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Nach der Nomination von Kamala Harris am kürzlichen Parteikongress der US-Demokraten ist die Ausgangslage für die Präsidentschaftswahlen vom kommenden November klar. Für die Demokratische Partei treten die Baptistin Kamala Harris zusammen mit dem Lutheraner Tim Walz als nominiertem Vizepräsidenten an, während Donald Trump, der als «Freund der Christen» bezeichnet wird, zusammen mit seinem katholischen potenziellen Vizepräsidenten James David Vance ins Rennen steigen wird. Für Christen also eine ausgeglichene Auswahlsendung? Höchstens auf den ersten Blick. Es gibt gute Gründe, den frommen Verpackungen nicht zu trauen und nach der mitgelieferten politischen Kultur sowie dem politischen Programm zu fragen. Und gleich auch noch zu prüfen, ob und wie weit der eigene christliche Glaube die persönliche politische Agenda prägt.

Nehmen wir als Ausgangspunkt das verwerfliche Attentat auf den Präsidentschaftskandidaten Donald Trump am Parteitag der US-Republikaner im vergangenen Juli (Korrektur: der Anschlag fand kurz vor dem Parteitag der US-Republikaner statt. Die ChristNet-Redaktion). Für Trump war die Deutung nach dem ersten Schock klar: Er habe den Anschlag auf sein Leben nur «dank der Gnade des allmächtigen Gottes» überlebt: «In gewisser Weise fühlte ich mich sehr sicher, denn ich hatte Gott auf meiner Seite1

Beten für Donald Trump?

Der Evangelist Franklin Graham sagte am selben Parteitag zum Anschlag gegen Trump, Gott habe dessen Leben verschont und betete für den möglichen zukünftigen Präsidenten. Robert Jeffress, Leiter der «First Baptist» Megachurch in Dallas, soll Gott gedankt haben, dass «er das Leben dieses mutigen Anführers, der ein Krieger für die Wahrheit und Freund der Christen weltweit ist, geschützt hat2 .» Auch Joe Biden erklärte öffentlich, dass er für Donald Trump beten wolle.

Das ging dem US-Theologen William Schweiker dann doch zu weit. Der Dozent für christliche Ethik an der Universität Chicago meinte, es wäre ihm lieber gewesen, wenn Biden alle aufgefordert hätte, sich für Frieden und Einheit einzusetzen, «statt eine höhere Macht anzurufen». Auf die Frage, ob das knappe Überleben Trumps ein Werk Gottes sei, antwortete er: «Kann sein. Ich weiss das nicht.» Schweiker kritisierte in einem Interview mit der «Zeit» Trump dafür, dass er den christlichen Glauben missbrauche, obwohl er weder für seine Frömmigkeit noch als bibelfester Kirchgänger bekannt sei. «Wenn jemand sich als Christ bezeichnet, dann muss es auf der persönlichen Ebene irgendeine Übereinstimmung zwischen seinem Glauben und seinem Tun geben. Aber ich erkenne bei Trump einfach keinerlei Demut3

Wie weit reicht der christliche Glaube?

Ich würde noch einen Schritt weitergehen. Politikerinnen und Politiker, die sich als Christen bezeichnen oder sich auf den christlichen Glauben berufen, müssten ihren Glauben nicht nur im persönlichen Umfeld ein Stück weit unter Beweis stellen, sondern auch bei ihrer politischen Agenda und in ihrer politischen Kultur. Der nominierte Trump-Vize J.D. Vance ist vor 5 Jahren zum Katholizismus konvertiert. Ob allerdings seine Ansichten über Politik und darüber, wie ein optimaler Staat aussehen sollte, wirklich «ziemlich genau mit der katholischen Soziallehre übereinstimmen»4 , wie er behauptet, muss bezweifelt werden.

