A. Welche christliche Ethik für die Umweltkrise?
Ein theologischer und ethischer Gesichtspunkt
Wenn die Umweltzerstörung einzig oder in erster Linie ein Problem wäre, das sich mit wissenschaftlichen und technischen Mitteln lösen liesse, dann wäre es heute wohl gelöst. Nun ist es aber so, dass die aktuelle Krise, die Umweltverschmutzung und der Rohstoffraubbau mit den Grundlagen unseres Wertesystems zu tun hat. Darum fordert sie uns heraus, diese Grundsätze neu auf ihre Eignung zu prüfen und im Bedarfsfall einen neuen Rahmen zu finden, mit dem ethisches Verhalten und individuelle Tugend beschrieben werden können.?1
Zu Beginn dieses 21. Jahrhunderts sehen wir uns mit einer Umweltkrise ohne Gleichen konfrontiert. Unaufhaltsam wird die Erde wärmer, die Umweltverschmutzung schlimmer, die natürlichen Ressourcen wie Trinkwasser und Erdöl rarer und die Abfallberge grösser. Für alle diese Probleme sieht die Umweltethikerin Shrader eine Lösung in der Errichtung eines neuen Wertesystems.
Darum ist es sinnvoll, darüber nachzudenken, wie sich die Umweltfragen in ein christliches Wertesystem integrieren lassen und wie wir sie beantworten können. Dazu wollen wir auf die Bibel zurückzugreifen, in der Gott die Beziehung zwischen Natur und Mensch definiert.
1. Gottes Beziehung mit der Natur
Der Gott der Christen ist ein Schöpfergott; dies ist eine Seiner herausragendsten Eigenschaften. Darum ist es nur logisch, dass die Bibel mit dem Schöpfungsbericht beginnt. Gott zeichnet sich also dadurch aus, dass er schöpferisch tätig ist und Leben spendet. Beim Lesen der ersten Verse der Bibel sehen wir, dass Gott daran Freude hat und dass er alles vollkommen macht. Gott liebt seine Schöpfung. Sie lässt Ihn überhaupt nicht gleichgültig. Er hat sie schön und gut gemacht: «Und Gott der HERR liess aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen.» (1. Mose 2,9a2). So heisst es auch nach jedem Schöpfungsabschnitt: «Und Gott sah, dass es gut war.» Der Schöpfungsakt kann als ein Akt der Grenzsetzung und Strukturierung gesehen werden, bei dem Gott das Chaos verdrängt und Regeln schafft: Er schafft den Tag und die Nacht, die Jahreszeiten und die Jahre. Jedes Geschöpf erhält einen bestimmten Platz, damit eine gewisse Stabilität gewährleistet ist.
Gott verbindet jeden Schöpfungsabschnitt mit Segensworten und verleiht jedem Geschöpf seine besondere Aufgabe, wie z. B.: «Seid fruchtbar und mehret euch und erfüllet das Wasser im Meer, und die Vögel sollen sich mehren auf Erden.» (1,22).Gott sieht mit Wohlwollen auf alle Seine Geschöpfe. Dies wird auch in der Noah-Geschichte geäussert:
Siehe, ich richte mit euch einen Bund auf und mit euren Nachkommen und mit allem lebendigen Getier bei euch, an Vögeln, an Vieh und an allen Tieren des Feldes bei euch, von allem, was aus der Arche gegangen ist, was für Tiere es sind auf Erden.? (1. Mose 9,9-10)
Gott schliesst nicht nur einen Bund mit den Menschen, sondern auch mit der gesamten Schöpfung! Dies bedeutet, dass für Gott bei der Sintflut auch das Überleben der Tiere grundlegend war. Interessant ist in diesem Sinne auch, dass der Mensch als Letztes geschaffen wird. Dies bedeutet, dass wir von allem, was vor uns geschaffen wurde, abhängig sind und nicht ohne es leben können. Eine weitere wichtige Beobachtung ist, dass die Schöpfung kein einmaliger Akt war, sondern dass Gott seine Schöpfungstat täglich erneuert, wie dies z. B. in Psalm 104 zum Ausdruck kommt.
