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Das ChristNet-Forum vom vergangenen Samstag unter dem Thema «Demokratie – gefährdet oder gefährlich?» zeigte auf, dass erste Anzeichen dieser Staatsform durchaus im Neuen Testament ausgemacht werden können.

Bei der Begrüssung wies ChristNet-Präsident Markus Meury auf die Dringlichkeit des Themas hin. Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten viele Staaten ihre demokratischen Strukturen ausgebaut. Heute zeige der Demokratieindex, der von der britischen Zeitschrift The Economist jährlich berechnet wird, in allen Regionen der Welt nach unten. Die Schweizer Demokratie werde zwar wegen ihrer direktdemokratischen Instrumente als vorbildlich wahrgenommen, sei aber ebenfalls vor Angriffen nicht gefeit.

So käme es immer wieder vor, dass sich Parlamente auf Kantons- und Bundesebene weigerten, vom Volk angenommene Initiativen auch wirklich umzusetzen. Ein Beispiel seien die F-35-Jagdflugzeuge, die die Bundesversammlung «wegen der zunehmenden Bedrohung durch Russland» bestellt hat, obwohl eine Initiative dagegen hängig ist.

Jesus trat für «innere Theokratie ein»

Simon Grebasch, evangelisch-reformierter Pfarrer in Münsingen und ehemaliger Präsident der EVP Kanton Freiburg, setzte sich mit den Herrschaftsformen in der Bibel auseinander. Jesus habe keine bestimmte Staatsform unterstützt, sondern das Reich Gottes realisieren wollen mit dem Ethos der Liebe und Gottes guter Geistkraft im Herzen als Zentrum. Das komme einer Art «innerer Theokratie» (griech. Theos, kratos = Gott herrscht) gleich – mit Auswirkungen auf die äussere Lebensführung. Die Herrschaftsform im künftigen Reich Gottes, die auch äusserlich gemeint sei, könne als «demokratische Theokratie» gesehen werden: «Wo der Gott von Jesus Christus regiert, da sind auch Freiheit und Mitbestimmung garantiert. Man liegt also falsch, wenn man sich eine Theokratie bloss autokratisch vorstellt. In der Bibel ist das nicht der Fall», betonte Grebasch. Auch die Jesus-Nachfolge selbst sei ja freiwillig.

Was hat Demokratie mit dem christlichen Glauben zu tun?

Das Miteinander der ersten Christen sei «aussergewöhnlich partizipativ, egalitär und sozial» gewesen. Dabei wäre die «Koinonia» wichtig gewesen – die Gemeinschaft als Teilhabe und Teilnahme. Die kirchliche Selbstbezeichnung «Ekklesia» hätte auf die politische Volksversammlung im alten Griechenland verwiesen. Das Bild vom Leib Christi und das Wirken des Geistes in allen Gliedern – auch in den Frauen, Sklaven und Kindern – sei revolutionär demokratisch gewesen. Auch die Dreieinigkeit Gottes könne als «in der Gottheit selbst inhärentes demokratisches Prinzip verstanden werden», schloss Grebasch seine Überlegungen ab.

Josef (Jo) Lang, ehemaliger Zuger Nationalrat und Verfasser des Buches «Demokratie in der Schweiz», unterstrich die Direkte Demokratie als Stärke der Schweiz. Das Recht, eine Initiative oder ein Referendum zu ergreifen, werde in Zukunft noch wichtiger werden, was auch dasvergangene Jahr eindrücklich aufgezeigt habe.

Konkrete Fragen gegen MAGA-Slogans

Während der US-amerikanische Wahlkampf vom ideologischen Schlagwort «Make America Great Again» (MAGA) geprägt gewesen sei, «ging es bei den letztjährigen Urnengängen in der Schweiz um konkrete Fragen wie Sozial- und Krankenversicherung, Mietrecht oder Klima- und Landschaftsschutz». In der Direkten Demokratie seien Politiker und Politikerinnen gezwungen, Fragen zu konkretisieren, während in den USA ein Vertreter des Grosskapitals mit einem nationalistischen Slogan die Mehrheit der Arbeiterklasse habe hinter sich bringen können.

Lang zeigte anhand der Abstimmungen zur Gleichberechtigung der Juden und zum Frauenstimmrecht auf, dass die Schweiz seit den ersten Volksabstimmungen nach der Gründung des Bundesstaates bis heute dreigeteilt sei in die progressive Romandie, die urbane Deutschschweiz und die ländliche Deutschschweiz und plädierte in diesem Zusammenhang für die Abschaffung des Ständemehrs. Dieses ermögliche es, die die Mehrheiten in der Romandie durch die konservative Innerschweiz auszubremsen, ein Phänomen, das unter anderem zur Ablehnung der Konzernverantwortungsinitiative geführt hat.

Die aktuell grösste Gefahr drohe „der Schweizer Demokratie bei einem Versagen in der Klimafrage“. Der Klimawandel werde nicht nur ein Chaos in der Natur auslösen. Wenn es nicht gelinge, Mehrheiten für klimapoltische Massnahmen zu finden, sehe es düster aus.

Meinungsvielfalt nicht immer gewährleistet

Markus Dütschler, langjähriger Lokalredaktor der Berner Tageszeitung «Der Bund» und heutiger Co-Leiter des Kommunikationsdienstes der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn, kritisierte, dass in den aktuelle (Bezahl-)Medien die Meinungsvielfalt nicht immer gewährleistet sei. Eine Befragung von Journalistinnen und Journalisten durch das Institut für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW zeige, dass das Personal auf den Redaktionen nicht sehr divers zusammengesetzt sei. Es sei daher auch kein Wunder, dass gewisse Themen sehr breit und andere überhaupt nicht transportiert würden. So interessierten sich Journalisten oft nicht für religiöse Themen und deren Botschaft, weil die meisten von ihnen einen konfessionslosen Hintergrund hätten. Zudem würden zu gewissen Themen immer wieder die gleichen Experten befragt.

Im Internet hingegen kämen Leute zu Wort, die bislang nicht gehört worden seien, was nicht nur schlecht sei. Durch die neuen Medien könne unter Umständen die „Schweigespirale“ durchbrochen werden, die auf einer Theorie fusst, die in den 70er-Jahren von Elisabeth Noelle-Neumann formuliert wurde: Menschen sind gehemmt, sich öffentlich zu ihrer Meinung zu bekennen, wenn sie davon ausgehen, dass diese von der vorherrschenden abweicht, was für die Meinungsvielfalt in einer Demokratie eine Gefahr darstellen könne.

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Ein erfolgreiches Gelingen der angestrebten Energiewende beruht gemäss der Schweizerischen Energie Stiftung (SES) auf drei Säulen: Erneuerbare Energien, Energie-Effizienz und Energie-Suffizienz.

