Gott, ein Gott der materiell Armen

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Jesus war immer provokativ, darum darf ich es ohne schlechtes Gewissen auch sein: Der Gott der Bibel ist ein Gott der materiell (nicht ?geistlich?!) Armen. Diese plakative Aussage stelle ich an den Anfang und beginne nun mit meinen Ausführungen.

Über Armut aus biblischer Sicht wird in Kirchen, Hauskreisen, Jugendgruppen usw. nur wenig diskutiert. Als Schweizer sind wir kaum mit existentieller Armut konfrontiert und daher widmen wir uns anderen Glaubensthemen. Dabei wird trotz meist intensiver Bibellektüre übersehen, wie zentral das Thema Armut respektive Armutsbekämpfung in der Bibel behandelt wird. Die Frage sei erlaubt, ob wir in dieser Hinsicht einfach durch unseren Reichtum geblendet sind.

Gott erwählte im Alten Testament keine antike Supermacht, sondern ein armes Sklavenvolk. Dies ist nur der erste grosse Akt der Solidarität Gottes mit den Armen, der sich im 2. Buch Mose sofort niederschlägt, da die Armenfürsorge bei den Landwirtschaftsgesetzen einen grossen Platz einnimmt. Hier bestimmt Gott z.B. das sogenannte Sabbatjahr: ?Sechs Jahre sollst du dein Land besäen und seine Früchte einsammeln. Aber im siebenten Jahr sollst du es ruhen und liegen lassen, dass die Armen unter deinem Volk davon essen; …? (2. Mose 23,10-11)

Später setzen sich auch die Propheten stark für die Armen ein: ?Höret dies, die ihr die Armen unterdrückt und die Elenden im Lande zugrunde richtet…? (Amos 8,4) Sie verheissen den Armen insbesondere Gottes Beistand: ?Die Elenden und Armen suchen Wasser, und es ist nichts da, ihre Zunge verdorrt vor Durst. Aber ich, der HERR, will sie erhören; ich, der Gott Israels, will sie nicht verlassen.? (Jesaja 41,17)

Als reiche Schweizer Christen überlesen wir solche Stellen meist und begeben uns eher auf die Suche nach Bibelzitaten, die unseren Reichtum legitimieren würden. In den Sprüchen finden wir dann das Übel der selbstverschuldeten Armut beschrieben, in 6,10+11 z.B. folgendermassen: ?Ja, schlafe noch ein wenig, schlummre ein wenig, schlage die Hände ineinander ein wenig, dass du schläfst, so wird dich die Armut übereilen wie ein Räuber und der Mangel wie ein gewappneter Mann.? Natürlich wird hier deutlich, dass Armut in der Bibel nicht glorifiziert wird, doch lässt sich aufgrund dieser und ähnlichen Stelle keine Antwort auf die so oft gestellte Frage finden, ob wir unseren Reichtum nicht auch etwas geniessen dürfen.

Bezüge zu Salomos riesigen Prunktempel gelten auch nicht, obwohl sie heute manchmal dazu verwendet werden, um wenigstens unsere neuen pompösen Kirchenbauten biblisch in ein helles Licht zu rücken. Nein, der Aspekt der Armenfürsorge nimmt in der Bibel einen derart tragenden Charakter ein, dass wir nicht von einem biblisch-legitimierten ?Reichtum-Geniessen? sprechen können.

Wie schon oben angeführt zieht sich die Armenfürsorge von Anfang an durch die Bibel hindurch. So entwirft Josef ein System derselbigen in 1. Mose 41,47-57, indem er in den sieben reichen Jahren genug Ernte einsammelt, um in den sieben Hungerjahren die Armen versorgen zu können. Im 5. Mose 14,22-29 ist dann die Abgabe des Zehnten geregelt, eine für uns bis heute zentrale Methode der Armenfürsorge. Ursprünglich war der Zehnte eine Naturalien-Abgabe aus dem bäuerlichen Jahresertrag und Viehbestand an die Ortsheiligtümer. Diese war in der alttestamentlichen und der neutestamentlichen Zeit überall in der Welt verbreitet. Fälschlicherweise gehen wir heute beim Zehnten immer von genau 10% aus.