Du sendest aus deinen Odem, so werden [die Geschöpfe] geschaffen, und du machst neu die Gestalt der Erde.? (Vers 30)
Die Natur ihrerseits lobt ihren Schöpfer:
Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Feste verkündigt seiner Hände Werk. Ein Tag sagt?s dem andern, und eine Nacht tut?s kund der andern, ohne Sprache und ohne Worte; unhörbar ist ihre Stimme. Ihr Schall geht aus in alle Lande und ihr Reden bis an die Enden der Welt. Er hat der Sonne ein Zelt am Himmel gemacht; sie geht heraus wie ein Bräutigam aus seiner Kammer und freut sich wie ein Held, zu laufen ihre Bahn. Sie geht auf an einem Ende des Himmels und läuft um bis wieder an sein Ende, und nichts bleibt vor ihrer Glut verborgen.? (1. Mose 9,2-7)
Die Natur wurde geschaffen, um Gott Ehre zu geben. Zahlreiche Psalmen (8, 104, 148 usw.) drücken diesen Gedanken aus. Sie besingen auch den Menschen, der die Natur betrachtet und Gott für die Vollkommenheit Seiner Schöpfung lobt. So wird die Natur als Teil des Lobpreises angesehen:
Halleluja! Lobet den HERRN! Denn unsern Gott loben, das ist ein köstlich Ding, ihn loben ist lieblich und schön. Der HERR baut Jerusalem auf und bringt zusammen die Verstreuten Israels. Er heilt, die zerbrochenen Herzens sind, und verbindet ihre Wunden. Er zählt die Sterne und nennt sie alle mit Namen. Unser Herr ist gross und von grosser Kraft, und unbegreiflich ist, wie er regiert. Der HERR richtet die Elenden auf und stösst die Gottlosen zu Boden. Singt dem HERRN ein Danklied und lobt unsern Gott mit Harfen, der den Himmel mit Wolken bedeckt und Regen gibt auf Erden; der Gras auf den Bergen wachsen lässt, der dem Vieh sein Futter gibt, den jungen Raben, die zu ihm rufen.? (Psalm 147,1-9)
Schliesslich nähert sich Gott in der Natur auch dem Menschen. Wenn wir die Vollkommenheit der Schöpfung betrachten und studieren, lernen wir den Schöpfer besser kennen und lernen Ihn für Seine Wohltaten loben. Wir sind aufgefordert, von der Natur zu lernen, wie es Hiob sagt:
Frage doch das Vieh, das wird dich?s lehren, und die Vögel unter dem Himmel, die werden dir?s sagen, oder die Sträucher der Erde, die werden dich?s lehren, und die Fische im Meer werden dir?s erzählen. Wer erkennte nicht an dem allen, dass des HERRN Hand das gemacht hat, dass in seiner Hand ist die Seele von allem, was lebt, und der Lebensodem aller Menschen?? (12,7-10)
Die Schöpfung ist ein kostenloses Geschenk Gottes, zu dem Gott nicht verpflichtet ist. Sie ist auch ein Ausdruck von Gottes Liebe zu den Menschen. Dieses Geschenk kann als Ausdruck unserer Beziehung zum Herrn gesehen werden: Gott schenkt uns die Natur als Anlass für unser Lob, damit wir unsere Beziehung mit Ihm pflegen können. Wenn wir aus dieser Beziehung ausbrechen, dann ist das Geschenk gefährdet.
2. Gott bestimmt die Beziehung zwischen Mensch und Natur
Seit dem 19. Jahrhundert geistert die Theorie umher, der christliche Glaube fördere die Umweltzerstörung und das Auftreten von Umweltkrisen. Diese Behauptung steht oft in Zusammenhang mit der Idee, Gott habe die Natur dem Menschen gegeben und dieser könne damit tun, was er will, und sie nach Belieben ausbeuten. In dieser Logik werden oft östliche Religionen dem Christentum entgegengehalten, die auf der Annahme beruhen, der Mensch sei Teil des Ganzen. Stimmt doch: 1. Mose spricht von vermehren und untertan machen, oder etwa nicht? Diese Sicht scheint zu einfach. Eine Antwort darauf finden wir in 1. Mose:
Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht.? (1,28)
Mit «Untertan machen» ist nicht eine despotische und ungerechte Herrschaft gemeint. Gott verleiht dem Menschen nicht das Recht, die Erde ohne Rücksicht auf andere Kulturen, Geschöpfe und die begrenzten Rohstoffe auszubeuten. Der Ausdruck «Untertan machen» ist vielmehr im Sinne einer Autorität zu verstehen, die Gott die Ehre gibt. Im hebräischen Urtext bedeutet die Wurzel radah («Untertan machen») ein Vermögen in Besitz nehmen wie ein Hirte seine Herde in Besitz nimmt: führend und fürsorglich.
