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«Nächstenliebe ins Bundeshaus» war das Thema des ChristNet-Forums vom vergangenen Samstag. Im Vorfeld der nationalen Wahlen äusserten sich der Theologe Lukas Gerber, Hilfswerk-Mitgründer Christian Schneider und der Solothurner Alt SP-Nationalrat Philipp Hadorn dazu aus ihrer Perspektive.

«Gehen Politik und Bibel zusammen?», fragte der Theologe und Doktorand Lukas Gerber. Dazu beleuchtete er Aussagen des Neuen Testaments und die vom Theologen Karl Barth aufgeführten unterschiedlichen Aufgaben der Christengemeinde und der Bürgergemeinde: In Jesu Gleichnis vom barmherzigen Samariter gab die Betroffenheit den Ausschlag zur tätigen Nächstenliebe. In der Agenda von Jesus waren die politischen Ungerechtigkeiten Roms kaum ein Thema, doch er hatte die Ausgegrenzten im Blick, seine Reden und Taten waren hochpolitisch und die Systemverantwortlichen fürchteten ihn. «Bis heute fürchten sich gerade autoritäre Regimes vor dem Kontrollverlust durch das Christentum», so Gerber.
Nach Karl Barth schützt die Bürgergemeinde vor Chaos, doch die Christengemeinde hat ein Wächteramt gegenüber dem Staat: Politik ist keine Instanz für Moral, darum muss die Kirche «dort ihre Stimme erheben, wo es ungerecht zugeht» und sich für die Marginalisierten einsetzen.

Christian Schneider legte das Armutsgefälle in der Welt dar. In seinen «Anstössen für politisches Handeln» mahnte er: «Vom Sparen und Reichwerden wird im Evangelium eher gewarnt!» Als Mitgründer des Hilfswerks Onesimo lebte Schneider 13 Jahre in den Slums der philippinischen Metropole Manila – davon neun Jahre mit seiner Familie. Mit einem bescheidenen Jahresbudget von 1,3 Millionen Franken werden dort an 40 Standorten ehrenamtlich therapeutische Gemeinschaften, Drogentherapiestationen, Berufsausbildungen für Jugendliche und Slum-Kirchen betrieben.
Schneider würde die Arbeit gerne auf zehn weitere Städte ausweiten. «Wir reichen Menschen stehen in der Versuchung, aus der Hilfe an die Armen eine ‹Industrie› zu machen», mahnte er. Zu seinem Hilfswerk erklärte Schneider: «Wir zahlen keine Löhne, keine Mieten und unsere effektive und gute Arbeit unten den Ärmsten wird vom Bund – abgesehen von der Steuerbefreiung für Spenden – mit keinem Franken unterstützt.»

Alt Nationalrat Philipp Hadorn (SP / SO) sprach zur Nächstenliebe in der Bundespolitik. Er verwies auf die Rolle der Politikerinnen und Politiker: Sie dürften nicht aus Betroffenheit handeln, sondern sachlich reflektiert. Es gehe um die bestmögliche Lösung, nicht um Ideale. Dennoch: «Beim Politisieren ist die Grundhaltung wichtig.» Hadorn ist froh, dass der Staat einen säkularen Rahmen festlegt und Spielregeln vorgibt, die für alle gelten. «Das stabile politische System ist ein Segen für die Schweiz.»
Der Referent führte politische Themen auf, bei denen Nächstenliebe eine Rolle spielt. In christlichen Kreisen vermisst er die Auseinandersetzung dazu. Als Problematiken christlicher Politik ortete er die Meinungsunterschiede beim Umsetzen der Nächstenliebe, den Vertrauensverlust in den Staat, den Lobbyismus in den Ratssälen, die einseitige Sicht des Wohlstandsevangeliums und das Ausblenden von Randständigen. Einen Hoffnungsansatz sieht er bei der Einheit in der Vielfalt.

Der Austausch nach jedem Referat und Gruppendiskussionen zeigten offene Punkte auf: Was soll der Staat zur Hilfe an die Armen beitragen, was Private? Wie geht man in christlichen Kreisen mit den vielfältigen Sichtweisen auf politische Themen um? Sollen sich Christen in der Schweiz noch als «Evangelikale» bezeichnen, wenn gleichnamige Kreise in den USA und in Brasilien fragwürdige Politiker unterstützen? Wie reagieren, wenn Egoismus oder Angst die politische Debatte dominieren?

 

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Man sagt, dass im alten Ägypten die Überbringer von schlechten Nachrichten hingerichtet wurden. Dasselbe ist bei uns zwar nicht der Fall, aber Klimaschützer sind nicht gerade beliebt, in Teilen der Gesellschaft sind sie zu Feinden geworden.

In unserer Kultur ist die Freiheit eines der höchsten Güter. Wir sind uns gewohnt, vom technischen Fortschritt intensiv zu profitieren, uns von Neuerungen und neuen Möglichkeiten begeistern zu lassen. Manchmal versprechen diese, unsere Lebensfreude zu vergrössern, neue Perspektiven und Aktivitäten zu ermöglichen (z.B. in die Ferne fliegen), oder vielleicht auch, Mühseligkeiten zu verringern (z.B. durch vereinfachende Apps).

Keine Grenzen

Allerdings ist da nie ein «Genug» vorgesehen. Der Komfort und der Luxus müssen ständig vergrössert werden, was aber «den Wohlstand erhalten» genannt wird. Wir reden zwar von Wirtschaftswachstum, aber nur wenige geben zu, dass es ums «Immer-Mehr» geht. Nicht mal die Fussballstars, die trotz hunderten von Millionen Euro auf dem Bankkonto jetzt nach Saudi-Arabien gehen, um noch viel mehr Geld zu scheffeln und das zwanzigste Haus zu kaufen.

Spielverderber werden zum Feindbild

Wir möchten selber entscheiden können, wie wir unser Leben, unsere Aktivitäten und zum Beispiel auch unsere Mobilität gestalten. Menschen, die einwenden, dass unsere Konsum- und Spasskultur nicht nachhaltig ist und die Lebensmöglichkeiten unserer Kinder einschränkt, sind unangenehm. Sie lassen uns nicht guten Gewissens unsere Aktivitäten und unseren Luxus geniessen. Das ist gemein. Dagegen werden zahlreiche Rechtfertigungen angeboten wie zum Beispiel, dass wir ja mit unserem Konsum Arbeitsplätze schaffen, oder es wird gleich der Klimawandel selber als Grundproblem in Zweifel gezogen. Es scheint einfacher, den Kopf in den Sand zu stecken.