Die wenigen Republikaner vom «Lincoln Project», die kritisch gegenüber Donald Trump eingestellt sind, nehmen hier kein Blatt vor den Mund. Im weiteren Umfeld des Parteitags der Republikaner zeigten sie in Endlosschleife Clips, welche an Trumps Skandale erinnern. An den Sturm seiner Anhänger auf das Capitol. An seine Verurteilung wegen Betrugs, nachdem er Schweigegeld an einen Pornostar in seinen Geschäftsunterlagen als Anwaltskosten verschleiert hatte. «Er ist kein Christ, er ist kein Anführer», betonten sie. «Lasst euch nicht verarschen.» Und: «Geht wählen, um seinen Lügen ein Ende zu setzen»5 : eine Anti-Empfehlung für Trump.

Wenn das so ist, warum fallen trotzdem so viele, gerade auch ernsthafte Christen auf Trump herein? Erstens weiss Trump, welche Themen er bespielen muss, um bibelnahe Christen für sich zu gewinnen: beispielsweise die Abtreibung und den Patriotismus. Zweitens folgen manche US-Christen einem individuellen Glauben, den sie in der sonntäglichen Anbetung feiern, ohne ihre angestammte politische Agenda im Lichte des Evangeliums zu hinterfragen. Oft ist diese Haltung auch noch kombiniert mit einer Vorliebe zu Persönlichkeiten, die den Leuten predigen, was Sache ist. Bekanntlich lernt man das Hinterfragen oder Überprüfen von präsentierten Fakten nicht unbedingt im Gottesdienst, dazu wären vertiefende Gespräche nötig. Ist diesen gläubigen Christen nicht aufgefallen, dass Trump für eine gehässige politische Kultur steht? Diesen Wermutstropfen sehen sie ihm offensichtlich nach. Schliesslich sind wir alle Sünder.

Abtreibung als Symptomhandlung

Nun, kein ernsthafter Christ kann ein Befürworter des (Un-)Rechts auf Abtreibung sein. Leben muss geschützt werden, auch wenn es erst im Mutterleib heranwächst. Nur gegen die Abtreibung zu sein, genügt aber nicht. Gesellschaftlich muss ein Umfeld geschaffen werden, das Abtreibungen unnötig macht bzw. höchstens noch als ethisches Dilemma6 zulässt.

Den Demokraten müsste gesagt werden, dass das (Un-)Recht auf Abtreibung nur scheinbar ein feministisches Anliegen ist. Es mag zwar Frauen geben, die eine Abtreibung als Mittel zur Familienplanung einsetzen. Das ist aber eine grobe Gedankenlosigkeit, denn dafür gibt es gescheitere Wege. Wer genau hinschaut, wird sehen, dass es in der Regel nicht die Schwangere ist, die abtreiben will, sondern der Mann, dem diese Schwangerschaft ungelegen kommt oder der Mann, der sich bereits aus dem Staub gemacht hat. Oder dann ist es der Druck, der auf heutigen Frauen lastet, möglichst uneingeschränkt der Arbeitswelt zur Verfügung zu stehen.

Mit anderen Worten: Abtreibungen sind in der Regel reine Symptomhandlungen. Dahinter stehen Fragen und Probleme, die angegangen werden müssten, damit eine Abtreibung gar nicht notwendig wird. Dafür bräuchte es aber entsprechende soziale und gesellschaftliche Voraussetzungen, die meist zu einer linken politischen Agenda gehören. Ich habe deshalb in einem früheren Beitrag für eine Zusammenarbeit zwischen rechts- und linksevangelikalen Christen plädiert, um das (Un-)Recht auf Abtreibung glaubwürdig anzugehen7 .

Die Grenzen des Patriotismus

Gott möge Amerika segnen, heisst es in der inoffiziellen Hymne der USA8 . In diesem eindrücklichen Lied werden die schönen Landschaften und die in diesem Land herrschende Freiheit gefeiert. Auch aus christlicher Sicht völlig zurecht, schliesslich wurden die USA stark vom Calvinismus und Pietismus geprägt. Menschenrechte und Demokratie sind der logische Ausdruck eines biblisch-christlichen Menschenbildes. Die USA gelten als die grösste moderne Demokratie der Welt. Gegen die Liebe zu diesen Werten ist nichts auszusetzen.