Dieser Gedanke wird im 2. Kapitel aufgenommen: «Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.» (2,15). Das Verb «bewahren» (heb. samar) bedeutet einen Wert schützen, bewahren, mit etwas verantwortungsvoll umgehen, so wie Gott uns auffordert, Sein Gesetz in unserem Herzen zu hüten (vgl. 1. Mose 4,9). Ausserdem gibt Gott Anweisungen, wie die Vegetation zwischen den Menschen und den anderen Geschöpfen aufgeteilt werden soll:
?Und Gott sprach: Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen, zu eurer Speise. Aber allen Tieren auf Erden und allen Vögeln unter dem Himmel und allem Gewürm, das auf Erden lebt, habe ich alles grüne Kraut zur Nahrung gegeben?? (1. Mose 1,29-30)
Gott gibt also Seine Schöpfung dem Menschen so wie ein Meister seine Güter dem Verwalter anvertraut. Gott lässt uns die Freiheit, die Schöpfung zu zerstören oder ihr Fortbestehen zu gewähren. Wir sind vor Gott für die Natur verantwortlich. Einerseits haben die Menschen in der Schöpfung zwar einen besonderen Platz und eine besondere Aufgabe, doch gehören sie selber auch zur Schöpfung und stehen unter Gottes Herrschaft.
Die Autorität, die Gott dem Menschen über die Natur verleiht, ist also bei weitem nicht absolut: Dazu gehört die Pflicht zu teilen, weitsichtig zu haushalten und dem Nächsten sowie den künftigen Generationen eine gute Lebensqualität zu ermöglichen. Damit ist auch gemeint, dass die unbelebte, pflanzliche, tierische und menschliche Schöpfung unversehrt bleibt. Die Menschen können die Schöpfung also untertan machen, sofern sie selber Gott untertan sind.
3. Gottes Sicht für den Umgang mit der Natur
Nach dem Auszug aus Ägypten schreibt Gott den Israeliten eine Reihe von Bestimmungen vor, die das gemeinsame Leben regeln. Neben verschiedenen gesellschaftlichen Regeln spricht Gott auch von der Art, wie sie mit der Natur umgehen sollen. Anhand dieser Beispiele können wir herausfinden, wie Gott unsere Beziehung mit der Umwelt definiert:
?Rede mit den Israeliten und sprich zu ihnen: Wenn ihr in das Land kommt, das ich euch geben werde, so soll das Land dem HERRN einen Sabbat feiern. Sechs Jahre sollst du dein Feld besäen und sechs Jahre deinen Weinberg beschneiden und die Früchte einsammeln, aber im siebenten Jahr soll das Land dem HERRN einen feierlichen Sabbat halten; da sollst du dein Feld nicht besäen noch deinen Weinberg beschneiden. Was von selber nach deiner Ernte wächst, sollst du nicht ernten, und die Trauben, die ohne deine Arbeit wachsen, sollst du nicht lesen; ein Sabbatjahr des Landes soll es sein.? (3. Mose 25,2-5)
Gott errichtet hier den Grundsatz des Brachlandes, ohne den die Erde ausgelaugt und schliesslich unfruchtbar wird. Dies stellt eine Grundlage der nachhaltigen Entwicklung dar, bei der die Grenzen der Natur geachtet werden. Dies steht im Gegensatz zur ausbeuterischen, kurzsichtigen Haltung zahlreicher Unternehmen heute.
Im selben Sinne ruft Gott die Juden auf, die Tiere zu achten:
Wenn du unterwegs ein Vogelnest findest auf einem Baum oder auf der Erde mit Jungen oder mit Eiern und die Mutter sitzt auf den Jungen oder auf den Eiern, so sollst du nicht die Mutter mit den Jungen nehmen, sondern du darfst die Jungen nehmen, aber die Mutter sollst du fliegen lassen, auf dass dir?s wohlgehe und du lange lebest.? (5. Mose 22,6-7)
Gewiss ruft der Psalmist aus: «Der Himmel ist der Himmel des HERRN; aber die Erde hat er den Menschenkindern gegeben.» (115,16) Doch ist uns die Erde nur als Haushalter anvertraut. Gott gibt uns in Seinem gesamten Wort Aufschluss darüber, wie wir weise und nachhaltig mit ihr umgehen können.