Sehr beliebt ist die Verteufelung der Warner selber. Wechselweise werden sie Neider, Gutmenschen oder Wokisten genannt, die gar unsere Kultur – eigentlich unsere Konsumkultur – zerstören wollen. Anwürfe wie «sie wollen unsere Lebensfreude zerstören» oder «sie wollen uns jeden Genuss wegnehmen» sind öfters zu hören. Mit dem «sie» gegen «wir» werden Feindbilder geschaffen, wodurch jede Nachricht über die Zerstörungen durch unsere Konsumkultur (Klimawandel, Feinstaub, Plastikinseln im Meer, Artensterben, Mikroplastik im Trinkwasser, Zunahme der Krebshäufigkeit bei jungen Menschen) abgewimmelt werden kann. Denn: da die «Feinde» böse sind, kann man auch nicht wissen, ob es stimmt, was sie sagen.

Schäden kurzfristig reparieren, statt die Ursachen anzugehen

Eine Mehrheit der Bevölkerung ist im Moment nur für die Reparatur der Schäden nach dem Konsum zu haben. Katalysatoren, um trotzdem mit dem Auto herumfahren zu dürfen, Umstellung auf «saubere» Energie, um unseren Energiekonsum weiter erhöhen zu können, oder die Hoffnung auf Techniken, die das CO2 senken. Doch langfristig kann auch das nicht funktionieren, denn es warten in der Welt noch Milliarden von Menschen, die unseren Lebensstil kopieren wollen. Ein Luxusleben, wie wir es in der Schweiz kennen, ist auch mit Schadensbegrenzung nicht möglich: Katalysatoren und Sonnenkollektoren müssen entsorgt werden und auch weniger Plastik landet schliesslich im Meer. Und jedes neue Mikro- und Nanoprodukt wird letztendlich im organischen Kreislauf angereichert, bis es zu grossen und nicht mehr reparablen Schäden kommt. Wer Einschränkung fordert oder dies gar durchsetzen will, indem er sich an die Fahrbahn klebt, wird zum Feindbild. Dann kommt es zum kollektiven Greenbashing – auch im aktuellen Wahlkampf. Die FDP in der Romandie hat’s mit ihrem Plakat vorgemacht: Sie will «décoller», also die Bahn für mehr Wachstum freimachen, und hat bewusst die «Klimakleber» als feindliches Sujet ausgesucht. Der Konsum darf ja nicht eingeschränkt werden!

Ein Kulturwandel ist unumgänglich – wann ist «genug»?

Doch, den Kopf in den Sand zu stecken, geht nicht: auch mit Reparaturtechniken werden wir auf Kosten unserer Kinder leben. Die einzige Möglichkeit, die bleibt, ist, uns auf ein «Genug» zu besinnen. Die gesellschaftliche Diskussion dazu, wann wir genug zum Leben und zum Glücklichsein haben, muss geführt werden. Auch über gesetzliche Grenzen müssen wir diskutieren dürfen. Man müsste meinen, unter uns Christinnen und Christen sollte das einfacher sein, denn wir beziehen unser Glück ja nicht nur aus dem Materiellen. Aber selbst unter uns wird Wachstum beschworen. Auch bei uns ist also der Aufruf angebracht: Fangen wir bei uns an!

Und ja: es gibt Menschen, die Mühe haben, über die Runden zu kommen. Für diese braucht es ein «Mehr». Doch dies muss nicht mit noch mehr Wachstum geschaffen werden. Wer kann sagen, dass die Schweiz nicht genügend Ressourcen hat, um auch für die Armen zu sorgen? Oder haben wir noch immer Angst, zu wenig zu haben oder zu eingeschränkt zu sein, wenn wir etwas abgeben? Wer kann uns gegen diese Angst helfen?

In 1. Joh. 4,18 heisst es: «Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus». Und auch die Schuldgefühle werden ausgetrieben. Denn wir müssen uns nicht schuldig fühlen, sondern einfach verantwortungsvoll handeln!

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Rechte Gruppierungen stossen sich an den «woken» Forderungen von Feministinnen, Antirassisten und Umweltschützern und behaupten, dass «man ja nichts mehr sagen dürfe». Was bedeutet das für Christinnen und Christen?

Der Begriff «woke» kam im letzten Jahrhundert unter der schwarzen Bevölkerung der USA auf und bedeutete, sich der sozialen Ungerechtigkeit und des Rassismus’ bewusst zu sein. In den Zehnerjahren dieses Jahrhunderts gewann der Begriff innerhalb der Black-Lives-Matter-Bewegung im Zusammenhang mit der Präsidentschaft Donald Trumps wieder vermehrt an Bedeutung. Die nach wie vor bestehenden Ungerechtigkeiten wurden wieder bewusst angesprochen und gegen die Hasspredigten und Verleumdungen Trumps aufgestanden. Durch diese Bewegung fühlen sich nun aber verschiedene andere gesellschaftliche Gruppen bedroht. Auch in Europa und der Schweiz stossen sich konservative Gruppen an den offenen Forderungen von Feministinnen, Antirassisten und Umweltschützern. Sie haben das Gefühl, «man dürfe ja nichts mehr sagen» und empfinden dies als Zensur.

Bei den Forderungen des «Wokeism» geht es aber hauptsächlich um zwei Dinge:

  • Einforderung von Respekt und von Gleichwertigkeit: Menschen sollen nicht mehr abgewertet oder anders behandelt werden, weil sie eine andere Hautfarbe, Herkunft oder sexuelle Orientierung haben. Warum haben wir so Angst davor? Nächstenliebe heisst doch mindestens, dass jeder Mensch den gleichen Wert, das gleiche Recht und die gleichen Chancen haben soll. Was soll daran schlecht sein? Oder geht es unterbewusst um die Angst vor Veränderung oder vor dem Verlust von Privilegien?
  • Einforderung von Teilhabe an Macht und Ressourcen: Beim Feminismus geht es auch darum und dies bedroht die Privilegien und Macht der Männer. Die Gegenbewegung des Machismus (z.B. von Andrew Tate) ist hier deshalb besonders heftig.

«Man darf ja nichts mehr sagen»

Beim Antiwokeismus spielt die Angst mit, «nichts mehr sagen zu dürfen». Doch hier muss differenziert werden: Wir dürfen einfordern, dass Menschen nicht verleumdet werden. Vor-Verurteilungen wegen Rasse oder Herkunft sind nicht o.k. Es darf auch nicht toleriert werden, dass politische Gegner generell entwertet oder als korrupt und kriminell hingestellt werden, wie es Trump oft tat. Meinungen zu Handlungen von Personen dürfen selbstverständlich weiterhin öffentlich kundgetan werden, aber keine ungeprüften Verleumdungen von Menschen oder Gruppen. Hier geht es um Wahrheit – und zwar um nachgeprüfte, nicht einfach um Annahmen.