Wer aber die Bibel etwas genauer liest, wird sehen, dass Gott nicht nur die USA segnen möchte, sondern alle Völker der Erde. Auch sie sollen mit schönen Landschaften, die nicht ausgebeutet, mit Freiheit, Menschenrechten und Demokratie für alle Teile der Bevölkerung gesegnet werden. Schliesslich sind alle Menschen von Gott geschaffen worden. Bei Gott gibt es kein Amerika zuerst. Auch wenn sich jeder Staat selber organisieren, gut für seine Bürgerinnen und Bürger sorgen und ihre Eigeninitiative fördern soll und darf, möchte unser Schöpfer mehr: Er will unseren Blick für das Ganze fördern. Aus seiner Sicht ist die Welt ein Dorf, in dem alle füreinander sorgen sollten sollten.

Diese Sichtweise müsste auch in unsere Migrationspolitik einfliessen, um ein weiteres Steckenpferd von Donald Trump ins Spiel zu bringen. Wie eine ganzheitliche Migrationspolitik aussehen könnte, wurde im Forum in zwei längeren Beiträgen thematisiert9 . Zumindest die Christen müssten die Vorschläge der beiden US-Parteien nach diesen Kriterien messen. An der Grenze Mauern hochzuziehen, das genügt nicht.

Dass viele Menschen sich Sorgen um die Demokratie in den USA machen, hat seine Berechtigung. Im Project 2025 des konservativen Thinktanks Heritage Foundation wird u.a. gezeigt, wie Trump die Macht des Präsidenten markant erweitern könnte. Ein ehemaliger Berater und ein weiterer Verbündeter von Trump haben an diesem Plan mitgearbeitet. Sie gehören zu den Hauptautoren seines neuen Wahlprogramms110 . Ist die Ankündigung Trumps, dass er nach seiner Wiederwahl für einen Tag als Diktator regieren wolle, vielleicht mehr als ein Spass? Kommt es dann zur «sofortigen Massendeportation» der Asylsuchenden, wie das seine Fans beim Parteitag auf Kartonschildern gefordert hatten?

Im US-Wahlkampf wird unterdessen auf beiden Seiten mit harten Bandagen gekämpft. Bisher galt aber: Die Kandidaten respektieren die Verfassung und selbst erbitterte politische Gegner bewahren sich ein Minimum an Anstand. Und bei der Amtseinführung vor dem Capitol gibt man sich die Hand. Zur Amtseinführung von Donald Trump seien sie und ihr Mann im Januar 2017 trotz ihrer Wut erschienen, weil sie die Demokratie und ihre Werte ehren wollte, schrieb Hillary Clinton im Rückblick11 . Dieses Prinzip wurde 2020 von Trump nach seiner Abwahl in Frage gestellt. Kamala Harris kämpft nach den bewährten demokratischen Regeln, Donald Trump ignoriert sie. Den Ausgang der kommenden Wahl dürfte er nur anerkennen, wenn er gewinnt12 . An einer Wahlveranstaltung im März hatte Trump gesagt: «Wenn ich nicht gewählt werde, wird es ein Blutbad geben13

Trump bewundert starke Männer in undemokratischen Regimes: so Wladimir Putin, Viktor Orban und den Nordkoreaner Kim Jong-un. Schon während seiner Amtszeit sprach er davon, dass er eine dritte und vierte Amtszeit anstreben würde – im Scherz. «Liebäugelt Trump mit einer Verfassungsänderung à la Putin oder Hugo Chavez … um seine Amtszeit zu verlängern14 ? Der Bund-Kommentator Christoph Münger kommt zu Schluss: «Es geht bei diesem Wahlkampf nicht um politische Programme, sondern darum, ein Comeback von Donald Trump im Weissen Haus zu verhindern. Egal, wie man zu Kamala Harris steht, ob man ihre Pläne zur Aussen-, Innen- und Wirtschaftspolitik gutheisst oder nicht – man kann ihr nur viel Glück wünschen im Boxkampf für die Demokratie.»

