~ 16 minFremde und Ausländer in der Bibel und in der Schweizer Politik
Fremde und Ausländer in der Bibel
Hat die mehr als 2000 Jahre alte Bibel noch etwas zur heutigen Migrationspolitik beizutragen? Sicher gibt es im Bereich der Migration etliche komplexe Fragen, die nicht anhand der Bibel beantwortet werden können. Aber was sie an Grundsätzlichem zur Einstellung und zum Menschenbild in Bezug auf «Fremde» und «Ausländer» zu sagen, ist es auch heute einen genauen Blick wert. Im ersten Teil dieses Textes werden die biblischen Aussagen grob zusammengefasst, im zweiten Teil die Positionen der grösseren Schweizer Parteien dargestellt, und im dritten Teil werden diese bewertet.
AT: «Ihr seid Fremde gewesen…»
Zunächst etwas zum Begriff: Der hebräische Begriff ger bezeichnete freie, dauernd in Israel wohnende «Ausländer» bzw. Angehörige anderer Völker, die in gewissen Bereichen von den Israeliten abhängig waren. Die meisten Gesetze der fünf Bücher Mose verwenden diesen Begriff. Der Begriff nakhri umfasste Fremde im allgemeinen Sinn, die sich nur zeitweilig beim Volk Israel aufhielten, vor allem aus wirtschaftlichen Gründen. Sie brauchten offenbar, im Gegensatz zur ersten Gruppe, kaum Schutz durch das Gesetz. Die Fülle der Gesetzesbestimmungen, die sich mit den gerim, den Ausländern befassen, versuche ich ganz grob zusammenzufassen:
1. Für die Fremden galt das gleiche Gesetz wie für die Israeliten: Sie hatten weitgehend dieselben Rechte und Pflichten, sie konnten und sollten ebenso den Sabbat halten, und auch im kultischen Bereich waren sie beinahe gleichberechtigt. Die Israeliten waren verpflichtet, Ausländer, die verarmt waren, ebenso zu unterstützen wie ihre Landsleute. Es ist überraschend, wie oft sie erwähnt werden, während sie z.B. in mesopotamischen Gesetzessammlungen kein Thema sind.
2. Zusammen mit den Witwen und Waisen zählten die Ausländer offensichtlich zu den wirtschaftlich und sozial Schwachen in Israel. Sie brauchten den Schutz des Gesetzes vor Ausbeutung und Übervorteilung.
3. In wirtschaftlicher Hinsicht wird mehrmals die Nachlese erwähnt. Die Bauern waren dazu angehalten, ihre Felder, Weinberge und Olivenhaine nicht zu gründlich abzuernten, damit noch etwas für die Witwen, Waisen und Fremden übrigblieb und sie sich auf diese Weise selber versorgen konnten. Im 5. Buch Mose wird zusätzlich erwähnt, dass der Zehnte für Versorgung der Leviten sowie der Armen (Witwen, Waisen und Fremden) verwendet werden sollte.
4. Begründet werden diese Gebote einerseits mit der knappen Aussage «Ich bin der Herr, Euer Gott», oft aber – vor allem im Zusammenhang mit dem Verbot, die Ausländer auszubeuten und zu übervorteilen – auch mit dem Hinweis, «denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen». Das Volk sollte also seinen «Migrationshintergrund» nicht etwa verdrängen. Dieser war im Gegenteil ein Teil seiner Identität: «Das Land darf nicht endgültig verkauft werden; denn das Land gehört mir und ihr seid nur Fremde und Halbbürger bei mir.» Dadurch sollten sie Verständnis für die Lage der Ausländer entwickeln und sich so zur Solidarität anregen lassen. Bereits die Stammväter Abraham, Isaak und Jakob, aber auch Mose wussten, was es bedeutete, in der Fremde bei einem anderen Volk zu leben.
Erst in der Richter- und Königszeit wird Israel von einem Volk von Migranten zu einem Volk von Eroberern. David staunt, in welchem Mass Gott ihm fremde Völker untertan gemacht hat. Salomo benutzt die Ausländer als willkommene Arbeitskräfte in seinen gigantischen Bauprojekten.
