Am 9. Juni 2024 stehen zwei richtungsweisende Volksentscheide zu den Gesundheitskosten an. Dabei stellen sich folgende Fragen: Wie soll der Anstieg der Gesundheitskosten gebremst werden? Welcher Anteil der Gesundheitskosten soll den Einzelnen, vor allem den ärmeren Familien, aufgebürdet werden?
Das ChristNet-Forum vom 9. März 2024 hat aufgezeigt, dass die Ursachen der Steigerung der Gesundheitskosten (und damit der Krankenkassenprämien) sehr vielfältig sind: Von der Alterung der Gesellschaft über die höhere Anspruchshaltung und die ungesundere Ernährung bis hin zu den Profitinteressen vieler Beteiligter tragen zahlreiche Aspekte dazu bei und könnten (teilweise) verändert werden. Die Kostenbremse-Initiative der Mitte stört sich zu Recht an der ungenügenden Aktivität der Politik, die Kosten einzudämmen. Sie schlägt vor, ab einer Steigerung der Gesundheitskosten von über 20 % des Lohnwachstums den Bund – das Parlament also — zu verpflichten, die Kosten entsprechend zu senken. Sie zählt dabei viele Beispiele auf, wie nach einem Bericht des Bundes die Kosten bis zu 20 % gesenkt werden könnten.
Die Kostenbremsen-Initiative: Bei den aktuellen Machtverhältnissen trifft sie die Falschen
Nur: Dasselbe Parlament, in dem die Mitte meist das Zünglein an der Waage und damit die Mehrheitsbeschafferin ist, lehnt regelmässig die Vorlagen zur Kostensenkung ab. Insbesondere die von der Initiative genannten Medikamenten- und Generikapreise sind von der Mitte bisher kaum angetastet worden, da ihr Parteiprogramm sehr wirtschaftsfreundlich ist. Es ist also schwierig zu glauben, dass das Parlament genau in den von der Initiative genannten Bereichen die Kosten tatsächlich reduzieren wird. Bei den aktuellen Machtverhältnissen im Parlament ist davon auszugehen, dass an anderen Orten gespart wird: Druck auf die Kosten der Leistungen heisst meist Druck auf die Angestellten des Gesundheitswesens, vor allem auf das Pflegepersonal, das bereits heute unter extremem Druck steht. Selbstverständlich werden mit der Initiative auch Forderungen zur Erhöhung des Selbstbehalts und zur Reduktion des Leistungskatalogs in den Raum gestellt. Beides trifft vor allem die weniger begüterten und gesundheitlich angeschlagenen Menschen. Bereits heute ist die Schweiz unter den OECD-Ländern auf Rang 9 von 38, was die Bezahlung der Gesundheitskosten (in %) aus dem eigenen Sack angeht.
Ohne eine Veränderung der Perspektive des Parlaments von der Schonung der Wirtschaftakteure hin zu den Bedürfnissen der Benachteiligten ist der Ansatz der Initiative für finanziell und gesundheitlich unter Druck stehende Menschen eine grosse Gefahr. Denn die möglichen Einsparungen, die sie unter dem aktuellen Kopfprämien-System machen können, werden kaum die Nachteile für sie aufwiegen.
Die 10 %-Initiative ist bitter nötig
Einsparungen sind noch in weiter Ferne und werden höchstens den Prämienanstieg bremsen, aber sicher nicht langfristig die Prämien senken können. Es braucht deshalb auch dringend die Plafonierung der Prämien pro Familie auf 10 % des Einkommens, wie es bereits der Kanton Waadt erfolgreich vormacht. Denn die am stärksten betroffenen Familien können nicht warten, bis sich irgendwann das Prämienwachstum verlangsamt. Sie sind bereits heute stark unter Druck. Der Anteil der Kinder, die in Armut leben, lag bereits im Jahr 2021 laut der neusten UNICEF-Studie in der Schweiz bei 18 % und ist im Steigen begriffen, während sie in den nordischen Staaten bei 10 % liegt und in den meisten Ländern sinkt. Laut dem aktuellen Familienbarometer ist der Anteil der Familien, die sehr wenige finanzielle Mittel haben, wegen der allgemeinen Teuerung (in der die Krankenkassenprämien noch nicht einmal eingerechnet sind) vom Jahr 2023 auf 2024 nochmals angestiegen. Wir müssen also dringend handeln und zwar gezielt zu Gunsten der armen Familien. Das bisherige System der Prämienzuschüsse genügt bei weitem nicht, im Gegenteil: der Betrag für die einzelnen Empfänger wurde in 17 von 26 Kantonen während der vergangenen 10 Jahren gekürzt.
«Löst das Problem nicht» ist ein absurdes Argument
Ja, die 10 %-Initiative löst das Problem der steigenden Gesundheitskosten nicht, aber doch die problematischen Auswirkungen und grössten Nöte. Um das geht es doch eigentlich!
Wir müssen in der komplexen Diskussion um das Schweizer Gesundheitswesen wegkommen vom unlogischen Entweder-oder-Denken: Keine Massnahme löst alle Probleme. Wir müssen auf vielen verschiedenen Ebenen ansetzen. Und als Christinnen und Christen muss unser Fokus auf denjenigen Menschen liegen, die finanziell am meisten unter Druck stehen. Es gilt zu analysieren, was diesen am besten hilft. Dies heisst heute konkret:
- Plafonierung der Prämien auf 10 % des Einkommens durch Annahme der 10 %-Initiative
- Kosten senken, wo es wirklich einschenkt und wo die gesundheitlich oder materiell Benachteiligten nicht noch stärker unter Druck kommen -> das heisst zum Beispiel Mut zur Beschneidung von Gewinninteressen (Pharmaindustrie, Privatspitäler etc., deren Interessenvertretung im Parlament aktuell stark vertreten ist).
- Neue Konzepte zur Kostensenkung und für einfachere Pflegemodelle wie z.B. Buurtzorg.
- Stärkere Investition in die Prävention, bei der die Schweiz massiv hinterherhinkt und wo gar die Förderung von Rauchen durch Werbung noch erlaubt ist, und in den Breitensport.
Foto von Phil Scroggs auf Unsplash