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Vor einem Jahr wurde bereits von einer drohenden «Stromlücke», jetzt von der drohenden «Mangellage» gesprochen. Doch selbst die schlimmsten Szenarien sehen nur ein paar Stunden Strommangel vor. Ist das so gravierend für unser Leben? Wo sind wir hingekommen?

Politische und finanzielle Interessen

Es ist auch nicht klar, wieviel politisches Kalkül dahintersteckt. Es wird behauptet, wegen der Energiewende gäbe es nun zu wenig Energie. Gewisse Kreise veranstalteten ein Trommelfeuer gegen «Sündenbock» Sommaruga, die sich scheinbar nur noch mit einem Rücktritt retten konnte. Diese Interessengruppen haben damit ihr Ziel erreicht und hoffen nun wohl, das Umwelt- und Energiedepartement mit Albert Rösti nach den eigenen Wünschen und Interessen verändern zu können. Gleichzeitig konnte der Bevölkerung mit dieser «Mangellage» Angst vor dem Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative eingeflösst werden, dessen Abstimmung wegen eines Referendums bevorsteht. Die Energiewende, die dringend umgesetzt werden sollte, wird damit möglicherweise verzögert.

Es ist aber sinnlos, den Kopf in den Sand zu stecken: Das Klima erwärmt sich erbarmungslos weiter. Mit einer weiteren Verzögerung verlieren wir wertvolle Zeit und müssen noch mehr Schäden in Kauf nehmen. Es ist bezeichnend, mit welcher Kraft sich Teile der Bevölkerung und Vertreter von bestimmten Wirtschaftszweigen an die Behauptungen der letzten Klimaleugner oder an sonstige Ausreden klammern, um der bitteren Realität auszuweichen. Wie kann es sein, dass der Warnung von Zehntausenden von Wissenschaftlern von dieser Seite keine Beachtung geschenkt wird?

Wann haben wir genug?

Mit unserem steigenden «Wohlstand» brauchen wir immer mehr Energie. Zusätzlichen Geräte, immer mehr und immer grössere Autos, mehr Flugreisen, grösseren Wohnraum, den wir beheizen müssen, sorgen dafür. Die Statistik zeigt zwar eine Stagnation des Energieverbrauchs in der Schweiz seit 20 Jahren und einen Rückgang des Verbrauchs seit 2010 (mit einem Einbruch während der Pandemie), aber dies ist zu einem guten Teil auf die Desindustrialisierung zurückzuführen: Wir sorgen damit einfach in anderen Ländern (Osteuropa, China, Indien) für steigenden Energieverbrauch und importieren immer mehr graue Energie.

Brauchen wir das alles wirklich? Noch ein Tablet mehr? Eine elektrische Saftpresse, weil wir die Orangenhälften nicht mehr selber drücken und drehen können? Oder die elektrische Zahnbürste? Oder noch mehr Kinderspielzeuge mit Batterie? Oder brauchen wir wirklich ein Auto? Warum wollen wir lieber die Steuern senken als den ÖV als echte Alternative auszubauen?

Waren wir früher wirklich so schlecht dran? War es schlimm, nicht mit dem Flugzeug in die Ferien zu fliegen? Oder hat uns die Shoppingtour in London wirklich gefehlt?

Warum brauchen wir das alles? Und vor allem: Wann ist genug? Wieviel mehr Energie benötigen wir tatsächlich?

Ist unsere liebe Freiheit in Gefahr?

Es ist schwierig, auf die Grenzenlosigkeit unserer Möglichkeiten zu verzichten oder nur einen Teil davon verwirklichen zu dürfen. Bei Vorschlägen, sich zu beschränken, um die Zukunft nicht zu gefährden, sehen wir sehr schnell unsere Freiheit in Gefahr. Oder wir bangen um die technischen Erleichterungen unseres Alltages in der stressigen Zeit. Zu letzterem muss auch gefragt werden, warum wir uns eine Wirtschaft und eine Gesellschaft geschaffen haben, die so viel Stress verursacht. Vielleicht sollten wir einmal die Ursachen unseres Konsums angehen. Denn unsere Lebensweise mit immer mehr Ressourcenverbrauch und CO2-Ausstoss hat gravierende Folgen. Die Voraussagen der Wissenschaft sind leider bisher alle eingetreten oder waren sogar noch zu optimistisch.

Die Folgen der Klimaerwärmung sind für uns hier in der Schweiz noch nicht richtig spürbar. Deshalb haben wir Mühe, uns zu einer Reaktion aufzuraffen, obwohl in den Angstbarometern der gfs.bern, die bis 2015 jährlich erstellt wurden, die Klimaerwärmung regelmässig als eine der grössten Ängste auftauchte. Das für uns noch Irreale ist aber unausweichlich und hat dummerweise eine Vorlaufzeit von Jahrzehnten. Unsere Kinder werden riesige Probleme ausbaden müssen, wenn wir nicht jetzt reagieren. Aber der Verzicht ist so unheimlich schwer.

Wir pochen lieber auf die Freiheit, das Leben unserer Nächsten und die Schöpfung Gottes weiterhin zerstören zu dürfen. Doch diese Freiheit ist nicht akzeptabel, es gibt kein Recht auf Vandalismus (der Natur) und auf Tötung von Menschen (durch Dürren und Überschwemmungen). Würden wir es o.k. finden, wenn diese Delikte aus den Strafgesetzbüchern gestrichen und erlaubt würden? Nur weil unsere persönliche Täterschaft nicht so direkt den Folgen zugeordnet werden kann, heisst das nicht, dass wir keine Verantwortung dafür tragen. Wir haben alle auf vielen Ebenen Mitverantwortung. Mit Fingern auf andere zeigen, die noch schlimmer zerstören als wir, gilt nicht.

Es führt kein Weg an der Mässigung vorbei

Wir haben also nicht zu wenig Energie, sondern wir verbrauchen zu viel. Es führt kein Weg an der Reduktion unserer Ansprüche und unseres Verbrauchs vorbei, denn mit risikobehafteten, teuren Atomkraftwerken handeln wir uns einfach neue Probleme ein. Auch Windräder und Stauseen haben Grenzen. Nicht umsonst wurde bereits Anfang der neunziger Jahre die 2000 Watt-Gesellschaft propagiert: Wir kommen nicht umhin, den Energieverbrauch pro Person in der Welt auf 2000 Watt zu limitieren. Ist das so schlimm? Hat das Leben nicht so viel mehr zu bieten? Sind wir noch so sehr im Materialismus gefangen? Ist nicht gerade diese Herausforderung, mit weniger Gütern und Konsum ein erfülltes Leben zu führen, eine schöne Einladung an uns Christen? Sollte es nicht eine Auszeichnung der Christen sein, dass sie weniger der Konsumgesellschaft verfallen sind?

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Infolge des Krieges in der Ukraine ist uns allen klar geworden, dass die sichere Energieversorgung plötzlich infrage gestellt ist. Die Kosten sind in die Höhe geschossen, das gewohnte Preisgefüge hat sich aufgelöst. Die Bundespolitik setzt sich unter dem drohenden Energie-Mangel mit rasantem Tempo für das Fördern von erneuerbaren Energien ein und fasst innert kürzester Zeit die nötigen Beschlüsse dazu. Allerdings handelt es sich dabei um Nachholbedarf aus den letzten drei Jahrzehnten. Oder steckt gar ein Kalkül dahinter? Unter Druck können plötzlich radikale Beschlüsse gefasst werden, ohne die unliebsamen und einschränkenden Rahmenbedingungen von Nachhaltigkeit oder Naturschutz zu berücksichtigen …

In der öffentlichen Diskussion wird die alles durchdringende Bedeutung von Energie für unsern Alltag wie nie zuvor wahrgenommen: Schliesslich werden nicht nur Strom und Wärme teurer, sondern auch Lebensmittel, Geräte und Maschinen. Da steckt überall viel Hilfsenergie drin. Es ist hilfreich, wenn wir uns dies wieder einmal bewusst machen. Ohne Druck verändert sich offensichtlich nichts. Das gilt auch für unsere Haltung, dass nur das Billigste gut genug sei.

