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Warum wir für das Mediengesetz ein Ja einlegen – wenn auch kein enthusiastisches.

Eine gesunde Medienlandschaft, sprich eine Bandbreite von unabhängigen und vielfältigen Verlagen mit gut ausgebildeten Journalistinnen und Journalisten, ist essentiell für eine Demokratie wie die Schweiz. Denn es muss eine öffentliche Diskussion über politische Themen stattfinden, damit alle gehört werden und gemeinsame Lösungen gefunden werden können. Nur so kann das Beste für alle unsere Nächsten gefunden werden. Gleichzeitig kann auch nur so Wahrheit ertastet werden. Oder wie das Online-Magazin Republik es treffend formulierte: «Die grösste Leistung eines gesunden Mediensystems ist gerade das, was viele ihm vorwerfen: die Herstellung eines Mainstreams. Was heisst: ein Set an gemeinsamen Fakten, Werten und Benimmregeln, über die man sich dann streiten kann. Zerbricht der Mainstream, streitet man sich nicht mehr über verschiedene Interpretationen der Wirklichkeit, man lebt in verschiedenen Wirklichkeiten.»

Facebook ist kein Ersatz für eine Nachrichtenredaktion

Wer sich vorwiegend in den sozialen Medien informiert, läuft schnell Gefahr, in seiner eigenen Wirklichkeit (auch Bubble genannt) stecken zu bleiben. Denn die täglich konsumierten «News», die einem im Feed von Facebook, Twitter und Co angezeigt werden, sind nicht dieselben Inhalte, die auch den Nachbarn und anderen Landsleuten angezeigt werden. Sie werden vom Algorithmus eines Grosskonzerns für jeden User individuell zusammengestellt. Es befindet keine lokale Redaktion darüber, was relevant ist, sondern die Programmierer eines Unternehmens, das mit Werbeeinnahmen zu seiner Grösse heranwuchs und weiterhin davon abhängig ist. Allerdings kann man auch beim Konsum eines (immer demselben) anderen Mediums in eine Blase geraten.

Macht der Medien muss verteilt bleiben

Wenn die zahlreichen unabhängigen Medien weiter von den wenigen Big Players übernommen oder quasi als Spielzeug von Milliardären aufgekauft werden, erweisen wir unserem demokratischen System ebenfalls einen Bärendienst. Dann unterliegt die Meinungsbildung den Interessen der Konzerne und derer Aktionäre, sowie den Interessen der Einzelbesitzer. Abweichende Meinungen oder Kritik an gewissen Mächten und an Besitzverhältnissen ist dann nicht mehr möglich. Was es heisst, wenn Medien und damit die Meinungsbildung in den Händen weniger liegt, wird in immer mehr Ländern klar: In unser Bewusstsein getreten ist das Problem mit Medienmagnaten wie Rupert Murdoch, der in Grossbritannien Margaret Thatcher zum Durchbruch verhalf, dann auch Silvio Berlusconis Medienimperium (resp. Quasi-Monopol) in Italien, den Medienhäusern in Osteuropa und nun auch den immer grösseren Medienkonzernen in Westeuropa. Auch in Lateinamerika sind die Medien zum grossen Teil in den Händen der konservativen Oberschicht. So wird die demokratische Meinungsbildung verzerrt und erhalten Einzelinteressen die Macht, das Denken der Bevölkerung in eine bestimmte Richtung zu lenken oder kritische Meinungen und Minderheiten zu unterdrücken.

Abhängigkeit von privaten Geldern minimieren

Die Situation ist auch für die hiesige Demokratie problematisch: Eine Studie der Uni Zürich hat gezeigt, dass die Schweizer Medienkonzerne bei der Konzernverantwortungsinitiative viel mehr Artikel gegen als für die Initiative publiziert haben. Es ist naheliegend, dass die Medienhäuser ihre zahlungskräftigen Inserenten, die von der Annahme der Initiative betroffen gewesen wären, nicht gegen sich aufbringen wollten. So stellt sich die Frage, ob in Zukunft Initiativen, die wirtschaftliche Interessen von Konzernen bedrohen, überhaupt eine Chance haben werden. Staatliche Subventionen können durchaus dazu dienen, solche Abhängigkeiten zu minimieren.

Das zurzeit Bestmögliche

Nun wurde über Jahre an einer Subventionslösung gewerkelt, unzählige Interessengruppen haben die Arbeit beeinflusst, die Vorschläge wurden hin und her gereicht, bis schliesslich das herauskam, was uns jetzt als Mediengesetz vorgelegt wird und worüber wir im Februar abstimmen werden. Nun soll die Schweizer Presse jährlich mit 180 Millionen Franken unterstützt werden (zumindest für die nächsten sieben Jahre), statt wie bisher mit 50 Millionen. Kleine Onlinemedien erhalten 30 Millionen, die Grossen bekommen einen Grossteil der 70 Millionen, die für die Zustellung bestimmt sind, und Keystone-SDA, die Journalistenschule, der Presserat etc. erhalten weitere 30 Millionen. So richtig begeistert ist vom Endprodukt niemand – das haben Kompromisse so an sich. Eigentlich sollten vor allem kleine und unabhängige Medien finanziert werden. Das Schweizer Parlament hat es allerdings so an sich, dass Wirtschaftslobbies und Konzerne stark Einfluss nehmen können. Wohl auch deshalb, weil die Parteifinanzierung nicht transparent ist – eine Verzerrung der Gesetzgebung, die im Ausland schon längst angegangen wurde. So ist das vorliegende Gesetz das Beste, was unter unseren nicht bereinigten Umständen möglich ist, auch wenn es stossend ist, dass grosse Medienhäuser noch mehr Geld erhalten. Aber wenn es abgelehnt wird, dann wird in naher Zukunft auch kein besseres Gesetz möglich sein. Und damit wird die Machtkonzentration in der Meinungsbildung weitergehen.

Unser besonderes Anliegen ist, dass im öffentlichen Diskurs nicht nur die Lauten, sondern auch Minderheiten, wirtschaftlich Schwache und andere marginalisierte Gruppen Gehör finden. Es stellt sich also die Frage, ob das neue Mediengesetz dieses Anliegen fördert oder behindert. Wir denken, dass das neue Gesetz dieses Ziel erreicht. Mehr oder weniger.

https://www.republik.ch/2022/01/05/mediengesetz/befragung


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Die Globalisierung hat in den letzten zwanzig Jahren grosse kulturelle und religiöse Veränderungen gebracht. Auch in der Schweiz. Heute stellt sich für viele Christen die Frage, ob die Schweiz überhaupt (noch) ein christliches Land sei. Wir sind der Meinung, dass dies gar nie der Fall war. Und sehen das als riesige Chance.

