Nein zum Atomwaffenverbot: Widerspruch zur humanitären Tradition?

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In diesem Jahr feiern wir das 75-jährige Jubiläum der Genfer Konventionen, die das Fundament des humanitären Völkerrechts bilden. Die Schweiz, stolz auf ihre Rolle als Hüterin dieser Konventionen, trägt eine besondere Verantwortung für den Schutz und die Förderung des humanitären Völkerrechts.

Doch wie vereinbart sich diese Verantwortung mit der Weigerung der Schweiz, dem Atomwaffenverbotsvertrag (Wikipedia) beizutreten? Ein Vertrag, der die unmenschlichen Folgen von Atomwaffen klar benennt und deren Einsatz sowie Androhung verbietet.

Atomwaffen widersprechen den Grundprinzipien des humanitären Völkerrechts: Sie töten wahllos, verletzen das Gebot der Verhältnismässigkeit, verursachen unsägliches Leid und nehmen Menschen das grundlegendste Recht auf Leben und Sicherheit. Kein Land der Welt wäre vor den katastrophalen humanitären Folgen eines Atomwaffeneinsatzes gefeit.

Auch aus christlicher Sicht ist der Einsatz von Atomwaffen schwer zu rechtfertigen. Diese Form der massiven Zerstörung steht im Widerspruch zu grundlegenden christlichen Prinzipien wie Nächstenliebe, Menschenwürde, Gerechtigkeit, Friedensförderung und Gewaltlosigkeit. Deshalb unterstützen viele Kirchen und internationale christliche Verbände den Atomwaffenverbotsvertrag, darunter der Ökumenische Rat der Kirchen und die katholische Kirche. Papst Franziskus hat dazu klar Stellung bezogen und spricht von einer „falschen Logik der Angst“, die dem Besitz solcher Waffen zugrunde liege. Für ihn ist nicht nur der Einsatz von Atomwaffen ein „Verbrechen“, sondern bereits ihr Besitz „unmoralisch“ 1 . Auch die Weltweite Evangelische Allianz befürwortet die Nichtverbreitung von Atomwaffen, doch herrscht keine Einigkeit über ein vollständiges Verbot.

Die Argumente der Befürworter von Atomwaffen basieren vor allem auf der Abschreckungstheorie: Der Besitz von Atomwaffen soll potenzielle Angreifer davon abhalten, einen Angriff zu starten. Ein genanntes Beispiel ist die Ukraine, die nach Ansicht einiger Analysten wohl nicht unter russischen Angriff geraten wäre, hätte sie Nukleararsenal 1994 nicht abgegeben. Diese militärische Strategie ist als Mutual Assured Destruction (MAD) bekannt und war auch ein Grund, warum es während des Kalten Krieges zu keiner direkten Konfrontation zwischen den Supermächten USA und UdSSR kam. In diesem Szenario würden Atomwaffen niemals eingesetzt werden müssen, weil niemand es wagen würde, einen Atomstaat anzugreifen.

Doch die Vorstellung, dass der Weltfrieden allein durch Abschreckung – also durch die Angst vor gegenseitiger Zerstörung – gesichert werden kann, halte ich für fragwürdig und instabil. Diese Strategie ist extrem riskant, da sie keinen Raum für Fehler lässt, deren Folgen katastrophal wären. Ich wünsche mir daher einen Frieden, der auf einer anderen Vision basiert: auf das Völkerrecht und auf gegenseitigem Respekt zwischen allen Völkern und Mitgliedern der menschlichen Familie – oder aus christlicher Perspektive: auf Nächstenliebe.

Doch die Vorstellung, dass der Weltfrieden allein durch Abschreckung – also durch die Angst vor gegenseitiger Zerstörung – gesichert werden kann, halte ich für fragwürdig und instabil.

Dass die Schweiz dem Atomwaffenverbotsvertrag nicht beigetreten ist, obwohl sie sich an den vorbereitenden Verhandlungen aktiv beteiligt hat, liegt wohl weniger daran, dass sie viel auf die Abschreckungstheorie gibt. Vielmehr sieht sie den Nutzen des Vertrags für die nukleare Abrüstung als ungewiss an. Ein Beitritt würde keinen konkreten Nutzen bringen und hätte aussen- und sicherheitspolitische Nachteile (siehe Bericht des Bundesrats). Diese Entscheidung ist reines realpolitisches Kalkül: Man möchte seine Verbündeten nicht unnötig verärgern.

Zwar ist es grundsätzlich sinnvoll, Bündnispartner nicht zu verärgern, doch sollte dies nicht gelten, wenn es um so grundlegende Fragen wie die nukleare Abrüstung geht. Es sollte uns egal sein, ob unsere Forderungen auf Zustimmung stossen oder nicht – wir sollten meiner Meinung nach Teil der globalen Bemühungen um ein Atomwaffenverbot sein. Gerade weil die Schweiz eine starke humanitäre Tradition hat, sollte sie hier als Vorbild vorangehen.

Die Entscheidung, dem Atomwaffenverbotsvertrag nicht beizutreten, stellt einen Bruch mit der humanitären Tradition der Schweiz dar und beschädigt unsere Glaubwürdigkeit als humanitäre Akteurin. Diese Tradition ist stark von christlichem Gedankengut geprägt. Ein herausragendes Beispiel dafür ist Henri Dunant, der Gründer des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (1863) und erster Sekretär der Genfer Sektion der Evangelischen Allianz. Dunant, ein tiefgläubiger Christ, war erschüttert vom Leid der Verwundeten nach der Schlacht von Solferino (1859). Seine religiösen Überzeugungen motivierten ihn, sich für humanitäre Hilfe einzusetzen und eine Organisation zu gründen, die in Konflikten neutral und unabhängig agiert, um allen Verwundeten Hilfe zu leisten. Diese Tradition prägt bis heute das humanitäre Engagement der Schweiz und sollte uns – und besonders auch die Christinnen und Christen – weiterhin inspirieren. Ein Beitritt zum Vertrag wäre ein klares Bekenntnis zu unserer humanitären Verantwortung und eine Fortsetzung unseres langjährigen Engagements für nukleare Abrüstung.

Ich fordere mit der Allianz für ein Atomwaffenverbot die Schweiz auf, ihrer humanitären Verantwortung gerecht zu werden. Denn wer, wenn nicht die Schweiz, sollte für die Einhaltung des humanitären Völkerrechts einstehen?

1. https://www.swissinfo.ch/ger/papst-nennt-atomwaffen-anschlag-auf-menschheit/45388980

Photo: Flickr Commons, Public Domain (Link)

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