Täuschende Energiepreise

Es muss hier einmal klar gesagt sein: Die uns lieb gewordenen bisherigen günstigen Energiepreise waren realitätsfern tief. Vom tiefen Preis getrieben hatten die Energieversorger bisher wenig Luft für Investitionen oder gar Innovationen. Die dezentrale Energieproduktion muss zum Beispiel an das grössere Verteilnetz angeschlossen werden. Diese Herausforderung ist erst in Ansätzen gelöst. Auf Seiten der Verbraucher waren Verschwendung und Ineffizienz bisher wirtschaftlich nicht von Belang – es gab keinen Anreiz für den haushälterischen Umgang mit der Energie.

Die Gesamtkosten der Energieerzeugung sind in manchen Bereichen bei weitem nicht gedeckt. So sind die sogenannten externen Kosten, d.h. Folgekosten für Gesundheit und Umwelt, welche durch den heutigen Energieeinsatz entstehen und laufend zunehmen, nur zum kleinsten Teil berücksichtigt. Diese Folgen müssten mit dem Energiepreis abgegolten werden. Die nun bevorstehenden Debatten um Nachhaltigkeit, Klima- und Umweltschutz werden zeigen, um welch enormen Finanzbedarf es bei dieser Schadensvermeidung und -behebung gehen wird.

Die Grundversorgung erträgt keine Spekulation

Die Energie – das ist nun deutlich geworden – bildet einen markanten Teil unserer alltäglichen Grundversorgung. Die Diskussionen zeigen unbeschönigt, dass im Mangelfall jede Nation zuerst für sich schaut. Und es keinen Verlass gibt auf internationale Abkommen.

Güter oder Leistungen der Grundversorgung sind kein normales Handelsgut, das man haben oder nicht haben kann. Die aktuellen internationalen Debatten machen deutlich, dass auch mit grosser Kaufkraft die Beschaffung von Energie nicht garantiert ist. Daraus muss der Schluss gezogen werden, dass das heutige System der internationalen Strombörsen als gescheitert betrachtet werden muss. Die Grundversorgung ist m.E. nicht vereinbar mit einem spekulationsgetriebenen Handel.

Viele Akteure an der Strombörse haben in ihrer Geschäftstätigkeit nichts mit der realen Energieproduktion oder dem Energievertrieb zu tun. Sie betreiben Termingeschäfte. Sprich: Sie spekulieren, wie sie das auch mit jedem andern Rohstoff tun. Der Fall AXPO zeigt, dass auch Stromproduzenten sich dazu verleiten lassen, dem Handel mehr Wichtigkeit zuzumessen als der ursprünglichen Aufgabe, Wirtschaft und Bevölkerung mit Strom zu versorgen. Dieses Gebaren steht nicht mehr im öffentlichen Interesse, sondern unter dem Diktat der Finanzwirtschaft.

Mit der Realwirtschaft hat das wenig zu tun. Es kann doch nicht sein, dass derzeit insgesamt 1‘500 Milliarden Euro allein als Handelssicherheiten für künftige Energielieferverträge hinterlegt werden müssen. Das entspricht rund 8% der europäischen Wirtschaftsleistung eines Jahres1. Und es geschieht, ohne dass die Grundversorgung im eigenen Land gewährt ist. Hier sind Korrekturen unumgänglich.

Die Beziehungen zwischen Produzenten und Verbrauchern stärken

Muss das Rad zurückgedreht werden? Nein, aber es geht darum, erkannte Fehlentwicklungen zu kappen! Es wird Zeit, dass wir uns auf die soliden Erfahrungen von Direktbeziehungen zwischen Produzenten und Verbrauchern zurückbesinnen. Mit moderner Technik und Kommunikation können diese Beziehungen auch heutigen Anforderungen gerecht werden. Einzelne Gemeindewerke wie etwa Walenstadt SG zeigen, wie das geht2.

Am Beispiel von unzähligen Holzenergie-Wärmeverbünden in der Schweiz lässt sich erkennen, dass sich die direkte Beziehung zwischen dem Energieversorger und der regionalen Waldwirtschaft als Brennstofflieferant sehr gut bewährt und zu stabilen Preisen geführt hat. Gleichzeitig sorgt die direkte Beziehung dafür, dass die natürlichen Ressourcen in der Region nachhaltig genutzt und nicht ausgebeutet werden3.

Dabei gilt es zu beachten, dass das Potenzial an Energieholz in der Schweiz begrenzt ist. Es muss sorgfältig eingeteilt werden. Dass jetzt plötzlich alle Brennholz horten, wie vor zwei Jahren Klopapier, ist nicht zielführend. Aber auch bei der Wasserkraft wissen wir spätestens seit dem vergangenen Trockensommer, dass die Nutzungsmöglichkeiten begrenzt sind.

Umdenken: Energie bewusst einsetzen

Die vom Bundesrat erlassene Spar-Botschaft zeigt vielfältige Spar-Möglichkeiten für Private, Firmen und die Öffentlichkeit. Diese umfangreichen Listen sind hilfreich, und sie lassen sich sofort umsetzen. Von nun an gilt nicht mehr: Ich weiss nicht wie und wo. Gerne hoffe ich, dass sich möglichst viele Leute von diesen Botschaften bewegen lassen.

Ob für uns als Privatperson oder im Geschäft gilt: Die aktuelle Situation von drohendem Mangel und hohen Kosten zwingt uns zu einer neuen Haltung bei unserm Umgang mit Energie.

Es stellen sich Fragen wie:

  • Was ist notwendig, damit der Grundbedarf gedeckt, die geforderten Leistungen erbracht, die Produkte hergestellt werden können?
  • Worin wünschen wir gezielt Komfort – mehr als notwendig – um darin unser Leben bzw. unsere Arbeit angenehmer und unsere Aufgaben einfacher gestalten zu können?
  • Wofür ist Luxus – Energie im Überfluss – bewusst einzusetzen und warum?
  • Geschieht Verschwendung unbewusst oder aus Nachlässigkeit, die gestoppt werden kann?

Energie sparsam einsetzen heisst Ressourcen schonen. Und das ist das erste Gebot im Klima- und Umweltschutz. Insofern mag dieser aktuelle Preis- und Versorgungsschock heilsam und zukunftweisend sein. Ein solcher Kurswechsel wird auch globale Ausstrahlung haben, eifern doch über 80% der Weltbevölkerung unserm Vorbild nach.

1 fritz.fessler@gemeinwohl.coop

www.gemeinwohl.coop

2 www.walenstadt.ch

3 www.renercon.ch

(Bild: Myriams-Fotos auf Pixabay)

Dieser Artikel ist ursprünglich erschienen am 01. November 2022 auf https://www.insist-consulting.ch/forum-integriertes-christsein/22-11-4-energie-ein-heilsamer-schock-geht-um-die-welt.html

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Die Fussball-WM in Katar hat gestern begonnen und dauert bis am 18. Dezember 2022. Keine Fussball-WM der Vergangenheit stand so in der Kritik wie die in Katar. Hauke Burgarth von Livenet hat sich damit auseinandergesetzt, warum viele Christinnen und Christen dabei sind oder eben nicht.