1. Kriterium: «Die Schweizer sind Christen»

Wann ist ein Land christlich? Für viele Leute lautet die Antwort: wenn es in diesem Land viele Christen gibt. Wenn also alle Bewohner Christen sind, oder ein Grossteil, oder mehr als die Hälfte, so kann man das Land als Ganzes christlich nennen. Hinzu kommt, dass in einem solchen Land auch die Gesetze, die Kultur und «die Luft, die man atmet», christlich geprägt sind. Deshalb hört man oft auch, dass ein Land, das christliche Werte in Politik und Gesellschaft verwirklicht, ein christliches Land sei.

Ein erstes Kriterium für ein christliches Land lautet also, dass hier viele Christen leben und christliche Werte in der Öffentlichkeit eine wichtige Rolle spielen.

In der Gegenwart

Ob die Schweiz ein christliches Land ist, hängt also davon ab, wie wir Christsein definieren. In einem evangelischen Verständnis bedeutet Christsein viel mehr als an Weihnachten einen Gottesdienst zu besuchen. Es bedeutet, persönlich umzukehren, Gottes Vergebung zu erleben, sich die Sorgen nehmen, Freude und Befreiung schenken zu lassen, mit Jesus, Seiner Liebe und Seinem Geist durch den Alltag zu gehen und vieles mehr. Umfragen zeigen, dass nur eine kleine Minderheit der Schweizer Bevölkerung dieser Vision nachlebt.1

Deshalb, und weil die Öffentlichkeit ja von allen Bürgern zusammen geformt wird, sind auch unsere Gesetze, unsere Gesellschaft und Kultur weitgehend nicht von christlichen Zielen geleitet. Bei uns wehen viele Geister, gute wie böse: die Geldliebe, die Bitterkeit, die Ehrlichkeit, die Sorge um die Natur, der Spass usw. Der Geist Jesu aber weht inmitten dieser Stürme wie ein feines Säuseln.

In der Vergangenheit

Ist das aber nicht eine neue Entwicklung? Ist unsere heutige Kultur nicht auf dem christlichen Boden der Vergangenheit gewachsen und davon genährt?

Aus christlicher Sicht scheint es uns zweifelhaft, dass uns der Glauben unserer Vorfahren tragen kann: «Gott hat keine Enkelkinder», heisst es doch. Jeder Mensch muss selbst zu Gott finden. Auch ist ungewiss, inwiefern sich die Zeiten von Niklaus von der Flüe und von Jeremias Gotthelf noch auf unser Leben im 21. Jahrhundert auswirken.

Auch stellt sich auch die Frage, wie christlich diese Wurzeln überhaupt sind. Was hat wohl unsere «christliche Schweiz» mehr geprägt: bibeltreue Prediger oder vom Aberglauben durchtränkte Volksfrömmigkeit? Ein paar pazifistische Mennoniten oder ein Heer von kriegslustigen Adligen? Niklaus von der Flüe oder der Walliser «Söldnerfürst» Stockalper? Uns scheint, dass zu jener Zeit verhältnismässig wenige Menschen etwas von den Werten erleben konnten, die uns Jesus gebracht hat: Fürsorge, Schutz der Armen und Ausländer, Gewaltlosigkeit, Bescheidenheit.

Heute wie früher muss offenbar ein Grossteil der Schweizer Bevölkerung das Evangelium erst noch empfangen. Somit ist das erste Kriterium, «die Schweizer sind Christen», nicht erfüllt.

2. Kriterium: «Die Schweiz ist Christ»

Einige Christen erachten die Schweiz als christlich, weil sie sich im Bundesbrief und in der Verfassung Gott anbefohlen habe. Auch habe Gott die Schweiz gesegnet. So wie ein Individuum sich zu Gott bekehren kann, so könne auch ein Land mit Gott in Beziehung treten. Dabei spiele es keine Rolle, dass die Mehrheit der Schweizer keine persönliche Beziehung zu Gott pflegten.

Dieses zweite Kriterium bezeichnet ein Land dann als christlich, wenn es als Land eine spezielle Beziehung zu Gott hat.

Flaggen, Briefe und Präambeln

Es scheint äusserst fraglich, ob die Schweiz nach diesem zweiten Kriterium ein christliches Land ist. Oftmals wird zur Stützung dieser Idee auf das Kreuz in unserer Flagge verwiesen. Man muss sich jedoch fragen, ob zum Beispiel der Kanton Neuenburg wirklich ein christlicherer Kanton ist als der Kanton Bern, nur weil in seiner Flagge ein Kreuz prangt.

Als weiteres Argument wird der Bundesbrief von 1291 genannt, der mit «In Gottes Namen, Amen» beginnt. Dabei bleibt offen, wie der Bundesbrief die Schweiz näher zu Gott geführt hat. Er hält ja in knappen Worten lediglich einige Rechtsgrundsätze sowie einen Verteidigungsbund zwischen drei Tälern fest. Es ist kein Bund mit Gott. Auch war es in jener Zeit üblich, Urkunden mit einer Anrufung Gottes zu beginnen. Offenbar handelt es sich dabei um eine Floskel.

Auch mit der Präambel zur Bundesverfassung wird argumentiert: «Im Namen Gottes des Allmächtigen.» Doch die Bibel lehrt uns an zahlreichen Stellen, dass Gott nicht auf offizielle Bekundungen und grosse Worte in der Öffentlichkeit achtet. Vielmehr sind ihm die Herzenshaltung und die daraus fliessenden Taten wichtig (z.B. Am. 5,21–27, Matt. 6,5–6). Neben ihrer rein symbolischen Bedeutung ist auch die inhaltliche Bedeutung der Präambel fraglich. Laut den mehrheitlichen Wortmeldungen in der parlamentarischen Debatte drückt diese Präambel vor allem die Begrenztheit unseres menschlichen Handelns aus. Betont wurde der Traditionsanschluss und nicht der Bezug zum Gott der Christen.

Auch nach dem zweiten Kriterium, «die Schweiz ist Christ», gibt es also keinen Grund, die Schweiz als christliches Land zu betrachten.

Fazit und grosse Chance: eine nicht-christliche Schweiz

Die Prüfung der zwei genannten Kriterien ergibt also, dass die Schweiz kein christliches Land ist. Wir brauchen also nicht eine christliche Fassade hochzuhalten. Diese Wahrheit ist wohltuend und befreiend.

Ein neuer Platz für die Christen

Zugleich stellt uns Christen dieser Sichtwechsel aber auch vor die Frage, welchen Platz wir in der Gesellschaft einnehmen sollen. Wir sind nun ja nicht die Vertreter einer angeblich wahren, christlichen Ur-Identität der Schweiz. Vielmehr leben wir als eine von vielen Minderheiten in einem pluralistischen, liberalen Staat. Die Kirche steht nicht in der Mitte des Dorfs, sondern am Rand der Gesellschaft, abseits der Machtzentren. Ein gewichtiger Trost: Genau dort übt auch Jesus seinen Dienst aus.