Die beiden Politologie-Experten Adrian Vatter und Rahel Freiburghaus bezeichnen in einem Vergleich die «dunkle Persönlichkeit» von populistischen Politikern und benutzen dabei die Kriterien Narzissmus (Selbstverliebtheit), Psychopathie (psychische Störungen) und Machiavellismus (unbedingtes Machtstreben). An der Spitze15 liegen Donald Trump, Aleksandar Vucic (Serbien) und Jean-Luc Mélanchon (Frankreich). Die Probleme gibt es also nicht nur in den USA, sondern auch ganz in unserer Nähe.

Trump ist eine Offenbarung

Nochmals: Wie können Christen dazu kommen, Donald Trump zu wählen? Lassen Sie mich zum Schluss eine provozierende These aufstellen.

Zusammen mit dem Neutestamentler Adolf Pohl bin ich der Meinung, dass der Antichrist nicht (nur) eine bestimmte Person ist, die am Schluss der Endzeit auftauchen und den Weltuntergang herbeiführen wird. Pohl schildert ihn in seiner zweibändigen Auslegung der Offenbarung16 als politische und/oder kirchliche Führerfigur, die antichristliche Züge aufweist und zu unterschiedlichen Zeiten aufgetreten ist bzw. auftreten wird. Als die «Offenbarung des Johannes» in den urchristlichen Gemeinden vorgelesen wurde, war es der römische Kaiser Nero, der sich als Antichrist gebärdete. Wichtig: Das letzte Buch der Bibel wurde damals nicht als Drohkulisse für die Zukunft verstanden, sondern als Trostbuch, das den Sieg der Guten Botschaft über das Böse und den Bösen verhiess.

So sollten auch wir die «Offenbarung» lesen. Und damit rechnen, dass immer wieder Führergestalten auftreten, die Züge des Antichristen verkörpern. Sie werden als Messias-Gestalten gefeiert, verbunden mit der Erwartung, dass sie das Volk vom Bösen erlösen können. In Wirklichkeit aber lügen und betrügen sie, verbreiten Irrlehren, verführen ihre Anhänger und schmieden Koalitionen, um ihre Macht zu steigern. Wer vor diesem Hintergrund das Reden und Handeln des Kandidaten Donald Trump analysiert, müsste eigentlich stutzig werden. Trump hat die Lüge in der grössten Demokratie der Welt zu seinem politischen Werkzeug gemacht.

Integriertes Christsein wäre hier ein guter Schutzfaktor. Nicht nur die evangelikale, auch die liberale Theologie ist verführbar. Wie auch eine charismatische «Theologie», die vor allem auf Gefühlen beruht. Zusammen mit den US-Christen brauchen wir auch heute als Schutzfaktor eine Theologie, die den Glauben konsequent von Jesus Christus, dem einzigen Herrn der Welt und seinem Wort an uns prägen lässt, verknüpft mit einem ganzheitlichen Glauben, der von diesem Zentrum aus alle Bereiche des Lebens umfasst.

Vielleicht wurde Donald Trump beim kürzlichen Anschlag darum von Gott bewahrt, damit wir dies neu lernen können.


1. idea Magazin Nr. 30/31 2024
2. Medienmagazin PRO vom 15.7.24
3. Medienmagazin PRO vom 18.7.24
4. idea Magazin Nr. 30/31 2024
5. Der Bund, 18.7.24
6. Bei einem ethischen Dilemma stehen zwei ethisch fragwürdige Positionen einander gegenüber. Es geht dann darum, die weniger fragwürdige Lösung zu wählen.
7. https://www.insist-consulting.ch/forum-integriertes-christsein/22-8-1-wie-weiter-mit-dem-un-recht-auf-abtreibung.html
8. https://www.youtube.com/watch?v=N-CCBaPxGaY
9. https://www.insist-consulting.ch/forum-integriertes-christsein/23-9-1-die-migration-neu-denken-lernen-teil-1.html / https://www.insist-consulting.ch/forum-integriertes-christsein/23-10-1-die-migration-neu-denken-lernen-teil-2.html
10. Der Bund, 11.7.24
11. Der Bund, 19.8.24
12. Der Bund, 3.8.24
13. Der Bund, 9.8.24
14. Der Bund, 3.8.24
15. Der Bund, 12.8.24
16. «Die Offenbarung des Johannes» der Wuppertaler Studienbibel, 1977, Wuppertal, R. Brockhaus-Verlag