Das Für und Wider in der Diskussion darüber, ob man die Spiele dieser Fussball-WM anschauen sollte, haben allerdings andere Schwerpunkte – und werden bei Christinnen und Christen noch um eine geistliche Komponente erweitert. Was also spricht für bzw. gegen das Anschauen der Spiele?

Pro – Warum viele die WM schauen werden

  • Der Sport steht im Vordergrund. Natürlich nehmen an einer Fussballweltmeisterschaft nicht nur demokratische, westlich orientierte oder christlich geprägte Staaten teil. Politik oder Religion steht dabei nicht im Vordergrund. Es geht um Sport – in diesem Falle um Fussball, die «schönste Nebensache der Welt».
  • Zwischen all den Krisen- und Kriegsnachrichten wird es richtig wohltuend sein, spannende Fussballspiele zu schauen und am 28. November mitzufiebern, ob Brasilien eine Chance gegen die Schweizer Nationalelf hat.
  • Eine Fussball-WM ist immer auch eine Chance fürs Evangelium. Das beginnt in unseren Breiten, wo die bekannte «Fussballbibel» von David Kadel rechtzeitig zur Meisterschaft neu herausgegeben wurde und zum Glauben an Jesus Christus einlädt. Und es endet noch lange nicht mit den Möglichkeiten zum Gespräch, die Christen aus aller Welt in Katar haben werden.
  • Trotzdem ist klar, dass Katar nicht gerade zu den freien Ländern der Erde zählt, aber gerade der Fokus aufs Land kann dort Veränderungen bewirken. Ohne die WM wären Menschenrechte und Arbeitsbedingungen in Katar sicher nie weltweit diskutiert worden.

Contra – Warum viele die WM nicht schauen werden

  • «Fussball gehört weder in den Winter noch in die Wüste», sagen etliche und verweisen damit auf die fehlende Fussballtradition des Emirats, das dieses Manko offensichtlich durch gekaufte Fans ausgleichen möchte (die Sportschau berichtete).
  • Viele Beobachter und auch die amerikanische Justiz sind sich einig, dass die WM durch Korruption nach Katar gekommen ist. 2010 erhielt der Wüstenstaat von der FIFA in Zürich, die damals von Sepp Blatter präsidiert wurde, den Zuschlag. Seither rissen die Gerüchte, dass Katar die WM kaufte, nicht ab, Ermittlungen wurden aufgenommen und 2015 fanden in der Schweiz in diesem Zusammenhang zahlreiche Verhaftungen statt.
  • Bereits im Vorfeld der WM gingen die Menschenrechtssituation und völlig unzulängliche Sicherheitsstandards für Arbeitsmigranten in Katar durch die Presse. 6’500 bis über 15’000 Menschen starben bei den Bauarbeiten für die WM. Das ist mehr als nur eine Schieflage bei einem Event, das sonst jede Kleinigkeit nach internationalen Standards regelt. Eine fünfstellige Zahl an Toten ist für eine WM nicht hinnehmbar.
  • Freiheit ist in Katar nach westlichen Massstäben ein Fremdwort: Das beginnt bei fast nicht existenten Frauenrechten und hört bei einer stark beschränkten Pressefreiheit noch lange nicht auf. Laut «Reporter ohne Grenzen» liegt Katar auf Rang 119 von 180 weltweit.
  • Eine freie Glaubensausübung im Land ist nur möglich, wenn man ein muslimischer Mann ist und das bleiben möchte. Ausländische Christen im Land werden laut Idea immer wieder Repressalien ausgesetzt. Einheimische Christen darf es laut Katar kaum geben. So verwundert es nicht, dass das Land auf dem Weltverfolgungsindex nach den «führenden» Nationen Afghanistan und Nordkorea Rang 18 bekleidet.

Und nun?

Dürfen Christinnen und Christen die Spiele der WM anschauen? Natürlich. Wer sollte es ihnen verbieten – sie werden ja sogar öffentlich ausgestrahlt. Ist es sinnvoll und richtig? Das muss wohl jede und jeder selbst entscheiden.

Organisationen wie Amnesty International tun sich schwer mit einer eindeutigen Haltung. Tendenziell lehnt Amnesty einen Boykott der WM ab, um weiterhin Menschenrechtsverletzungen sichtbar machen zu können.

Bewusstes Feiern statt Boykott

Eine wegweisende Linie fährt das WM Public Viewing «Dr Bitz» in Köniz bei Bern. Dessen Veranstalter haben sich gegen einen Boykott entschieden und zeigen in einer leerstehenden Halle in Köniz mit rund 400 Plätzen sämtliche Fussballspiele während der WM. Diese werden ohne Werbepausen und Studiogespräche übertragen, da die Veranstalter den WM-Sponsoren keine Plattform bieten wollen. «Stattdessen wollen wir uns gemeinsam mit der Menschenrechtsorganisation Amnesty International aktiv mit der prekären Menschenrechtslage in Katar auseinandersetzen», erklärt der Veranstalter Beat Wenger gegenüber SRF. So sind neben den Matches Podiumsdiskussionen und eine Fotoausstellung zu Katar geplant. Zudem können Interessierte eine Petition von Amnesty International unterschreiben, die auf Entschädigungen für Arbeitsmigranten in Katar abzielt.

Auch er habe zuerst über einen WM-Boykott nachgedacht, räumt Wenger ein. «Dann ist mir bewusst geworden, dass Fussball Menschen weltweit verbinden kann und wir haben nach einem Weg gesucht, wie man den Sport an der Fussball-WM in Katar trotz vieler Schattenseiten zelebrieren kann.»

Der Artikel erschien erstmals auf Livenet.ch. Für ChristNet wurde der Anfang und Schluss leicht gekürzt und durch den letzten Abschnitt ergänzt.

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Die Verrechnungssteuer von 35 % hat zum Zweck, die Steuerpflichtigen Privaten und Unternehmen dazu zu bringen, ihre steuerpflichtigen Gewinne und Wertzuwächse auch ehrlich anzugeben und damit zu versteuern. Erst nach vorschriftsmässiger Angabe werden die 35% wieder zurückerstattet. Doch die Bankenlobby hat das Parlament dazu gebracht, die Verrechnungssteuer bei der Ausgabe von Obligationen abzuschaffen. Dies mit dem Argument, dass auf Grund des administrativen Aufwands und des vorübergehenden Liquiditätsentzugs die Obligationen heute im günstigeren Ausland ausgegeben würden und der Schweiz damit Arbeitsplätze und Wertschöpfung entgingen. Gleichzeitig wurde auch grad noch die Umsatzabgabe, die auf dem Handel mit bestimmten Wertpapieren erhoben wird, abgeschafft, da sie sich ebenfalls hemmend auf den schweizerischen Fremdkapitalmarkt auswirke. Gegen dieses Paket wurde das Referendum ergriffen.