Während erneuerbare Energien seit 40 Jahren im Gespräch und seit 20 Jahren als Teil der Lösung breit anerkannt sind und eingesetzt werden, gewinnt eine Verbesserung der Energie-Effizienz primär im Zusammenhang mit den neuerlichen Energiepreissteigerungen an Bedeutung, ist also kostengetrieben. Demgegenüber hat die Energie-Suffizienz in der öffentlichen Diskussion immer noch einen schweren Stand.

Offenbar wirkt das Wort «Suffizienz» abstossend. Gemäss Duden heisst es «ausreichend, genügend», es riecht aber nach Einschränkung oder Verlust. Und dies ist anscheinend mit der immer noch verbreiteten wirtschaftlichen Forderung eines notwendigen steten Wachstums unvereinbar. Auch in der Bevölkerung löst dieses Wort Ängste aus: Man befürchtet Einschränkungen beim Konsumieren oder fürchtet sich vor einer ungewissen Zukunft.

Das ist für den Bundesrat Grund genug, eine Politik zu verfolgen, die Energie zu jeder Zeit und in jeder Menge uneingeschränkt verfügbar halten will. Deshalb will er auch das bestehende Bauverbot für neue Kernkraftwerke aufheben. Und dies unter Beifall weiter Kreise der Bevölkerung!

Warum wir nicht mit weniger auskommen

Der unbedingte Wille, Energie uneingeschränkt verfügbar zu haben, zeichnet meines Erachtens ein bedenkliches Bild vom Zustand unserer Gesellschaft. Es scheint verbreitet akzeptiert zu sein, dass wir in der Schweiz weit über unsere Verhältnisse leben und bedenkenlos von Energie-Importen aller Art abhängen.

Dank unserer Kaufkraft beschaffen wir uns rund um den Erdball, was wir zu benötigen glauben. Das kommt uns billiger, als unsere eigenen natürlichen Ressourcen zu nutzen und entsprechende Infrastrukturen zu errichten. Wir betreiben damit aber modernen Kolonialismus und entziehen den wirtschaftlich schwächeren Ländern ihre Ressourcen – und das zu Spottpreisen. Das Ergebnis ist klar: Die Reichen werden reicher – die Armen werden ärmer! Solches Wirtschaften widerspricht zutiefst dem christlichen Verständnis von der Teilhabe aller am Wohlstand! Ein aktuelles Beispiel dafür sind die Diskussionen um den Lithium-Abbau in Serbien.

Der Energieverbrauch einer Gesellschaft hängt direkt mit der allgemeinen und persönlichen Lebens- und Wirtschaftsgestaltung ab. In diesem Bereich sind wir permanent einer intensiven Werbe-Berieselung ausgesetzt. Dank unserem verbreiteten Wohlstand vermögen wir es, den mannigfaltigen Verlockungen genüsslich zu erliegen. Sich diesen Versuchungen zu widersetzen, erfordert Kraft und ein Mindestmass an Bewusstsein für die Problematik, was nicht sehr verbreitet zu sein scheint.

Suffizienz-orientiertes Verhalten ist sowohl im privaten wie auch im geschäftlichen Bereich bislang weitgehend freiwillig. Es wird durch die derzeitigen ökonomischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht gefördert. Im Gegenteil, es gibt viele Anreize, die in eine andere Richtung führen. Diese entspringen dem dominierenden Gedanken der Wirtschaftsfreiheit und versprechen kurzfristigen Gewinn – und Genuss.

Was ist zu tun, um das zu ändern?

Eine nachhaltige Energiewirtschaft kann aber nicht ohne Energie-Suffizienz erlangt werden. Und diese wiederum ist ohne Verhaltensänderung im privaten wie im geschäftlichen Bereich nicht zu erreichen. Da Freiwilligkeit offensichtlich nicht ausreicht, wird die Politik für griffige Massnahmen sorgen müssen. Dies verbunden mit dem Ziel, den Energieverbrauch bei gegebenem Komfortstandard zu begrenzen.

Eine SES-Studie von 20231 skizziert einen Katalog von Vorschlägen für mögliche Massnahmen und beschreibt diese im Detail mit ihrer Wirksamkeit bzw. dem erwarteten Einsparpotenzial. Sie umfassen die Politikbereiche Energieversorgung, Mobilität, Konsum, Gebäude sowie Information/Sensibilisierung und betreffen die Energieformen Strom, Wärme, Treibstoffe und Graue Energie2 . Angesprochen sind Bund, Kantone, Städte, Gemeinden, Unternehmen und Private.

Zusammengefasst schlägt die SES-Studie folgende Massnahmen vor: Im Bereich Energieversorgung geht es um die Entkoppelung der Energieabsatzmenge vom Gewinn, progressive Energiepreise (das Gegenteil von Mengenrabatt), Verzichtsauktionen (Minderverbrauch gegenüber eines im Voraus vereinbarten Verbrauchsziels kann an andere Unternehmer, welche Mehrverbrauch hatten, weiterverkauft werden), Lenkungsabgaben, Stromsparbonus bzw. -malus sowie Effizienzvorgaben an Energieversorgungsunternehmen.

Bei der Mobilität ist Mobility-Pricing beim öffentlichen und beim Individualverkehr nötig, eine Raum- und Stadtplanung der kurzen Wege – die berühmte 15-Minuten-Stadt, in der man alle wichtigen Ziele in 15 Minuten erreicht –, vermehrte Telearbeit (Home Office) und Coworking Spaces – gemeinsam nutzbare Büros; beim Flugverkehr müssen Fehlanreize wie Befreiung von Mehrwert- und Kerosinsteuer beseitigt und Alternativen, z.B. Nachtzüge, vergünstigt werden. Schliesslich ist der Pendlerabzug in der Steuererklärung zu hinterfragen.

Beim Konsum müsste die Lebens- und Nutzungsdauer von Produkten verlängertwerden, sie sollten repariert statt ersetzt werden. Energieaufwendige Werbemittel sind einzuschränken.

In Sachen Gebäudepark geht es darum, den Verbrauch grauer Energie zu minimieren, ganz nach dem Motto: mehr sanieren als abreissen, Bauteile wiederverwenden und den Wohnflächenbedarf pro Person reduzieren.

Im Bereich Information/Sensibilisierung sind Sensibilisierungskampagnen gefragt und für die Verbraucher nachvollziehbare Feedbacks zu ihrem Energieverbrauch.