Hasskultur darf nicht akzeptiert werden

Hassrede und Hasskulturen polarisieren und zerstören die Gesellschaft. Dialog und die Suche nach Problemlösungen ist dadurch kaum mehr möglich. Aus Sicht der Bibel sollen wir die Sünde hassen, den Sünder aber lieben. Und auch unsere Feinde. Doch der Antiwokeismus hat leider zur Folge, dass oft jedes Argument des «Gegners» automatisch dessen «Bosheit» zugeschrieben und gar nicht mehr gehört wird. Damit entsteht eine sehr angenehme Rechtfertigungsideologie gegen jegliche Forderungen nach Veränderung. Diese Blockaden gegen den Dialog dürfen und sollen wir auch in Diskussionen aufdecken und Gehör jenseits von Feindbildern einfordern.

Antiwokeismus kann Zensur hervorbringen

Antiwokeismus kann auch wahnhafte Züge hervorbringen: Manche Vertreter beschwören den Untergang unserer traditionellen Kultur herauf, die Forderung nach Gerechtigkeit, Respekt und eigentlich Nächstenliebe wird als böse taxiert. Hier entsteht eigentlich eine Verdrehung der biblischen Prinzipien. Dies führt bis hin zu Zensur und Kriminalisierung von Wokeisten: In der Mehrheit der amerikanischen Bundesstaaten gibt es inzwischen Zensur gegen die Critical Race Theorie oder wird eine solche angestrebt, in Florida werden Gesetze gegen Wokeismus geschmiedet, und in Missouri ist es verboten, an Schulen Themen zu lehren, die bei Schülern Schuldgefühle hervorbringen könnten (z.B. zur Sklaverei in den USA). Auch bei der CDU in Deutschland und bei der SVP in der Schweiz hat Antiwokeismus Einzug in die Parteiprogramme gefunden. Erste Zensurbestrebungen sind auch bei uns bekannt – so die Androhung langer Haftstrafen gegen Aufdecker von Steuerflucht, das Recht für VIPs, Zeitungsberichte zu unterdrücken, wenn ihre Interessen tangiert sind, das Verbot für NGOs, an den Schulen über das Verhalten von Konzernen im globalen Süden aufzuklären oder der Ruf nach Haftstrafen für Klimaaktivisten. Was wird passieren, wenn Antiwokeismus nach den Wahlen im Parlament an Raum gewinnt? Kritik kann so erstickt werden, Menschen mit Forderungen werden mit dem Etikett «woke» als böse und subversiv hingestellt und damit mundtot gemacht. Solche Einschüchterung von Kritikern entfaltet sicherlich Wirkung.

Lassen wir uns nicht einschüchtern!

Ja, es ist ein Kulturkampf, der sich aktuell abspielt. Es geht um ein Ringen um Nächstenliebe und um die unzerstörbare Würde jedes Menschen. Jeder Mensch ist vor Gott gleich. Wie die Propheten im Alten Testament dürfen wir uns nicht einschüchtern und zensieren lassen. Stehen wir weiterhin mutig auf gegen Ungerechtigkeit und für Nächstenliebe und Respekt in Gesellschaft und Politik!


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Armutsbekämpfung ist nicht nur eine Frage materieller Hilfe, sondern auch der Stärkung menschlicher Würde. Arme Menschen leiden oft unter sozialer Ausgrenzung. Diese Form des Leidens wiegt genauso schwer wie die materielle Armut. Besonders in Afrika sind die sozialen Bindungen überlebenswichtig, emotional und materiell. Armut aber isoliert und wird in vielen Ländern des Globalen Südens als Fluch oder Strafe Gottes angesehen: die Armen sind die Aussätzigen der heutigen Zeit. Entwicklungshilfe sollte daher nicht nur auf die Linderung materieller Not setzen, sondern auch auf die Überwindung von Vorurteilen und den Abbau sozialer Schranken.

Menschen sind mit Würde zu behandeln. Nicht aufgrund dessen, was sie haben, sondern aufgrund dessen, was sie sind – Geschöpfe Gottes, geschaffen nach seinem Bilde. Es ist ein Widerspruch zu behaupten, dass wir Gott lieben, gleichzeitig aber die Armen als Menschen zweiter Klasse behandeln.

Was Jesus mit Unwürdigen tut

Dies geschieht leider oft auch in Verbindung mit religiösen Überzeugungen. Wer reich ist, ist von Gott gesegnet, wer arm ist, steht unter dem Fluche Gottes. Jesus hat den religiösen Menschen seiner Zeit einen Spiegel vorgehalten, indem er die Aussätzigen berührte. Das machte ihn nach dem jüdischen Gesetz unrein. Er lobte die Barmherzigkeit des Samariters, der sich um einen von Räubern Geschundenen kümmerte, dies im Gegensatz zu den religiösen Führern, die sich an diesem Unglücklichen nicht verunreinigen wollten. Er redete mit der Frau am Jakobsbrunnen – auch sie eine verachtete Samariterin, mit der er nach rabbinischem Gesetz nicht hätte reden dürfen. Er behandelte sie mit Würde, stillte ihren Durst nach Annahme und zeigte ihr den Weg zu einem liebenden und vergebenden Gott.

Menschen mit Würde behandeln heisst, sie ansprechen, ihnen in die Augen schauen, ihnen zuhören, sie berühren und sie segnen. Die geistliche Komponente macht die christliche Entwicklungszusammenarbeit ganzheitlich und einzigartig. Sie gilt allen Menschen, ungeachtet ihres religiösen Hintergrundes. Und sie sollte immer ein fester Bestandteil christlicher Entwicklungszusammenarbeit bleiben.

Unsere Motive hinterfragen

Arme Menschen mit Würde behandeln heisst, sie in ihrem Streben nach Eigenständigkeit zu unterstützen. Um sie nicht von unserer Hilfe abhängig zu machen, müssen wir unsere Motive in der Entwicklungszusammenarbeit überprüfen. Helfen wir aus Mitleid, spenden wir Geld, um ein gutes Gefühl zu bekommen oder engagieren wir uns beruflich für humanitäre Anliegen, um einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen zu können?

Arme Menschen wollen nicht bemitleidet, sie wollen ernst genommen werden. Mitleid reduziert Menschen auf ihre Bedürftigkeit und zementiert das Gefälle zwischen Helfenden und Notleidenden. Hilfe sollte immer die Autonomie der Unterstützten zum Ziel haben.