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Dieser Artikel erschien zuerst auf INSIST.

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Meine Frau und ich waren letztes Jahr zwei Wochen in Kuba. Wir waren beim Hurricane Ivan, der gleiche Stärke wie jetzt Katrine hatte, mit dabei. Ein Wirbelsturm kündigt sich 10 Tage vorher an, wird ab dann per Wettersatelliten weiterverfolgt und seine Laufbahn kann mit Wettercomputern heute immer besser berechnet werden. Bereits zehn Tage vor Ankunft von ?Ivan? wurden erste Meldungen verbreitet, eine Woche vorher erste Massnahmen verordnet, und einige Tage vorher die Evakuierung von Hunderttausenden von Menschen vorbereitet. Wir haben miterlebt, was dort alles in Gang gesetzt wurde, um Verluste an Menschenleben zu verhindern. Jedem wurde ein sicherer Ort inklusive Transport zur Verfügung gestellt.

In den USA ist es offenbar ziemlich das Gegenteil: es scheint, als sei den Menschen einfach gesagt worden „flieht jetzt“, aber es kümmerte sich niemand darum, ob die Armen überhaupt Transportmittel hatten oder irgendwo einen Platz hätten, wo sie hingehen konnten. Dann bleiben eben Hunderttausende in ihren elenden Mobile Homes (die ich vor einigen Jahren im Süden der USA selber gesehen habe) und städtischen Wohnungen und hofften, dass sie überleben…

Es beelendet mich, wenn von einer ?unerwarteten Grösse? einer Katastrophe geredet wird, wo man nichts hätte machen können. Dabei wäre es durchaus möglich gewesen, die meisten Menschenleben zu retten. Kuba erlebt jedes Jahr Wirbelstürme der Kategorie 4 bis 5, und da gibt’s jeweils null bis 20 Tote, und das bei gleich vielen Einwohnern wie den drei in den USA betroffenen Bundesstaaten zusammen. Was heute in den USA passiert, ist Ausdruck des „Jeder soll selber schauen“, was offensichtlich für die Schwächeren tödlich sein kann… Statt nur zu beten, dass Wirbelstürme vorbeigehen, würden sich gewisse Kreise lieber mal mit Jesu Lehre von der Solidarität beschäftigen. Ich finde es ein Bisschen frech, sich auf der einen Seite zu weigern, solidarisch zu sein und auf der anderen Seite von Gott zu verlangen, dass Er halt dann schaut. Dass Er nicht alles mit sich machen lässt, wundert mich nicht… Wird ein Umdenken stattfinden?

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In der Bibel ist oft von „Sünden“ die Rede. Nicht, um uns Probleme und Prüfungen zu bereiten, sondern um auf Fallstricke hinzuweisen. Gott möchte uns zu davor bewahren, zu sündigen, damit unsere wertvolle Beziehung zu Ihm nicht leidet und damit wir uns selber und unseren Mitmenschen keinen Schaden zufügen. Der Irakkrieg hat unseres Erachtens seine Wurzel in einer Kombination von Sünden.