Das Loch riskiert grösser zu werden – auf Kosten der Bevölkerung

Die treibenden Kräfte hinter dieser Steuersenkung behaupten, durch den Zuzug von Arbeitsplätzen und Wertschöpfung aus dem Ausland würden die Kantone und Gemeinden einen Gewinn von mindestens 400 Millionen Franken pro Jahr erwirtschaften. Gleichzeitig allerdings gehen dem Bund nach neusten Zahlen 215 bis 275 Millionen Franken an Einnahmen verloren. Dies sind sehr konservative Schätzungen und wohl viel zu tief gegriffen. Denn erstens basieren diese Berechnungen auf dem aktuell sehr tiefen Zinsniveau, das aber in naher Zukunft ansteigen wird. Und zweitens hat die Finanzindustrie die Angewohnheit, alles zu verheimlichen, was nur möglich ist, um den Gewinn zu maximieren. Ohne Kontrolle fehlt die Motivation, diese Gelder zu versteuern. Schon die Unternehmenssteuerreform II hat gezeigt, dass die Finanzindustrie jegliche Möglichkeiten zur Steuerumgehung ausnutzt. Aus den bei der Abstimmung im Jahr 2008 im Abstimmungsbüchlein angegebenen maximal 933 Millionen Franken Verlusten für Bund und Kantone sind es ab der Inkraftsetzung im 2011 pro Jahr rund 2 bis 2,5 Milliarden Franken geworden (und sind es immer noch), weswegen ein Kanton nach dem anderen drastische Sparprogramme bei Schulen, Spitälern etc. durchgezogen hat. Dafür konnten die Aktionäre Dividenden und Firmenchefs (die sich nun oft Lohn auf andere Weise auszahlen lassen) Einnahmen von den Steuern befreien. Total wurden von 1.1.2011 bis 31.11.2016 CHF 1 Billion 692 Milliarden von 7‘365 Aktiengesellschaften angemeldet und durch die Eidgenössische Steuerverwaltung zur steuerfreien Ausschüttung an die Aktionäre genehmigt.

Steuersenkungen – nachweislich schlecht für die Schwächsten

Auch die Mär, dass es bei Steuersenkungen automatisch allen besser geht wurde schon längst widerlegt. Das zeigt eindrücklich die Oxfam-Studie aus dem Jahr 2014: Die Steuersenkungen im Zuge des Neoliberalismus haben weltweit vor allem die Reichsten noch reicher (und damit auch mächtiger) gemacht, den Ärmsten (also denjenigen, die es am meisten nötig hätten) aber kaum geholfen. In den USA ist so beispielsweise der mittlere Lohn zwischen 1984 und 2016 gleichgeblieben, das mittlere Haushaltseinkommen nahm nur wegen dem zunehmenden Einstieg der Frauen in die Lohnarbeit um insgesamt 20 % zu. Und gerade die Entstehungsgeschichte der USR II zeigte eindrücklich auf, dass es bei dieser gar nicht um die KMU und erst recht nicht um die Gesamtbevölkerung ging, sondern rein um die Interessen der Aktionäre.

Die lebenswichtigen Dienstleistungen brauchen mehr Mittel: Jetzt die Spirale umdrehen

Die Abschaffung der Verrechnungssteuer ist für die Schweizer Bevölkerung also höchstwahrscheinlich wieder einmal ein Verlustgeschäft. Und nicht nur für die Schweizer Bevölkerung, sondern schlussendlich auch für die Länder, aus denen die Arbeitsplätze abgesogen werden sollen. Die Steuerkonkurrenz hat insgesamt die Folge, dass die lebenswichtigen Dienstleistungen wie Schulen, Spitäler, Umweltmassnahmen etc. Schaden nehmen. Die Schulklassen werden immer grösser, Spitäler werden reihenweise geschlossen, das Pflegepersonal wird zu knapp gehalten und schlecht entlöhnt, und Subventionen für Sonnenenergie «sind zu teuer». In diesem System kommen die Schwächsten und die Schöpfung unter die Räder. Dieser Entwicklung gilt es Einhalt zu gebieten. Umso mehr, wenn diejenigen, die es sich am besten leisten könnten, dazu eingeladen werden, keine Steuern mehr zu zahlen.

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Gott sorgt sich um unser Wohlergehen. Und um das unserer Nächsten. Dies gilt insbesondere für Menschen, die wirtschaftlich gesehen eine schwache Position haben. So steht in Jakobus 5,4:  «Siehe, der von euch vorenthaltene Lohn der Arbeiter, die eure Felder geschnitten haben, schreit, und das Geschrei der Schnitter ist vor die Ohren des Herrn Zebaoth gekommen.» In 1. Timotheus 5,18 wird nachgedoppelt: «Denn die Schrift sagt: ‚Du sollst dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden‘, und: ‚Der Arbeiter ist seines Lohnes wert.’» Was hat das mit der Forderung nach einem Mindestlohn zu tun?


Um die wirtschaftlich Schwächsten zu schützen, wurden in vielen Ländern Mindestlöhne fixiert. Auch in der Schweiz versuchte eine Initiative im Jahr 2014, einen Mindestlohn von 4000 Franken einzuführen. Nach teilweiser Zustimmung in ersten Umfragen wurde die Initiative dann aber klar abgelehnt.

Wie gewichten wir die Armut?

Der Staat solle in Sachen Lohn nichts vorschreiben, war eines der Gegenargumente. Und mit einem definierten Mindestlohn würden Anreize geschaffen, welche die Schweiz für ausländische Arbeitnehmende attraktiver machen würde. Es ist bedenklich, wenn solche Argumente wichtiger sind als die Armut, in der viele Familien leben müssen. Nach dem Bundesamt für Statistik1 war im Jahr 2014 nämlich jedes 20. Kind in der Schweiz von Einkommensarmut betroffen und jedes sechste Kind armutsgefährdet.

Arbeitsplätze verlieren oder gewinnen?

Ein weiterer Grund für die Ablehnung der Initiative war auch die Angst vor dem Verlust von Arbeitsplätzen. Dies ist einerseits verständlich und wurde von der Gegenseite im Abstimmungskampf auch intensiv bewirtschaftet. Vermutlich war das einer der Hauptgründe, dass schliesslich eine klare Ablehnung zustande kam.

Doch bei näherem Hinsehen entpuppt sich das Arbeitsplatz-Argument als falsch: In Grossbritannien wurde 1999 ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt, der auch jährlich erhöht wurde. Wissenschaftliche Untersuchungen2 zeigten, dass dadurch insgesamt keine Arbeitsplätze vernichtet, sondern tendenziell eher mehr geschaffen wurden. Dies deshalb, weil wenig Verdienende das zusätzliche Geld nicht horten können, sondern meist grad wieder vor Ort ausgeben. Auch in den USA3 wurden ähnliche Erfahrungen gemacht.

Die Wirtschaft für alle fördern

Inzwischen haben in der Schweiz bereits fünf Kantone Mindestlöhne eingeführt: Jura, Neuenburg, Tessin, Genf und Basel-Stadt. Die Erfahrungen zeigen, dass dies positive Auswirkungen hatte. Arbeitsplatzverluste sind bisher nicht bekannt geworden.

Fazit: Es ist auch in der Schweiz möglich, würdige und zum Leben ausreichende Löhne zu bezahlen, wie es der biblischen Gesinnung entspricht.Das Thema muss deshalb auch politisch wieder auf den Tisch kommen. Eine Wirtschaftsförderung ohne Umverteilungsmassnahmen hat noch nirgends in den Industrieländern dazu geführt, dass es den Armen besser geht. Deshalb: Lasst uns das tun, was wirtschaftlich möglich ist und auch für die Schwächsten Sinn macht.


1 https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home.assetdetail.1320142.html

2 https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-grossbritannien-loehne-und-jobs-stabilisiert-10342.htm

3 https://www.letemps.ch/economie/six-enseignements-salaire-minimum

Dieser Beitrag ist erstmals im «Forum Integriertes Christsein» erschienen: https://www.insist-consulting.ch/forum-integriertes-christsein/22-3-5-arbeit-mindestloehne-sind-christlich-und-moeglich.html

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Warum wir für das Mediengesetz ein Ja einlegen – wenn auch kein enthusiastisches.