Wer arme Menschen finanziell oder durch Fachwissen unterstützt, sollte als Gegenleistung nicht Dankbarkeit einfordern. Oft wird an Hilfeleistungen die Erwartung geknüpft, dass die Empfänger der Hilfe die Konditionen der Geber diskussionslos akzeptieren. Widerspruch gegenüber der Art, wie die Hilfe geschehen soll, wird von den Gebern oft als Undankbarkeit verstanden. Dies ist eine verkappte Form von Bevormundung und untergräbt die Würde der Hilfeempfänger.

Der Wunsch, sich beruflich für Menschen in Not einzusetzen, ist nicht falsch. Allerdings kann das Empfinden, sich für eine sinnvolle Sache zu engagieren, erschüttert werden, wenn sich die erhofften Resultate nicht einstellen. Der daraus resultierende Frust entlädt sich dann oft in Schuldzuweisungen gegenüber den Hilfeempfängern. Das Wahren der gegenseitigen Würde auch im Scheitern ist eine hohe Kunst. Sie ist aber eine Voraussetzung für die so oft zitierte Entwicklungszusammenarbeit auf Augenhöhe.

Würdevolle Besuche

Im Rahmen meiner Tätigkeit als Geschäftsführer des Hilfswerks SELAM in Äthiopien habe ich 2022 drei Frauen unseres Unterstützungsprogramms für arme arbeitende Frauen in Addis Abeba besucht. Sie gewährten mir Einblicke in ihre beruflichen und familiären Verhältnisse und luden mich jeweils in ihre fünf Quadratmeter grossen Wellblechhütten ein. Ein Jahr später besuchte ich sie wieder. Ich wollte wissen, wie es ihnen geht und ob sich etwas verändert hat.

Ihre Freude war gross, als ich mit meiner Frau, meinem Sohn und seiner Verlobten wieder auftauchte. Eine Frau sagte mir, sie vergesse nie, was ich für sie getan hätte. Ich hätte sie besucht, trotz ihrer Armut. Von ihrer Familie sei noch niemand gekommen – diese schäme sich wegen ihrer prekären Verhältnisse. Und dann hätte ich auch noch für sie gebetet, und wir hätten zusammen geweint.

Eine andere Frau, sie ist alleinerziehende Mutter, berichtete mir stolz, dass es ihre Tochter an die Uni geschafft hatte.

Die ökonomischen Fortschritte dieser drei Frauen waren klein, aber ihre Gesichter strahlten, und sie waren voller Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Wir umarmten einander beim Abschied – als seinen wir schon lange beste Freunde.

Der dreitägige Besuch des Geschäftsführers von SELAM in Addis, Solomon Chali und seiner Frau Kidist bei uns in der Schweiz hat mich ebenfalls viel über die Würde einer partnerschaftlichen Beziehung gelehrt. Da wir kein geeignetes Hotel in der Nähe unseres Wohnorts finden konnten, quartierten wir unsere Gäste bei uns ein und überliessen ihnen unser Schlafzimmer. Dies beeindruckte die beiden so sehr, dass sie es allen ihren Freunden in Addis erzählten. Für meine Frau und mich war das keine grosse Sache – für sie aber eine Form der Wertschätzung, die sie in dieser Form noch nie erlebt hatten in Europa.

Wir gingen auch auf ihren Wunsch ein, die Berge zu besuchen und luden sie aufs Stockhorn ein. Die Fahrt mit der Schwebebahn hinauf in luftige Höhen und der Besuch der Panoramaplattform auf der Nordseite des Gipfels mit einer atemberaubenden Aussicht aufs Berner Oberland, machte sie sprachlos.

Ihre Reaktion war eine Gegeneinladung nach Äthiopien, verbunden mit einer Führung zu den bezauberndsten Plätzen dieses wunderschönen Landes. Solomon war stolz, uns sein Land zu zeigen und wollte sich für unsere Gastfreundschaft revanchieren.  So entstanden eine Freundschaft und eine Vertrauensbasis, welche die weitere Zusammenarbeit sehr viel einfacher macht. Die Herausforderung dabei ist für uns, die feine Linie zwischen freundschaftlicher Nähe und professioneller Distanz zu respektieren.

Zusammenfassend kann der würdevolle Umgang mit unsern Mitmenschen auf die einfache Formel reduziert werden: Behandle die Menschen so, wie du selbst auch behandelt werden möchtest.


Dieser Artikel erschien erstmals am 01. Juli 2023 auf Insist Consulting.

Foto von Ricardo Díaz auf Unsplash

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Was ist der Hauptantrieb, wenn Menschen ihren Glauben mit anderen teilen? Ist es die Liebe? Oder ist es die Gerechtigkeit?

Ich habe tatsächlich den Eindruck, dass trotz anderer Behauptungen die zentrale Grundperspektive klassisch konservativer / evangelikaler Theologie nicht die Liebe, sondern die Gerechtigkeit ist. Diese Gerechtigkeit ist der Liebe übergeordnet. Erst wenn der Gerechtigkeit Genüge getan ist – was oft bedeutet, dass ein Mensch in bestimmte Vorstellungen von Richtigkeit und Gehorsam hineinpasst – kann die Liebe zum Zug kommen. Zu lieben, ohne vorher klarzustellen oder geistlich einzurenken, scheint für so manchen Christen kein gangbarer Weg zu sein. Das wird als Verrat an der über allem stehenden Gerechtigkeit Gottes verstanden. Liebe ist zwar immer der erklärte Wille und die erklärte Absicht, aber diese Liebe kommt eben praktisch an der geforderten Gerechtigkeit (Korrektheit) nicht vorbei.

Und leider geht es wie oben erwähnt bei dieser Gerechtigkeit nicht um die klassische Glaubensgerechtigkeit, die Luther so wichtig wurde, sondern oftmals um Konformität subjektiv biblischen und moralischen Vorstellungen eines bestimmten frommen Milieus gegenüber.

