Sonntag: der politische Hintergrund
Der Druck auf den arbeitsfreien Sonntag wächst. Dies einerseits aufgrund unseres veränderten Einkaufsverhaltens, andererseits auch infolge Profitdenken und mangelndem Respekt gegenüber der Familie und dem Privatleben der Arbeitnehmer. Ungeachtet verschiedener Volksentscheide gegen die Liberalisierung von Ladenöffnungszeiten verfolgen die Behörden eine sehr lasche Bewilligungspraxis. Die SBB eröffnen in den grösseren Städten unter dem Deckmantel des Reisebedarfes RailCities, die meist illegal als Shopping Centers mit Sonntagsöffnung funktionieren. Das Bundesgericht hat deshalb im Frühjahr 2002 entschieden, dass Läden mit einem für Reisebedarf zu weit gehenden Angebot (Kleiderläden, Möbelgeschäfte usw.) am Sonntag kein Personal beschäftigen dürfen. Das Seco, die für Sonntagsarbeit zuständige Bundesbehörde, hat daraufhin den betroffenen Betrieben eine Übergangsfrist bis zum 31.12.2004 gewährt.
Als Antwort darauf wurde im März 2004 im Eilverfahren ein Antrag auf Änderung des Arbeitsgesetzes im Nationalrat durchgebracht. An Bahnhöfen soll am Sonntag nicht nur für den Verkauf von Reisebedarf, sondern generell gearbeitet können. Die Bahnhöfe sollten zu Sonntags-Einkaufszentren werden. Nach einigem Hin und Her zwischen National- und Ständerat haben die beiden Räte Anfang Oktober dieser Liberalisierung zugestimmt. Sie beschränkten dies zwar auf die ?grösseren Bahnhöfe?, nach Bundesrat Deiss würde dies etwa 25 Bahnhöfe betreffen. Das heisst aber konkret, dass wohl alle Bahnhöfe, die ein Interesse haben, ihre Sonntags-Einkaufszentren eröffenen werden: es betrifft dies also selbst Thun, Chur, Bellinzona, Olten, etc… Es wurde zudem auch kein Arbeitnehmerschutz in die Vorlage eingebaut. Auch wer regelmässig am Sonntag arbeiten muss, erhält keinen Lohnzuschlag.
Von den Gewerkschaften wurde das Referendum lanciert. Die christlichen Parteien und die Evangelische Allianz unterstützen es und helfen Unterschriften sammeln. Denn beim Referendum geht es nicht nur um den Schutz der ohnehin schlecht bezahlten Angestellten im Detailhandel. Die Gesetzesänderung könnte verheerende Auswirkungen auf die Stellung des Sonntages generell haben: Da Bahnhöfe zu Sonntagseinkaufszentren werden, verlangen Geschäftsvereinigungen der Innenstädte nun ?gleich lange Spiesse?, um ebenfalls am Sonntag offen halten zu dürfen. Der Ständerat hat deshalb gleichentags mit der Liberalisierung der Bahnhöfe einer Motion zugestimmt, die den Bundesrat beauftragt, ein Gesetz zu erarbeiten, das die Liberalisierung des Sonntagsverkaufs um die Bahnhöfe herum ermöglicht. Eine Freigabe an den Bahnhöfen könnte daher dazu führen, dass bald ein grosser Teil Läden am Sonntag offen haben und der Sonntag immer mehr ein Tag wie jeder andere wird. Denn offene Läden sind der Ausdruck der Säkularisierung des Sonntags. Die Einführung solcher Gesetze führt zur Abschaffung der christlichen Tradition eines gemeinsamen Ruhetages.
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