Weniger kann mehr sein

Die hier aufgeführte Studie beruht auf europäischen Datenbanken, die seit 2021 aktualisiert werden. Sie wurden für die Schweiz analysiert, es wurde eine Selektion nach ihrer potenziellen Wirkung sowie der politischen und gesellschaftlichen Umsetzbarkeit vorgenommen.

Seither laufen in verschiedenen Fachkreisen fruchtbare Diskussionen, die zeigen, dass es noch viele andere einfache Möglichkeiten zum Einsparen von Energie gibt, die teilweise sogar gleichzeitig zu einer erhöhten Lebensqualität führen können.

Es bleibt zu hoffen, dass von der Politik bald zielgerichtete Rahmenbedingungen vorgegeben werden. So kann eine gesellschaftliche Verhaltensänderung und eine allmähliche Anpassung der Lebensgestaltung erreicht werden, bei der wir mit weniger Energie besser auskommen.

1. https://energiestiftung.ch/studie/studie-zu-wirksamen-energiesuffizienzmassnahmen

2. Graue Energie ist die Summe jener Energien, die in Produkten und Gütern stecken – von der Herstellung und dem Transport bis hin zur Entsorgung; sie steht für eine ganzheitliche Betrachtung des Energieaufwandes über den ganzen Lebenszyklus hinweg.


Dieser Artikel erschien erstmals am 1. November 2024 auf Forum Integriertes Christsein

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Unsere Migrationspolitik ist unverhältnismässig restriktiv. Es wäre Zeit für eine Allianz des Anstands.

Der Wahlsieg Donald Trumps folgt einem Muster, das in immer mehr westlichen Demokratien Erfolge feiert: der gezielten Bewirtschaftung von Ängsten. Zum einen ist da die Angst vor dem Wohlstandsverlust, die viele Menschen umtreibt, und zum anderen das Übermass an gesellschaftlichen und weltweiten Krisen, die überfordern. Diese Ängste werden heute nicht verantwortungsbewusst begleitet, sondern verstärkt und instrumentalisiert.

In biblischen Zeiten gab es mit dem Sündenbock ein Ritual, um Ängste zu beruhigen. Ein Ziegenbock wurde in die Wüste geschickt, um symbolisch alles Böse, die Schuld und die Angst vor dem Zorn der Gottheit wegzutragen und so das Volk zu befreien. Stellvertretend übernehmen heute Flüchtlinge diese Rolle. Sie eignen sich ideal als Projektionsfläche für eigene Ängste und Wut. Der inzwischen verstorbene Soziologe Zygmunt Bauman äusserte sich dazu wie folgt: «Asylbewerber nehmen heute die Rolle ein, die ehemals den Hexen, Kobolden und Gespenstern der Sagen zukam.»

Trump schürt Ängste gegenüber Migranten, bezeichnet sie als Ungeziefer oder Müll und macht sie für fast jedes Unheil verantwortlich. Auch die SVP als wählerstärkste Partei der Schweiz und mit ihr neuerdings die FDP folgen dieser miserablen Strategie: Mit Flüchtlingen als Sündenböcken gewinnen Parteien Wählerstimmen und erringen damit politische Macht. Der moralische Preis dafür ist jedoch hoch, denn ein solch polemischer Diskurs vergiftet eine Gesellschaft.

Isolation, Perspektivlosigkeit und Ohnmacht schaden ihrer psychosozialen Entwicklung und ihrer psychischen Gesundheit.

Als Konsequenz dieser Sündenbock-Strategie haben wir eine mittlerweile sehr restriktive Migrationspolitik. Wer die Zahlen der Asylmigration sorgfältig analysiert – und sie nicht mit der Arbeitsmigration vermischt –, stellt fest, dass relativ wenige Flüchtlinge die Schweiz erreichen. Deshalb ist die Rede von einer angeblichen «Überflutung» reines Geschwätz, ganz nach dem Motto: «Lerne, zu klagen, ohne zu leiden.»

Eine weitere Konsequenz davon ist, dass in der Schweiz abgewiesene Asylsuchende über Monate und Jahre hinweg in Rückkehrzentren untergebracht werden, in denen ganze Familien in einzelnen Zimmern leben. Häufig handelt es sich um Personen, die aus autokratisch regierten Ländern kommen und nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen in ihr Herkunftsland zurückkehren können. Eine Studie des Marie-Meierhofer-Instituts für das Kind hat gezeigt, dass die in Rückkehrzentren befindlichen Kinder und Jugendlichen – rund 700 an der Zahl – in einem schlechten psychischen Zustand sind. Sie sind traumatischen Erlebnissen ausgesetzt. Isolation, Perspektivlosigkeit und Ohnmacht schaden ihrer psychosozialen Entwicklung und ihrer psychischen Gesundheit. Rückkehrzentren dürfen keine Menschendeponien werden.

Es braucht in der politischen Schweiz eine Allianz des Anstands, die sich von machiavellistischem Streben verabschiedet und anerkennt, dass Geflüchtete zunächst einmal Menschen sind, die unsere Zuwendung verdienen. Es ist eine Binsenwahrheit, dass es in jeder Bevölkerungsgruppe anständige und unanständige Menschen gibt, und die Proportionen sind überall ähnlich. Gleichzeitig muss anerkannt werden, dass nicht alle Migranten hier in der Schweiz bleiben können. Es sei denn, es handelt sich um Oligarchen oder Milliardäre. Ihnen stehen bei uns alle Türen offen.

Dieser Artikel erschien im Dezember 2024 als Gastkommentar im «Tagesanzeiger», im «Bund» und im «Berner Landboten».

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Am 18. Januar 2025 findet das nächste ChristNet-Forum unter dem Thema «Demokratie – gefährdet oder gefährlich» statt. ChristNet-Präsident Markus Meury erklärt, was es mit dem Thema auf sich hat.

Mit dem 2. Weltkrieg wurde endgültig klar, welche Katastrophen der Nationalismus und Diktaturen anrichten können. Danach wurden in vielen Staaten die demokratischen Strukturen ausgebaut. Mit dem «Fall der Mauer» schien es, dass die Demokratie gesiegt hätte und dass sie und die Menschenrechte sich dank der Zunahme der Bildung und des Wohlstandes automatisch ausbreiten würde. Bis zum Jahr 2015 war dies tatsächlich der Fall, seither hat aber eine Trendwende eingesetzt. Der Demokratieindex 1 zeigt seither nach unten, und zwar in allen Regionen der Welt.

Zunehmend Machterhaltung – auch wegen der Polarisierung im Internet

In Ungarn, Polen, Israel oder El Salvador versuchen Regierungen vermehrt, ihre Macht zu zementieren, indem sie Kritik übertönen oder unterdrücken und die Kontrolle durch Gerichte abschaffen. Mexiko und Indien versuchen, demokratische Wahlen «besser zu kontrollieren». In Südkorea wurde eben ein «Putsch von oben» versucht. Auch der Sturm aufs Capitol in den USA von 2021 kann in dieser Kategorie genannt werden. Wird die Demokratie nur noch toleriert, solange das Resultat den Mächtigen dient?

