Herausforderungen für die freikirchlichen Christen

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Herausforderungen für die freikirchlichen Christen

 

Viele Freikirchen sind eher apolitisch. Politik und gesellschaftliches Engagement wird aus verschiedenen Gründen vernachlässigt:

 

 

  • Es herrscht die Idee vor, die Welt gehe sowieso bald zugrunde, warum also sich noch um Politik, Gesellschaft und Veränderungen kümmern? Schon immer glaubten die Christen, das Weltende sei nahe. Die zunehmende weltweite Verunsicherung durch die kulturellen Veränderungen verstärken natürlich die Ängste. Doch auch wenn das Weltende durch die Erfüllung verschiedener biblischer Prophetien näher gekommen ist, so haben wir keinen Grund, einfach anzunehmen, das Weltende stehe vor der Tür. Wir glauben, dass es uns nicht zusteht, den Zeitpunkt des Weltendes zu kennen oder ihn zu interpretieren (Mat. 24.36: «Von jenem Tag aber und jener Stunde weiss niemand, auch nicht die Engel in den Himmeln, auch nicht der Sohn, sondern der Vater allein.»). Es steht auch geschrieben, dass Christus sehr plötzlich wiederkommt. Solange das Weltende also nicht da ist, solange sind wir aufgefordert, Gottes Wort ernst zu nehmen und uns für unsere Nächsten einzusetzen, sei es in Politik oder Gesellschaft.
  • Gewisse Kirchen lehren auch, wir seien nicht von dieser Welt. Dies stimmt zwar, aber die Bibel lehrt uns auch, dass wir IN dieser Welt sind (Joh. 17,14-19). Und sie lehrt uns auch, dass wir unseren Nächsten Gutes tun sollen, ob sie nun Christen sind oder nicht (vgl. z.B. die Geschichte des barmherzigen Samariters).
  • Wir kümmern uns oft nur um das eigene Seelenheil und nicht um unseren biblischen Auftrag der Nächstenliebe. Natürlich ist die Beziehung zu Gott zentral in unserem Glaubensleben, aber die Bibel lehrt uns auch, dass ein Glaube, der keine Werke hervorbringt, tot ist (Jak. 2,17).
  • Das gesellschaftliche Engagement hat sich bisher oft auf Diakonie beschränkt. Diakonie ist gut, aber Diakonie alleine genügt nicht. Allzu oft ist Diakonie nur ein Pflästerchen, ohne aber die Ursachen zu beheben. Wir sollten ungerechte Strukturen ändern statt nur den Opfern dieser Strukturen zu helfen.
  • Das politische Engagement von Freikirchen hat sich bisher oft auf moralische Themen wie Abtreibung, Homosexalität etc. beschränkt. Die Bibel fordert uns aber auf, weiter zu gehen und das Wohl des Nächsten umfassend zu suchen. Gewisse kirchliche Kreise lehnen dies ab, indem sie Theorien des Wohlstandsevangeliums vorschieben. Demnach brauche man nur richtig zu glauben, und man werde materiell gesegnet. Möglicherweise sind hier noch calvinistische Prädestinationstheorien in den Köpfen, nach denen wir durch unseren Arbeitserfolg sehen, ob wir errettet sind oder nicht. Natürlich verspricht uns Gott Segen, aber die Idee, man brauche deshalb keine soziale Gerechtigkeit und keine Unterstützung der Schwachen, steht voll im Widerspruch zur biblischen Lehre. Schon im alten Testament klagen die Propheten über das Volk Israel, über die Bedrängung und das Elend der Armen und Schwachen wegen der Hartherzigkeit der Israeliten. In Matthäus 25 erklärt Jesus, wonach gerichtet werden wird: die Solidarität mit den Armen, Schwachen, Gefangenen usw. Nicht umsonst haben die Urchristen alles geteilt (Apg. 4,32).