Eine gesunde Medienlandschaft, sprich eine Bandbreite von unabhängigen und vielfältigen Verlagen mit gut ausgebildeten Journalistinnen und Journalisten, ist essentiell für eine Demokratie wie die Schweiz. Denn es muss eine öffentliche Diskussion über politische Themen stattfinden, damit alle gehört werden und gemeinsame Lösungen gefunden werden können. Nur so kann das Beste für alle unsere Nächsten gefunden werden. Gleichzeitig kann auch nur so Wahrheit ertastet werden. Oder wie das Online-Magazin Republik es treffend formulierte: «Die grösste Leistung eines gesunden Mediensystems ist gerade das, was viele ihm vorwerfen: die Herstellung eines Mainstreams. Was heisst: ein Set an gemeinsamen Fakten, Werten und Benimmregeln, über die man sich dann streiten kann. Zerbricht der Mainstream, streitet man sich nicht mehr über verschiedene Interpretationen der Wirklichkeit, man lebt in verschiedenen Wirklichkeiten.»

Facebook ist kein Ersatz für eine Nachrichtenredaktion

Wer sich vorwiegend in den sozialen Medien informiert, läuft schnell Gefahr, in seiner eigenen Wirklichkeit (auch Bubble genannt) stecken zu bleiben. Denn die täglich konsumierten «News», die einem im Feed von Facebook, Twitter und Co angezeigt werden, sind nicht dieselben Inhalte, die auch den Nachbarn und anderen Landsleuten angezeigt werden. Sie werden vom Algorithmus eines Grosskonzerns für jeden User individuell zusammengestellt. Es befindet keine lokale Redaktion darüber, was relevant ist, sondern die Programmierer eines Unternehmens, das mit Werbeeinnahmen zu seiner Grösse heranwuchs und weiterhin davon abhängig ist. Allerdings kann man auch beim Konsum eines (immer demselben) anderen Mediums in eine Blase geraten.

Macht der Medien muss verteilt bleiben

Wenn die zahlreichen unabhängigen Medien weiter von den wenigen Big Players übernommen oder quasi als Spielzeug von Milliardären aufgekauft werden, erweisen wir unserem demokratischen System ebenfalls einen Bärendienst. Dann unterliegt die Meinungsbildung den Interessen der Konzerne und derer Aktionäre, sowie den Interessen der Einzelbesitzer. Abweichende Meinungen oder Kritik an gewissen Mächten und an Besitzverhältnissen ist dann nicht mehr möglich. Was es heisst, wenn Medien und damit die Meinungsbildung in den Händen weniger liegt, wird in immer mehr Ländern klar: In unser Bewusstsein getreten ist das Problem mit Medienmagnaten wie Rupert Murdoch, der in Grossbritannien Margaret Thatcher zum Durchbruch verhalf, dann auch Silvio Berlusconis Medienimperium (resp. Quasi-Monopol) in Italien, den Medienhäusern in Osteuropa und nun auch den immer grösseren Medienkonzernen in Westeuropa. Auch in Lateinamerika sind die Medien zum grossen Teil in den Händen der konservativen Oberschicht. So wird die demokratische Meinungsbildung verzerrt und erhalten Einzelinteressen die Macht, das Denken der Bevölkerung in eine bestimmte Richtung zu lenken oder kritische Meinungen und Minderheiten zu unterdrücken.

Abhängigkeit von privaten Geldern minimieren

Die Situation ist auch für die hiesige Demokratie problematisch: Eine Studie der Uni Zürich hat gezeigt, dass die Schweizer Medienkonzerne bei der Konzernverantwortungsinitiative viel mehr Artikel gegen als für die Initiative publiziert haben. Es ist naheliegend, dass die Medienhäuser ihre zahlungskräftigen Inserenten, die von der Annahme der Initiative betroffen gewesen wären, nicht gegen sich aufbringen wollten. So stellt sich die Frage, ob in Zukunft Initiativen, die wirtschaftliche Interessen von Konzernen bedrohen, überhaupt eine Chance haben werden. Staatliche Subventionen können durchaus dazu dienen, solche Abhängigkeiten zu minimieren.

Das zurzeit Bestmögliche

Nun wurde über Jahre an einer Subventionslösung gewerkelt, unzählige Interessengruppen haben die Arbeit beeinflusst, die Vorschläge wurden hin und her gereicht, bis schliesslich das herauskam, was uns jetzt als Mediengesetz vorgelegt wird und worüber wir im Februar abstimmen werden. Nun soll die Schweizer Presse jährlich mit 180 Millionen Franken unterstützt werden (zumindest für die nächsten sieben Jahre), statt wie bisher mit 50 Millionen. Kleine Onlinemedien erhalten 30 Millionen, die Grossen bekommen einen Grossteil der 70 Millionen, die für die Zustellung bestimmt sind, und Keystone-SDA, die Journalistenschule, der Presserat etc. erhalten weitere 30 Millionen. So richtig begeistert ist vom Endprodukt niemand – das haben Kompromisse so an sich. Eigentlich sollten vor allem kleine und unabhängige Medien finanziert werden. Das Schweizer Parlament hat es allerdings so an sich, dass Wirtschaftslobbies und Konzerne stark Einfluss nehmen können. Wohl auch deshalb, weil die Parteifinanzierung nicht transparent ist – eine Verzerrung der Gesetzgebung, die im Ausland schon längst angegangen wurde. So ist das vorliegende Gesetz das Beste, was unter unseren nicht bereinigten Umständen möglich ist, auch wenn es stossend ist, dass grosse Medienhäuser noch mehr Geld erhalten. Aber wenn es abgelehnt wird, dann wird in naher Zukunft auch kein besseres Gesetz möglich sein. Und damit wird die Machtkonzentration in der Meinungsbildung weitergehen.

Unser besonderes Anliegen ist, dass im öffentlichen Diskurs nicht nur die Lauten, sondern auch Minderheiten, wirtschaftlich Schwache und andere marginalisierte Gruppen Gehör finden. Es stellt sich also die Frage, ob das neue Mediengesetz dieses Anliegen fördert oder behindert. Wir denken, dass das neue Gesetz dieses Ziel erreicht. Mehr oder weniger.

https://www.republik.ch/2022/01/05/mediengesetz/befragung


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Weshalb sich insbesondere Christinnen und Christen für die Pflege stark machen sollten.

Nicht bloss ein strenger Job wie viele andere auch

Meine Mutter war ihr Leben lang Pflegefachfrau. Nur während der Zeit, als sie mich und meine drei Geschwister aufzog, unterbrach sie ihre Berufstätigkeit. Personalmangel und Zeitdruck führten während ihrer Laufbahn zunehmend zu Stress, Überlastung und zu einer unbefriedigenden Pflegequalität. Bald suchte meine Mutter Arbeitsstellen in Altersheimen, wo der Druck etwas weniger ausgeprägt war. Später ging sie so weit, nur noch Nachtdienste zu übernehmen, um der drohenden Überlastung, Erschöpfung und Frustration auszuweichen. Schliesslich, wenige Monate vor ihrer Pensionierung, war sie körperlich und mental so erschöpft, dass sie keinen anderen Ausweg sah, als die Frühpensionierung zu beantragen. Die Kraft fehlte, um sich krankschreiben zu lassen und die Konfrontation mit Arbeitgeber und möglichen ärztlichen Gutachtern hinzunehmen. Der Preis ist eine Rentenkürzung bis an ihr Lebensende.