Doch beinhaltete die Abgabe des Zehnten in der jüdischen Praxis ca. 2-3% für die Priester, ca. 10% für die Leviten und noch einmal ca. 10% als sogenannter ?Zweiter Zehnt?, der unter anderem an die Armen verteilt wurde. Dies in einem Kontext, wo der Grossteil der der jüdischen Bevölkerung von der Landwirtschaft lebte und der Hauptteil der Einkünfte für die Ernährung aufgewendet werden musste! Und nicht zu vergessen: Es mussten zusätzlich noch 12.5% Steuern an den Staat entrichtet werden.

Der Zehnte ist für uns ein enorm wichtiges Gebot, doch erstaunlicherweise wird diese von Jesus Christus nur ein einziges Mal in Matthäus 23,23 erwähnt (und nicht etwa als Gebot, sondern nur als Reaktion auf die falsche Praxis des Zehnten).

Damit sind wir im Neuen Testament angelangt: Jesus ?personifiziert? Gott vollends als Anwalt der Armen. Im Lukas-Evangelium Kapitel 4-19, die das Wirken Jesu von der Taufe bis vor der Passion beschreiben, geht es in 20% der Verse um Geld und Besitz, sehr oft im Sinne des rechten Umgangs damit, der sich praktisch ausschliesslich in der Armenfürsorge zeigt. Jesus zeigt sich schon zu Beginn solidarisch mit den Armen: Er kommt als armer Säugling eines armen Teenagerpaares in einem (ziemlich sicher) ungemütlichen Stall auf die Welt. Bei seiner ?Antrittspredigt? in Lukas 4,16-30 wendet er sich zuallererst an die Armen: ?Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, zu verkündigen das Evangelium den Armen…? (Lukas 4,18a). Die Seligpreisungen in Lukas 6,20 beginnt er mit folgenden Worten: ?Selig seid ihr Armen; denn das Reich Gottes ist euer.? In der Parallelstelle Matthäus 5,3 wird bei den Armen noch ein ?geistlich? hinzugefügt, Lukas aber spricht hier auf die materiell Armen an. Schenkt Gott den angesprochenen Menschen denn nur aufgrund ihrer Armut ewiges Heil? Anhand dieser Stelle kann diese Frage jedenfalls nicht einfach mit Nein beantwortet werden. Es muss uns schon auffallen, dass nichts von ?Selig, die ihr an mich glaubt? oder ähnliches steht. Natürlich darf aber daraus auch nicht geschlossen werden, dass Armut gar nicht zu bekämpfen ist. Vielleicht kann man aus dieser Stelle folgendes Fazit ziehen: Es wird deutlich, wie sehr sich Gott mit den Armen solidarisiert.

Der rechte Umgang mit Geld und Besitz respektive Armutsbekämpfung ist eines der grossen Themen im Schwerpunkteprogramm Jesu. In der Bergpredigt (Matthäus 5-7) werden die Richtlinien betreffend Gebetsleben von diesem Thema umrahmt, was dessen Wichtigkeit unterstreicht. Nachzulesen ist dies in Matthäus 6.

Jesu Aussagen zu diesem Thema sind absolut kompromisslos. Trotzdem versuchen seine Nachfolger bis heute immer wieder Kompromisse zu machen. Auch der ?radikalste? Christ macht spätestens hier meistens Kompromisse. Jesus hat den reichen Jüngling in Markus 10,17-27 nämlich unmissverständlich aufgefordert, seinen ganzen Besitz zu verkaufen und den Armen zu geben. Der Lohn ist schliesslich ein Schatz im Himmel, was will man mehr…