In den prophetischen Büchern wird Fremdenangst zunächst sehr real und begründet dargestellt. Für den Fall, dass das Volk Israel sich nicht an den Bund mit Gott hält, wird angedroht, dass Fremde zu Akteuren in Gottes Gericht werden, dass sie über sie herrschen, sich den Ertrag ihrer Äcker sichern und ihre Wertsachen rauben, und bekanntlich traf dies auch tatsächlich ein. Auf der anderen Seite ist unbarmherziges, unmoralisches Handeln der Israeliten an ihren Ausländern einer der Gründe, warum Gott ihnen das Gericht ankündigt.
Nun kann ja bei uns Schweizern nicht unbedingt ein Migrationshintergrund vorausgesetzt werden – eine der Begründungen für einen barmherzigen Umgang der Israeliten mit ihren Ausländern. Gibt es dennoch Anhaltspunkte, dass diese Bestimmungen auch uns angehen? Hier ist eine Betrachtung des Neuen Testaments aufschlussreich. Zunächst bietet sich der Hebräerbrief an, der ja zahlreiche Motive aus dem Alten Testament aufnimmt.
NT: «Fremde und Gäste in der Welt»
Der Stammvater Abraham wird hier zum Vorbild des Glaubens. Der Glaube erlaubte ihm, «als Fremder im verheissenen Land wie in einem fremden Land» in Zelten zu leben, «denn er erwartete die Stadt mit den festen Grundmauern, die Gott selbst geplant und gebaut hatte.» Das Selbstverständnis der Patriarchen und des Volkes Israel als Ausländer wird hier also auch auf die Nachfolger Jesu übertragen. Das Bild der Migranten oder Pilger, die auf dem Weg in die wahre Heimat sind, wird in den nächsten Versen weiter entfaltet. Auch Paulus sieht sich selber als einer, der in der Fremde lebt.
Ebenso wendet sich der Verfasser des ersten Petrusbriefes «an die Auserwählten, die als Fremde in Pontus, Galatien, Kappadozien, der Provinz Asien und Bithynien in der Zerstreuung leben.». Er ermahnt sie, solange sie in der Fremde sind, ein Leben in Gottesfurcht zu führen. Sie sind aus ihrer «sinnlosen, von den Vätern ererbten Lebensweise (…) mit dem kostbaren Blut Christi, des Lammes ohne Fehl und Makel» freigekauft. Man erhält den Eindruck, dass hier das Bekenntnis zu Jesus und die daraus folgende neue Ethik die Christen zu «„Fremden und Gästen in dieser Welt»macht, die eigentlich zu einer neuen Welt gehören.
Und Jesus selbst? Er spricht nicht viel von den Ausländern, aber wo er das tut, ist er ziemlich provokativ. Um das Gebot der Nächstenliebe zu illustrieren, erzählt Jesus das Gleichnis vom barmherzigen Samariter und stellt damit dem Gesetzeslehrer einen verachteten Ausländer vom Volk der Samaritaner als Vorbild vor die Nase: «Dann geh und handle genauso». Jesus dreht hier das Gebot der Nächstenliebe aus 3Mo 19,33-34 um, wo es heisst: «Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll wie ein Einheimischer gelten, und du sollst ihn lieben wie dich selbst.» Noch weiter geht Jesus in Matthäus 25. Im Gleichnis der Schafe und Böcke identifiziert er sich vollständig mit den Schwächsten und Verachtetsten unter den Menschen. Er ist der Nackte, Kranke, Gefangene, der Fremde und Obdachlose, dem die «Schafe» Gutes getan haben. «Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan! » Und die «Böcke» haben ihn in Gestalt dieser Verachteten haben ignoriert.
Die Bibel fordert uns also im Bereich Migrationspolitik und Migrationsethik ganz schön heraus, und das Neue Testament zeigt, dass auch dies ein Aspekt unserer Identität ist: Uns als Fremde und Gäste hier zu begreifen, die auf dem Weg in eine bessere, ewige Heimat sind. Ein solches Selbstverständnis scheint mir die Voraussetzung für den Umgang mit Migranten bei uns. Es wird uns helfen, sie als unsere Nächsten und quasi als Schicksalsgenossen zu sehen und ihnen barmherzig zu begegnen.
