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Das diesjährige Motto des WEF heisst «Rethink, Redesign, Rebuild» (neu denken, neu gestalten, neu bauen). Tatsächlich hat die Finanzkrise ganz gewaltige strukturelle und moralische Probleme in der Finanzwelt aufgezeigt, die um ein Haar die ganze Weltwirtschaft in den Abgrund gerissen hätten. Nur dank der Rettung durch die demokratisch legitimierten Regierungen konnte Schlimmeres abgewendet werden. Höchste Zeit also, um umzudenken.

Das Motto in Davos lässt auf den ersten Blick entsprechende Einsicht vermuten. Doch die Liste der Stargäste wirft Fragen auf. Sind nicht genau die Falschen eingeladen worden?

–         Josef Ackermann, seit Längerem CEO der Deutschen Bank, der von deutschen Führungskräften soeben zum Deutschen Manager des Jahres 2009 gewählt worden ist. Dies unter Anderem mit der Begründung, er habe sich kräftig gegen die Einflussnahme der Politik auf die Bankenpraxis gewehrt. Soll der Staat also einfach auch das nächste Mal zahlen und sonst schweigen? Im Übrigen hat Ackermann verordnet, dass die einfachen Angestellten mit denjenigen Bonusempfängern solidarisch sein müssen, die von den neuen Bonussteuern der Englischen Regierung getroffen werden…

–         Oswald Grübel, CEO der UBS, der stur verneint, dass die UBS zu hohe Risiken eingegangen sei. Dies trotz der Tatsache, dass die UBS von allen Banken weltweit am Meisten spekulative Abschreiber hat hinnehmen müssen. Er wehrt sich zudem mit Händen und Füssen gegen striktere Weisungen für die Finanzindustrie und gegen Verminderung des volkswirtschaftlichen Risikos durch die UBS. Er drohte der Schweiz mit Abwanderung der UBS, sollte die Bank in kleinere Einheiten aufgeteilt werden. Auch hier: Soll die Schweiz also auch nächstes Mal die UBS retten müssen, weil unsere Volkswirtschaft von ihr abhängig ist (too big to fail-Problem)?

–         Auch CEOs von HedgeFunds sind unter den Rednern. Spekulanten und Finanzhaie wie diese schaden der Welt ganz enorm und vernichten zahlreiche Arbeitsplätze.

Diese WEF-Teilnehmer scheinen eher den Unbelehrbaren als einer neuen Generation von Finanzvertretern zuzuordnen zu sein. Für einen echten Wandel sind dies genau die Falschen. Sie zeigen keinerlei Einsicht und gehen so weit, Regierungen zu erpressen, falls sie nicht wie bisher weiter machen dürften. Der nächste Crash scheint so vorprogrammiert.

Kann sich die Schweiz noch vom Würgegriff des Mammon befreien? Wenn die Macht des Geldes auch eine geistliche Seite hat – Jesus nennt sie Mammon – dann war es eigentlich vorauszusehen, dass diese ihren Anspruch nicht freiwillig aufgibt. Darum stellt sich die Frage, ob es für die Schweiz nicht heilsamer gewesen wäre, die UBS bankrott gehen zu lassen. So wäre ein echter Neuanfang möglich gewesen, der unser Land zu einem radikalen Umdenken gezwungen und neuen Raum für neue Werte geschaffen hätte.

Nun aber: Wird die offizielle Schweiz auch weiterhin vor den Vertretern der neuen Geldordnung Bücklinge machen und passiv auf die nächste Krise warten? Oder wird sie sich gegen den unmoralischen Anspruch des Mammons mutig zur Wehr setzen?

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Sitzungstag am 4. Februar 2006

„Rive Gauche“ (ehemaliger Arbeiterkreis), Quai de la Thièle 3

Yverdon-les-Bains (5 Min. Fußweg vom Bahnhof)

Öffentliche Dienstleistungen privatisieren? Was die GATS* vorhat und warum man sich ihr widersetzen sollte

(*General Agreement on Trade and Services)

Detailliertes Programm, siehe unten.