In vielen Predigten zum reichen Jüngling kann man einen ?Aber-das-heisst-nicht- Mechanismus? ausmachen. Die Geschichte wird erzählt und gleich anschliessend wird deutlich postuliert, dass diese Aufforderung Jesu spezifisch dem reichen Jüngling in seiner Situation gegolten hat und nicht eins zu eins auf uns heute übertragen werden muss. Im Hinblick auf Lukas 12,33, wo Jesus vom Jüngerkreis (!) genau das Gleiche verlangt, müssen wir uns dieser Aufforderung dennoch stellen. Sie bleibt ein Stachel im Fleisch und darf nicht leichtfertig übergangen werden. Zachäus gab die Hälfte seines Besitzes den Armen und zahlte seine Schulden vierfach zurück (wie viel von seinem Besitz ist da wohl übrigggeblieben?…) und aufgrund von diesem konsequenten Geben ist in seinem Haus Heil widerfahren, wie in Lukas 19,9 steht.

In Matthäus 25,31-46 nennt Jesus seine Strategie der Armutsbekämpfung: Hungernde nähren, Dürstende tränken, Fremde beherbergen, Nackte kleiden, Kranke und Gefangene besuchen. Aufgrund dieser Kriterien wird er beim Weltgericht die Menschen voneinander scheiden. Hier geht es also nicht um beiläufige christliche Liebenswerke, hier geht es um Faktoren, die nach dieser Endzeitrede über Heil und Unheil entscheiden…! Natürlich argumentiert Jesus hier nahe an der Werkgerechtigkeit und wir fragen uns, wo denn die Gnade allein aus Glauben bleibt. An dieser Stelle sind die Worte Jesu einfach sehr deutlich und wir dürfen sie nicht zu schnell mit der ?bedingungslosen Gnade? überdecken, sonst werden wir ihnen nicht gerecht.

Die Liste von Jesu Aussagen könnte noch um einiges erweitert werden. Abschliessend sei noch einmal gesagt: Die Bibel glorifiziert Armut nicht, sondern setzt sie voraus. Der Schwerpunkt liegt daher bei der Armutsbekämpfung. Deshalb werden die Reichen so enorm herausgefordert. Gott hat sich mit den Armen solidarisiert, vielleicht kann man wie in der Einleitung sogar sagen: Beim Gott der Bibel handelt es sich um einen Gott der materiell (nicht ?geistlich?!) Armen. Eine gewagte These. Fakt bleibt, dass Armut aus biblischer Sicht im reichen Kontext der Schweiz viel zu wenig thematisiert wird.

Autor: Stefan Hochstrasser

Quellen

Brandscheidt, Renate. ?Zehnt.? Lexikon für Theologie und Kirche. Hrsg. Walter Kasper. 3. völlig neu bearb. Aufl. Bd. 10. Freiburg: Herder, 2001, 1394-1398.

Goldberger, Michael. ?Zeit-Spiegel: Jüdische Feiertage.? Universität Bern, Bern. 15. Juni 2005.

Hochstrasser, Stefan. ?Über Geld spricht man nicht… ? Eine Analyse von Predigten zum Thema Umgang mit Geld und Besitz.? Diplomarbeit Theologisch-Diakonisches Seminar Aarau, 2005.

Kutsch, E. ?Armut.? Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. Hrsg. Kurt Galling. 3. völlig neu bearb. Aufl. Bd. 1. Tübingen: J.C.B. Mohr, 1958, 622-624.

Lohse, Eduard. Umwelt des Neuen Testaments. Das Neue Testament Deutsch. 10., durchges. Aufl. Ergänzungsreihe Bd. 1. Göttingen: Vandenhoeck&Ruprecht, 2000.

Lutherbibel 1984

Schröder, Heinz. Jesus und das Geld. Wirtschafskommentar zum Neuen Testament. 3.erw.Aufl. Karlsruhe: Gesellschaft für kulturhistorische Dokumentationen e.V., 1981.

Stückelberger, Christoph. ?Gottes Strategie der Armutsbekämpfung ? und unsere Antwort.? EVP-Bettagskonferenz, Olten. 17. Sept. 2005.

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