Ein Jude über den Frieden

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Seev Levy, pensionierter Sozialarbeiter, Jude mit starkem Jesus-Bezug, sprach am 23. Januar 2015 am Theologisch-Diakonischen Seminar (TDS) in Aarau über den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Ein Tag mit einem Mann der Versöhnung – an der Mauer des Misstrauens.

«Nachher reden wir über Friedensarbeit…» Mehrmals vertröstete Seev Levy die 16 Seminarteilnehmer auf den zweiten thematischen Teil. Er freue sich besonders darauf, hatte Levy anfangs gesagt, Friedensinitiativen aus Israel und Palästina vorzustellen, die andere, die hoffnungsvolle Seite des zermürbenden Konflikts zwischen den beiden Völkern. Nur der Seminar-Morgen sollte den Ursachen des Streitens und Kriegens und der Geschichte des «gelobten Landes» gewidmet sein.

Doch der Morgen zog sich in den Nachmittag hinein: Rückfragen mussten gestellt und beantwortet werden, die jeweiligen Empfindlichkeiten der Konfliktparteien bildeten sich auch unter den Seminarteilnehmenden ab, es wurde kontrovers, auch emotional. Seev Levy musste zunächst vor Ort zeigen, wie Frieden geht. Wer, wenn nicht er?

Das Dilemma Israels

Levy bezeichnet sich lieber als Mann «jüdischer Herkunft, für den Jesus sehr wichtig ist». Er leitete 27 Jahre lange lang die kirchliche Passantenhilfe in Bern und machte sich als seelsorgerlicher Sozialarbeiter einen Namen. Stets lag ihm das Heilige Land am Herzen, seit seiner Pensionierung vertiefte er sich verstärkt in die Sicht der Palästinenser. Levy liess keinen Zweifel daran aufkommen, dass den Palästinensern rund um die jüdische Besiedlung Palästinas im 20. Jahrhundert und vor allem nach der israelischen Staatsgründung 1948 viel Leid angetan wurde, das bis heute nachwirkt.

Zugleich fühlt Levy mit allen Juden, die nach dem Holocaust und bis heute eine sichere Heimat suchten. «Ich bin froh, dass Israel die Golan-Höhen besetzt hält», gab Levy beispielsweise mit Blick auf Teile der besetzten Gebiete zu. «Das bergige Grenzland eignet sich zu gut, um Israel unter Beschuss zu nehmen.» Sicherheitsbedürfnis hier, Friedenswunsch dort – das Dilemma Israels spiegelt sich auch in Seev Levys Haltung.

Die Palästinenser als Brüder

Ein Fragesteller wollte am Morgen wissen, wie Levy die biblische Geschichte aus dem Buch Josua verstehe, in dem Gott den Kriegsherr auffordert, die Einheimischen im verheissenen Land zu vernichten, damit sie sich nie gegen das Volk Israel erheben könnten. Die Frage löste Unmut aus, Levy blieb ruhig und positionierte sich klar: «Wir leben in einer ganz anderen Zeit, einer Zeit nach Jesus. Er lehrte, wie mit ‹Feinden› umzugehen: Ihnen Gutes zu tun, Gutes zu wünschen. Ich bin überzeugt, dass auch Israelis heute aufgefordert sind, die Palästinenser als ihre Brüder anzusehen.»

Mit Martin Buber brachte Levy einen Kronzeugen dieser Haltung ins Spiel. Der Philosoph warb von 1900 bis zur israelischen Staatsgründung für eine Gleichberechtigung der zwei Völker, die das gleiche Land als ihre Heimat ansahen. Buber schlug einen binationalen Staat vor, der dem «Brudermord» ein Ende setzen sollte. «Die Feuerprobe der Judenheit als Menschenvolk sind die Beziehungen zu den Arabern. … Ihre Feindseligkeit müsste für uns ein Grund sein, uns umso menschlicher zu verhalten», zitiert Buber Aharon Gordon, einen anderen jüdischen Philosophen.

Durch den Konflikt hindurch

Und dann kam im Laufe des Nachmittags die Rede doch noch auf die Friedensarbeit, die Seev Levy so am Herzen liegt: «Neve Shalom» fand Erwähnung, das Dorf in Israel, in dem Juden und Araber zusammen leben, zusammen lernen und zusammen streiten. Oder das Schulprojekt «Hand in Hand», mittlerweile sechs zweisprachige Schulen in Israel für Kinder beider Völker. Oder die «Rabbis for Human Rights»: Die Rabbiner setzen sich mutig für die Rechte der Palästinenser in den besetzten Gebieten ein. Am Fest Tu biSchevat, das am vergangenen Montag gefeiert wurde und an dem Juden klassischerweise einen Baum pflanzen, praktizieren die Rabbis dasselbe in den Palästinensergebieten, für Bauern, deren Bäume zuvor von Siedlern ausgerissen worden waren.

Manch ein Gesicht unter den Teilnehmenden des TDS-Kurses hellte sich am Nachmittag wieder auf, als sich neben dem ganzen Dunkel des Konflikts einige Lichtblicke zeigten. Doch ebenso deutlich hatte der Morgen klargemacht: Zum lang ersehnten Frieden zwischen Palästinensern und Israelis kann nur vorstossen, wer sich auf den Konflikt einlässt und durch ihn hindurch geht. Der Weg ins Gelobte Land führt nicht am Konflikt vorbei.