Ein wichtiger Faktor hierin ist sicher die zunehmende Polarisierung der Meinungen, die durch die allgemeine Verunsicherung und die ungebremste Hetze und Verleumdung gegen die politischen Gegner in den sozialen Netzwerken (auch bewusst) gefördert wird. Durch die Algorithmen im Internet, die unsere Interessen und Meinungen spiegeln, finden wir uns in Meinungs-Bubbles wieder und werden zunehmend einseitig informiert. Wenn der politische Gegner nur noch Feind ist, wird dessen Unterdrückung zur Priorität, da sonst «das Böse überhandnimmt». Machterhaltung ist die Devise, Konsens und damit die Suche nach dem Guten für alle ist nicht mehr Ziel. Im Kampf der Guten – wir – gegen die Bösen – die anderen –, wird die Aufhebung von demokratischen Regeln gerechtfertigt.

Der Soziologe Anthony Giddens hat bereits in 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts geschrieben, dass das 21. Jahrhundert ein Jahrhundert der autoritären Regierungen werde, da mehr Menschen wegen den schnellen technischen und kulturellen Veränderungen2 wieder nach Sicherheit versprechenden Führern rufen. Nur so ist es zu erklären, dass in den USA mit Donald Trump von einer Mehrheit des Volkes wiedergewählt wurde. Dies mit Elon Musk als rechte Hand, der vor einem von ihm angestrebten Sturz des bolivianischen Präsidenten meinte: «We coup against whoever we want».

«… in der heutigen, polarisierten und von Ängsten vor den Feinden erfüllten Gesellschaft ist die Suche nach Bestätigung der eigenen Welt- und Feindbilder stärker.»

Erosion der Wahrheit

Das Internet mit seinem grossen Angebot an Rechtfertigungsideologien hilft uns, das zu glauben, was wir glauben wollen. Wir passen die Realität an unsere Weltsicht an. Hier ist die Frage der Wahrheit zentral: Kümmern wir uns nicht mehr um die Suche nach Wahrheit? Oder nehmen wir einfach an, was wir glauben, ist die Wahrheit. Wenn wir Facts statt Unterstellungen den Vorzug geben, entstehen weniger Feindbilder. Aber in der heutigen, polarisierten und von Ängsten vor den Feinden erfüllten Gesellschaft ist die Suche nach Bestätigung der eigenen Welt- und Feindbilder stärker.

Menschenrechte, Demokratie und Nächstenliebe bedingen sich gegenseitig

In diesem Zusammenhang geraten weltweit auch die Menschenrechte unter Druck. Menschenrechte sind die Grundpfeiler der Menschenwürde: gleicher Wert jedes Menschen vor Gott heisst auch, jedem Menschen gleiche Rechte und Lebenschancen zuzugestehen. Das ist die Grundlage der Nächstenliebe. Diese bedingt die Menschenrechte und ist nur durch eine vollständige Demokratie gewährleistet. Denn nur dort, wo die Stimme der Benachteiligte hörbar ist und ihr politischer Einfluss gleichwertig ist, wo vertrauenswürdige Informationen im Vordergrund stehen und wo Mächtige abgewählt werden können, kann das Gute für alle gedeihen. Denn: wo die Mächtigen Rechenschaft abgeben müssen, wird das Wohl für alle respektiert. Umgekehrt hat die Konzentration und Zementierung von Macht in der Geschichte meist Unheil gebracht. Unterdrückung, Kriege, Tod und Zerstörung sind die Folge.

Und in der Schweiz?

Die Schweiz hat unter den Demokratien eine besondere Stellung und wird wegen seiner direktdemokratischen Instrumente als die Demokratie schlechthin angesehen. Doch auch bei uns gibt es demokratische Grundregeln, die noch mangelhaft sind. Demokratie heisst nicht einfach, «man kann ja wählen und abstimmen, wenn man will». Im Folgenden einige wichtige Voraussetzungen, die in der Schweiz unseres Erachtens im Vergleich zum Ausland Verbesserungen benötigen:

  • Zuverlässige und korrekte Information in klassischen und sozialen Medien
  • Gleich lange Spiesse im politischen Konkurrenzkampf durch Offenlegung der Politikfinanzierung
  • Unterbindung von undurchsichtigen Lobbying-Aktivitäten im Parlament
  • Die Einführung eines Verfassungsgerichts, das die Übereinstimmung von neuen Gesetzen mit der Verfassung überwacht

Zudem sind Einschränkungen von demokratischen Prozessen auch hierzulande wahrnehmbar:

  • Bei der Abstimmung zur Konzernverantwortungsinitiative waren die Wirtschaftsverbände erstaunt, dass die Zivilgesellschaft plötzlich gewichtigen Einfluss auf die Meinungsbildung hatte. Dieser Entwicklung begegneten sie mit einem Verbot der politischen Arbeit von subventionierten NGO und von Schulbesuchen durch Entwicklungshilfeorganisationen.
  • Das Parlament beschloss – trotz hängiger gegnerischer Volksinitiative – die sofortige Bestellung der FA-35-Kampfflugzeuge und begründete dies mit der zunehmenden Bedrohung durch Russland. Nun werden wir ein überteuertes und lärmiges Angriffsflugzeug haben. Dies ohne Koordination mit den umliegenden und ebenfalls bedrohten Ländern.
  • Gerade im Zuge der Nichtumsetzung der Initiative «Kinder ohne Tabak» wird einmal mehr klar, dass das Parlament sich zu weigern kann, Volksinitiativen korrekt umzusetzen. Zwar ist das Gesetz noch nicht fertig beraten, aber die vorberatenden Kommissionen setzen alles daran, dehnbare Formulierungen zu schmieden.
  • Im Kanton Schaffhausen haben sich das Parlament und die Regierung offen geweigert, die vom Volk angenommene Initiative zur Offenlegung der Parteispenden umzusetzen. Im Nachhinein wollten sie einen verwässerten Gegenvorschlag vors Volk bringen und gleichzeitig über eine Durchsetzungsinitiative der ursprünglichen Volksinitiative nicht abstimmen lassen. Das Bundesgericht hat inzwischen entschieden, dass auch über Letztere abzustimmen sei.

Wir müssen also auch hierzulande gegenüber der Erosion demokratischer Prozesse wachsam sein – auch wenn sich unsere politische Identität stark auf die Demokratie bezieht und nicht unmittelbar die Gefahr einer Diktatur droht.