In meinem Buch nenne ich als eines von mehreren Merkmalen progressiver Theologie:

„DIE LIEBE GOTTES ALS HAUPTANTRIEB – Menschen mit progressivem Glauben lassen sich von der Liebe Gottes motivieren, ihren Glauben mit anderen zu teilen. In dieser Liebe sehen sie auch ihre Offenheit gegenüber anderen Lebensentwürfen und -formen begründet.“

Auch wenn konservative Theologie immer wieder behauptet, Liebe und Gerechtigkeit gehören untrennbar zusammen, stelle ich nach 30 Jahren Leben in diesen Kreisen fest, dass die Gerechtigkeit der Liebe im konkreten Vollzug meist übergeordnet ist. Immer wieder höre ich konservative Pastoren sagen, dass ihnen in all ihren Jahren solch eine Vorrangstellung der Gerechtigkeit gegenüber der Liebe nie begegnet ist. Und ich frage mich dann manchmal, ob es einfach gar nicht mehr wahrgenommen wird, weil es so gewohnt ist. Haben diese Pastoren und Christen wirklich noch nie erlebt, dass ein Jugendpastor entlassen wurde, weil er mit seiner Freundin zusammengezogen ist? Dass Menschen nicht mehr in die Gemeinde gehen konnten, weil sie sich haben scheiden lassen? Dass Musiker nicht mehr auf der Bühne mitspielen durften, weil sie sich als homosexuell geoutet haben? Dass jemand die Hauskreisleitung entzogen wurde, weil er nicht mehr an die Historizität der Schöpfungserzählung glauben konnte? Dass begabte Frauen bloss wegen ihres Geschlechts nicht leiten oder predigen durften?

Vielen konservativen Christen erscheinen diese Konsequenzen absolut einleuchtend und es käme ihnen nicht in den Sinn, dass das lieblos ist, denn es ist doch richtig! Aber wieder und wieder wird die Liebe und die Barmherzigkeit auf dem Altar der Korrektheit (was natürlich mit Gottes Gerechtigkeit gleichgesetzt wird) geopfert.
Wenn schon biblisch, dann sehe ich dort den klaren Vorrang in der Liebe. Das wird zum einen explizit so zum Ausdruck gebracht (z.B. 1.Kor.13), zum anderen in vielen Geschichten, Begegnung und Gleichnissen Jesu illustriert.

  • Die Gerechtigkeit fordert die Steinigung der Ehebrecherin, die Liebe Jesu spricht: ich verurteile dich nicht, gehe in Frieden, aber verfehle in Zukunft das Ziel deines Lebens nicht mehr (vgl. Joh.8,11).
  • Die Gerechtigkeit des älteren Bruders fordert Konsequenzen für den verlorenen Sohn. Die Liebe des Vaters nimmt ihn bedingungslos an (vgl. Lk. 15)

Wenn die Liebe die Hauptmotivation ist, schliesst das Gerechtigkeit überhaupt nicht aus. Aber Gerechtigkeit ist eben eine Ausdrucksform der Liebe Gottes, die Liebe führt zur Gerechtigkeit und es geht nicht um ein unbedingt ausgewogenes Verhältnis zwischen diesen beiden Eigenschaften. Und wenn ich mich entscheiden müsste, wollte ich mich immer für die Liebe entscheiden! Das empfinde ich als am Göttlichsten. Denn nicht die Gerechtigkeit am Kreuz hat der Liebe Gottes den Weg freigeräumt, sondern die Liebe Gottes hat das Kreuz erst möglich gemacht. Die Liebe geht allem voraus und am Ende hat sie das letzte Wort.

Der Artikel ist erstmals am 23. März 2023 auf www.movecast.de erschienen.

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Von der Syrienkrise erschüttert und durch den Glauben motiviert, beschlossen Anne-Sylvie und Kim Giolo 2015, sich auf ein Abenteuer einzulassen und Flüchtlinge bei sich zu Hause aufzunehmen. Samira*, eine junge Frau aus Eritrea, kam 2016 in die Familie, nach ihrem Auszug folgte Aicha* aus dem Iran und heute ist Fatima* aus Afghanistan Teil der Familie Giolo.

Den Alltag geteilt

Diese jungen Frauen waren während ihres Aufenthalts bei uns Teil der Familie. Sie assen mit uns und wir verbrachten zusammen unsere Freizeit. Dabei wurde viel erklärt, gelacht und exotisch gegessen, und ich merkte, wie kompliziert Französisch oftmals ist! Die Aufnahme von Flüchtlingen ist für Familien eine wunderbare Möglichkeit, auf andere Menschen zuzugehen und sich für andere Kulturen zu öffnen. Für unsere beiden Töchter war die Beziehung zu Fatima, Aicha und Samira sehr prägend, weil sie dadurch erfuhren, dass das Leben anderswo ganz anders ist. Die Frauen, die wir bei uns aufnahmen, lernten gleichzeitig zu verstehen, wie die Schweizer Kultur funktioniert, und konnten die Landessprache schneller erlernen. Unsere Familie diente als Brücke zwischen ihrem Herkunftsland und der Schweiz.

Ein Anker und ein Sprungbrett

Diese Erfahrungen zeigten uns aber auch, dass wir keine Ansprüche auf Erfolg bzw. Ertrag stellen dürfen. Unsere Aufgabe ist es vielmehr, die jungen Frauen ein Stück auf ihrem Weg zu begleiten und ihnen dabei unsere Unterstützung anzubieten. Flüchtlinge haben oft sehr traumatische Lebenssituationen hinter sich, die sie fragil haben werden lassen. Bezugspersonen in ihrem neuen Lebensumfeld zu haben, hilft ihnen, einen Ankerpunkt im Gastland zu finden. Als Fatima bei uns wohnte, konnte sie sich in einer sicheren, stabilen und im Vergleich zum Leben in einer Asylunterkunft ruhigen Umfeld bewegen und sich auf das Erlernen der französischen Sprache konzentrieren, die den Schlüssel zur Integration darstellt. Da sie nur drei Jahre die Schule besucht hatte, war der Französischunterricht anfangs zu schwierig für sie, wurde aber bald zu einfach. Vor kurzem hat sie das Niveau A2 erreicht und hofft nun, eine Lehre beginnen zu können. Für sie beginnt ein neues Leben – weit weg von den Schwierigkeiten in ihrem Heimatland – und es ist ein grosses Glück, dass wir unseren Teil zu diesem Neuanfang beitragen können.

* Namen geändert

Der Artikel ist erstmals in der Ausgabe März 2023 der Zeitschrift «Christ seul» erschienen.

Foto von Priscilla Du Preez auf Unsplash

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Am 18. Juni 2023 stimmt das Schweizer Volk über das Klimaschutz-Gesetz ab. Diesem Gesetz zufolge darf die Schweiz bis 2050 keine vermeidbaren Treibhausgase mehr produzieren. Um dieses Ziel zu erreichen, sollen auch Technologien zum Einsatz kommen, welche diese Emissionen aus der Luft entfernen.