4. Der Sündenfall verändert die Beziehungen
Wir haben festgehalten, dass Gott die Natur geschaffen hat, damit sie Ihn ehrt. In einem zweiten Schritt vertraut Gott die Schöpfung dem Menschen an, damit dieser sie nutzen und pflegen kann. Darum stellt sich heute die Frage, weshalb sich Umweltkrisen gerade in Gesellschaften mit christlichem Hintergrund entwickeln konnten. Ist es nicht stossend, dass die industrielle Revolution ihre Anfänge in reformierten Ländern genommen hat? Eine Erklärung dafür liegt im Sündenfall des Menschen.
Weil der Mensch vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen isst, verliert er seine harmonische Beziehung zu Gott, aber auch zur Natur.
?Und zum Mann sprach [Gott]: Weil du gehorcht hast der Stimme deiner Frau und gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen -, verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf dem Felde essen. Im Schweisse deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.? (1. Mose 3,17-19)
Das Böse schlägt auf alle Lebensbereiche des Menschen durch. Von der ursprünglichen Idee, dass die Schöpfung haushalterisch geführt und geteilt werden soll, gelangen wir zu einer Beziehung zwischen Mensch und Natur, die von Unterdrückung und Ausbeutung geprägt ist. Im gleichen Sinne hat der Mensch grosse Mühe damit, seinen Nächsten zu lieben und zu achten. Diese parallele Entwicklung wird bei Jesaja mit starken Worten aufgenommen:
?Siehe, der HERR macht die Erde leer und wüst und wirft um, was auf ihr ist, und zerstreut ihre Bewohner. Und es geht dem Priester wie dem Volk, dem Herrn wie dem Knecht, der Frau wie der Magd, dem Verkäufer wie dem Käufer, dem Verleiher wie dem Borger, dem Gläubiger wie dem Schuldner. Die Erde wird leer und beraubt sein; denn der HERR hat solches geredet. Das Land verdorrt und verwelkt, der Erdkreis verschmachtet und verwelkt, die Höchsten des Volks auf Erden verschmachten. Die Erde ist entweiht von ihren Bewohnern; denn sie übertreten das Gesetz und ändern die Gebote und brechen den ewigen Bund. Darum frisst der Fluch die Erde, und büssen müssen?s, die darauf wohnen. Darum nehmen die Bewohner der Erde ab, sodass wenig Leute übrig bleiben.? (24,1-6)
Die Herrschaft des Menschen über die Natur wird zum Machtkampf. Der Mensch sündigt nicht nur gegen den Nächsten sondern auch gegen die Natur, was die entsprechenden Folgen nach sich zieht. Trotzdem bleibt er der Verwalter der Schöpfung, der Gott gegenüber Rechenschaft schuldig ist. Henri Blocher fasst diesen Gedanken in seinem Kommentar der Schöpfungsgeschichte, Révélations des origines, wie folgt zusammen:
?Wenn der Mensch seinem Gott gehorchen würde, wäre er ein Segen für die Erde. Doch in seiner unersättlichen Gier, in seiner Missachtung des schöpfungsgemässen Gleichgewichts und in seiner kurzsichtigen Ichbezogenheit verschmutzt und zerstört er sie, er macht aus einem Garten eine Wüstenei. Dies ist im Wesentlichen der Fluch von 1. Mose 3.?3
Doch die gute Nachricht lautet, dass Gott Seinen Sohn geschickt hat, um uns zu vergeben und unsere Beziehung mit Ihm wieder herzustellen. Nun können wir als Wiedergeborene unsere Beziehung zu Gott, zum Nächsten und zur Natur ganz neu aufnehmen. Dieses Werk Jesu beschreibt Paulus im Kolosserbrief wunderbar:
?Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor aller Schöpfung. Denn in ihm ist alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare, es seien Throne oder Herrschaften oder Mächte oder Gewalten; es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen. Und er ist vor allem, und es besteht alles in ihm. Und er ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeinde. Er ist der Anfang, der Erstgeborene von den Toten, damit er in allem der Erste sei. Denn es hat Gott wohlgefallen, dass in ihm alle Fülle wohnen sollte und er durch ihn alles mit sich versöhnte, es sei auf Erden oder im Himmel, indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz.? (1,15-20)
Weiterhin schreibt Paulus an die Römer:
?Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden. Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit ? ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat ?, doch auf Hoffnung; denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes.? (8,19-21)
Auch die Natur wartet also auf die Erlösung durch den Gottessohn.
