischen dem Problem in Rom und dem bei den Galatern und Kolossern ein Unterschied: Im Kolosser- und Galaterbrief wendet sich Paulus gegen Gesetzeslehrer, die behaupten, Speisevorschriften und andere besondere Handlungen seien zwingend für die Geistlichkeit und Rettung der Menschen. Das berührt den Kern des Evangeliums. Anders im Römerbrief: Hier ist das Thema allgemeiner Art und fällt unter die Rubrik der Worte Jesu: ?Was der Mensch isst, verunreinigt ihn nicht, sondern was aus seinem Herzen herauskommt.? Thema sind also nicht die Frage nach dem Heil oder dem Weg zu höherer Geistlichkeit, sondern schlicht unterschiedliche Ansichten zu gewissen Aspekten der Nachfolge.

· Während Personen, die gewisse Speisen nicht essen oder gewisse Tage besonders beachten, sich üblicherweise als die geistlicheren sehen, argumentiert Paulus genau anders: Schwach ist, wer meint, besondere Dinge beachten zu müssen. Stark sind jene, die das nicht tun müssen. Da würde Paulus wohl im manchen Konflikt unserer Tage die Rollen auch anders verteilen, als es zuweilen getan wird….

 

Paulus baut seine Argumentation auf:

 

1. Bevor Paulus irgend etwas sagt, ruft er zur Einheit auf (14,3-4, 13, 15,7-13). Offensichtlich lief das bei den Christen in Rom, wie es bei uns heute noch läuft: Die Starken laufen Gefahr, die anderen zu belächeln oder gar zu verachten – das ist ihre Art, sich dem Druck der Schwachen zu entziehen: Sie als schwach, hinterwäldlerisch oder als solche abzutun, welche die Freiheit in Christus noch nicht kennen. Und die Schwachen? Sie kämpfen auch erfolgreich und greifen die Starken als gottlos, weltlich und liberal an. Ein immer sehr wirksames Argument in der Gemeinde Jesu! Mit beiden kennt Paulus aber kein Erbarmen: Wer den Schwachen verachtet, der macht seine Freiheit zum Joch für den anderen. Und wer den Starken in seiner Freiheit nicht annimmt, der will heiliger als Gott sein, denn Gott hat ihn längst angenommen (14,6-12).

 

2. Nun definiert der Apostel Einheit (12,5): Die einzelnen Gläubigen haben das Recht, gewisse Dinge unterschiedlich zu sehen. Für Paulus gründet sich Einheit nicht in übereinstimmenden Meinungen, sondern in der Annahme des anderen in seiner Unterschiedlichkeit. Einheit in Vielfalt ist seine Devise!

 

3. In 14,23 setzt er den Glauben des Einzelnen als Grundlage für dessen Handeln voraus. Alles, was ein Mensch nicht aus der vertrauensvollen Beziehung zu Gott tut, das ist Sünde. Paulus geht davon aus, dass der Einzelne Christen sehr wohl in der Lage ist, selber zu entscheiden, was seine Gottesbeziehung verletzen könnte. In der Gemeinde muss nicht alles für alle geregelt sein, denn Paulus macht Ernst damit, dass der Geist in jedem Christen wohnt. Er gesteht ihm eine eigene, mündige Gottesbeziehung zu.

 

4. Doch nun setzt er der persönlichen Freiheit Grenzen: Der Mitchrist (14,13ff.). Aus Liebe zu seinem Mitchristen beschränkt sich Paulus lieber in seiner Freiheit und nimmt Rücksicht. So betont er einerseits Eigenverantwortung und freien Gestaltungsraum, weist aber andererseits darauf hin, dass die Gemeinde ein Leib ist und die Gläubigen daher unauflösbar miteinander verbunden sind. An beidem hält er gleichermassen fest.

 

5. Die Grenze dazwischen umreisst er noch etwas genauer: Sie ist da erreicht, wo ein Mitchrist ?Anstoss? nimmt. Unser deutscher Begriff ist hier etwas irreführend. ?Ich stosse mich daran? kann bei uns auch heissen: Es ärgert mich, oder es passt mir nicht. Doch das meint Paulus hier nicht, sondern er will niemanden durch sein Verhalten dazu verleiten, gegen seinen Glauben zu handeln und somit zu sündigen. Thema ist also nicht eine Meinung, ein ?Geschmack? oder etwas, worüber jemand sich ärgert, sondern eine gefährdete Gottesbeziehung. Wer andere manipuliert, indem er sagt, er ?nehme Anstoss daran?, es aber keineswegs seine Gottesbeziehung gefährdet, missbraucht Paulus und muss selber sehen, wie er mit seinem Ärger und ?Anstoss? fertig wird. Das ist sein Problem, seine ?Sünde?, und nicht das Problem des Anderen.