Pflegenotstand ist unbestritten

Als die Pflegeinitiative 2017 vom Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner SBK eingereicht wurde, war der Pflegenotstand teils umstritten. Es wurde diskutiert, ob der Personalmangel in der Pflege einer politischen Intervention bedarf. Heute, nach bald zwei Jahren Pandemie, behauptet niemand mehr, dass sich der Arbeitsmarkt der Pflege von selbst wieder einrenken wird. Zu offensichtlich wurde der Fachkräftemangel und die Überlastung der Pflegerinnen und Pfleger . Die einzige Frage, die übrig geblieben ist, ist die Frage nach dem Wie. Wie soll der Pflegenotstand behoben werden? Sind die Forderungen aus dem Initiativtext angemessen oder reicht der Gegenvorschlag des Parlaments?

Wie sollen die Bedingungen verbessert werden?

Der Gegenvorschlag nimmt nur eine von drei geforderten Verbesserungen auf: Mit einer Ausbildungsoffensive sollen mehr Personen in die Pflegeberufe geholt werden. Dies wird jedoch nicht viel nützen, wenn nicht auch das Problem der frühzeitigen Berufsaustritte angegangen wird: Ein Drittel aller Aussteigerinnen und Aussteiger ist jünger als 35 Jahre. Um diese Personen künftig nicht mehr zu verlieren verlangt die Pflegeinitiative, dass nebst den Löhnen auch der Betreuungsschlüssel (Anzahl Patienten pro Pflegende) verbessert wird. Dies soll durch eine angemessene Abgeltung der Pflegeleistungen erreicht werden. Zudem sollen die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten verbessert werden (heute gibt es beispielsweise keinen Weg, der von der Pflegefachfrau zur Ärztin führt).

Nicht auf Kosten schwächerer Nachbarstaaten

Das Problem des mangelnden Pflegepersonals (heute sind weit über 10 000 Stellen unbesetzt, so viele wie in keinem anderen Beruf) ist aber noch viel grösser. Wegen der fortschreitenden Überalterung unserer Gesellschaft werden in den kommenden Jahren 70 000 Pflegende zusätzlich benötigt. Statt selber genügend Fachkräfte auszubilden, hat die Schweiz – wie so viele westliche Staaten – sich bei den Schwächsten bedient. Schon heute sind ein Drittel des Pflegepersonals in der Schweiz Ausländerinnen und Ausländer. Die reiche Schweiz lässt ärmere Staaten – vorwiegend aus der EU – die Ausbildungskosten für Pflegepersonal übernehmen und wirbt ihnen dann die Fachkräfte ab. Dies verschärft den ohnehin schon prekären Personalmangel in jenen Staaten.

Krankenpflege – eine Kernkompetenz Jesu

Für Christinnen und Christen drängen sich weitere unangenehme Fragen auf, denn Jesus Christus war und ist bekannt für seine Heilungen. Nicht bloss für die spektakulären, in der Öffentlichkeit vollzogenen Heilungen von Gelähmten und Blinden. Noch bemerkenswerter sind vielleicht jene Momente, wo er sich im Stillen fürsorglich den Geringgeachteten zuwandte: als er der samaritanischen Frau am Jakobsbrunnen begegnete, seinen Jüngern die Füsse wusch oder das Gleichnis des barmherzigen Samariters erzählte. Dies hat seine Nachfolgerinnen und Nachfolger bis in die heutige Zeit geprägt. So ist es nicht erstaunlich, dass die Geschichte der Krankenpflege bei uns im Westen unzertrennlich mit der Kirchengeschichte verflochten ist.

Und eine Kernkompetenz der Kirche?

Angesichts dieser Umstände bin ich etwas beschämt, dass wir Christinnen und Christen nicht schon viel früher für eine starke Pflege aufgestanden sind. Womit waren wir so beschäftigt, dass wir die Not der Pflegenden und Kranken kaum wahrgenommen haben? Oder ist uns die Nähe zur Pflege schon viel früher abhanden gekommen? Was geschah damals, als wir die Krankenpflege an den Staat und an professionelle Leistungserbringer delegierten? Haben wir damit auch unsere Verantwortung als Jesus-Nachfolgerinnen und -Nachfolger gegenüber den Kranken abgegeben? Wenn dem so ist, dann ist jetzt eine gute Gelegenheit, unsere
Verantwortung neu wahrzunehmen und uns für die Pflegenden und die Patientinnen und Patienten einzusetzen: mit einem Ja am 28. November 2021 und mit unserem Rückhalt und unserer Fürsorge darüber hinaus.


Quellen:

Initiativtext: https://www.pflegeinitiative.ch/media/files/2021/09/2021-06-07-def-Initiativtext-d.pdf

Argumentarium: https://www.pflegeinitiative.ch/media/files/2021/10/2021-10-06_Ausgangslage-Argumentarium_qa8A9Fc.pdf

Gegenvorschlag inkl. Gegenüberstellung: https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/berufe-im-gesundheitswesen/gesundheitsberufedertertiaerstufe/vipflegeinitiative/vi-pflegeinitiative-gegenvorschlag.html

Umfrage Pflegepersonal: https://www.unia.ch/de/arbeitswelt/von-a-z/dienstleistungsberufe/pflege-betreuung/resultate-pflegeumfragen

OBSAN-Studie zu den Berufsaustritten: https://www.obsan.admin.ch/de/publikationen/2016-berufsaustritte-von-gesundheitspersonal

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Als Gesellschaft vertrauen wir den etwa 90’000 Pflegefachpersonen (davon fast 90% Frauen) und den insgesamt etwa 200’000 Menschen, die in der Schweiz in der Pflege arbeiten, einen Auftrag an: Sie sollen sich um kranke, verletzliche, verunfallte, neugeborene und sterbende Mitmenschen (und oftmals auch um deren Angehörigen und Umfeld) kümmern, sie betreuen und für sie da sein. Es geht nicht darum, diese ihre Patient:innen instand zu halten, zu reparieren, um sie möglichst bald und möglichst ganz in den Wirtschaftskreislauf von Produktion und Konsum zu integrieren, sondern um ein Gebot der jedem Menschen inne wohnenden und ihm zukommenden Würde. Deshalb kollidieren Rücksichten auf Rentabilität und Profit frontal mit dem beruflichen Selbstverständnis und mit dem Ethikkodex der Pflegenden. Im edelsten Sinn steht für sie der Mensch in seiner Ganzheit und Ganzheitlichkeit im Mittelpunkt.

Der Pflegenotstand kostet Menschenleben

Aktuell versetzen wir die Pflegenden in ein Dilemma, das dazu führt, das viele – sehr viele – ihren Beruf vorzeitig verlassen, erschöpft, frustriert, resigniert. Denn: wir enthalten ihnen die Mittel vor, ihren Auftrag korrekt und wie sie es gelernt haben zu erfüllen. Aufgrund des ständigen und künstlich erzeugten Spardrucks auf die Betriebe der Gesundheitsversorgung (Spitäler, Kliniken, Heime, Spitexorganisationen) fehlen diesen die Mittel, genügend Pflegepersonal anzustellen und ihm anständige Arbeitsbedingungen anzubieten. Das ist im eigentlichen Wortsinn kriminell, denn: es ist wissenschaftlich hinlänglich erwiesen (und abgesehen davon intuitiv naheliegend), dass ein Mangel an gut ausgebildetem Pflegepersonal vermeidbare Todesfälle (mehrere hundert pro Jahr – ein Flugzeugabsturz auf Raten), vermeidbare Komplikationen und damit an sich unnötige und kostspielige Spitaleinweisungen und Behandlungen verursacht. Wie bringt es doch die US-Amerikanische Pflegejournalistin Suzanne Gordon auf den Punkt: «Nurses save lives and save money». Unser Gesundheitswesen untersteht nicht mehr dem Gebot der Barmherzigkeit, der dem Begriff des «Service public» zugrunde liegt, sondern ist dem Mammon hörig: gespart wird bei denen, die die eigentliche Arbeit leisten (die Kosten der Pflege betragen keine 15% der Gesamtkosten des Gesundheitswesens), und mit vollen Händen dort ausgegeben, wo wiederum viel Geld verdient werden kann.