Positionen der Schweizer Parteien in der Migrationspolitik
Wie sehen die Schweizer Parteien im Blick auf die Wahlen 2011 die Migrationspolitik? Die aktuellen Parteiprogramme zeigen vieles, das zu erwarten war, aber teils auch Überraschendes.
SVP gegen «Schlendrian»
In ihrem Positionspapier anerkennt die SVP: «Die Schweizerinnen und Schweizer leben mit einem vergleichsweise äusserst hohen Ausländeranteil überaus friedlich zusammen. Und umgekehrt hält sich der Grossteil der Ausländer problemlos an unsere Rechtsordnung.»
Allerdings beklagt die Partei, im EJPD habe der Schlendrian im Asylbereich unter den Nachfolgerinnen von Christoph Blocker wieder zugenommen. Der Vollzug von Ausschaffungen sei ungenügend und die Asylverfahren dauerten zu lange, vor allem wegen diverser Wiedererwägungs- und Rekursmöglichkeiten. Ein weiteres Hindernis für ein «zweckmässiges Asylwesen» bilden für die Partei «die Profiteure wie Sozialarbeiter, Hilfswerkler und Asyljuristen. Sie entwickeln kaum Elan, um das Problem effizienter anzupacken, sondern sind vielmehr selber Teil des Problems. Überdies unterlaufen Gerichtsinstanzen gezielt die gesetzlichen Vorschriften und sogar den Volkswillen.»
Die SVP verlangt daher, dass nur noch erstinstanzliche Verfahren mit Rekursmöglichkeit durchzuführen seien, und dass das verschärfte Asylgesetz auch in den Kantonen konsequent anzuwenden sei. Weiter fordert die SVP: «Sogenannte Härtefallkommissionen in einzelnen Kantonen stiften nichts als Verwirrung und sind abzuschaffen.» Auch möchte sie Gerichtsurteile bekämpfen, «die das vom Souverän akzeptierte Asylgesetz unterlaufen.» Was sie damit konkret meint, bleibt unklar.
Weiter soll die Personenfreizügigkeit neu verhandelt und Kontingente wieder eingeführt werden, da die Masseneinwanderung in die Schweiz eine zunehmende Belastung darstelle. Die Ausschaffungsinitiative sei «ohne Wenn und Aber» durchzusetzen. Die Einbürgerung solle etwas kosten, an Bedingungen wie die Beherrschung der Landessprachen geknüpft und nur auf Probe erteilt werden.
SP für gleiche Rechte und Chancen
Die SP stellt ein Diskussionspapier zum Themenkreis «Heimat und Migration» ins Internet. Sie möchte längerfristig die Deutungshoheit über diese Themen erlangen. Heimat ist gemäss den Autoren etwas, das wir gemeinsam schaffen und das man nicht an die Politiker delegieren kann. Selbstverständlich hätten sich Zugewanderte an die hier gültigen Regeln zu halten, sie sollten aber auch die gleichen demokratischen und sozialen Rechte und Chancen wie Schweizer erhalten. Die Partei verknüpft diesen Themenbereich geschickt mit anderen sozialdemokratischen Forderungen, so etwa nach Löhnen, die zum Leben reichen. Denn wer 16 Stunden am Tag arbeiten müsse, habe keine Energie mehr für einen Sprachkurs. Die Autoren anerkennen, dass das Zusammenleben verschiedener Kulturen zu Reibungen führe, letztlich steige aber die gegenseitige Akzeptanz. Klar sei auch: «Die Schweiz kann nicht allen Armen dieser Welt einen Platz und ein Auskommen bieten. Umso dringlicher müssen wir eine Wirtschafts- und Entwicklungspolitik verfolgen, die arme Länder unterstützt statt sie auszubeuten und die die Demokratie fördert statt mit Diktatoren zu geschäften.» Ausländer sind gemäss der SP überdurchschnittlich kriminell. Dies sei aber keine Frage der Hautfarbe, sondern vielmehr des Platzes eines Menschen in der Gesellschaft und der Perspektiven, die sich ihm eröffnen. Sie fordert durchmischte Quartiere, Schulen mit Tagesstrukturen und Unterstützung beim Sprachenlernen für alle Kinder, Mindestlöhne, mehr Jugendrichter und allenfalls mehr Polizei. Bei der Personenfreizügigkeit brauche es flankierende Massnahmen. Ebenso müsse für bezahlbaren Wohnraum gekämpft werden. Die Partei setzt sich ausserdem für sozialen und materiellen Ausgleich ein, dies sei nötig, damit alle ein freies und selbstbestimmtes Leben führen könnten.