1. https://de.wikipedia.org/wiki/Demokratieindex_(The_Economist)

2. s. auch Rosa, Hartmut: Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne. Frankfurt am Main 2005

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In der Wintersession im Bundeshaus wurde bei der Armee aufgestockt und bei der Umsetzung des Klimaschutz-Gesetzes massiv gekürzt. Klimalösungen sind aber trotz bremsender Mehrheiten weiterhin gefragt. Wenn sogar kleine Schritte blockiert werden, wie sollen dann die grossen Schritte eine Chance haben?

Wenn sogar ein Land wie die Schweiz beim Klimaschutz spart, wer soll dann vorangehen? Wenn sogar kleine Schritte blockiert werden, wie sollen dann die grossen Schritte eine Chance haben?

Ein Gedankenexperiment kann uns mit diesen Fragen helfen. Stellen wir uns vor, wir können mit einer Zeitmaschine ins Jahr 2100 reisen. Dort angekommen, stellen wir überrascht fest, dass die Welt das Klimaproblem doch noch gelöst hat. Wir fragen die Menschen der Zukunft: «Wie ist denn das bloss gegangen?» Wahrscheinlich wären wir von jeder möglichen Antwort überrascht. Die grosse Frage ist aber: Welche Antwort auf diese Frage würde uns am wenigsten überraschen?

Dem Nächsten wirkungsvoll dienen

Diese Frage ist zentral – und zwar ganz besonders, wenn sich die Klima-Politik anderen Prioriäten unterordnen muss. Wir müssen nicht nur voll heiligem Zorn die Bremser in der Klimapolitik anprangern. Sondern: wir müssen mit der gleichen Leidenschaft fragen, was denn unsere Nachfahren auch dann vor Klimagefahren schützen würde, wenn diese Bremser weiterhin in der Mehrheit bleiben.

Das ist letztlich eine sehr christliche Perspektive: wir rechnen fix mit dem Bösen in dieser Welt und richten unsere ganze Energie darauf, wie wir unseren Nächsten auch unter diesen Umständen wirkungsvoll dienen können.

Wenn ich im Jahr 2100 hören würde, dass die Menschheit die Klimakurve doch noch gekriegt hat, würde mich folgende Erklärung am wenigsten überraschen: Es gab ein paar Länder und Individuen, die mit grossem Einsatz saubere Technologien so sehr verbilligt haben, dass alle andern freiwillig auf diese sauberen Technologien umgestellt haben.

Null Emissionen

Die Anforderungen an eine Klimalösung sind ja schliesslich enorm: die Emissionen müssen auf Null. Wie aber sollen sie auf Null sinken, ohne dass sie jedes einzelne Land und jede einzelne Person auf Null senkt? Die Tatsache, dass es genaugenommen Netto-Null ist, lässt zwar ein bisschen Spielraum, aber über den Daumen gepeilt ist das immer noch Null. Wenn aber nicht mal ein Land wie die Schweiz zu kleinen Schritten bereit ist, wie soll dann ein Land wie Rumänien oder gar Indien zu grossen Schritten bereit sein?

Die Tragödie scheint perfekt: alle müssen auf Null – aber eine Lösung, bei der alle mitmachen, werden wir nie finden. Der Beweis dafür ist, dass nicht mal diejenigen mitziehen, die für grosse Schritte prädestiniert wären – wie unser eigenes Land.

Zeichen der Hoffnung

Doch es gibt Hoffnung. Es müssen zwar tatsächlich alle das gleiche Null-Ziel erreichen. Das heisst aber nicht, dass alle den gleichen Effort machen müssen. Emissionsreduktionen ≠ Effort. Willige Länder und Individuen können den Effort anstelle von andern übernehmen – sogar, wenn sie in der Minderheit sind.

Wie geht das konkret, dass im globalen Klimaschutz «einer des andern Last trägt»? Der erste – und weniger wichtige – Weg besteht darin, Emissionsreduktionen im Ausland zu finanzieren. Der zweite – und viel wichtigere – Weg besteht darin, enorm viel Geld, Zeit, Energie und politisches Kapital in die Verbilligung von emissionsfreien Technologien zu stecken, damit diese so attraktiv werden, dass sie alle andern freiwillig einsetzen. In einigen Bereichen sind saubere Technologien zwar einsatzbereit, aber noch so teuer, so dass sie wieder von Menschen, die in Armut leben, noch von jenen, die in Geiz leben, in grossem Ausmass verwendet werden. In anderen Bereichen sind unverzichtbare Technologien noch kaum einsatzbereit, so zum Beispiel im Bereich Stahl, Zement, Flugverkehr, kultiviertes Fleisch oder negative Emissionen.

Saubere Technologien attraktiv machen

Wer auf eine Klimalösung brennt, sollte nicht lange um die Frage kreisen, ob man seinen fairen Anteil auch dann beitragen sollte, wenn die anderen nicht mitziehen. Die zentrale Frage lautet vielmehr: Wie kann ich über meinen fairen Anteil hinaus dazu beitragen, die Mitmenschen in Armut vor Klimakatastrophen zu schützen? Die eigenen Emissionen immer tiefer unter Null zu drücken, führt nicht ans Ziel – damit können die Verzichtsbereiten die Emissionen der Unwilligen niemals wettmachen. Der indirekte Weg hingegen könnte funktionieren: die sauberen Technologien so attraktiv machen, dass sich diese Technologien von selbst in reichen und armen Ländern verbreiten. Bei reichen Ländern ist das Hindernis zur Verwendung der jetzt schon vorhandenen sauberen Technologien ein materialistischer Egoismus, bei armen Ländern ist es hingegen der berechtigte Willen dank den billigstmöglichen Technologien der Armut schneller zu entkommen. In beiden Fällen können wir das Hindernis zu überwinden helfen.

Bei den Armen und Geizigen ansetzen

Das wäre zwar in vieler Hinsicht unfair für die Verzichtsbereiten, die den ganzen technologischen Fortschritt finanzieren. Aber es ist eine der wenigen Strategien, die letztlich auch ohne Mehrheiten Resultate liefern könnte. Wir müssen aufhören, Klimaschutz primär als die Verringerung des eigenen Fussabdrucks zu sehen. Unsere Hauptaufgabe besteht darin, dort anzusetzen, wo wir Hebelwirkung haben: nämlich andern – den Menschen in Armut und den Geizigen – die Verringerung ihres Fussabdrucks zu vereinfachen.

Dieser Artikel erschien erstmals in den oeku-Nachrichten 2/2021 und wurde von ChristNet aktualisiert, da das Thema an sich nichts an Aktualität eingebüsst hat.