2015 hat die Schweiz das Pariser Abkommen unterzeichnet. Damit hat sich das Alpenland dazu verpflichtet, seine Treibhausgasemissionen – vor allem CO2 – bis 2050 auf Netto-Null zu reduzieren. Ein JA zum Klimaschutz-Gesetz am 18. Juni 2023 würde der Schweizer Wirtschaft und Industrie die nötigen finanziellen Mittel zusprechen, um dieses Ziel zu erreichen. Wer den Gesetzestext an dieser Stelle genau durchliest, erkennt, dass dafür technologische Mittel eingesetzt werden sollen. Mithilfe dieser Technologien kann das CO2 entweder direkt an industriellen Anlagen abgeschieden und gespeichert (Carbon Capture and Storage, CCS) oder dauerhaft aus der Atmosphäre entzogen (Negativemissionstechnologien, NET) werden1. Die Anwendung solcher Technologien wird auch Carbon Dioxid Removal (CDR) genannt2.

Ethische und rechtliche Herausforderungen

Es gibt eine grosse Vielfalt von Techniken zur Entfernung von CO2 aus der Atomsphäre. So zählen nicht nur die im Klimaschutz-Gesetz erwähnten CCS und NET zu diesen Technologien, sondern auch die Aufforstung von Wäldern. All diese Technologien können Einfluss auf das globale Klima nehmen. Schliesslich ist der Klimawandel ein äusserst komplexes und globales Phänomen. Technologische Eingriffe in das Klima können sowohl für die Schweiz als auch fürs Ausland unbekannte Folgen haben. Daher stellt die Anwendung von Carbon Dioxid Removal-Techniken die Wissenschaft und Politik vor einige ethische und rechtliche Fragen. Wie können wir zum Beispiel beurteilen, ob eine Umweltkatastrophe in anderen Ländern auf eine natürliche Ursache oder auf den Einsatz von CDR-Technologien in der Schweiz zurückzuführen ist? Spielen wir Gott, wenn wir mithilfe von technologischen Mitteln das Klima versuchen zu regulieren? Weiter besteht die Gefahr, dass Firmen, Politiker und die Bevölkerung der Illusion erliegen, dass CDR-Technologien das Klima retten können und sie selbst kein CO2 mehr einsparen müssen. Die Wissenschaft ist sich aber einig, dass technologische Eingriffe nur eine Massnahme gegen den Klimawandel darstellen und nicht die Lösung sind.

CDR in der Schweiz und Island

In der Schweiz ist seit 2017 eine CDR-Anlage in Hinwil in Betrieb3. Sie filtert CO2 aus der Luft und begast damit die Pflanzen im nahegelegenen Gewächshaus. Die Pflanzen binden das CO2 und wachsen schneller. Ein weiteres Beispiel ist die ORCA-Anlage auf Island. Das abgesaugte CO2 wird im Basaltgestein der Insel ablagert. Basalt bindet CO2 besonders gut. Dank dieser Anlagen ist es möglich, genaue Beobachtungen und Messungen zu unternehmen und ihre Auswirkungen auf das lokale Klima zu erforschen. Daraus können wiederum Rückschlüsse auf den Einfluss von CDR-Technologien auf das globale Klima gezogen werden.
Der grösste Nachteil der CDR-Anlagen ist ihr hoher Energiebedarf. Die Nähe zu grossen Energiequellen ist deshalb unumgänglich. Somit steht die Anlage in Hinwil nahe des Zweckverbands Kehrrichtverwertung Zürcher Oberland (KEZO). Und in Island ist jede Menge Erdwärme als Energiequelle vorhanden.

Mehr CDR-Forschung

Die beiden CDR-Anlagen sind in Zusammenarbeit der ETH Zürich und der Firma Climeworks entstanden. Die ETH Zürich ist eine der weltweit führenden Forschungseinrichtungen, die gemeinsam mit inländischen und ausländischen Partnern CDR-Projekte umsetzt. Das Klimaschutz-Gesetz sieht vor, solche Forschungsprojekte finanziell zu ermöglichen. Aufgrund der vielen Ungewissheiten in Bezug auf CDR-Technologien scheint es besonders wichtig zu sein, die Erforschung dieser Techniken voranzutreiben. Nur so können aus meiner Sicht ethische und rechtliche Herausforderungen überwunden sowie technologische Massnahmen zum Klimawandel besser diskutiert und für die lokale Anwendung optimiert werden.


1. Bundesamt für Umwelt BAFU (2023): https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/klima/fachinformationen/co2-entnahme-und-speicherung.html (Stand: 26. Mai 2023)

2. Meiske, Martin (2021): Die Geburt des Geoengineerings. Grossbauprojekte in der Frühphase des Anthropozäns

3. Climeworks (2023):
https://climeworks.com/news/climeworks-completes-commercial-operations-in-hinwil (Stand: 26. Mai 2023)

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Bei uns am Kühlschrank hängt dieser Zettel, der uns daran erinnert, was nachhaltig Einkaufen konkret bedeutet. Er ist während einer Buchlektüre entstanden, die ich euch hier empfehlen will: «101 Antworten für deinen nachhaltigen Alltag» von Sabina Galbiati. Wer mehr als die angegebenen Mengen pro Person konsumiert, überschreitet sein Kontingent an den zur Verfügung stehenden Ressourcen unseres Planeten. Ich musste feststellen, dass wir als Familie diese Grenzen höchstens knapp einhalten. Natürlich kann man zum Beispiel weniger Fleisch und dafür mehr Käse konsumieren. Aber die Mengen sind bescheiden.

Wieso genau dieses Buch?

Nachhaltig einkaufenIn diesem Buch geht es nicht bloss um den Einkauf, sondern auch ums Wohnen, die Mobilität, Freizeit und Ferien, und selbst um psychologische Kniffs, wie man sein Verhalten nachhaltig verändern kann. Aus zwei Gründen ist es für mich eines der besten Bücher zu diesem Thema. Erstens, basieren die Empfehlungen auf aktuellen Zahlen und Fakten der Schweiz. Globale Durchschnittswerte und selbst Zahlen aus Deutschland finde ich oft schwierig als Referenz für meine persönlichen Entscheidungen. Und zweitens, werden fünf grosse Hebel benannt, die dem Klima und der Umwelt am meisten helfen. Gewöhnlich sind es nur deren drei: Mobilität, Wohnen, Ernährung. Sabina Galbiati fügt diesen politisches Engagement und gezieltes, finanzielles Engagement hinzu. Diese letzten beiden Möglichkeiten hätten im Buch auch noch etwas ausführlicher thematisiert werden dürfen.

Was lohnt sich wirklich?