FDP «Hart, aber fair»
Die FDP hat zu verschiedenen Themen Faktenblätter zusammengestellt, so auch zur Ausländer- und Asylpolitik. Hier gilt für die Partei der Grundsatz „Hart, aber fair.“ Migrationspolitik im Sinne der FDP «sagt ja zur Einwanderung durch die Personenfreizügigkeit und beschränkt im Gegenzug die Einwanderung aus Drittstaaten.» Noch immer kämen aber zu viele Menschen aus Drittstaaten zu uns, vor allem über den Familiennachzug. Deshalb fordert die FDP härtere Regeln für den Familiennachzug. Als Teil der Integrationspolitik fordert die FDP die konsequente Durchsetzung der schweizerischen Rechtsordnung: «Mit unserem Rechtssystem und unseren Gesetzen darf nicht gespielt werden. Sämtliche Verstösse sind rasch und hart zu bestrafen. Wer hier leben will, ist willkommen, sofern unsere Kultur und Werte respektiert werden. Wer sich nicht daran hält, muss die Konsequenzen tragen.» Konkret heisst das für die FDP rasche und konsequente Bestrafung, Ausschaffung schwer krimineller Ausländer, Imam-Ausbildung in der Schweiz und Überwachung extremistischer Organisationen.
Die Personenfreizügigkeit ist für die FDP ein Erfolgsmodell mit einigen problematischen Begleiterscheinungen. Um diese zu beheben, schlägt sie eine Reihe von Massnahmen vor.
In der Asylpolitik fordert sie Konsequenz, um unechte Flüchtlinge abzuschrecken. Anerkannte Flüchtlinge sollen die Niederlassungsbewilligung unter den gleichen Voraussetzungen erhalten wie andere Ausländer aus Nicht-EU-Staaten, die nicht über den Asylbereich eingewandert sind. Die Asylverfahren seien so weit wie möglich zu verkürzen.
Unter dem Titel «Integration fordern und fördern» schlägt die FDP schweizweit einheitliche Mindeststandards und Resultatkontrolle vor. Integrationsvereinbarungen sollen die Ausländer in die Pflicht nehmen: Wer sich nicht integriert, soll sanktioniert werden. Nur wirklich integrierte Personen sollen eingebürgert werden. Dies werde durch strenge Einbürgerungskriterien und deren konsequente Prüfung erreicht. Die strengen Gesetze dazu seien vorhanden. Wer aber einmal den Schweizer Pass erhält, soll als Schweizer gelten.
CVP für eine «kontrollierte Zuwanderung»
Die CVP stellt an den Anfang ihres „Grundlagenpapiers Migration“ eine Bestandesaufnahme: Die Einwanderung habe der Schweiz dringend benötigte Arbeitskräfte und Wirtschaftswachstum verschafft. Trotz hohem Ausländeranteil sei das Lohnniveau hoch und die Arbeitslosigkeit tief. Dennoch bringe Migration auch Probleme wie Ausländerkriminalität, mangelhafte Integration oder eine relativ gesehen hohe Arbeitslosigkeit der Ausländer, religiöse und kulturelle Differenzen, die zu einer «Islam-Debatte» geführt haben, sowie Mängel bei der Einbürgerung und in der Asylpolitik.