Geldgier

1. Timotheus 6.10 sagt, „….eine Wurzel allen Übels ist die Geldliebe, (…)“. Der Griff nach dem Öl ist für die Bush-Administration eine wichtige Treibfeder: Bush selber kommt aus einer Ölfamilie, Vize Cheney war Chef der grössten Ölbohr-Ausrüsterfirma der Welt (Halliburton), und Bush selber verdankt seine Wahl unter anderem Exxon, die für die republikanischen Kandidaten im Wahlkampf 2000 riesige Summen locker gemacht hat. Im Mai 2001, nach der US-Energiekrise, erklärte Cheney „den verbesserten Zugang zu den Ölreserven im persischen Golf“ zu einer Priorität der nationalen Energiesicherheit. Die Öffnung der irakischen Energiereserven könnte laut dem ehemaligen Saudi-Arabischen Energieminister Jamani die Halbierung des heutigen Ölpreises bedeuten. Ein Segen für ein Land, das 2,5 Mal so viel Öl pro Kopf verbraucht wie die anderen Industrieländer, aber gleichwohl keine Lust hat, an diesem Überkonsum etwas zu ändern…

Auch Medienmagnaten wie Rupert Murdoch haben ein riesiges Interesse am Krieg, der die Einschaltquoten und damit die Gewinne explodieren lässt. Die amerikanische Öffentlichkeit wird deshalb von den Medien zum Krieg getrieben. Und schliesslich hat die Waffenindustrie (die USA haben einen Anteil von 40 % aller Rüstungsbudgets der Welt) ein Interesse am Krieg.

Selbstgerechtigkeit

Daneben treibt aber noch andere prominente Sünde zum Krieg: die Selbstgerechtigkeit. „Was aber siehst Du den Splitter, der in Deines Bruders Auge ist, den Balken aber, der in Deinem eigenen Auge ist, nimmst Du nicht wahr?“(Lukas 6.41) Je mehr wir das Gefühl haben, wir seien gut, desto mehr entfernen wir uns von Gott. Denn dann lassen wir unsere Handlungen nicht mehr durch Gott in Frage stellen und die Weisheit des Heiligen Geistes versiegt. Die Pharisäer haben dieses Schicksal erlitten und wurden von Jesus entsprechend beurteilt.

„Denn wer sich selbst erhöht, der soll erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, der soll erhöht werden“ (Lukas 14.11). Die Selbsterhöhung und Selbstgerechtigkeit hat leider in einigen Kreisen des evangelikalen Christentums z.T. ein Mass angenommen, das immer mehr negative Auswirkungen auf die ganze Welt hat. Es geht hier nicht darum, uns Christen schlechter zu machen als Andere, aber es scheint uns wichtig, auf die Gefahr der Selbstgerechtigkeit hinzuweisen, bevor es zu spät ist. Ohne Umkehr in diesem Bereich riskieren wir, in den Augen der Nichtchristen unglaubwürdig zu werden oder gar die Welt in den Abgrund stürzen. Der Irakkrieg ist dabei ein Schritt näher zum Abgrund.

Nationalismus

George Bush, wiedergeborener Christ, hat den „monumentalen Kampf des Guten gegen das Böse“ ausgerufen und wird dabei von grossen Teilen der evangelikalen Kirchen der USA unterstützt. Wer dabei die Guten sind (und das wird im absoluten Sinne verstanden), das ist von vornherein klar: der Westen, insbesondere die USA, „God’s country“, wie manche zu sagen pflegen. Der „Sendungswahn“ der amerikanischen Regierung hat dabei beängstigende Ausmasse angenommen. Hier hat sich in verhängnisvoller Weise Nationalismus mit Religion vermischt und eine nationale Selbstverherrlichung entstehen lassen. Deshalb glaubt sie auch auf niemanden mehr Rücksicht nehmen zu müssen. Demokratische Unterordnung unter multilaterale Kompromisse im internationalen Rahmen wird mehr und mehr ein Fremdwort. Dies wurde in den letzten zehn Jahren klar, als die USA kaum mehr internationale Übereinkommen unterzeichneten, die ihre Interessen tangierten. Im Falle des Iraks war die UNO nur so lange das Verhandlungsgremium, bis klar wurde, dass die UNO den Willen der USA nicht mittragen würden. Die Kriegsgegner wie Deutschland und Frankreich bekamen denn auch die Aggression der USA mit Drohungen, Vertragsauflösungen und Verhöhnungen zu spüren. Diejenigen, die nicht tun, was die USA will, werden bestraft. Ist dies die Freiheit, von der sie reden?