 

Die Freikirchen stehen heute vor verschiedenen Herausforderungen

 

Über moralische Themen hinaus denken:

Das Engagement für moralische Themen ist gut, aber es genügt nicht. Ebenso haben wir den Auftrag, uns für Gerechtigkeit und für die Schwachen einzusetzen: « Schaffet Recht dem Geringen und der Waise, dem Elenden und dem Bedürftigen lasst Gerechtigkeit widerfahren » (Ps. 82,3.4) und « Öffne Deinen Mund für die Stummen, für den Rechtsanspruch aller Schwachen . » (Spr. 31,8.9)

 

Gerechte Strukturen statt nur Diakonie:

Aus dem oben Gesagten ist auch ersichtlich, dass es nicht genügt, in diakonischem Engagement Wunden zu pflegen, sondern dass auf politischer und gesetzlicher Ebene die Ursachen bekämpft werden müssen. Dies kann zum Beispiel heissen:

  • Mehr Teilen: Ist es normal, dass Leute mit vollem Arbeitseinsatz nicht von ihrem Lohn leben können?
  • Arbeit für Schwache und soziale Sicherheit: Ist es normal, dass Leute, die von keiner Firma engagiert werden, weil sie zu wenig Fähigkeiten haben oder psychisch/körperlich angeschlagen sind, in Armut leben müssen?
  • Chancengleichheit: Ist es normal, dass die Chancengleichheit in der Bildung durch Privatisierungen und Abbau von Stipendien für Kinder einkommensschwacher Eltern mehr und mehr zerstört wird und gewisse Kreise dann behaupten, jeder könne alles selber erreichen?
  • Macht: Ist es normal, dass Kreise, die viel Geld haben, über Abstimmungs- und Wahlwerbung, über Besitz von Medien und über Lobbying in Parlament und Kommissionen viel mehr Einfluss in der Politik und in der Gesetzgebung haben als die « Geringen und Elenden »?

 

Vorurteile hinterfragen:

  • ?Die Ausländer werden bevorzugt, und die Schweizer sind die ?Neger??: Ausländer haben im Durchschnitt ein viel tieferes Bildungsniveau, wodurch sie durch Arbeitslosigkeit und nachfolgende Fürsorgeabhängigkeit auch überdurchschnittlich getroffen werden. Das Vorurteil, die Ausländer nützen uns aus, ist schlicht nicht haltbar.
  • ?Die Ausländer sind krimineller als die Schweizer?: Insgesamt sind Ausländer zwar überdurchschnittlich an der Gesamtzahl der Straftaten beteiligt. Bei detaillierter Berechnung wird aber klar, dass dies nur deshalb der Fall ist, weil unter den Ausländern der Anteil von jungen Männern viel höher ist als unter den Schweizern. Kriminalität geht in allen Kulturen vor allem auf das Konto junger Männer, weshalb es so aussieht, als seien die Ausländer besonders kriminell. Wenn man aber die Alterskategorien und die Geschlechter einzeln vergleicht, sind die Ausländer nicht krimineller als die Schweizer!
  • ?Die Leistungsempfänger werden durch den Sozialstaat entmündigt?: Auch hier müssen wir genauer hinschauen, denn es ist nicht damit getan, die Menschen ihrem Schicksal zu überlassen. Die Meisten der Arbeitslosen und Fürsorgeabhängigen finden tatsächlich keine Arbeit, und es ist gar nicht anders möglich, als sie zu unterstützen und ihnen ein würdiges Leben zu ermöglichen. Statt hier abzubauen, bräuchte es gar zusätzliche Bildungsunterstützung, um diese Menschen wieder zu integrieren.

Wir müssen also bereit werden, genauer hinzusehen und uns für die Menschen wirklich zu interessieren, bevor wir Urteile fällen. Es ist allzu leicht und angenehm, zu sagen, die Nächsten seien an ihrem Schicksal selber schuld, denn dies entlastet uns von unserer Verantwortung und vom Teilen?