Die CVP setzt sich «für eine kontrollierte, gesteuerte Zuwanderung ein.» Die CVP fordert deshalb weitere gezielte Massnahmen, Verhandlungen und Teilrevisionen von Gesetzen. Sie lehnt «unrealistische, nicht durchführbare Forderungen und Massnahmen ab, die zu Fremdenfeindlichkeit
führen oder dem Zusammenleben der ausländischen und der Schweizer Bevölkerung abträglich sind», ebenso Forderungen nach einem Alleingang der Schweiz in der Migrationspolitik. Konkrete Massnahmen, die die Partei vorschlägt, sind Gesetze gegen Zwangsheiraten und organisierte Ehen, sowie der Nachweis genügender Mittel beim Familiennachzug. Bei nicht oder schwer integrierbaren Personen soll wenn möglich «ein (finanzieller) Anreiz zur Ausreise» geschaffen werden.
Die Verlängerungen von Aufenthaltsbewilligungen für EU-Bürger sind genau zu prüfen, die Bezüge von Arbeitslosenentschädigungen einzuschränken. Die CVP ist weiter für die Verknüpfung der Niederlassungsbewilligung mit einem Sprachtest, Integrationsvereinbarungen und Zulassungsregeln für Lehrpersonen, weiter für Beschränkungen und Bedingungen bei der Einbürgerung.
In der Asylpolitik soll das Nothilferegime konsequent angewendet, die Verfahren verkürzt und Wegweisungen schnell vollzogen werden. Zur besseren Integration in den Arbeitsmarkt schlägt die CVP Beschäftigungsprogramme vor sowie die Verpflichtung der RAVs, anerkannte Flüchtlinge gleich wie Schweizer oder andere Ausländer zu vermitteln. Gegen Missbrauch und Kriminalität sollen vermehrte Kontrollen, Aufstockung der Polizeibehörden und die konsequente Ausschaffung in schweren Fällen helfen. In der Migrationsaussenpolitik schliesslich soll die Schweiz enger mit der EU und, mittels Migrationspartnerschaften, mit Herkunftsstaaten zusammenarbeiten und die Hilfe für Vertriebene in der Herkunftsregion verstärken.
Grüne Partei für eine «menschliche Politik»
Die Grünen stehen für eine «offene, menschliche Migrationspolitik» ein. Sie fordern ein Integrationsgesetz, das auf Chancengleichheit und den Respekt kultureller Vielfalt abzielt; ein liberaleres Ausländergesetz, das keinen Unterschied zwischen EU- und Nicht-EU-BürgerInnen macht, und Arbeitsbewilligungen für alle Personen, die in der Schweiz korrekt arbeiten, auch Sans-Papiers.
Weiter sind sie für eine erleichterte Einbürgerung von Ausländern der zweiten Generation sowie eine quasi automatische Einbürgerung für solche der dritten Generation. Die Partei wünscht sich eine effiziente, gerechte Asylpolitik; evtl. auch Flüchtlingskontingente, wie sie vom UNHCR angefragt werden. Schliesslich möchte die Partei, dass der Bund Non-Profit-Organisationen und Vereine im Migrationsbereich unterstützt.
EVP: für die Bekämpfung der Armut vor Ort
Die EVP hat Mitte September eine Resolution „10 Thesen zur Migrationspolitik“ verabschiedet. Darin empfiehlt sie, bei der Personenfreizügigkeit den bestehenden Spielraum zu nutzen, um die negativen Auswirkungen in den Griff zu bekommen. Wie auch andere Parteien und wie die Departementsvorsteherin fordert die EVP raschere Asylverfahren und mehr Ressourcen für den Vollzug von Wegweisungen. Migrationszusammenarbeit und Entwicklungszusammenarbeit sollen gekoppelt und die Rückkehrhilfe soll ausgebaut werden. Die Partei möchte keine generelle Amnestie für Sans Papiers, jedoch soll in bestimmten Fällen eine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden, insbesondere wenn Kinder und Jugendliche in Ausbildung betroffen sind. Verfolgte Christen sollen Asyl erhalten. Und wie früher sollen ab und zu Kontingente ausserhalb der Asylverfahren aufgenommen werden. Integration bedeute fordern und fördern, eine Niederlassungsbewilligung soll nur gegen einen Integrationsnachweis erteilt werden, der Staat bietet im Gegenzug Kurse und andere Unterstützung an. Der zweiten und dritten Generation ist die Einbürgerung zu erleichtern. Die Ausschaffungsinitiative sei wirkungslos, weil die meisten Straftaten von Ausländern ohne Aufenthaltserlaubnis begangen würden. Wer im Herkunftsland Perspektiven habe, nehme das Wagnis Migration nicht auf sich, deshalb soll die Schweiz ihre Entwicklungszusammenarbeit auf 0,7% des BIP aufstocken.