Foto von Marcin Jozwiak auf Unsplash

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Das Referat von Debora Alder-Gasser kann man hier herunterladen.


In der «1h Eco-Runde» vom 26. November 2024, einem Online-Format von Eco Church Network, sprachen David Hachfeld von Public Eye und Debora Alder-Gasser von TEIL über die zahlreichen Missstände in der Textilindustrie. Während Hachfeld betonte, es herrsche in der Branche ein «System der organisierten Verantwortungslosigkeit», lud Alder-Gasser die Teilnehmenden dazu ein, die eigenen Gewohnheiten bezüglich Kleiderkauf zu reflektieren.

In der Schweiz kauft jede und jeder im Durchschnitt 50–70 Kleidungsstücke und sechs Paar Schuhe pro Jahr. Viele davon werden kaum getragen, sondern landen im Müll oder in der Kleidersammlung. Die gespendete Ware ist meist von schlechter Qualität, was zu zahlreichen, oft illegalen Müllhalden im globalen Süden beiträgt. «Wir steuern auf eine Riesenkatastrophe zu«, meint Hachfeld. Viele Textilien werden aus Plastik und fossilen Rohstoffen hergestellt, was die Klimakrise verschärft. Hinzu kommt die grosse Menge an Pestiziden, die namentlich auf Baumwollplantagen eingesetzt wird. Diese sind nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die Arbeiterinnen auf den Plantagen extrem schädlich.

«Der Kampf der Arbeiterinnen läuft immer wieder vor eine Mauer»

In der Textilindustrie herrschen bekanntlich sehr schlechte Arbeitsbedingungen, führt Hachfeld weiter aus. In Ländern wie China, Bangladesch, Türkei und Indonesien verdienen die Arbeiterinnen und Arbeiter nur ca. 400 Dollar pro Monat. Die betroffenen Menschen protestieren und vereinen sich in Gewerkschaften, da der Lohn mindestens dreimal so hoch sein müsste, um ein Leben in Würde zu leben. Doch die mächtigen Grosskonzerne nutzen die begrenzten Möglichkeiten der Zivilgesellschaft gnadenlos aus. Hachfeld nennt es ungeschönt ein «System der organisierten Verantwortungslosigkeit». Genau da setzt die Organisation Public Eye mit ihren Aktionen an: durch die Sensibilisierung der Öffentlichkeit soll das perfide Profitsystem der Konzerne offengelegt werden, damit diese gerechte und nachhaltige Praktiken umzusetzen beginnen.

Die wirkliche Ursache des Problems

10 % des CO2-Ausstosses geht auf Kosten der Textilindustrie und jede Sekunde wird eine Ladung von Textilien auf eine Müllhalde geworfen. Doch was sind die Ursachen dafür, fragt sich Alder-Gasser: der Überkonsum? die schlechte Qualität der Kleider? die fehlenden gesetzlichen Rahmenbedingungen? oder alles davon ein bisschen? In den Augen der Berner Stadträtin gibt es eine tieferliegende Ursache, und zwar in den Gewohnheiten, wie wir Kleider konsumieren. Denn viele wissen zwar, dass dieser Konsum nicht nachhaltig ist, doch kaufen sie wie immer weiter ein. «Darum sollten wir mehr über unsere Gewohnheiten ins Gespräch kommen», meint Alder-Gasser.

TEIL

Mit dem Projekt TEIL, das sie mitbegründet hat, möchte Alder-Gasser ein Teil der Lösung sein und das kreislaufwirtschaftliche Denken fördern. Das Geschäft in der Berner Innenstadt ist wie eine «Bibliothek», aber für Kleider: Mit einem Abo kann man sich Kleider ausleihen. Das ist eine von vielen Möglichkeiten, konkret und persönlich etwas Gutes in Richtung Nachhaltigkeit zu tun. In der Praxis ist es jedoch oft schwieriger, wie Alder-Gasser aus ihrer Projekterfahrung berichtet. Es mangelt nicht an Zustimmung für das Projekt, doch die grösste Hürde liegt in der konkreten Veränderung des Konsumverhaltens. Rhetorisch schliesst sie ihren Impulsvortrag mit der Frage, was wir ändern können, und schlägt Ideen vor, wie das Abbestellen von Newslettern, die uns Schnäppchen zu einem hohen Preis für Mitmenschen und Umwelt bieten.

Die «1h ECO-RUNDE» ist ein regelmässiges stattfindendes Online-Format von Eco Church Network, ein Projekt von StopArmut. Ziel ist es, einen kurzen Impuls zu jeweils einem ökologischen Aspekt zu erhalten, Ideen auszutauschen und sich gegenseitig zu inspirieren, damit es nicht nur beim Wissen bleibt.

Mehr Informationen

www.publiceye.ch/de/themen/mode
www.teil.style
Zum Referat von Debora Alder-Gasser

Dieser Artikel erschien erstmals auf www.stoparmut.ch und wurde von ChristNet leicht bearbeitet.

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Letzten Samstag nahmen 200 Personen an der Jacques-Ellul-Tagung «Welche Hoffnung für unsere Krisenzeiten?» teil. Sie wurde aus Anlass von Elluls (1912–1994) 30. Todestag von ChristNet und weiteren Organisationen in St-Légier (VD) organisiert. Referate, Workshops mit Plenumsrückmeldung und ein Podiumsgespräch haben dem technikkritischen, pessimistischen, aber fundamental hoffnungsvollen Denken des französischen Autors Tiefe und Schärfe verliehen.

Auf dem Campus der Theologische Hochschule HET-Pro erfuhren die Tagungsteilnehmenden, dass Elluls Schriften auch 30 Jahre nach seinem Tod erstaunlich aktuell sind und Antwortansätze bieten, die aber nicht einfach sind. Die grosse Zahl der Anwesenden zeigte, dass das Bedürfnis gross ist, solche Fragen gemeinsam zu vertiefen. Mit der Publikation der Wortbeiträge im Juni 2025 («Das Desaster ist da») und einer Ideenbörse geht es nach der Tagung weiter.

Neun Referenten aus Fachbereichen wie Theologie, Philosophie, Sozial-, Ingenieurs- und Wirtschaftswissenschaften stellten das fruchtbare Werk von Ellul in Referaten, Workshops und in einem Podiumsgespräch vor.

Zu Beginn sprach Jacob M. Rollison, Theologe und Worker in der Gemeinschaft L’Abri (Huémoz VD), über die Technik, die den Menschen mächtig mache, aber in Hoffnungslosigkeit stürze. Laut Ellul sei die Technik selbstwachsend – eine Erfindung führt zur nächsten und bietet zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten –, wobei die Richtung der Entwicklung dem Menschen entgleite. Wie ein steuerloses Rennauto rase sie richtungs- und ziellos voran und verursache Katastrophen, die sich immer weniger vermeiden liessen. Rollison fragte sich: «Warum nehmen wir nicht den Fuss vom Gaspedal?»