 

Echte Unterstützung statt moralische Imperative:

Es genügt nicht, uns zum Beispiel gegen Abtreibung und Kriminalität, für Ehe und Familie, für Eigenverantwortung usw. auszusprechen. Wir müssen auch unseren Teil der Verantwortung übernehmen und diese Postulate überhaupt ermöglichen bzw. die betroffenen Leute dahingehend unterstützen:

  • Abtreibung: Wie setzen wir uns ein, dass Leute in finanziellen oder personellen Notlagen nicht abtreiben müssen? Gibt es flächendeckend finanzielle Beihilfen, psychologische Unterstützung und Kinderkrippen? Oder werden solche nötigen Schritte wieder von der Angst abgewürgt, dass gewisse Frauen dies missbrauchen könnten, um vaterlos Kinder aufzuziehen?
  • Kriminalität: Wie setzen wir uns ein, damit die Ursachen von Kriminalität (grosse soziale Differenzen, Dauerberieselung mit Werbung und gleichzeitiger Chancen- und Aussichtslosigkeit für gewisse Schichten) angegangen werden und nicht nur einfach die « Bösen » ins Gefängnis kommen (und dann wieder alles gut sein soll)?
  • Ehe und Familie: Neben aller Freude sind Kinder kostspielig und stürzen Familien in finanzielle Notlagen, vor allem dann, wenn nicht beide Partner arbeiten können. Wie setzen wir uns ein, damit die Löhne genügen, damit Familie überhaupt möglich wird? Es genügt nicht, die Steuern für Familien zu senken, vor allem dann, wenn es so gemacht wird, dass die einkommensschwachen Familien praktisch nichts davon haben, wie es das Parlament nun vorsieht (siehe Artikel dazu auf ChristNetOnline). Wie setzen wir uns ein, wenn die Arbeits- und Ladenöffnungszeiten völlig dereguliert werden und Familien dadurch auseinander gerissen werden?
  • Eigenverantwortung: Was tun wir dazu, um echte Chancengleichheit herzustellen und die Arbeitslosen und Fürsorgeabhängigen zu stärken?

 

Für die Schweiz, aber nicht auf Kosten der anderen Länder und Menschen:

Es ist ja schön, dass wir uns vornehmen, für unser Land zu beten und zu sorgen. Verfallen wir aber nicht der Annahme, dass alles, was für unser Land gut ist, auch vor Gott gut ist. Allzu oft haben wir die Tendenz, Gründe zu finden, dass allgemein gut ist, was für unser Land gut ist. Dies gilt es zu hinterfragen. So müssen wir uns ehrlich Gedanken machen z.B. über das Bankengeheimnis, Waffenexporte und die Tendenz, über Ungerechtigkeiten zu schweigen, damit Wirtschaftsbeziehungen nicht gefährdet werden.

 

Eigeninteressen:

Wir haben die natürliche Tendenz, Theorien, die für uns angenehm sind, eher zu glauben als unangenehme. Wir müssen uns deshalb bewusst werden, welche Eigeninteressen hinter unseren Ansichten stecken könnten. Sind wir bereit, auch gegen unsere eigenen Interessen zu stimmen? Und gegen die Vorteile und Interessen unserer Gemeinde, unseres Kantons oder unseres Landes gegenüber dem Nachbarn (z.B. im « Kampf um reiche Steuerzahler »)?

Achten wir beim Wählen und Abstimmen auch darauf, welche Interessen (meist finanzieller Art) hinter welchen Positionen stehen.

 

Alles dem Mammon?

Scott Mac Leods Prophetie « Missionare der Barmherzigkeit » (siehe Artikel auf ChristNetOnline) trifft unseres Erachtens ins Schwarze. Wir opfern persönlich und politisch den Interessen des Mammon zu viel, ohne es zu merken: unsere Werte, unsere Familien, unsere Sonntage, unsere Liebe und Solidarität. Geben wir der Macht des Mammons noch mehr Raum? Wir sind aufgefordert, uns entscheiden, wem wir dienen wollen, dem Mammon oder Gott. Wir haben die Chance, als Volk und Kirche von Söldnern des Mammons zu Söldnern der Barmherzigkeit zu werden.

 

Wir stehen vor grossen Herausforderungen. Aber Gott hilft uns dabei.


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Photo by Andy Holmes on Unsplash

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