Es fällt auf, dass nicht nur Gott der Vater an der Schöpfung beteiligt ist, sondern auch der Sohn eine wichtige Rolle spielt. Die Erde wurde insofern «in Ihm» geschaffen, als Jesus den sichtbaren Aspekt des Vaters verkörpert. Ausserdem stellen wir fest, dass Jesus den Menschen mit seinem Opfertod am Kreuz auch mit der Natur versöhnt. Der Friede, den Gott durch das Opfer von Jesus bringt, gilt also auch für die Erde.
Darum sind wir als Christen aufgerufen, eine neue Ethik vorzuleben. Gleich wie wir als vergebene Sünder unsere Haltung dem Nächsten gegenüber ändern sollen, müssen wir auch der Natur mit einer neuen Achtung begegnen. Gott fordert uns auf, uns jeden Tag neu zu bekehren, damit unsere neue Stellung als gesühnte Sünder sichtbar wird. Unserem Glauben müssen Taten folgen. Sind wir bereit, aus Achtung vor Gott und der Schöpfung einen einfacheren Lebensstil zu entwickeln? Technik, Geschwindigkeit und Leistung vermitteln uns ein Gefühl der Allmacht, das uns aber allmählich von Gott entfremdet und sich folgeschwer auf die Umwelt auswirkt. Unser Leben umkehren bedeutet anerkennen, dass unseren Wünschen, unseren Ansprüchen und unserer Ungeduld Grenzen gesetzt sind. Es bedeutet, demütiger zu werden und auf Überflüssiges und Nützliches (!) zu verzichten.
5. Gott gehört in die Mitte!
Beim christlichen Glauben steht unsere Beziehung zum Schöpfergott ein für alle Mal in der Mitte. Gott ist die Mitte von allem, er ist das Ziel, auf das wir uns ausrichten. Er hat die Schöpfung in einem Akt der Liebe geschaffen und den Menschen die Freiheit übertragen, mit Ihm in Beziehung zu treten. Wir sind Menschen und Bewohner der Welt (aber nicht deren Nabel!) und als solche sind wir Zeugen für Gottes Liebe. Darum sind wir aufgefordert, die Schöpfung als Geschenk Gottes anzunehmen und zu achten. Interessant: Die Krone der Schöpfung ist nicht der Mensch, sondern die Ruhezeit, die sich Gott nimmt, um Seine Schöpfung zu betrachten (der Sabbat).4
In 1. Mose 1-2 kommt klar zum Ausdruck, dass der Glaube nicht pantheistisch ist, weil Gott über der Schöpfung steht und alles Lob Ihm und Ihm alleine zusteht. Gott hat alle Dinge geschaffen und die Beziehungen zwischen ihnen festgelegt. Er hat uns die Natur zur Bewirtschaftung anvertraut, damit wir für sie sorgen. Doch hat die Sünde diesen ursprünglichen Plan zunichte gemacht. Als gesühnte Sünder und wiedergeborene Christen sind wir berufen, der Sünde abzusagen und den Willen Gottes zu suchen, uns jeden Tag neu zu bekehren, um Gott die Ehre zu geben und gleichzeitig die Natur zu bewahren.
?In der Nächstenliebe eifern wir der göttlichen Liebe nach, die uns selbst und unsere Artgenossen geschaffen hat. In der weltgemässen Liebe eifern wir der göttlichen Liebe nach, die diese Welt geliebt hat, zu der wir gehören.? (Simone Weil: Das Unglück und die Gottesliebe, 1953. Eigene Übersetzung.)
Anne-Sylvie Giolo, Physikerin
[^1 ]: Shrader-Frechette K. S.: Environmental Ethics, Pacific Grove, CA, The Boxwood Press, 1981. (Eigene Übersetzung).
2. Alle Bibelzitate sind der Lutherbibel 1984 entnommen.
3. Eigene Übersetzung.
4. Damit distanzieren wir uns von einem in der grünen Bewegung ziemlich häufigen Ansatz, der die Natur als Gaia ins Zentrum der Welt stellt. Andererseits werden wir so bewahrt, wie Lynn White es dem Christentum vorwirft, zu menschzentriert zu sein. Oder in den Worten von Lamarck, dem französischen Botaniker und Zoologen: «Man dachte, die Natur sei Gott? Man verwechselte den Uhrmacher mit der Uhr, den Autor mit seinem Werk. (Introduction à l’histoire des animaux sans vertèbres, 1815. S. 322. Eigene Übersetzung.)
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