 

6. Paulus rundet seine Ermahnung mit dem Vorbild Jesu ab (15,1-6) und ruft noch einmal zur Einheit auf ((15,7-13).

 

Fazit:

 

· Bei mitleidvollem Lächeln der Befreiten (Starken) oder bei frommer Manipulation und Druck der ganz Geistlichen (Schwachen), kennt Paulus nur eines: gegenseitige Annahme und Wertschätzung.

 

· Für Paulus (und wohl auch für uns…) gibt es Dinge, die ethisch neutral sind. Damit sie nicht zur Spaltung führen, umreisst er folgenden Verhaltenskodex:

 

1. Ethisch Neutrales darf nicht als heilsnotwendig erklärt werden, und es darf auch nicht der Anspruch erhoben werden, durch gewisses Verhalten besonders geistlich zu sein.

 

2. Niemand soll durch sein Verhalten jemanden dazu verleiten, gegen seine Glaubensüberzeugung zu handeln. Befohlene Freiheit ist keine wirkliche Freiheit und befreit niemanden.


Photo by Külli Kittus on Unsplash

~ 5 min

Atten. Getter: Ihr macht jemandem ein Geschenk und diese Person nimmt das Geschenk und in kürzester Zeit ist es kaputt, weil sie Dinge damit gemacht hat, für die das Geschenk nicht gedacht war. Wie fühlt ihr? So oder ähnlich wird sich Gott fühlen, wenn er daran denkt, wozu er uns seine Schöpfung anvertraut hat.

Einleitung:

Gott hat aus dem Nichts, aus dem Chaos eine herrliche Schöpfung bereitet und uns Menschen dadurch einen Lebensraum gegeben, indem wir uns entfalten können. Gleichzeitig hat er uns als Abbild seiner Herrlichkeit in diese Schöpfung gestellt und sie unserer Fürsorge anvertraut. Doch was haben wir daraus gemacht? Es ist inzwischen ein offenes Geheimnis, dass wir am Rande des ökologischen Zusammenbruchs sind. Der Lebensraum, den Gott uns anvertraut hat wird uns zum Todesbereich, und wir Christen können uns davor nicht verschliessen, wenn uns wirklich ernst damit ist, dass diese Schöpfung Gottes Werk ist.

In einem ersten Schritt wollen wir einmal ganz offen der Krise unserer Umwelt in die Augen schauen und dann sehen, worin unser Auftrag als Christen besteht.

1. Die Krise

Wir wollen zuerst zusammentragen, wodurch Gottes Schöpfung gegenwärtig bedroht wird:

· Abgase (Brenn- und Treibstoffe) – Ozonloch

· Raubbau der Rohstoffe

· Atom und Atommüll

· Müllberge

· Giftstoffe in Wasser, Land und Luft

· Chemie und ihre Abfälle

· Abholzung des Regenwaldes

· Aussterben vieler Tierarten täglich

· Überfischung der Meere

· Gemästete Tiere mit Antibiotika machen Bakterien resistent

· Zunehmende Erkrankungen der Atemwege; Krebs und andere Zivilisationskrankheiten

Der Lebensraum, den Gott uns geschaffen hat, ist weltweit aus dem Gleichgewicht gefallen und die grösste Gefahr dieser Krise ist, dass wir immun davor werden und gar nicht mehr auf die Probleme reagieren.

Wenn wir uns einmal überlegen, woher all diese Probleme kommen, dann sind wir ganz schnell bei einem der Hauptprobleme: die Menschen wollten mit begrenzten Möglichkeiten unbegrenzte Ansprüche stillen: immer schneller, immer mehr, immer besser. Zudem haben die Menschen die Erde nach den Wertvorstellungen menschlicher Machtentfaltung verwaltet und nicht nach den Massstäben göttlicher Gerechtigkeit. Da sind wir uns selber ins offene Messer gelaufen; oder anders ausgedrückt: mit unserem Wunsch nach unbegrenzten Möglichkeiten sägen wir den Ast ab, auf dem wir selber sitzen. Anstatt in fürsorglicher Art und Weise dieser Schöpfung zu dienen, haben wir uns die Schöpfung dienlich gemacht, und dadurch ist sie aus dem Gleichgewicht gefallen. Wir wollen nur noch Grenzen sprengen und überwinden anstatt in Grenzen zu leben. Fortschritt ist halt nicht alles ? es gibt auch noch das Gleichgewicht.

Die Aussage des Paulus in Röm. 8,19-23 stimmen heute mehr denn je: die ganze Schöpfung ist in Mitleidenschaft gezogen worden und wartet unter Seufzen auf ihre Erlösung.