EDU für freiwillige Integration
Die EDU bekennt sich zu einer humanitären Schweiz, die Personen in Not Hilfe gewährt. Sie wendet sich gegen die Regularisierung von Sans-Papiers. Überhaupt sollen illegale Einwanderer und solche ohne echte Asylgründe konsequent ausgeschafft werden. Zur Integration vertritt die EDU folgenden Standpunkt: «Integration heisst aus Sicht der EDU nicht, seine Wurzeln oder seine Identität zu verleugnen oder abzulegen, sondern lediglich bewusst und willentlich die Lebensweise und Spielregeln des Gastlandes zu akzeptieren und zu respektieren, sowie sich aktiv eigenverantwortlich um die sprachliche Verständigung in der Sprache des Gastlandes zu bemühen.» Integration könne nicht von oben verordnet, sondern müsse freiwillig angestrebt werden, wobei das Gastland geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen hat. Im Gastland soll, im Rahmen von Verfassung und Gesetz, Glaubens- und Religionsfreiheit gelten.
Ein zunehmendes Problem in der Begegnung mit anderen Kulturen sei eine ungenügende eigene Identität der Schweizer. «Deshalb ist aus Sicht der EDU ein klares Bekenntnis zum christlichen Fundament und zum aktiven, glaubwürdigen Leben des christlichen Glaubens an den Gott der Bibel durch unser Volk und unsere Gesellschaft die einzig wirksame Antwort auf die zunehmende Islamisierung Europas und der Schweiz.» Sie setzt sich daher für die Stärkung der eigenen Identität ein, als «Voraussetzung für die Fähigkeit, Fremde zu integrieren; fehlende Identität bewirkt Unsicherheit und Furcht vor dem Fremden.» Sie fordert Sprach- und Integrationskurse für Einwanderer, die aktive Unterstützung der Integration von Secondos in Schule und Berufsleben, und fakultative Integrationsvereinbarungen.
Bewertung
SVP: erwartungsgemäss hart
Die SVP vertritt erwartungsgemäss die härteste Haltung gegenüber Asylsuchenden und Ausländern; sie möchte ihnen auch keine Unterstützung im komplizierten schweizerischen Asylverfahren zugestehen. Insgesamt überwiegen in ihrer Haltung Skepsis und Misstrauen gegenüber den Ausländern; damit trifft sie wohl die Stimmung eines wesentlichen Teils der Bevölkerung bei dieser Thematik. An dieser Stelle seien ein paar Bemerkungen zum Stil der SVP erlaubt: Die Stärke der Partei sind kernige Aussagen und Polemik, doch oft geht dies zu Lasten der Genauigkeit. So stellt sie zahlreiche Behauptungen auf, ohne diese zu belegen. Nur zwei Beispiele: «Überdies unterlaufen Gerichtsinstanzen gezielt die gesetzlichen Vorschriften und sogar den Volkswillen»“ und „«Umfragen zeigen: Viele Millionen Menschen möchten gerne in die Schweiz einwandern.»“ Beides sind gewagte Behauptungen, die nicht belegt werden. Wer hat diese Umfrage gemacht und Millionen Einwanderungswillige befragt? Wenn es um statistische Zahlen geht, gelten Eingebürgerte bei der SVP höchstens als halbe Schweizer, so ebenfalls auf Seite 53, wo es um den Ausländeranteil in der Schweiz geht: „«Ohne die Masseneinbürgerungen der letzten Jahre wären es sogar 34,3 Prozent.»“ Da wird zumindest an der Wahrheit geritzt.