Ohnmacht oder Machtverzicht?

Auf diese hoffnungslose Diagnose reagierte Frédéric Rognon, Philosophieprofessor an der Universität Strassburg und einer der grössten Ellul-Kenner unserer Zeit: «Ohne Hoffnungslosigkeit keine Hoffnung.» Ellul fordere uns auf, die Hoffnung auf eine technische Lösung der Krise aufzugeben. Zwar verfüge der Mensch dank der Technik über eine nie dagewesene Macht, die aber zutiefst ambivalent (mit untrennbar verknüpften positiven und negativen Effekten) und selbstwachsend sei. Dagegen habe Ellul die «Nicht-Macht» gestellt, also den Verzicht auf (technische) Machtmittel, der darin besteht, nicht alles zu tun, was machbar ist. Als Vorbild dafür bezeichnete er Jesus, der als allmächtiger Gott seine Macht abgelegt habe und Mensch geworden sei.
Den Vormittag schloss David Bouillon ab, Professor an der HET-Pro. Anhand des ellul’schen Kommentars zum Jona-Buch warf er ein biblisches Licht auf den Katastrophismus. Die Geschichte dieses Propheten zeige, dass es Gottes Liebe sei, die uns für unseren Auftrag verantwortlich mache. Angesichts der technischen Allmacht (Ninive) bekräftige Gott sein Erbarmen mit allen Lebewesen. Dies sei unser Ausweg aus der «Hölle» und unseren Krisen, dies sei unsere Hoffnung.

Workshops und Partizipation

An der Jacques Ellul Tagung arbeiteten die Teilnehmenden aktiv mit. Ein Höhepunkt am Nachmittag waren die acht Workshops, die über eine Stunde dauerten und Raum schufen für einen kollektiven Prozess, um konkrete Lösungsansätze für die Tagungsthemen zu suchen. Das Ergebnis wurde am Podiumsgespräch vorgestellt und diskutiert. Die Organisatoren sind zuversichtlich, dass die Tagung den Anwesenden geholfen hat, in unserer krisengeschüttelten Gesellschaft ihren Platz besser zu finden.

Das Buch zur Tagung

Im Juni 2025 wird ein Buch mit den Referaten, Workshop-Präsentationen und den kollektiven Lösungsansätzen publiziert:
« Face aux désastres – Avec Jacques Ellul, penser la crise et choisir l’espérance.» («Das Desaster ist da – Mit Jacques Ellul Krise denken und Hoffnung wählen.»)
Verlag Editions Mennonites (Dossier «Christ seul»), 96 Seiten. Ab sofort sind Vorbestellungen möglich.

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Am 24. November 2024 stimmt die Schweiz unter dem Titel «einheitliche Finanzierung des Gesundheitswesens» (EFAS) über eine Änderung des Kranken­versicherungs­gesetzes ab. Einmal mehr erhofft man sich eine Dämpfung der Gesundheitskosten.

«Da liess Gott, der Herr, einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, so dass er einschlief.» 1
Als Adam die Augen aufschlug, sah er vor sich EFAS. EFAS war vollkommen und in ihrer Schönheit unübertrefflich.

Wenig später schlitterte der Beginn der Menschheit in die erste grosse Krise. Krankheit und Tod wurden initiiert. Und obwohl Adam und Eva seit längerem Geschichte sind, kämpfen wir heute in der Schweiz auch nach Jahrtausenden immer noch mit den Folgen dieses «Apfels». Unendlich viele Krankheiten und die Vermeidung von Tod prägen einen grossen Teil unseres Denkens. Die Hauptsorgen der Schweizerinnen und Schweizer waren 2023 die Gesundheit und die Prämien der Krankenkassen2 . Und die jährlich steigenden Prämien sind ein Abbild der steigenden Kosten, die im Gesundheitswesen der Schweiz generiert werden.

Seit Jahrzehnten wird verzweifelt nach den Ursachen dieses Kostenanstiegs gesucht.

Expertinnen, Politiker, Journalisten, ja, wir alle, kennen die Bösewichte: Einmal sind es die überteuerten Spitäler, dann die viel zu gut bezahlten Ärztinnen und Ärzte, dann die extrem teuren Medikamente und Implantate, ja, auch die Spitex und die Physio kosten einfach zu viel, nicht zu vergessen die horrenden Verwaltungskosten der Krankenversicherer. Ob diese Aussagen nun jeweils so im Detail stimmen oder nicht, Tatsache ist, dass bei jeder Diskussion, ob im privaten Rahmen, am Stammtisch oder in der «Arena», die Emotionen hoch schwappen.

Es ist nun nicht von der Hand zu weisen, dass die Kosten ansteigen. Es ist keine Kostenexplosion, sondern mehr oder weniger ein jährlich linearer Anstieg um rund 4%, wie die folgende Grafik zeigt:3

Und es sind nicht nur die Kosten, die steigen. Auch die Anzahl «konsumierter» Leistungen bewegt sich kontinuierlich nach oben, wie an den Balken in der Graphik ersichtlich ist.

Der Sorgenbarometer zeigt, dass unsere grösste Sorge die Gesundheit ist.

Einer Sorge und einem so grossen Problem begegnet man in der Regel, indem wir als Hauptverursacher etwas dagegen tun. Eine Schuldzuweisung an andere ist nun mal selten eine wirklich gute Lösung. Wie wäre es, wenn wir das Problem uns zu eigen machen und in dieser Angelegenheit anpacken und beispielsweise die Sache mit der Selbstverantwortung ernst nehmen? Sind wirklich nur die andern, wie oben ausgeführt, Schuld an dieser Misere im Gesundheitswesen? Schon Adam und Eva versuchten ihrem Schöpfer klarzumachen, dass nicht sie selber die Verantwortung tragen wollen. Bei Eva war die Schuldige die Schlange, bei Adam war es Eva.
So sollten wir selber die Sache in die Hand nehmen und mit einer positiven und konstruktiven Haltung und mutigen Vorgehensweise dem Lösungsansatz EFAS eine Chance geben.