Damit macht sich unsere Gesellschaft – machen wir uns alle – den pflegebedürftigen und den sie pflegenden Menschen gegenüber schuldig.

Nicht nur ausbilden, sondern menschenwürdige Pflege ermöglichen

Jahrelange Bemühungen seitens des Berufsverbandes der Pflege und seiner Verbündeten haben das Parlament nicht dazu bringen können, wirksame Massnahmen gegen den Pflegenotstand zu ergreifen. Das Pflegepersonal legt seine einzige und letzte Hoffnung in die 2017 innert Rekordzeit zustande gekommene Volksinitiative „Für eine starke Pflege“. Im Gegensatz zum indirekten (taktischen) Gegenvorschlag des Parlaments, der sich stur mit einer Ausbildungsoffensive begnügt, packt die Initiative das Problem an der Wurzel: Ja, wir müssen unbedingt mehr als die aktuell 43% des benötigten Pflegefachpersonals ausbilden. Aber es bringt nichts, Abermillionen in die Ausbildung zu pumpen, wenn nicht gleichzeitig die Arbeitsbedingungen verbessert werden, weil sonst die für teures Geld neu Ausgebildeten den Beruf weiterhin in Scharen nach nur wenigen Jahren verlassen. Oder, wie es Nationalrätin Flavia Wasserfallen in der Arena ausdrückte, es ist, wie wenn man versuchen würde, einen Fahrradreifen aufzupumpen, ohne das Loch zu flicken.

https://www.pflegeinitiative.ch

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Der zentrale Vektor einer christlichen Politik muss es sein, das Wohlergehen der Schwächsten an die erste Stelle zu setzen. Die Steuersenkungen der letzten 25 Jahre, die hauptsächlich den Wohlhabenden zu Gute kamen, haben aber die Mittel für die Schwächsten verringert. So wurden unter anderem für Krankenkassenbeihilfen, IV-Eingliederungsstätten, Suchthilfe etc. abgebaut. Umgekehrt besitzen die reichsten 1% der Schweizer Bevölkerung immer mehr vom Gesamtvermögen, heute nämlich 43 %. Der Vermögenszuwachs kommt oft durch Kapitalgewinne zu Stande. So ist es legitim, dass Kapitalgewinne besteuert werden sollen. Oder haben wir wirklich das Gefühl, diese Opfer wären noch grösser als für die Schwächsten? Es braucht mehr Mittel für die Nächstenliebe. Denn auf Grund der Corona-Pandemie sind die öffentlichen Kassen leer, und die nächsten Sparprogramme stehen vor der Tür.

Zusammen mit der Gottesliebe ist die Nächstenliebe das höchste Gesetz in der Bibel. Nächstenliebe heisst, das Wohl des Nächsten genauso hoch zu achten wie das Unsere. Dabei haben die schwächsten Glieder der Gesellschaft unser grösstes Augenmerk nötig, wie die Bibel an hunderten von Stellen eindrücklich darlegt (siehe https://christnet.ch/de/unser-umgang-mit-den-schwachen/ ). Denn alle Geschöpfe Gottes sind seine Kinder, und wir sollten sie als solche behandeln. Das bedeutet auch, genügend zu Teilen, damit ihrem Mangel abgeholfen wird (z.B. 5. Mose 15.7-8).

Die tiefen Löhne haben in den letzten 20 Jahren stagniert. Und der der Medianlohn, also der mittlere Lohn der Angestellten, ist in den letzten 25 Jahren insgesamt nur um 1 % gestiegen, trotz eines realen Wirtschaftswachstums von 30 % im selben Zeitraum.

Gleichzeitig sind in den letzten 25 Jahren die Steuern für Reiche in allen Kantonen gesenkt worden, und auf Bundesebene z.B. durch die Senkung der Dividendenbesteuerung ebenfalls. In allen Kantonen und auch beim Bund sind dadurch Löcher in der Kasse entstanden. Als Sparmassnahme wurden dann die Krankenkassenbeiträge, die Wohnbeihilfen und die Ergänzungsleistungen gesenkt, sowie die Eingliederung von Arbeitslosen und IV-Bezügern geschwächt. Zudem wurden bei Schulen, Berufsberatung, Suchtberatung und ÖV Milliardenbeträge gespart und Spitäler geschlossen https://christnet.ch/de/die-steuerkrise/#fn-2462-8) . So sind die ärmsten Haushalte, darunter überdurchschnittlich viele betroffene Kinder, noch mehr unter Druck gekommen.

Zur Rechtfertigung der Steuersenkungen wurde argumentiert, dadurch würde die Wirtschaft angekurbelt und Arbeitsplätze sowie höhere Löhne für die Armen generiert («trickle down»). Doch dies ist gescheitert: Die Armen haben auch nicht bessere Arbeitsplatzchancen: Die Arbeitslosigkeit ist nicht zurückgegangen, einzig in den offiziellen Zahlen. Denn die ausgesteuerten Arbeitslosen finden sich heute einfach in der Sozialhilfe wieder. Und die tieferen Löhne, ja gar der Medianlohn haben auch nicht zugenommen, sowohl in den USA wie in der Schweiz, trotz riesigem Wirtschaftswachstum. Das System ist so nicht zielführend. Die steigende Kluft zwischen arm und reich in der Welt hat Oxfam in einem Bericht gut dargestellt, und gar das WEF in Davos nahm das Thema auf.

Aber warum reagiert die Bevölkerung nicht? Der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz beschreibt dieses Phänomen in seinem Werk «Der Preis der Ungleichheit» dargestellt: Die meisten Menschen sind gar nicht über das Ausmass der Ungleichheiten informiert, und diejenigen, die die aktuelle Entwicklung nicht ändern wollen haben die grössere Marketingkraft auf ihrer Seite. Dies lässt sich auch gut in der aktuellen Abstimmung sehen.

Es braucht also dringend mehr Steuereinnahmen, um die Schwächsten zu stützen und ihnen die Chancen zur Eingliederung zu geben. Zudem lässt sich absehen, dass die öffentliche Hand auf Grund der Coronapandemie weitere Sparübungen machen muss. Doch wir können nicht sagen, wir hätten kein Geld, um die Leistungen und die Gerechtigkeit für die Ärmsten zu finanzieren. Beispielsweise ist jeder zweite Neuwagen in der Schweiz ein SUV. Wir können also nicht im Ernst sagen, es ist kein Geld da, oder es sei unzumutbar, etwas mehr zu teilen. Die Initiative fordert nur, einen Teil des vergangenen Steuerabbaus rückgängig zu machen, und zwar nur bei denjenigen, bei denen es kaum schmerzt. Hier müssen wir die Verhältnismässigkeit im Auge behalten: Schmerzt es mehr, nur noch 25’000 statt 30’000 Franken pro Monat zur freien Verfügung zu haben oder aber, nicht genügend Geld für die Kleider und das Schulmaterial der Kinder zu haben?