Die kulturellen und religiösen Veränderungen, welche die Globalisierung mit sich bringt, dürfen uns Christen nicht dazu verführen, in die Rolle der Hüter eines angeblich «christlichen Abendlandes» zu schlüpfen. Wir wollen unsere Kräfte nicht für die Aufrechterhaltung institutioneller und kultureller Privilegien verschleissen, die oft herzlich wenig mit dem Zimmermann und Gottessohn Jesus zu tun haben.

Eine neue Stimme

Unser Land war nie evangeliumsgemäss gestaltet und ist es auch heute nicht. Aber was nicht ist, kann ja noch werden! Die christliche Minderheit in der Schweiz soll nicht frustriert etwas zu restaurieren versuchen oder sich als Sprachrohr der schweizerischen Seele verstehen, die ja «eigentlich» christlich wäre. Nein, die kleine christliche Stimme inmitten der vielen Stimmen der modernen Schweiz soll eine Stimme sein, die etwas Neues bringt. Eine Stimme, die inmitten von Unheil das Leben des Einzelnen und der Öffentlichkeit verändert. Eine Stimme, die der Schweiz den Weg zu Christus und seinen Werten zeigt.

Jesus hat nicht Bewahrung, sondern Umkehr gepredigt. Zu dieser Umkehr gehört auch, dass wir auf gesellschaftlicher Ebene die Liebe Gottes bezeugen und prophetisch auf Missstände hinweisen. Politisch sollen wir den Kirchen und Christen keine Vorteile verschaffen, sondern unseren Mitmenschen dienen, besonders den Schwächsten: den Armen, Kriminellen und Ausländern (nach Matt. 25).


Artikel, der in der evangelischen Wochenzeitschrift Idea Spektrum «Zur Lage der Nation» erschienen ist (Nr. 29/30, 20. Juli 2016)

1. Religiöse und spirituelle Praktiken und Glaubensformen in der Schweiz. Erste Ergebnisse der Erhebung zur Sprache, Religion und Kultur 2014. BFS Statistik der Schweiz, Neuchâtel 2016.

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Die Panama Papers haben einmal mehr gezeigt, wie stark sich Schweizer Institutionen an undurchsichtigen Finanzgeschäften weltweit beteiligen. Über 34 000 Briefkasten-Konstrukte mit Schweizer Verbindung haben die investigativen Journalisten des ICIJ1 ausfindig gemacht.

Dazu hier eine Stellungnahme von ChristNet und unten eine Stellungnahme von Micah Global, dem internationalen Netz von StopArmut.

Schweizer Verbindung erstaunt nicht

Dass einige Schweizer Finanzintermediäre in den Fall der Panama Papers verstrickt sind, verwundert nicht. Seit Jahren wird der undurchsichtige Umgang mit ausländischen Steuer- und Staatsgeldern durch Schweizer Institutionen kritisch kommentiert. Seit den 2000-er Jahren auch in christlichen Kreisen. Das 2013 von StopArmut und ChristNet veröffentlichte Buch Die Schweiz, Gott und das Geld etwa zeigt auf, dass die Schweiz wegen ihrem Bankgeheimnis und der künstlichen Unterscheidung zwischen (legaler) Steuerhinterziehung und (strafbarem) Steuerbetrug ein Hort für Geldwäscherei, Potentatengelder und Steuerfluchtgelder ist. Erst auf ausländischen Druck hin waren die Schweizer Beörden 2014 bereit, das Bankgeheimnis teilweise zu lockern.

Fehlende Einsicht und Angst

Fehlende Einsicht und Angst vor wirtschaftlicher Einbusse prägen die Haltung der Schweizer Behörden in diesen Fragen. So reagierte Finanzminister Ueli Maurer auf die Panama Papers, indem er die Praxis der Offshore-Konten gar noch verteidigte und meinte, man dürfe den Reichen die Anlagemöglichkeiten nicht nehmen2 . Und bereits im Herbst 2014 kommentierte Wirtschaftsminister Schneider-Ammann das Thema Offshore-Konten so: «Steuern optimieren ist sehr schweizerisch»3 . Dass gerade die unrechten Gelder aus Entwicklungsländern dort in Bildung und Gesundheit fehlen, scheint kein zentrales Anliegen der offiziellen Schweiz zu sein.

Forderungen und Gebet

Konkret fordern wir die Schweizer Politik zur Schaffung von Transparenz und Gerechtigkeit auf,

  • auch Anwälte (nicht nur Finanzintermediäre) in die Sorgfaltspflicht zu nehmen;
  • ein Register für die wirtschaftlich Berechtigten aller Firmen einzuführen.

Als christliche Organisationen und angesichts der grossen Widerstände sind wir uns bewusst, dass proaktives Handeln und echte Einsicht eine Frage des Gesinnungswandels ist, der unsere menschlichen Kräfte übersteigen kann. Darum beten wir,

  • dass immer mehr Schweizer die Realität der Offshore-Wirtschaft wahr und ernst nehmen;
  • dass die Angst vor wirtschaftlichen Nachteilen dem Vertrauen auf Gottes Fürsorge weicht;
  • dass die Bereitschaft wächst, unser Eigeninteresse dem transparenten, gerechten Umgang mit Geld unterzuordnen;
  • dass das Parlament bereit wird, hierfür konkrete Massnahmen zu ergreifen.

1. International Consortium of Investigative Journalists, Herausgeberin der Panama Papers.

2. Tagesanzeiger, «Finanzminister Maurer verteidigt Offshore-Kultur», 8.4.2016. tagesanzeiger.ch/wirtschaft/panama-papers/finanzminister-maurer-verteidigt-offshorekultur/story/22686528, eingesehen am 30.5.2016.

3. Blick, «‹Steuern optimieren ist sehr schweizerisch›», 12.9.2014. blick.ch/news/politik/bundesrat-johann-schneider-ammann-verteidigt-schlaumeiereien-der-firmen-steuern-optimieren-ist-sehr-schweizerisch-id3122588.html, eingesehen am 30.5.2016.

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Am 28. Februar 2016 sind wir aufgerufen, über die sogenannte «Durchsetzungsinitiative» abzustimmen. Das Anliegen der Initianten ist es, der «Ausschaffungsinitiative», die das Stimmvolk am 28. November 2010 angenommen hat, Nachdruck zu verleihen, den Katalog der von einer Ausschaffung betroffenen Delikte auszudehnen1 und Ausnahmeregelungen für Härtefälle zu verunmöglichen. Aus christlicher Sicht ist diese Vorlage sowohl inhaltlich als auch formal unhaltbar.