Raubtiere immer bei der Arbeit

Viele Könige und Kaiser, unersättlich, hörten nie auf, ihre Territorien durch Kriege und Massaker zu vergrößern. Ihre Reiche überdauerten nur eine Anzahl von Jahren, die umgekehrt proportional zur Anzahl der Todesfälle war, die ihr wahnsinniger Ehrgeiz verursachte. In der Kolonialzeit war diese Ausdehnung der „Einflusszonen“ noch vergleichbar, aber die Motivation war eine andere. Es ging damals wie heute darum, die Länder Afrikas, Asiens und Südamerikas zugunsten der „großen“ bürgerlichen Familien auszuplündern, deren „Größe“ direkt proportional zur Zahl der Elenden war, die sie zurückließen.

Nach der Entkolonialisierung und „dank“ der Bretton-Woods-Abkommen ging die Macht allmählich in die Hände der großen internationalen Finanzkonzerne über, deren Umsatzzahlen die Haushalte der Länder, in denen sie ansässig waren, oft weit überstiegen.

Nach der Analyse eines ehemaligen Arbeitsministers von Bill Clinton ist die rasante Entwicklung dieser großen multinationalen Konzerne das Ergebnis des Kampfes der Regierungen gegen Kartelle. Da sie sich nicht auf Preise einigen durften, um den Wettbewerb zu fördern, bündelten diese Unternehmen ihr Kapital in Holdinggesellschaften und bildeten so monopolistische Unternehmen.

Dieses Phänomen der kapitalistischen Konzentration wurde von Karl Marx lange vorhergesagt. Er stellte sich vor, dass die Welt bis zum Ende des 20. Jahrhunderts von etwa 3.000 Unternehmen kontrolliert werden würde. Die Anwesenheit der kommunistischen Welt für etwa 70 Jahre verzögerte diese Konzentration. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gibt es noch etwa 30.000 transnationale Unternehmen. Aber welche Effizienz und welche Entschlossenheit, die verlorene Zeit wieder aufzuholen! Die Staaten sind nur noch ein Schatten dessen, was sie sein sollten, und die Demokratie, auf der sie beruhen, funktioniert nicht mehr. Die Medien stehen im Sold dieser mächtigen Gruppen, entweder weil sie ihnen gehören oder weil die Werbung, die sie zu 80% finanziert, sie völlig abhängig von ihnen macht.

Diese Finanzmächte erobern alle Mächte, und die Regierungen, ob links oder rechts, stellen sich in ihren Dienst, weil sie es vorziehen, dass diese neuen planetarischen Mächte ihr Hauptquartier zu Hause haben und nicht im Ausland.

Diese kapitalistischen Mächte haben nur ein Ziel: die Gewinne ins Unendliche zu steigern. Es ist daher notwendig, neue Märkte zu erobern. Dieser Wirtschaftskrieg basierte anfangs auf Wettbewerb und der Übernahme konkurrierender Unternehmen. Seit zwanzig Jahren geht es darum, die Kontrolle über die gesamte landwirtschaftliche Produktion hinzuzufügen, indem GVO vorgeschrieben werden, und den Gemeinden und Staaten alle Dienstleistungen zu nehmen, die sie für ihre Bevölkerung erbringen, indem das GATS, das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen, eingeführt wird. Der von der Rechten proklamierte „weniger Staat“ wird als Wunsch präsentiert, mit den manchmal übermäßigen öffentlichen Dienstleistungen aufzuräumen. In der Tat ist das Ziel, das nicht öffentlich anerkannt wird, dass alle menschlichen Aktivitäten von einem privaten Unternehmen durchgeführt werden und den Aktionären erlauben, einen Gewinn zu erzielen. Wenn zum Beispiel ein Paket von DHL zugestellt wird, fließt ein Teil der Kosten in die Taschen der Eigentümer des Unternehmens. Wenn es sich um einen Briefträger handelt, der diese Dienstleistung erbringt, hilft die Marge, die Preisexplosion zu begrenzen.