Eine Bekannte von mir hat der Umwelt zuliebe von Klarsichtfolie auf Wachstücher umgestellt. Ihren Einkauf erledigt sie nach wie vor mit ihrem Dodge Durango, der 12 Liter Benzin auf 100 Kilometer verbraucht. Glücklich ist, wer sein schlechtes Gewissen so einfach übertölpeln kann.

Im Alltag gibt es aber durchaus viele Fragestellungen, die nicht so einfach geklärt sind. Hier ein paar Aha-Erlebnisse, die ich beim Lesen von Galbiatis Buch hatte:

  • Ohne Auto einzukaufen bringt mehr als alle Massnahmen auf unserem Zettel zusammen. Eine vegetarische/vegane Ernährung würde aber am meisten bewirken.
  • Beim Waschen werden synthetische Mikrofasern ins Abwasser gespült. Ein Drittel davon landet trotz Kläranlage als Mikroplastik in den Gewässern.
  • Bier aus der Dose ist unter allen erhältlichen Verpackungen am wenigsten schädlich für die Umwelt.
  • Beim Kaffee fällt der Mammutanteil der Umweltbelastung auf den Anbau zurück – die Menge reduzieren bringt also mehr als die Zubereitungsart anzupassen.
  • 80% des Energieverbrauchs von Privathaushalten entfällt auf Heizen (65%) und Warmwasser (15%). Mit Lichtlöschen bewirken wir wenig.
  • Bei nahezu allen Haushaltsgeräten (ausser Tumbler und Backofen) lohnt sich eine Reparatur ab 10 Jahren aus ökologischer Sicht nicht mehr (neue Geräte sind energieeffizienter).

Tolle Link-Sammlung

Wusstest du, dass es diverse Angebote zu Carsharing und Fahrgemeinschaften gibt? Oder dass man alltägliche Gebrauchsgegenstände ausleihen oder mieten kann? Und dass es unzählige Angebote für nachhaltige Mode gibt, darunter über ein Duzend Labels aus der Schweiz und dem nahen Ausland? Auf ihrer Website bietet Sabina Galbiati eine strukturierte Liste mit hunderten von Links zu Angeboten, Projekten, Shops und Inspiration zum Thema – und auch hier passend zum Schweizer Kontext. Damit findet man für fast jeden Bedarf diverse nachhaltige Angebote. Denn eines musste ich mir eingestehen: Man kommt nicht umhin, sich ausgiebig und fortwährend mit den Auswirkungen des eigenen Konsums zu befassen, wenn man einen nachhaltigen Lebensstil anstrebt. Sonst kümmert man sich plötzlich um die Klarsichtfolie und verliert sein SUV aus den Augen.


Das Buch kann auf der Autorinnen-Website bestellt werden:
https://www.sabinagalbiati.ch/buchprojekt

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Der Philosoph und Ökonom Dominic Roser beschäftigt sich mit elementaren Fragen rund um Schöpfungsgestaltung, Klimarisiken und Umweltverantwortung. Das wirft nicht nur politische, sondern auch ethische und ganz praktische Fragen auf – und letztendlich auch Glaubensfragen.

Das Klima verändert sich
Die aktuellen Erkenntnisse über das Klima überfahren uns regelmässig. Ständig kommen neue Zahlen, Warnungen, politische Absichtserklärungen hinzu – es ist schwer, in der Flut der Meldungen einen Überblick zu behalten. Das war nicht immer so. Es gab Zeiten, da blieben die Meldungen noch unter dem Radar der Öffentlichkeit. Unbeachtet von der breiten Masse tauchten bereits anfangs des 20. Jahrhunderts allererste Sorgen über den Klimawandel auf; und schon Mitte der Sechzigerjahre hat der amerikanische Präsident Lyndon B. Johnson vor der Gefahr gewarnt, die Zusammensetzung unserer Atmosphäre zu verändern. Ein lauter Weckruf erfolgte dann in den Siebzigerjahren mit dem Bestseller «Grenzen des Wachstums». Das Buch legte nahe, dass die herrschende Form unseres Wachstums langfristig zum Kollaps führen wird.

Es ging aufwärts …
Dieser Kollaps ist kurzfristig – jedenfalls bis jetzt – nicht eingetreten. Im Gegenteil: Die Menschheit hat seither grossartige Fortschritte gemacht. Im Schnitt sind die Menschen mehr als doppelt so reich wie in den Siebzigerjahren. Der Anteil der Analphabeten ist von rund einem Drittel auf rund einen Siebtel gesunken. Der Anteil der Menschen in extremer Armut ist sogar noch stärker gesunken! Schon nur in den letzten 25 Jahren hat sich die Zahl der Kinder, die vor ihrem fünften Geburtstag sterben, halbiert – bei gleichzeitig stark wachsender Weltbevölkerung.

Bis vor rund fünf Jahren hat auch die Demokratisierung der Welt grosse Fortschritte verzeichnet. Das ist wunderbar und wir sollten diese positiven Trends bewusst wahrnehmen und feiern. Ja, wir sollten sogar anerkennen, wie diese Errungenschaften kaum möglich gewesen wären ohne all die Entwicklungen, die durch die Industrialisierung und ihren fossilen Energien in Gang gesetzt wurden.

… aber ohne solide Basis
Allerdings hat dieses Wachstum nicht auf einem tragfähigen Fundament stattgefunden. Die Menschheit als Ganzes ist vergleichbar mit einem Menschen in Armut, der überraschend die Chance aufs grosse Geld bekommen hat. Schnell wird eine Villa aus dem Boden gestampft. In der Hast und im Umgang mit unvertrauten Möglichkeiten wird das Haus auf Sand gebaut. Bei der Statik, beim Feuerschutz und bei der Sicherheit wird gespart. Das Haus ist einsturzgefährdet. So auch die Menschheit: All das Heil, das durch den technologischen Fortschritt in die Welt kam, ist real. Aber es ging alles so schnell, dass die Errungenschaften auf wackligem Boden stehen. Wenn wir Glück haben, geht es weiter aufwärts; wenn wir Pech haben, stürzt das Haus ein. Das 21. Jahrhundert könnte das beste oder das schlechteste Jahrhundert unserer Geschichte werden.