Kein Ansehn der Person

Inhaltlich festigt die Durchsetzungsinitiative die von der Ausschaffungsinitiative eingeführte Grundidee, dass Ausländer härter bestraft werden sollen als Schweizer. In der Bibel wird demgegenüber die Gleichbehandlung aller Menschen vor dem Gericht grossgeschrieben. Die Menschen sollen nicht nach äusserlichen Kriterien (etwa der Nationalität) beurteilt werden. So etwa bei König Josafat, der die Rechtsprechung neu ordnet: «Darum lasst die Furcht des HERRN bei euch sein, haltet und tut das Recht; denn bei dem HERRN, unserm Gott, ist kein Unrecht, weder Ansehen der Person noch Annehmen von Geschenken» (2. Chronik 19,7).

Auch die Weisheitsliteratur bekräftigt diesen Gedanken: «Die Person ansehen im Gericht ist nicht gut» (Sprüche 24,23). Der spezifische Fall der Ausländer wird im Gesetz des Mose überaus deutlich behandelt: «Für die ganze Gemeinde gelte nur eine Satzung, für euch wie auch für die Fremdlinge. Eine ewige Satzung soll das sein für eure Nachkommen, dass vor dem HERRN der Fremdling sei wie ihr» (4. Mose 15,15–16). Somit scheint klar, dass die Durchsetzungsinitiative (übrigens auch ihre grosse Schwester, die Ausschaffungsinitiative) im Inhalt biblischen Grundwerten widerspricht.

Unterordnung unter die Obrigkeit

Auch formal stellt die Initiative aus christlicher Sicht ein Problem dar. Die Initianten haben noch vor Abschluss des Gesetzgebungsprozesses im Parlament die Initiative lanciert mit dem Vorwurf, das Parlament respektiere den Volkswillen nicht. Dabei hätten sie die Möglichkeit gehabt, den Gesetzentwurf mit einem Referendum anzugreifen, um einen neuen Entwurf zu erzwingen. So schliessen sie das vom Volk gewählte Parlament. Überdies nimmt der Initiativtext den Gerichten jeglichen Ermessensspielraum, indem er unbedingte Härte verlangt und keine Ausnahmen für Härtefälle vorsieht. So missachten die Initianten das gesunde Zusammenspiel der drei Staatsgewalten (Bundesrat, Parlament, Gerichte) und versuchen, allen Institutionen ihre Sichtweise in absoluter Weise aufzuzwingen.

Vor einer solchen Haltung des Misstrauens und der Missachtung den Behörden gegenüber wird in der Bibel gewarnt. So schreibt etwa Paulus: «Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ausser von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet» (Römer 13,1). Natürlich muss diese Stelle vorsichtig verwendet werden, wurde sie in der Vergangenheit doch vielfach missbraucht, um die Unterdrückten in ihrer Unterdrückung zu halten. In unserem heutigen politischen System können wir diese Unterordnung unter die Obrigkeit als den Respekt der Institutionen deuten, also auch der bestehenden Gewaltentrennung. Ein solcher Respekt schliesst eine kritische Haltung und ein Hinwirken auf eine Veränderung der Institutionen nicht aus, gerade wenn sie der Unterdrückung der Schwächsten dienen. Bei der Durchsetzungsinitiative, die das System der Gewaltentrennung durch die Hintertür schwächen würde, ist aber nicht einsichtig, welche Unterdrückung sie bekämpfen will. Sie schafft vielmehr neues Unrecht für unsere ausländischen Mitmenschen.

Das Böse mit dem Guten überwinden

Die Online-Kommentare zeigen, dass die Anziehungskraft dieser Initiative auch in einem weit verbreiteten Gefühl liegt, die «wirklich Schuldigen» würden nicht bestraft und würden unser strafrechtliches System ausnützen, um auf unsere Kosten zu leben (Stichwort Kriminaltourismus2 ).

Tatsächlich ist es so, dass unser Rechtssystem, wie jedes menschliche System, unvollkommen ist und es Vieles zu verbessern gibt. Doch ändert die Initiative nichts am bestehenden Unrecht; sie schafft vielmehr neues. So stellt sie etwa Genozid und Sozialmissbrauch gleich und nimmt es in Kauf, dass ein hier aufgewachsener Familienvater ausgeschafft wird. Demgegenüber ruft uns Paulus zu: «Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.» (Römer 12,21). Wir Christen sind aufgerufen, über System-Ungerechtigkeit offen zu diskutieren und dann konstruktive, «gute» Verbesserungsvorschläge zu bringen.

Es gilt auch zu bedenken, dass sich Jesus mit den Randständigen und Ausgegrenzten identifiziert. So etwa im Gleichnis von den Schafen und Böcken. Dort sagt Jesus: «Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen… Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen» (Matthäus 25,35–36). Im Zusammenhang mit der Durchsetzungsinitiative erhält diese Aussage eine ganz neue Bedeutung: Jesus begegnet uns nicht nur im Ausländer, sondern auch im kriminellen (inhaftierten) Ausländer. Können wir Christen unter diesen Umständen wirklich fordern, dass solche Leute ausgeschafft werden sollen? Und erst noch bedingungslos?

Die Wahrheit lieben

Das verbreitete Gefühl des Unrechts beruht oft auch auf falschen Informationen. So hat eine nicht repräsentative Umfrage auf dem Datenblog3  von Newsnet.ch gezeigt, dass die Teilnehmer die Kriminalität allgemein (Schweizer und Ausländer) viel höher einschätzen, als sie wirklich ist.4 Dies ist ein Hinweis darauf, wie gross die Angst ist und wie sehr diese Problematik überbewertet wird. So bewegt sich die Debatte leider oft weitab von realen Fakten. Hier sind wir Christen gefordert, als «Kinder des Lichts» die Wahrheit zu lieben und uns den Fakten zu stellen, auch wenn sie unbequem sind und nicht unseren ideologischen Vorurteilen entsprechen.


1. Die Initiative fordert für so unterschiedliche Straftaten wie Völkermord, Vergewaltigung, Einbruch, Drogenbesitz und Sozialmissbrauch dieselbe Ausschaffungs-Sanktion.

2. Leider bietet die Initiative gerade zur Bekämpfung des Kriminaltourismus keine Handhabe. Wer nicht hier wohnt und illegal einreist, um bei uns eine Straftat zu begehen, hat logischerweise keine Angst vor einer Ausschaffung.

3.  «So kriminell sind Ausländer wirklich», blog.derbund.ch/datenblog/index.php/11293/so-kriminell-sind-auslaender-wirklich; eingesehen am 5.2.2016.

4. Anteil der verzeigten Schweizer und Ausländer: von LeserInnen geschätzt (Ø): 10,9% (CH), 16,4% (Ausl.); tatsächlicher Wert: 0,7% (CH), 2,2% (Ausl.); eingesehen am 5.2.2016.