Die treibenden Kräfte des Irak-Feldzuges (Rumsfeld, Wolfowitz, Cheney, aber auch Georges Bush’s Bruder Jeb und der ehemalige Vize Quayle) sind übrigens allesamt Mitunterzeichner der Charta des amerikanischen Thrink Tank „The Project for a New American Century“. Ziel dieses Projektes ist dieamerikanische Weltvorherrschaft („American world leadership“) und dass Amerika globale Verantwortung für Frieden und Sicherheit ausübt durch

  • starke militärische Kräfte (deutliche Erhöhung der Armee-Ausgaben)
  • Stärkung der Verbindung zu demokratischen Allierten und Herausforderung von feindlichenRegime im Sinne unserer Interessen und Werte
  • Förderung von politischer und ökonomischer Freiheit im Ausland
  • Akzeptanz von Amerikas einzigartiger Verantwortung im Erhalten und Ausbauen einer internationalen Ordnung, die freundschaftlich gesinnt ist, gegenüber unserer Sicherheit, unserem Wohlstand und unseren Prinzipien. Alles öffentlich nachzulesen unter www.newamericancentury.org

Im „Kreuzzug gegen das Böse“ wird denn auch schön nach dem Schema des Gleichnisses des „Balkens im eigenen Auge“ und der Selbstgerechtigkeit vorgegangen. Schon in der Interpretation des Attentats vom 11. September wurde kaum die Frage gestellt, mit welchen Anteil der Westen mit seinem Verhalten in den arabischen Ländern zum Terrorismus beigetragen hat. (LINK?). Warum hat es genau in den letzten 20 Jahren einen solchen Aufschwung des Fundamentalismus in den arabischen Ländern gegeben? Die Frage nach der eigenen Schuld wurde nie gestellt. Im Gegenteil, wir bleiben die absolut Guten. Im monumentalen Kampf gegen das Böse wird das Böse „irgendwo da draussen“ geortet statt in uns selber. Die meisten Diktaturen, die die USA im nahen Osten bekämpfen, sind zu Beginn von den USA selber gezüchtet oder unterstützt worden sind, um eigene Interessen durchzusetzen. Selbstgerechtigkeit und Unfähigkeit zur Erkenntnis der eigenen Schuld am Aufkommen von Terror verhindert also eine echte Lösung. In der Folge wird der Irak-Krieg die Spirale der Gewalt weiter antreiben: die Schmach der (zu erwartenden) Niederlage der „arabischen“ Seite und der Stachel der amerikanischen Okkupation sowie der Hass der Bevölkerungen auf die arabischen Herrscher, die mit den USA mitgezogen haben, wird dem islamischen Fundamentalismus massiven Aufschwung bescheren und mittelfristig Umstürze provozieren. Hoffen wir, dass es nicht die Atommacht Pakistan betrifft. Mit dem Irakkrieg wird der Terror nicht vermindert werden, wie Bush glauben machen will, sondern sich verstärken. Damit wird dann die Antiterror-Offensive des Westens seine Rechtfertigung finden…