Als Christen müssen wir lernen, dass wenn wir von der Sünde der Menschen sprechen, wir nicht nur von Scheidung, Abtreibung, Alkohol oder was weiss ich was reden, sondern von der Ausbeutung der Schöpfung Gottes, von Umweltsünden und vom Glauben, dass es für den Fortschritt keine Grenzen gäbe. Umweltsünden sind auch Sünden an Gott und an unseren Mitmenschen, genau wie Abtreibung, Rassissmus, Pornographie und jede Form von Gottlosigkeit. Im Bereiche der Umweltsünden wird das Werk Gottes täglich mit Füssen getreten, und wir können es uns als Gemeinde nicht leisten, uns auf einige Spezialthemen zu begrenzen und diesen Bereich einfach den anderen zu überlassen. Schliesslich ist die Fürsorge der Schöpfung der erste Auftrag des Menschen gewesen und entspricht sozusagen seinem Urauftrag. Natürlich wissen wir, woher diese Probleme kommen, und gerade deshalb haben wir einen wesentlichen Beitrag zu leisten. Wenn für die Gemeinde der Umgang mit der Schöpfung Gottes kein Thema ist, nur weil es von den Grünen besetzt ist, ist das eher ein Armutszeichen als ein Zeichen von Geistlichkeit.

Das führt uns nun zu unserem Auftrag in der Schöpfung

2. Unser Auftrag

Unser Auftrag ist kurz umrissen die Erhaltung und Entfaltung der Schöpfung Gottes, also des Raumes, den er uns gegeben hat. Nun können wir weder Busch noch irgend eine Regierung dazu bewegen, den CO2 Ausstoss zu reduzieren, wir können die Chemiekonzerne nicht dazu anhalten, ihr Umwelt belastendes Material in Wasser, Luft und Erde abzustossen und wir werden Schlachtgrossbetriebe kaum davor abhalten, ihre Tiere mit Antibiotika zu füttern, damit sie in noch kürzerer Zeit noch mehr Fleisch hergeben. Ich weiss auch nicht, ob ich bereit bin auf das Auto zu verzichten, nur noch beim Bauern einzukaufen und den Müllberg zu verringern. Obwohl das alles sehr erstrebenswert wäre und eventuell der einzige Weg ist, uns vor der Katastrophe zu bewahren.

Ich glaube, einer unserer ersten Beiträge den Auftrag an der Schöpfung Gottes wahrzunehmen ist neu zu lernen mit Grenzen zu leben und diese als Schutz und als Hilfe und nicht als Einengung zu sehen. Die Masslosigkeit und die Grenzenlosigkeit unserer Zeit führt buchstäblich zu einer masslosen und grenzenlosen Katastrophe und unsere Bereitschaft Mass zu halten, Grenzen zu akzeptieren rührt an das Grundproblem. In Bezug auf die Schöpfung heisst es in der Bibel immer wieder, dass Gott Grenzen gesetzt hat; dem Wasser, dem Land und allem auf dieser Erde. Grenzen sind nicht einfach eine Herausforderung, um einen Weg zu suchen, um diese zu sprengen, sondern eine Linie, die Gott uns gegeben hat, damit sie nicht übertreten wird.

Weiter glaube ich, dass wir als Gemeinde unsere Stimme in Sachen Umwelt genauso erheben müssen wie gegen die Abtreibung oder gegen Rassissmus. Gott hat uns die Natur, die seine Schöpfung ist, nicht einfach dazu gegeben, dass einige daraus möglichst viel Gewinn und Kapital schlagen, sondern dass sie in einem Gleichgewicht bestehen kann, so dass alle sich darin entfalten können. Wenn wir zu diesen Themen schweigen haben wir praktisch Gott als dem Schöpfer dieser Welt abgesagt, auch wenn wir noch so vehement dafür eintreten mögen, dass Gott diese Welt in buchstäblichen sieben Tagen geschaffen hat. Wenn wir uns nicht zum Umgang mit der Schöpfung äussern, spielt es auch keine Rolle mehr, wer und in welcher Zeit sie geschaffen wurde.

Und letztlich wird es auch immer eine Frage des Lebensstils sein. Wir werden nicht umhin kommen, uns immer wieder kritisch zu hinterfragen. Vielleicht ist der Preis für teurere, umweltverträglichere Produkte langfristig der kleinere Preis, denn der Preis für umweltschädliche Billigprodukte könnte der Zusammenbruch und der Tod sein. Auch hier sollten wir nicht schlauer als Gott sein wollen.

Schluss
Wie wir das im einzelnen ausleben können, welche Möglichkeiten und Aufgaben wir hier im Konkreten haben, darüber müssen wir weiter diskutieren. Eines aber ist sicher: Gott hat seine Schöpfung unserer Fürsorge anvertraut; sie gehört auch zu jenen uns anvertrauten Pfunden, mit denen wir schaffen sollen. Dies einfach einigen Spezialisten zu überlassen, ist eine sträfliche Vernachlässigung unseres Auftrags.


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