SP: nahe an der Bibel
Die SP anerkennt, dass es im Asyl- und Ausländerbereich gewisse Probleme gibt, etwa mit der Kriminalität. Sie sieht die Ursachen dafür aber nicht in der Herkunft, sondern bei den geringeren Mitteln und Chancen dieser Personen, bzw. in strukturellen Problemen. Die Migrantinnen und Migranten betrachtet sie nicht unbedingt als separate Gruppe, sondern einfach als (oft schwächeren) Teil der Gesellschaft, und in dieser von den Sozialdemokraten angestrebten Gesellschaft sollen möglichst alle die gleichen Rechte und Chancen erhalten. Die SP positioniert sich damit nahe an der biblischen Haltung.
CVP: abgeschwächte SVP-Kopie
Die Positionen der CVP und der FDP unterscheiden sich von denen der SVP vor allem in Bezug auf die Personenfreizügigkeit, welche die Ersteren positiv beurteilen und nicht antasten wollen.
Ansonsten wirkt aber das Papier der CVP doch wie eine abgeschwächte und weniger klare Kopie des SVP-Programms, auch wenn es ein paar wenige Vorschläge zugunsten der Migranten enthält. Immerhin sieht die CVP auch verstärkte Hilfe in den Herkunftsregionen vor, was bei der SVP und der FDP nicht im Programm ist.
FDP: kaum mit Bibel in Einklang
Die FDP ihrerseits beurteilt Immigranten hauptsächlich nach deren wirtschaftlichem Nutzen für die Schweiz und will deshalb die Einwanderung aus Drittstaaten stark einschränken. Dies ist aufgrund ihres Mottos «Aus Liebe zur Schweiz» nachvollziehbar, lässt sich aber kaum mit einem biblischen Menschen- und Fremdenbild in Einklang bringen. Die Positionen der FDP in der Migrationspolitik waren nach deren Bekanntgabe auch innerhalb der Partei umstritten. So äusserte sich der Waadtländer Nationalrat Claude Ruey dazu, das Konzept sei «ethisch verwerflich.» Es lasse sich so zusammenfassen: «Der Ausländer ist eine Belästigung – ausser er nützt uns wirtschaftlich. Deshalb muss alles unternommen werden, damit er ja nicht in die Schweiz kommt.»
Grüne: barmherzige Migrationspolitik
Die Grünen haben in der Migrationspolitik neben der SP die liberalsten Positionen aller grossen Parteien. Wie die SP sehen sie vorab Flüchtlinge und Sans-Papiers vorab als sozial schwache Gruppe, die Hilfe und Unterstützung benötigen, sowie eher als mögliche Bereicherung denn als Problem für die Schweiz. Mit anderen Worten, sie vertreten ebenfalls das, was man eine barmherzige Migrationspolitik nennen kann.
EVP: nimmt Spannungsfelder wahr
Die Positionen der EVP gleichen zum Teil jenen der CVP und der FDP, etwa bei den Asylverfahren, der Personenfreizügigkeit und der Integration. In anderen Punkten ist sie deutlich sozialer: Sie sieht das Problem der Sans-Papiers differenziert, wobei ihre diesbezüglichen Vorschläge wohl schwer umsetzbar sind. Wie die Grünen stellt die EVP Flüchtlingskontingente zur Diskussion, und als einzige Partei stellt sie die Erhöhung der Entwicklungshilfe in den Zusammenhang der Migrationsthematik. Auch benennt sie richtigerweise das Spannungsfeld zwischen der Migrationspolitik, die sich vorab um Zuzüger im Rahmen der Personenfreizügigkeit und Flüchtlinge gemäss Asylgesetz kümmert, und der Realität, dass viele Immigranten aus Nicht-EU-Staaten bei uns Arbeit und Perspektiven suchen. Hier müsste man weiterdenken, denn für dieses Spannungsfeld hat, soviel ich weiss, noch keine politische Partei eine Lösung, ebenso wenig wie die Exekutive (z.B. Bundesamt für Migration).