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Die Spekulationsstopp-Initiative der Juso will Börsenspekulationen mit Agrar-Rohstoffen und Nahrungsmitteln einschränken. Sie will, dass nur noch Akteure, die direkt mit den Rohstoffen und Lebensmitteln arbeiten (Produzenten, Verarbeiter etc.) mit Finanzprodukten handeln dürfen, die sich auf Agrar-Rohstoffe oder Nahrungsmittel beziehen, um sich damit preislich oder terminlich abzusichern. Schon 2013 hat sich ChristNet in «Die Schweiz, Gott und das Geld»1 für dieses Anliegen eingesetzt.

Die Hungerkrise 2007–2008 und die auch danach zeitweise steigenden Nahrungsmittelpreise haben über 100 Millionen Menschen in den Hunger getrieben. Viele von ihnen sind gestorben. Ein beträchtlicher Teil der globalen Spekulation mit Grundnahrungsmitteln wird in der Schweiz getätigt, vor allem durch Händler in Genf.

Auch wenn es noch unklar ist, wie stark genau diese Spekulationen die Hungerkrisen des letzten Jahrzehnts verursacht hat, so haben wir heute die Möglichkeit, diesen Anteil zu reduzieren. Denn eines ist klar: Menschenleben kommen in jedem Fall vor Gewinn.

Lassen wir uns nicht vom Angstreflex anstecken, dass der Schweiz durch die Initiative Gewinn und womöglich ein paar Arbeitsplätze entgehen würden.

Die Argumente

  • Hunger bekämpfen: Preisschwankungen auf dem Nahrungsmittelmarkt haben in Entwicklungsländern dramatische Auswirkungen. Menschen, die 50–90% ihres Einkommens für Nahungsmittel ausgeben müssen, werden dadurch in den Hunger getrieben. Gerade für Kinder ist Unterernährung kein vorübergehendes Problem, sondern hinterlässt lebenslängliche Schäden. Mit einer stärkeren Regulierung der Spekulation kann den Preisschwankungen die Spitze gebrochen werden.
  • Sachgemäss: Zahlreiche Studien belegen, dass sich die Spekulationen negativ auf die Stabilität der Lebensmittelpreise auswirken.
  • Preisschwankungen durch Herdenverhalten: Die Spekulanten an der Börse neigen zu Herdenverhalten, was Preisschwankungen verstärkt. Im Fall der Nahrungsmittel wirkt sich dieser Umstand insbesondere in Entwicklungsländern dramatisch aus. Deshalb braucht es für Nahrungsmittel strengere Regulierungen als für andere Handelsgüter.
  • Im Zweifelsfall für die Hungernden: Die Frage, inwiefern sich die Spekulation mit Nahrungsmitteln negativ auf die Preise auswirkt lässt sich heute wissenschaftlich nicht abschliessend beantworten. Im Zweifelsfall müssen aber die Interessen aller potentiell betroffenen Parteien abgewogen werden. Somit ist klar: Die von Hunger bedrohte Bevölkerung muss dem allfälligen Kapitalgewinnausfall der Börsenspekulanten vorgehen.
  • Umsetzung realistisch: Die Initiative ist einfach und unbürokratisch umsetzbar. Die Unterscheidung zwischen Spekulation und preisabsicherndem «Hedging» wird bereits heute an vielen Handelsplätzen vorgenommen.

1.  insb. Kap. 1.7 «Mit Essen spielt man nicht!» (Brot für Alle) und Kap. 1.6 «Das grosse Geld mit dem Rohstoffhandel» (Benjamin Gräub), in: Die Schweiz, Gott und das Geld. Je Sème, ChristNet, StopArmut, St. Prex, 2013.

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«Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum HERRN;
denn wenn‘s ihr wohl geht, so geht‘s auch euch wohl… ich weiss wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.»
(Jeremia 29,7+11)

Eine Visionssuche von ChristNet 2015-2019

Der Souverän hat gesprochen: Die Schweizerinnen und Schweizer haben bei den Parlamentswahlen vom 18. Oktober 2015 den Parteien aus dem rechten politischen Spektrum einen Stimmenzuwachs beschert (Pressecommuniqué vom 16.10.2015). Das Stimmvolk hat damit einer Politik ihre Unterstützung zugesagt, die sich in ihrem Reden und Handeln stark von Ängsten vor Fremden und vor materiellen Verlusten leiten lässt. Die Vision der Schweiz, die sich hinter dieser Politik verbirgt, sieht ein Land vor, das sich tendenziell abschottet und unverändert so bleibt wie es heute ist. Auf ökonomischer Ebene besteht das Ziel, noch mehr Reichtum zu generieren und Steuern zu senken.

Sind Gier, Geiz und der Unwille zur Veränderung wirklich lohnende Ziele? Ist es das, was auch wir Christen und Christinnen hoffen und wollen? Oder hegen wir Hoffnungen darüber hinaus? Wir von ChristNet sind überzeugt, dass es an der Zeit ist, neue Visionen für unser Land zu suchen. Christen und Christinnen und alle Menschen guten Willens sind deshalb eingeladen, sich an einem kollektiven Brainstorming zu beteiligen. Diskutiert mit, wie das Leben in der Schweiz für die kommende Generation, wie es im Jahr 2045, aussehen soll!

Der Zeitgeist: «Immer mehr»

Wir von ChristNet analysieren die politische Situation der Schweiz seit 2004. Wir stellen fest, dass sich die Schweizer Politik immer mehr und immer einseitiger um das Geld dreht: Wie können wir mehr Holdings, Konzernsitze und Milliardäre anziehen? Wie können wir das Bankgeheimnis doch noch verteidigen? Wie können wir mehr Wachstum erreichen? Zu vieles wird mit der Schaffung neuer Arbeitsplätze gerechtfertigt.

Moralische Grenzen gelten als schädlich für das Geschäft und werden darum verworfen. So zum Beispiel die Menschenrechte oder ein Verbot der Spekulation mit Lebensmitteln, obschon diese bereits Millionen von Menschen in den Hunger getrieben hat. Den Markt ungestört wirken lassen, ist die vorherrschende Ideologie, auch wenn einzelne Individuen dabei das Nachsehen haben, zum Beispiel aufgrund höherer Mietzinsen infolge der Immobilienspekulation. Der Staat, den wir demokratisch mitgestalten, gilt als Störenfried unfehlbarer Marktkräfte und soll sich möglichst aus der Wirtschaft heraushalten.

In der Schweiz wird die Bereitschaft grösser, dem Markt gesellschaftliche Errungenschaften zu opfern: Der arbeitsfreie Sonntag wird beschnitten, die Arbeitszeiten werden flexibler und gleiten immer mehr in den Feierabend. Der Freiraum, um Beziehungen zu pflegen und um sich körperlich geistig zu erholen, wird knapper. Der Schutz der Umwelt, Gerechtigkeit und Solidarität, Werte, die sich kurzfristig nicht rechnen, sind bedroht: Spitäler werden geschlossen, bei Schulen wird gespart, weil Steuerwettbewerb und Steuerabbau die Kassen künstlich verknappen. Die Solidargemeinschaft Schweiz befindet sich zugunsten der Wirtschaft auf dem Rückzug.