Jetzt haben wir die Chance, viel für die Schwächsten zu tun. Was spricht denn dagegen?

  • «Die Reichen zahlen heute schon die Mehrheit der Steuern».
    Ja, das stimmt, aber das spiegelt vor allem die enormen Ungleichheiten bei Einkommen und Vermögen. Und schliesslich geht es um die Einzelnen: Ist es vom Überfluss oder vom Lebensnotwendigen? Dies erinnert an das Scherflein der alten Witwe (Lukas 21): In den Augen Jesu gab sie mehr als die Reichen.
  • «Die Schweiz hat schon eine starke Umverteilung im Vergleich zum Ausland».
    Nein, die Steuerquote beispielsweise ist im internationalen Vergleich eine der tiefsten. Nach den Zahlen der OECD sind die SchweizerInnen diejenigen unter den Industrieländern, den grössten Anteil an Gesundheitskosten selber bezahlen müssen. Und schliesslich hat eine Studie im Auftrag der Eidgenössischen Steuerverwaltung bereits im 2004 festgestellt, dass wegen den Steuersenkungen für die Reichen und den Gebührenerhöhungen für alle in der Schweiz praktisch schon ein Flat Tax-Steuersytem herrscht: Alle bezahlen prozentual ähnlich viel Steuern vom Einkommen: https://www.ecoplan.ch/download/wel_hb_de.pdf
  • «Die geforderte Steuererhöhung macht die KMU und damit Arbeitsplätze kaputt»
    Nein, es geht hier um die grössten Vermögen und Einkommen und damit kaum um Arbeitsplätze. Im Gegenteil, Steuereinnahmen sichern auch Arbeitsplätze: Umverteilung an die Ärmsten geht direkt in den Konsum des Notwendigsten und schafft damit Jobs! Gerade Joseph Stiglitz hat nachgewiesen, dass ein hohes Gefälle zwischen arm und reich Arbeitsplätze zerstört.
  • «Faustdicker Juso-Schwindel»
    Eigentlich ist es schade, dass die Initiative von der Juso kommt. Denn es ist ein einfacher (wenn auch unehrlich), eine kleine Gruppierung am Rande des politischen Spektrums zu verleumden, statt sich den Inhalten zu stellen. Hier müssen wir die sachliche Diskussion einfordern! Dass Steuererhöhungen für die Wohlhabendsten ansonsten möglich sind, hat gerade der Kanton Schwyz vorgemacht, als die Regierung selber eine zusätzliche Steuerstufe für die Reichsten an der Urne durchgebracht hat.
  • «Wir dürfen nicht das Geld der anderen ausgeben, das durch ihre Leistung verdient worden ist».
    Die eigene Leistung hat oft zum Reichtum beigetragen. Doch die meisten Menschen leisten alles, was sie können und viele haben trotzdem wenig zum Leben. Gott hat offensichtlich die in Lohn umsetzbaren Gaben ungleich verteilt. Deshalb sind alle zum Teilen aufgefordert worden. Denn das Wirtschaftssystem, wie es demokratisch angelegt worden ist, belohnt vor allem den Marktwert der Gaben und die Leistungsfähigkeit. Dies bedingt aber auch eine Solidarität mit den Anderen. Sonst verliert das System die Gerechtigkeit.

Titelbild: Ausriss des Plakats der Kampagne

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Die aktuelle Pandemie bringt auch für die Wirtschaft einen großen Umbruch mit sich. Wie üblich, wenn sich eine Wirtschaftskrise entfaltet, sind es oft die kleinen und mittleren Unternehmen und Selbstständigen (KMU), die den Kürzeren ziehen. Große Unternehmen können aufgrund ihres wirtschaftlichen Gewichts viel leichter Hilfen beantragen und begründen, warum diese wichtig sind, indem sie die Anzahl der Entlassungen darlegen, die ein Ausbleiben der Hilfe verursachen würde.

Der schlecht geschützte Wert von KMU

Es ist jedoch klar, dass der Reichtum eines Landes nicht allein von großen Unternehmen stammt. Oftmals benötigen diese einen Nährboden aus KMU, um sich gut entwickeln zu können. Und umgekehrt profitieren auch die KMU, wenn sie für große Unternehmen arbeiten können. So läuft die Wirtschaft. Doch die Zunahme von Krisen, die Bedeutung von too big to fail (zu groß zum Scheitern), die große Unternehmen begünstigen, die zahlreichen Abkommen zwischen großen Unternehmen und dem Staat, die großunternehmensfreundliche Gesetzgebung und die verspäteten Zahlungen beeinträchtigen die Dynamik der KMU. Frankreich ist davon nicht ausgenommen: Es gibt etwa 3,8 Millionen KMU, die 6,3 Millionen Arbeitnehmer beschäftigen und 43% der Wertschöpfung erwirtschaften. Sie sind für die Wirtschaft sehr wichtig, da sie eine immense Vielfalt an Waren und Dienstleistungen bereitstellen.

Es ist sogar so, dass einige der vorgeschlagenen oder angewandten Maßnahmen zur Regulierung des Kapitalismus nicht nur große Unternehmen behindern, sondern vor allem die KMU, die nicht über eine ausreichend starke Stimme verfügen, um sich zu verteidigen. Zusätzliche Regulierungen sind in großen Unternehmen leichter umzusetzen, da die anfallenden Kosten im Verhältnis zum Umsatz geringer sind. Sie verfügen oft über eine starke Rechtsabteilung. Letztendlich wird der Unternehmergeist durch schwerfällige Bürokratie untergraben. Die Großen werden begünstigt und die Kleinen vergessen.

Schäden durch Monopole

Was auf wirtschaftlicher Ebene geschieht, ist auch das, was die Bibel kritisiert. Im Verhalten der Menschen ist meist das Großartige erwähnenswert: Häuptlinge, große Gebäude, große menschliche Unternehmen und Moden. Die Wirtschaftstheorie beklagt ihrerseits Situationen, in denen Unternehmen zu Monopolen werden. Häufig häufen sich die Missbräuche bei der Preisfestsetzung zum Vorteil des Monopolinhabers.

Schon im Alten Testament zeigten die Propheten mit dem Finger auf die Reichen, die sich im Übermaß Land und Häuser aneigneten (Jesaja 5,8). Im Neuen Testament ist es ähnlich, da die Anhäufung von Reichtum streng verurteilt wird, vor allem wenn die Armen ausgebeutet werden (Jakobus 5,1-6). Christen werden aufgefordert, keine Bevorzugung von Personen aus unterschiedlichen sozialen Schichten zuzulassen oder Arme zu missbrauchen (Jakobus 2,1-9), sich in Einfachheit zu begnügen und großzügig zu sein (1. Timotheus 6,17-19). Wäre das auch in der Wirtschaft so, wo die Größten bevorzugt werden? Als Christen sind wir dazu aufgerufen, das von Christus eingeleitete Reich der Gerechtigkeit und des Friedens zu bezeugen. Das betrifft auch unseren Konsum: Sollten wir nicht aufhören, zu Monopolen beizutragen, die die Kleinen erdrücken, und stattdessen lokalere Waren und Dienstleistungen bevorzugen, die kleine und mittlere Unternehmen und eine Wirtschaft fördern, die alle respektiert?


Tribune erschienen unter der Rubrik „Regards“ in Christ Seul (Monatszeitschrift der evangelischen Mennoniten-Kirchen in Frankreich), Nr. 1114, Dezember 2020, www.editions-mennonites.fr.

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