EDU: hart aber interessant
Die EDU vertritt in der Asylpolitik eine harte Position. Bezüglich der Integration bringt sie jedoch einen interessanten, differenzierten Ansatz ins Spiel (siehe oben). Bedenkenswert ist auch die Aussage, dass eine mangelnde Identität von uns Schweizern eines der Probleme sei und dass die Stärkung der eigenen Identität eine Voraussetzung für die erfolgreiche Integration von Menschen aus anderen Kulturen sei. Es wäre spannend, dieses Thema weiter zu verfolgen: Ist es realistisch, eine Rückkehr unserer post-christlichen Gesellschaft zum Fundament des christlichen Glaubens zu erwarten, wie das die EDU tut? Falls nein, worauf sonst können die Schweizerinnen und Schweizer ihre Identität heute realistischerweise abstützen?
Fazit: Christen sollen sich für Barmherzigkeit engagieren
Von «weltlichen» Parteien kann natürlich nicht unbedingt erwartet werden, dass sie in der Migrationspolitik oder in anderen Bereichen biblische Werte vertreten. Die biblischen Texte über Fremde, Ausländer und unsere eigene Identität provozieren zunächst uns Christen und fordern uns heraus: Sind wir bereit, unsere Schweizer Herkunft nicht als Errungenschaft zu sehen, die es gegen gierige Ausländer zu verteidigen gilt, sondern als geschenkten Segen? Und überdies als ein Provisorium? Warum haben viele Christen Angst vor allem vor muslimischen Immigranten? Hat das mit der von der EDU erwähnten fehlenden Identität zu tun? Sind wir in der Lage, gerade gegenüber Ausländern aus dem Asylbereich, unsere Vorurteile zu korrigieren und sie in einem ähnlich positiven Licht zu sehen, wie die Bibel und vor allem Gott selber es tut?
Und schliesslich wäre es wichtig, dass sich Christen in diesem Bereich politisch engagieren, denn wir sind noch ein gutes Stück von einer menschenwürdigen Migrationspolitik entfernt. So verbirgt sich hinter dem kalten, sauberen Ausdruck «besserer» oder «rascherer Vollzug von Wegweisungen», den mehrere Parteien verwenden, der stossende Umstand, dass Menschen nur wegen ihres nicht-legalen Aufenthaltsstatus für bis zu 24 Monate inhaftiert und teilweise ohne ihre Familien in ihr Herkunftsland ausgeschafft werden.
Gibt es eine einfache Lösung für jene, die nicht bleiben dürfen, aber aus ihrer Sicht nicht zurückkehren können? Wahrscheinlich nicht, biblisch gesehen liegt aber die Lösung sicher nicht in einer weiteren Gesetzesverschärfung, wie sie die rechtsbürgerlichen Parteien anregen.
Martin Züllig, 11. Oktober 2011
2Mo 12,49; 4Mo 9,14; 4Mo 15,29-31
2Mo 22,20; 2Mo 23,9; 5Mo 23,16, 5Mo 24,19 und weitere Stellen
3Mo 19,10; 3Mo 23,22; 5Mo 24,19-20.
2Mo 23,9; 3Mo 19,33-34; 5Mo 10,19; 5Mo 24,18
1Mo 26,3; 1Mo 35,27; 1Mo 47,9; 2Mo 2,22
Jes 1,7; Jer 5,19; Jer 8,10, Jer 32,29; Hes 7,20-21 usw.
Hebr 11,13-16; s. auch Hebr 13,14.
1Petr. 1,1. Der im Griechischen gebrauchte Begriff diáspora wird heute mancherorts auch für im Ausland lebende ethnische Gemeinschaften verwendet, z.B. „die tamilische Diaspora in der Schweiz“. Vgl. z. B. die „Diaspora-Studien“ des Bundesamtes für Migration.
Parteiprogramm der SVP 2011-2015, S.49
Der Sonntag, 30. Januar 2011, S.6
Der sehenswerte Dokumentarfilm «Vol spécial» von Fernand Melgar zeigt das Schicksal einiger solcher Häftlinge.
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