Raubtiere sind mit Entschlossenheit und Hartnäckigkeit bei der Arbeit. Sie drängen alle Länder der Welt, sich auf eine Gesetzgebung zu einigen, die die Behörden daran hindert, die Dienstleistungen zu organisieren, die ihre Bevölkerung braucht, da sie sonst wegen unlauteren Wettbewerbs verklagt werden. Dieses Abkommen ist genau das, worum es beim GATS geht. Um herauszufinden, was wir bald essen werden, kommen Sie am 4. Februar zu uns nach Yverdon-les-Bains.

Pierre Aguet

Ehemaliges Nationalratsmitglied

 


Photo by Ant Rozetsky on Unsplash

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Die Abhandlung „Der entzauberte Markt“ des St. Galler Wirtschaftsethikers Peter Ulrich trifft den Nerv der Zeit. Es handelt sich nicht nur um „ein Bisschen mehr Ethik in der Wirtschaft“, sondern um die Frage, wer eigentlich heute unsere Werte und damit unsere Gesellschaft bestimmt. Insofern hat das Buch auf überraschende Weise mit unserem Glauben zu tun.

 

Anhand der eigentlich humanistischen Begriffe „Vernunft, Freiheit, Fortschritt“ zeichnet Peter Ulrich nach, wie das Primat der Wirtschaft das Primat der Gesellschaft verdrängt hat. Der Ökonomismus ist die stärkste Ideologie unserer Zeit geworden. Er gibt sich wertfrei, obwohl er gewisse Werte voraussetzt. Er glaubt, für das Wohl aller zu sorgen, obwohl immer mehr Menschen auf der Strecke bleiben. Wichtige Gründe dafür sind einerseits durch globale Konkurrenz geschaffene Sachzwänge, auf der anderen Seite der Glaube an die Metaphysik des Marktes. Dahinter steht nämlich der Glaube an Adam Smith’s „Unsichtbare Hand (Gottes)“ und die Wohltätigkeit des per Definition egoistischen „Homo oeconomicus“. Diese Grundlagen führen uns zu unserem eigenen Glauben zurück: An wen und was glauben wir? Welches Menschenbild haben wir?

 

Der Ökonomismus bestimmt heute unsere Werte. Das Weissbuch der Schweizer Wirtschaft forderte uns gar zu einer individuellen, fundamentalen Mentalitätsveränderung hin zu mehr Konkurrenz auf. Im Überlebenskampf des härter werdenden Wettbewerbs wird es für die Unternehmen und die Einzelnen aber immer schwerer, noch bestehende ethische und moralische Standards einzuhalten.

 

Hier stellt Ulrich die Frage, welche Werte und welche Gesellschaft wir eigentlich wollen. Er fordert, dass die Wirtschaft wieder an ihre ursprünglichen Platz innerhalb der Gesellschaft zurückkehren soll und dass die Gesellschaft, also die Gesamtheit der Bürger, auf demokratische Weise selber entscheiden muss, wie sie die Gesellschaft und das Zusammenleben gestalten will.

 

In diesem Sinne stellt Ulrich das Modell des „republikanischen Wirtschaftsethos“ vor, wo sich das Handeln nicht am Modell des Homo Oeconomicus, sondern an seiner Gesellschaftsverträglichkeit legitimiert. Dieser Ethos umfasst das individuelle, das unternehmerische und das politische Handeln. Als Hilfsmittel fordert er „Sachzwangbegrenzungen“, das heisst Regelwerke auf nationaler und internationaler Ebene, die es dem Einzelnen, den Unternehmen und den Staaten zumutbar machen, ethisch zu Handeln. Sicher ein wichtiger Ansatz, aber als Christen würden wir sagen, er ist notwendig, aber nicht hinreichend. Hier hätte ein christlicher Autor noch weitere Elemente zur Hand.

 

„Der entzauberte Markt“ ist eine wichtige, sorgfältige , wenn auch manchmal etwas akademiche Analyse der Schnittstelle zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und auch Glaube, und zeigt gleichzeitig gangbare Handlungswege auf.

 

Ulrich, Peter: „Der entzauberte Markt“; Freiburg, Basel, Wien: Herder Verlag, 2002. Gebunden, 222 Seiten. ISBN 3-451-27935-5