Neue Visionen sind gefragt

Sollen Wirtschaftswachstum und die Anhäufung von Reichtum wirklich unser letztes Ziel sein? In der Bibel heisst es dazu: «Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden…» (Mt 6,19). Das Evangelium stellt uns vor die Wahl zwischen Gott und Mammon (Mt 6,24). Wir Christen wissen dank unserer heiligen Schrift und oft infolge eigener Erfahrungen, dass das Verlangen nach mehr Besitz und nach der Absicherung unserer materiellen Bedürfnisse (Mt 6,25) nicht alles ist, was das Leben ausmacht. Und nicht das, was es letztlich lebenswert macht.

Viele Christen ahnen, dass es eine Alternative zur vorherrschenden Mammon-Ideologie des Konsums und des Marktes braucht. Und viele Christen suchen und leben in ihrem Umfeld Alternativen bereits so gut vor, wie sie können. Sie leben aus der Frohen Botschaft Jesu, die Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und die Gemeinschaft ins Zentrum stellt. Sie leben eine Nächstenliebe vor, die der Liebe Gottes zu uns Menschen entspricht (Mt. 22,39).

Was aber bedeutet dies für das Feld der Politik? Was ist das Beste für die Schweiz, damit sie wieder Menschen statt Geld fördert? Wie soll dazu unser gesellschaftliches, politisches Umfeld gestaltet werden? Auch wir haben nur erste Ahnungen: Wir sind überzeugt, dass der Staat Freiräume schaffen muss, damit wir vertrauensvolle und echte Beziehungen leben können. Dass es eine fördernde und fordernde Fürsorge braucht, eine Schöpfung, die für künftige Generationen bewahrt wird, eine massvolle und stressfreie Mobilität, sichere und lebensfreundliche Städte, sowie eine Wirtschaft, die den Menschen dient.

Aber was heisst das konkret? Sag es uns! Wie beeinflusst Dein Christsein Deine politische Haltung? Was soll es für das politische Engagement von ChristNet in den nächsten Jahren bedeuten? Heisst es etwa, dass wir alle Flüchtlinge aufnehmen sollen, die zu uns kommen wollen? Oder dass wir die Entwicklungshilfe ausbauen sollen? Heisst es, dass wir uns für ein bedingungsloses Grundeinkommen stark machen sollen? Für eine Einheits-Krankenkasse? Sollen wir Christen uns wieder für autofreie Sonntage einsetzen? Oder für einen sanften Tourismus, der statt nur Geld auch echte Gäste anzieht? Welche politischen Inhalte und Visionen liegen Dir als Christ oder Christin besonders am Herzen?

Auf diese Fragen sucht ChristNet in den nächsten Jahren Antworten. Wir wollen nicht nur theoretisieren und kritisieren, sondern Visionen und Ziele entwerfen. Machst Du mit?

Unsere Fragen an Dich in Kürze

  1. Was ist für Dich das wichtigste im Leben?
  2. Was stellst Du Dir für Dich oder für Deine Kinder das Leben in 30 Jahren vor?
  3. Was scheint Dir künftig besonders wichtig für die Schweiz?
  4. Wie übersetzt Du Jesu Lehre und Haltung der Nächstenliebe in die Politik?
  5. Inwiefern können Christen einen konkreten Beitrag leisten, damit dies gefördert wird?
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Nur Flüchtlingsangst und Wirtschaftswachstum?​

Mit den nationalen Wahlen vom 18. Oktober 2015 stellt sich erneut die die Frage: «Wie soll die Schweiz von morgen aussehen?». Nun dominieren zwei Themen die Diskussion um die Wahlen: Die Flüchtlinge und das Wirtschaftswachstum.

Die Medien berichten täglich über die Flüchtlingsströme, und vielen von uns begegnen heute Eritreern und Syrern im täglichen Leben. Die Hauptsorge scheint aber nicht das Wohlergehen dieser Menschen zu sein, sondern wie wir uns gegen sie wehren können…

Nach dem «Frankenschock» hat die Schweiz eine Rezession erwartet, die nun aber kaum eintritt. Trotzdem sorgt die Angst vor Verlusten dafür, dass Kandidaten hauptsächlich auf ihre Wirtschaftsfreundlichkeit durchleuchtet werden. Allerdings wurde bereits in den letzten vier Jahren alles der Wirtschaftsförderung, also auf Reichtumsvermehrung untergeordnet. Sollen wir dem nun noch mehr opfern?

Ist das alles, wofür wir heute noch einstehen?

Sind Abwehr der Fremden und Vermehrung des materiellen Reichtums das einzige, was uns noch wichtig ist? Wenn man die sinkenden Stimmbeteiligungen in den kantonalen Wahlen in Zürich, Baselland und Luzern ansieht, dann möchte man es meinen. Dass die Parteien, die nicht obige Themen in den Vordergrund schoben, weniger Wählende mobilisieren konnten, ist ein Zeichen dafür.

Als Christen andere Themen

Wir Christen hätten doch andere Themen, die uns wichtig sind, wie zum Beispiel:

  • Eine Umwelt, die auch unsere Kinder noch über die Grösse Gottes staunen lässt
  • Eine massvolle Mobilität, in der die Städte nicht ersticken, und in der wir sicher leben können
  • Eine Wirtschaft und Gesellschaft, die nicht auf Kampf aller gegen alle und nicht auf Akkumulation durch Stress setzt, sondern Sicherheit und Zeit für Beziehungen lässt
  • Den Schutz des Sonntags als Gabe von Gott, damit wir durchschnaufen und Beziehungen pflegen können
  • Schulen und Spitäler, die mit genügend Mitteln ausgestattet allen gleich zugänglich sind
  • Gerechtigkeit mit unseren Mitmenschen im Süden, die sie vor Ausbeutung und Nahrungsmittelspekulation schützt, auch wenn unsere Wirtschaft damit weniger Gewinn macht.

Gehen wir wählen, wenn uns diese Themen auch wichtig sind!

Auf dem Spiel stehen zum Beispiel:

  • Der Sonntagsschutz
  • Die Energiewende
  • Die Umweltgesetzgebung
  • Das Mieterschutzgesetz
  • Die flankierenden Massnahmen zu den Bilateralen, die uns vor Hungerlöhnen schützen
  • und so weiter.

Oder wollen wir erst dann aufwachen, wenn wir all das nicht mehr haben? Mobilisieren wir unsere Freunde, wählen zu gehen!