Endzeitangst

Im Winter 02/03 glauben laut einer amerikanischen Umfrage 72 % der amerikanischen wiedergeborenen Christen, dass „wir derzeit die Anfänge jenes Krieges sehen, der zumAntichristen und zu Armageddon führt.“ Vielleicht wird das Verhalten des Westens selber diese Aussagen zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden lassen…. In den letzten zehn Jahren hat im Westen die Auslegung der biblischen Endzeitprophetien einen wahren Boom erleben lassen. Erinnern wir uns auch an die Endzeitromane von Tim La Haye, von denen bereits 50 Millionen Exemplare verkauft worden sind. Dieses Endzeit-Fieber hat die Angst unter den Christen geschürt und lässt bei einer vermeintlichen Bedrohung überreagieren, auch was die Angst um Israel betrifft. Selbsterfüllende Prophezeiung… In seinem alttestamentlichen Sendungswahn hat Bush folglich das Gefühl, die USA müsse Israel vor dem Irak (geographisch am Ort des alten Babylon) retten. Es ist möglich, dass Bush tatsächlich aus Angst um Israel zum Krieg bläst. Seine Berater haben ihm, aus anderen Gründen, wie wir gesehen haben, erfolgreich den Angst-Floh ins Ohr gesetzt… Durch einen westlichen Angriff wird aber vor allem der arabische Hass auf Israel geschürt. Statt Israel zu schützen wird es nur noch mehr in Gefahr gebracht. Einziger Ausweg wird dann die amerikanische Okkupation der gesamten arabischen Welt sein. Die Spirale dreht sich weiter…

In den amerikanischen Reden zum Krieg wird immer wieder betont, es sei eine Pflicht vor Gott, die guten westlichen Werte Freiheit und Demokratie zu verbreiten. Dabei haben dieselben Kreise nicht gemerkt, dass diese Werte z.T. längst durch den Mammon korrumpiert sind:

  • „Freiheit“: Mit der immer grösseren sozialen Ungleichheit und dem immer stärkeren Ausschluss der Mittellosen von Lebens-Grundbedingungen wie Gesundheit und Bildung wird die Freiheit für die Unterschichten immer mehr zur Farce. Nur die Starken haben die Mittel (Geld und Bildung), diese Freiheit auszunutzen. Und diese verschaffen sich mit Liberalisierungen und Privatisierungen auf Kosten der Schwachen auch immer mehr Freiheiten. Parallel wird die Ideologie „Wer will, der kann“ gefördert…
  • „Demokratie“: In den USA sind heute nur noch Reiche oder von der Wirtschaft unterstützte Personen wählbar, die anderen haben in der teuren Wahlwerbeschlacht keine Chance mehr. Im Wahljahr 2000 wurden laut Cash ca. 500 Millionen Dollar für den Wahlkampf aufgewendet, im Wahljahr 2002 bereits eine Milliarde Dollar, zwei Drittel davon als Wahlspenden der Wirtschaft an die Republikaner… Die Meinungsbildung ist ebenfalls durch die Abhängigkeit der Medien von der Wirtschaft massiv verzerrt.

Wie wird es unter diesen Umständen weitergehen? Wir wagen zu behaupten, dass nach dem voraussichtlich raschen amerikanischen Sieg sich die Hybris (in geopolitischen, aber auch in wirtschftlichen Bereichen) noch verstärken wird und sich die Arroganz der Macht weiter entfaltet. Der Irakkrieg wird nicht der letzte Angriffskrieg sein, vor allem, weil wie erwähnt wohl der Terrorismus durch diesen Krieg geschürt wird. Die amerikanische Bevölkerung wird weiter dem „starken Mann“ folgen. Wie werden die anderen Länder reagieren? In einer ersten Zeit werden sich viele, von der Macht beeindruckt, bei den USA anbiedern. Deren Macht wird dann noch mehr zunehmen. Viel wird aber davon abhängen, wer die Medien kontrollieren wird. Je mehr sich die Arroganz der Macht entfaltet, desto mehr werden aber auch Widerstände entstehen. Hoffen wir, dass diese Widerstände nicht in der Gewalt enden, sondern friedlich ausgetragen werden!

Warnung vor Sünde ist also nicht Moralismus, sondern die Sorge um die Folgen der Sünde und um die Liebe, die als erste Schaden nimmt. Lasst uns für George W. Bush und seine Regierung beten. Und möge uns Gott davor bewahren, Kreuzzüge im Namen Gottes auszufechten. Denn wir sind dazu berufen, Gottes Liebe in dieser Welt konkret sichtbar werden zu lassen.


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