Nach vielen Jahren des Ringens zwischen Kantonen, Krankenversicherern und den sogenannten Leistungserbringern ist nun endlich EFAS mit einem einheitlichen und klaren Verteilschlüssel für die ambulanten, stationären und pflegerischen Leistungen zu Stande gekommen. Die Gegner der Vorlage monieren, dass insbesondere mit dem Einbezug der Pflegeleistungen die Prämien für die Krankenkassen steigen werden. Das stimmt, die Prämien werden steigen. Wie wir wissen, steigen sie aber seit vielen Jahren und werden auch künftig steigen, mit oder ohne EFAS. Dies darf aber kein Grund sein, einem unsinnigen und schon zu lange dauernden Finanzierungs-Hickhack endlich mit EFAS eine gute valable Lösung gegenüberzustellen. Lösungsorientiert unterwegs sein heisst, für das nächste anstehende Problem eine neue Lösung zu suchen. Und nicht, aus Angst vor vielleicht möglichen Schäden stehen zu bleiben.

Auch die Bedenken, dass die Krankenkassen mit dem grösser werdenden Finanzierungsanteil mehr Macht erhalten werden, kann ich nachvollziehen. Aber auch hier gilt es, diese Herausforderung anzunehmen und zu überlegen, wie wir genau diesem Problem etwas Konstruktives entgegenstellen können.

Als Arzt bin ich persönlich zuversichtlich, dass wir unsere Selbstverantwortung mehr und mehr wahrnehmen und künftig aktiver für unsere persönliche Gesundheit und unser Gemeinwohl einstehen werden. Auch wenn EFAS nicht in jeder Hinsicht vollkommen und unübertrefflich ist, so lohnt es sich, verantwortungsvolle Schritte zu tun, indem wir als erstes ein klares JA für EFAS haben und als zweites jetzt die Turnschuhe anziehen und eine Runde laufen gehen ☺!

1. Genesis 2,21; Einheitsübersetzung 1980
2. CS-Sorgenbarometer 2023; https://www.credit-suisse.com/about-us/de/research-berichte/studien-publikationen/sorgenbarometer/download-center.html (Zugriff 20241101)
3. BAG Bundesamt für Gesundheit, Dashboard Krankenversicherung; https://dashboardkrankenversicherung.admin.ch/kostenmonitoring.html (Zugriff 20241101)


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~ 3 minDas Schweizer Volk stimmt am Sonntag, 24. November 2024 über den Ausbau der Nationalstrassen zur Verkehrsentlastung und Stauvermeidung ab. Doch sind mehr Strassen die beste Option gegen die Verkehrsüberlastung in den Ballungsräumen? Braucht es nicht viel eher eine Wende hin zu kombinierter Mobilität, um das Problem längerfristig in den Griff zu bekommen?

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Mit den beiden Mietrechtsvorlagen, über die wir am 24. November 2024 abstimmen, besteht die Gefahr, dass die Wohnungsmieten weiter in Höhe getrieben werden.

In den letzten Jahren hat insbesondere in den Städten, wo der der Wohnraum knapp ist, eine eigentliche Mietzinsexplosion stattgefunden. Einer der Hauptgründe dafür ist die illegale Erhöhung der Miete nach einem Wechsel der Mieter bzw. Mieterinnen. Wenn keine Wertsteigerung der Wohnung (grössere Renovation) stattfindet, haben die Folgemieter eigentlich das Anrecht auf denselben Mietzins wie die Vorgänger. Doch viele Betroffene wissen dies nicht oder wagen es nicht, den bisherigen Mietzins einzufordern. Denn dies bedeutet ein langwieriges Verfahren – und dies in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Vermieter. Wer will es sich mit der Vermieterin schon verderben? Die Vermieter wissen um diese Abhängigkeit und wagen es manchmal gar ohne Mieterwechsel einfach allen Mieterinnen und Mietern den Zins zu erhöhen. In einem Teil der Fälle haben sie damit Erfolg. In Gebieten mit Wohnungsknappheit wird auch das Modell der «Wohnungsjäger» angewendet: Einzelunternehmer bieten an, Leuten, die wenig Zeit haben, dank Connections zu Vermietern rasch eine Wohnung zu besorgen, unter der Bedingung, dass der Anfangsmietzins nicht angefochten wird. Eine weitere Methode: nach dem Auszug eines Mieters wird die Wohnung nur noch mit Ketten-Einjahresverträgen vermietet. Familien, die eine solche Wohnung gemietet haben, können es sich nicht erlauben, den Mietzins anzufechten, da in diesem Fall das Risiko besteht, dass der Mietvertrag nicht mehr weitergeführt wird.

Die beiden Vorlagen, die am 24. November 2024 zur Debatte stehen, schwächen die Rechte der Mieterinnen und Mieter, was die Situation auf dem Wohnungsmarkt weiter verschärft.

Fristlose Kündigung für Wohngemeinschaften?

Die erste Vorlage verlangt strengere Regeln bei Untermiete «wegen Onlineplattformen wie Airbnb». Es ist aber bereits heute gesetzlich verboten, eine Wohnung gewinnbringend unterzuvermieten. Eigentümer können also bereits heute verhindern, dass ihre Wohnung auf Airbnb landet. Die nun geplante Verschärfung trifft hingegen Menschen, die in einer Wohngemeinschaft (WG) leben. Jeder Mieterwechsel müsste künftig schriftlich (Briefpost) fristgerecht gemeldet werden. Geht das vergessen oder wird die Meldung per E-Mail oder Anruf erledigt, kann der Mieterschaft gekündigt werden – und zwar innert 30 Tagen. Das ist doch crazy! Bei dieser Gesetzesänderung geht es wohl eher darum, weitere Gründe für eine Kündigung zu schaffen, damit bei einer Neuvermietung die Miete ohne Wertsteigerung erhöht werden kann.

Die beiden Vorlagen, die am 24. November 2024 zur Debatte stehen, schwächen die Rechte der Mieterinnen und Mieter, was die Situation auf dem Wohnungsmarkt weiter verschärft.

Nein zur erleichterten Kündigung bei «Eigenbedarf»

Die zweite Vorlage sieht vor, dass als Kündigungsgrund der Eigenbedarf nicht mehr «dringend» sein muss, sondern lediglich «bedeutend und aktuell». Auch diese Änderung des Mietrechts zielt darauf ab, Mieterinnen und Mieter schneller loszuwerden, um bei einer neuen Mieterschaft mehr Miete verlangen zu können. Bereits heute wird die Kündigung wegen Eigenbedarfs missbraucht: Wohnungen werden nach einer Kündigung Strohleuten vermietet, die mit dem Vermieter in einer verwandtschaftlichen Beziehung stehen sollen, um die Wohnungen kurze Zeit später zu einem höheren Zins weiterzuvermieten. Solche Maschen können mit der Annahme der Abstimmungsvorlage weiter ausgebaut werden.

Eine sehr gründliche Recherche zu den Mietrechtsvorlagen liefert dieser Artikel in der «Republik».

Foto von Scott Graham auf Unsplash