Zuerst erschienen auf: Livenet.ch, 28.9.2015

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40 Tage für Ausländerpolitik beten

Wie vor vier Jahren lädt ChristNet im Hinblick auf die Nationalratswahlen vom 18. Oktober 40 Tagen «Beten+Wählen» ein. Dieses Mal aus aktuellem Anlass unter dem Thema «Migration». So soll den Christen Gelegenheit geboten werden, als persönliche Vorbereitung auf die Wahlen während 40 Tagen für die politische Schweiz zu beten, dass sie für Migrationsfragen mehr Offenheit zeigt.

Möchtest Du eine Schweiz der Nächstenliebe auch im Migrationsbereich? Dann mach mit bei der Gebetsbewegung vom 9. September bis 18. Oktober!

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Ende 2014 waren weltweit 60 Millionen Menschen auf der Flucht – so viele wie noch nie. Auffällig hohe Aufnahmequoten in der Schweiz und in Europa deuten darauf hin, dass sehr viele dieser Menschen wirklich um ihr Leben fliehen, wegen inneren Konflikten und Bürgerkrieg in Syrien und Eritrea. Sicher stimmt es aber auch, dass im Zeitalter von Handy und Internet die Informationen über die Verhältnisse im Westen bzw. Norden allgegenwärtig sind. Auch die Organisation der Reise, sowie die Kontakte zu denen, «die es geschafft haben» sind heute einfacher.

Grosse Herausforderungen, vielfältige Ursachen

Derweil spielen sich auf dem Mittelmeer schreckliche Dramen ab: Jedes Jahr verlieren Tausende bei der Überfahrt ihr Leben. Wer ist schuld daran? Die Schlepper, weil sie skrupellos und profitgierig zu viel riskieren? Die «Wirtschaftsflüchtlinge», weil sie sich zu naiv vom Versprechen auf Reichtum verlocken lassen? Die EU, weil sie ihre Grenzen abriegelt und die Flüchtlingsboote auf riskantere Routen zwingt? Wir alle, weil wir von unserer Regierung den Schutz der Grenzen und unseres bequemen Wohlstands erwarten?

In den Medien klingt es oft so, als wäre vor allem Europa mit einem enormen Flüchtlingsstrom konfrontiert. Dies sieht im weltweiten Vergleich ziemlich anders aus:

Top 3 Aufnahmeländer1
(absolute Zahlen)
Top 3 Aufnahmeländer
(pro 1000 Einwohner)
  1. Türkei           1,59 Mio.
  2. Pakistan      1,51 Mio.
  3. Libanon       1,15 Mio.
  1. Libanon       232
  2. Jordanien   87
  3. Nauru           39
  • Schweiz 0,015 Mio.2
  • Schweiz       2

Ist die Schweiz also dermassen zurückhaltend, wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen geht? Nicht unbedingt: So ist etwa die Schutzquote (Asylgewährungen und vorläufige Aufnahmen) im letzten Jahr deutlich auf 58 Prozent gestiegen. Und unsere Regierung hat dem UNO-Flüchtlingshochkommissariat ein verhältnismässig grosses Kontingent von 3000 schutzbedürftigen Personen für die Aufnahme zugesichert. Angesichts von etwa 4 Millionen Flüchtlingen im Nahen Osten3 fordern einige NGOs allerdings die Aufnahme von bis zu 100 000 Flüchtlingen aus Syrien…

Die hohen Gesuchszahlen und der dadurch ausgelöste Bedarf an Unterkünften stellen Bund und Kantone vor grosse Herausforderungen. Während nun von rechts aussen die grosse Krise heraufbeschworen wird («Asylchaos!»; «Armee an die Grenze!»), reagieren viele Kantone erfreulich pragmatisch und innovativ: Das Tessin arbeitet mit Hoteliers zusammen, im Aargau und in Bern wurden vorübergehend Militärzelte aufgestellt.

Biblische Antworten

Was sagt denn die Bibel zu dieser komplexen Thematik? Zunächst einmal ist der Themenkreis «Verfolgung – Flucht – Exil – Heimat» in der Bibel erstaunlich gegenwärtig: Von 1. Mose 4 bis in die Offenbarung waren die Menschen immer wieder unterwegs. Abraham, Isaak, Jakob, Joseph, Mose, Jesus: Sie und andere waren für Kurz oder Lang Fremde in fremdem Land. Kein Wunder ist der Umgang mit Fremden auch in der biblischen Ethik ein Thema: Texte dazu finden sich etwa im Gesetz des Mose.4

Im Neuen Testament werden Werte wie Gastfreundschaft («einige haben Engel beherbergt…»5 ), Barmherzigkeit, Grosszügigkeit und Verzicht hochgehalten. Interessant auch, dass in der Bibel der Nächste nicht unbedingt, oder eben gerade nicht, der «Naheliegendste» und Volksgenosse ist. Im Gleichnis, welches das grosse Liebesgebot illustriert, ist es einer aus dem verachteten Volk der Samariter, der hilft. Und in der Grundlegung der Nächstenliebe im Alten Testament heisst es : «Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. Ich bin der Herr, euer Gott.»6 

Viele Flüchtlinge suchen Schutz vor Verfolgung an Leib und Leben. Andere suchen ein besseres Leben, Zukunftsperspektiven statt Hoffnungslosigkeit. Haben wir, die wir zufällig in einem der reichsten Länder geboren sind, das Recht, diese sogenannten «Wirtschaftsflüchtlinge» zu verurteilen? Gott liebt sie genauso wie uns selber. «Wir die Guten, sie die Bösen», dieses Bild trifft nicht zu – übrigens auch nicht in der Umkehrung. Gott bringt die Flüchtlinge an unsere Pforten und fordert uns mit ihnen heraus, ähnlich wie im Gleichnis der arme Lazarus den reichen Mann herausfordert7 .

Wir merken uns: Woher sie auch kommen und wie auch immer ihre Geschichte lautet, es sind Menschen. Unsere Nächsten. Ihnen soll unsere ganze Anteilnahme gelten.


1. UNHCR, Global Trends 2014

2. Berechnung aufgrund von: Staatssekretariat für Migration, Asylstatistik 2014
https://www.bfm.admin.ch/bfm/de/home/publiservice/statistik/asylstatistik/jahresstatistiken.html (eingesehen am 11.08.2015)

3. Staatssekretariat für Migration SEM, «Humanitäre Krise in Syrien», eingesehen am 30.7.2015. bfm.admin.ch/bfm/de/home/asyl/syrien.html.

4. 3. Mose 17–19 und 5. Mose 23–24.

5. Hebräer 13,2.

6. 3. Mose 19,33f.

7. Lukas 16,19-25.

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ChristNet ruft zur Annahme der Volksinitiative «Abschaffung der Pauschalbesteuerung» am 30. November 2014 auf. Dies in der logischen Folge unseres Buches «Die Schweiz, Gott und das Geld» (2013).

Gerechtigkeit bringt Segen für alle

Am 30. November stimmen wir über die Abschaffung der Pauschalbesteuerung ab. Umfragen zur Folge wäre die Initiative sechs Wochen vor der Abstimmung angenommen worden. Doch nun hat eine Gegenkampagne eingesetzt, die uns Angst machen will: Gegner behaupten, bei einer Annahme würden alle Pauschalbesteuerten wegziehen. Dass dies unwahr ist, zeigt das Beispiel des Kantons Zürich: Nach der Abschaffung dieser steuerlichen Ungleichbehandlung im Jahr 2009 zog nur die Hälfte der betroffenen Personen weg, und dank den Mehreinnahmen von den verbliebenen Personen resultierte nicht einmal ein Verlust1 .

Lässt sich die Schweizer Bevölkerung ein weiteres Mal Angst vor Steuererhöhungen einjagen und damit in die Irre führen? Die Gegenkampagne jedenfalls ist geschickt aufgebaut, denn sie versucht, mit den Begriffen «Mittelstand» und «KMU» uns alle zu Betroffenen zu machen. Und in vergangenen Abstimmungen konnte die Stimmung durch finanzkräftige Kampagnen, die uns Angst vor Arbeitsplatzverlust und Steuern machten, immer noch umgekehrt werden2 . Warum aber lassen wir uns derart beeinflussen? Haben wir so sehr Angst, Mangel zu leiden, dass wir uns dieser Logik des Mammon unterwerfen?

«Wir-Syndrom» oder Gemeinwohl?

Tatsächlich dominiert in der aktuellen Kampagne eine Art «Wir-Syndrom». Die Richtschnur unseres Handelns ist, ob wir als Schweiz finanziell gewinnen oder verlieren. Wir unterwerfen uns damit der Logik des Mammon: «Liebes Geld, bitte, bleib bei uns!» So sind wir sogar bereit, die Gleichheit vor dem (Steuer-) Recht zu beugen.Nun will aber der internationale Steuerwettbewerb, dass andere Länder und ihre Einwohner, die genauso unsere Nächsten sind, verlieren, was wir dabei gewinnen. Diese Menschen brauchen nämlich genauso Steuereinnahmen und Arbeitsplätze wie wir. Vor Gott sind sie gleich viel wert wie wir.

Genauer gesehen ist diese Jagd auf Reiche ja nicht einmal ein Null-, sondern ein Negativsummenspiel: Wenn ein grosser Teil der Pauschalbesteuerten bei uns viel weniger zahlt als in ihren Herkunftsländern, dann verlieren die Bevölkerungen insgesamt grosse Summen an Steuereinnahmen. Bereits heute werden mangels Steuereinnahmen Spitäler geschlossen, der umweltschonende öffentliche Verkehr eingeschränkt und Schulklassen vergrössert. Mit dem aktuellen System verlieren also alle. Das «Wir-Syndrom» und die Unterwerfung unter Mammon schaden der Bevölkerung mehr als sie nützen.

Gott weiss, was es braucht, damit es uns allen gut geht. Es ist deshalb kein Wunder, dass die Bibel uns auffordert, nicht nur an unser eigenes, sondern auch ans Wohl des Nächsten zu denken.3  Damit ist auch das Gesamtwohl gemeint, und dieses geht weiter als bis zur Landesgrenze. Doch die Angst vor Mangel und vor der internationalen Konkurrenz treibt auch viele Christen zu Ansichten wie: «Wir müssen auch für uns schauen, sonst sind wir bald die Letzten.»

Die Schweiz treibende Kraft

Ja, es gibt Konkurrenten um Steuereinnahmen. Aber die Schweiz kann nicht behaupten, sie schaue zu wenig für sich. Im Gegenteil: Sie war in den letzten 20 Jahren eine der Haupttriebkräfte im weltweiten Steuerdumping, beispielsweise mit den Steuerrabatten für Konzerne, mit Holdingsteuern, dem Bankgeheimnis und auch den Pauschalsteuern. Damit wurde anderen Ländern und deren Bevölkerung Hunderte Konzernsitze und Tausende Pauschalbesteuerte abgeworben. Angst führt uns also zu einer massiv verzerrten Wahrnehmung der Realität. Statt für uns zu schauen sind gerade wir Christen aufgefordert, zuallererst zu fragen, was Gott von uns will.

So heisst es in Micha 6,8 etwa: «Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert: Was anders als Recht tun, Liebe üben und demütig wandeln mit deinem Gott?» Gott verspricht uns Segen, wenn wir auf seine Weisungen hören. Und wenn wir gerecht handeln, werden auch unsere «Handels»-Partner gesegnet. Heute leben wir im Überfluss, aber in vielem sind wir kein Segen für unsere nächsten Länder. Es ist Zeit, dies zu ändern. Unsere Angst vor Mangel ist unbegründet, weil Gott uns ja verspricht, dass er für uns sorgen wird. Dabei ist es durchaus möglich, dass wir materiell etwas weniger haben, wenn wir gerecht handeln. Aber der Segen Gottes hat noch ganz andere Dimensionen als die materielle. Zudem hat doch die Schweiz bereits heute Überfluss. Etwas weniger tut‘s auch.

Nicht Neid, sondern Gemeinwohl

Bei der Initiative zur Pauschalsteuer geht es uns also nicht um Neid, sondern um das Allgemeinwohl, das über die Schweiz hinausgeht. Und es geht um biblische Gerechtigkeit: Wir sollen alle Menschen gleich behandeln, ob sie reich oder arm sind4 . Das heisst, dass vor dem Recht alle Menschen gleich sein sollen. Zugleich wollen wir uns aber auch hüten, gegen «die bösen Reichen» zu wettern. Würden wir wirklich anders handeln, wenn wir in derselben Situation wären und die geltenden Regeln dies legitimieren? Es liegt an uns allen, am 30. November für Regeln zu stimmen, die gerecht und für alle segensbringend sind.

Literatur

Zum Thema: Markus Meury, «3.2 Pauschalbesteuerung: Dem Reichtum zu Diensten» in Die Schweiz, Gott und das Geld, ChristNet/StopArmut, 2013.

 


1. www.nzz.ch/aktuell/zuerich/uebersicht/abschaffung-der-pauschalsteuer-in-zuerich-ohne-einnahmenverlust-1.15824993

2. Mindestlohninitiative, 1:12-Initiative, Steuergerechtigkeitsinitiative usw.

3. Z.B. in Philipper 2,3-4: «Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den andern höher als sich selbst, und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient.»

4. Jakobus 2,3: «Wenn ihr nun dem mit der vornehmen Kleidung besondere Aufmerksamkeit schenkt und zu ihm sagt: ‹Hier ist ein bequemer Platz für dich!›, während ihr zu dem Armen sagt: ‹Bleib du dort drüben stehen oder setz dich hier bei meinem Fussschemel auf den Boden!› – messt ihr da nicht in euren eigenen Reihen mit zweierlei Mass?»