All die Risiken, die wir in Kauf nehmen
Der bisherige Fortschritt war echt, aber zwiespältig, weil er als Nebeneffekt die klimaschädlichen Treibhausgase mit sich brachte. Seit der Industrialisierung ist die Erde bereits rund ein Grad erhitzt worden und schon dieses eine Grad kam mit ernsten Schäden. Die Schweizer Gletscher sind in den letzten 40 Jahren um einen Drittel geschrumpft. Aber so prominent die Gletscher in der medialen Bildauswahl auch sind, die relevantesten Auswirkungen betreffen nicht das Eis, sondern die von der Schmelze betroffenen Menschen und Tiere. Und weil der Klimawandel zeitverzögert passiert, werden die grössten Schäden erst in Jahrzehnten anfallen. Und weil er nicht hauptsächlich dort wirkt, wo er verursacht wird, sondern besonders stark im Süden, stehen die Menschen in Armut besonders unter Druck. Und weil das Ausmass des Klimawandels mit grosser Unsicherheit behaftet ist, machen nicht die wahrscheinlichsten Szenarien am meisten Angst, sondern die kleine Chance, dass wir die Kontrolle über das Experiment mit unserer Atmosphäre komplett verlieren. Der Klimawandel ist auch nicht der einzige Schauplatz, wo wir grossartige Fortschritte nur mit schädlichen Nebenwirkungen erreicht haben: Künstliche Intelligenz, Luftverschmutzung, Tierausbeutung, Atombomben usw. sind ebenfalls auf der anderen Seite der Medaille der menschlichen Flucht aus der Armut der letzten 200 Jahre eingraviert. Es ist schwierig, all diese langsamen Trends unseres Wachstums – sowohl die positiven wie negativen – in einem Mal vor Augen zu halten.

Das Schiff muss wenden
Diese Situation ruft nach einer Umkehr. Die Hälfte der Menschheit, die die Flucht aus der Armut bereits geschafft hat, sollte den Fokus nicht auf weiteren Luxus legen, sondern diese Flucht der anderen Hälfte ebenfalls ermöglichen, und zwar auf eine Weise, die ohne drastische Risiken als Nebenwirkung auskommt. Das geschieht zurzeit nicht: Seit der Jahrtausendwende sind die globalen Treibhausgasemissionen nochmals um über einen Drittel gestiegen und an Schweizer Flughäfen steigen über 50 Prozent mehr Passagiere ein und aus. Dabei wäre das Ziel nicht nur ein Ende des Emissionswachstums, sondern eine Halbierung bis 2030 und danach eine schnelle Reduktion auf Netto-Null. Die Menschheit ist nicht daran, die Zusagen aus dem Übereinkommen von Paris von 2015 einzuhalten.

Neue Technologien sind unabdinglich
Es gibt aber Hoffnung! Ein Grund dafür ist: Weil die Klimaherausforderung global ist, zwingt sie uns auch zur globalen Zusammenarbeit. Wir können den Klimawandel dazu nützen, diese Zusammenarbeit zu üben, zu verbessern und positiv zu gestalten, so dass die weltweite Gemeinschaft andere Herausforderungen in der Pipeline – wie beispielsweise künstliche Intelligenz oder Antibiotikaresistenz – schneller und wirksamer angehen kann als den Klimawandel. Ein zweiter Grund zur Hoffnung ist, dass Chancen auf Lösungen da sind – wir müssen sie nur packen. Am hoffnungsvollsten stimmt das Potential sauberer Technologien. Saubere Technologien haben gegenüber anderen Lösungen den Vorteil, dass sie das Klima schützen und den Menschen in Armut (und auch den Menschen, die süchtig nach Wohlstand sind) trotzdem Wachstum ermöglichen. Saubere Technologien haben zudem den Vorteil, dass sie gefördert werden können, ohne dass zuerst auf der ganzen Welt Mehrheiten für den Klimaschutz gesucht werden müssen: Einzelne Länder und Individuen guten Willens können alleine vorangehen. Und: Grosse Sprünge sind möglich. Die Photovoltaik beispielsweise ist innerhalb eines Jahrzehnts um ganze 80 Prozent billiger geworden.

Allerdings macht Solarenergie immer noch weniger als zwei Prozent des globalen Primärenergieverbrauchs aus. Deshalb gilt es ohne Scheuklappen saubere Technologien auf der ganzen Linie zu fördern: Technologien, die der Atmosphäre Emissionen entziehen; sauberes Fleisch und saubere Milch; neue Formen der Kernkraft usw. Gott hat uns unsere Kreativität und Weisheit nicht nur gegeben, um die Schöpfung zu bewahren, sondern auch um sie zu gestalten. Eine Welt mit zehn Milliarden Menschen, die der Armut entkommen sind, braucht ein anderes Wirtschaften als die ländliche und spärlich besiedelte Welt zur Zeit der Bibel.

Klimagerechtigkeit – ein grosses Wort
Damit die Flucht aus der Armut nicht nur uns früh industrialisierten Ländern vorbehalten ist, müssen wir einerseits unsere eigenen Emissionen auf Netto-Null senken. Aber noch viel wichtiger: Wir müssen den Ländern in Armut die sauberen Technologien zur Verfügung stellen, die ihnen die Flucht aus der Armut ebenfalls ermöglichen, ohne dabei das Klima zu zerstören. Dabei sollten wir nicht darauf achten, ob andere reiche Länder wie die USA genauso fest mitziehen, sondern notfalls auch mutig alleine vorangehen. Klimagerechtigkeit heisst aber nicht nur, die Zukunft gut aufzugleisen, sondern auch vergangenes Unrecht wiedergutzumachen. So hat Zachäus nach seiner Begegnung mit Jesus ausgerufen: «Sieh, Herr, die Hälfte meines Vermögens gebe ich den Armen. Und wenn ich von jemandem etwas erpresst habe, gebe ich es vierfach zurück.» Genauso müssen wir nicht nur die künftigen Emissionen reduzieren, sondern auch die Länder in Armut darin unterstützen, mit dem Klimawandel umzugehen, der aufgrund vergangener Emissionen nicht mehr aufzuhalten ist.

Eine neue Welt in Ewigkeit?
Wir Christen haben manchmal ein zu «statisches» Idealbild: Wir glauben, dass Gott die Welt erschaffen hat und wir nun dafür schauen sollen, sie im Ursprungszustand zu bewahren, bis unsere jetzige Welt eines Tages Platz macht für ein komplett neues Modell. Aber weder sollen wir die jetzige Welt einfach in ihrem gefallenen Zustand bewahren, noch sollen wir einfach auf einen zukünftigen Ersatz hoffen. Wir sollen die Welt mutig weiterentwickeln und bereits jetzt an der neuen Welt arbeiten: In aller Demut und mit Gottes Schwung gilt es, unsere Welt so zu gestalten, dass sie und alle Geschöpfe, denen Gott sie zum Zuhause gegeben hat, zum Aufblühen kommen.


Dieser Text stammt aus dem ERF Medien Magazin 01/2023, dem monatlich erscheinenden Printmagazin der ERF Medien. http://www.erf-medien.ch/magazin

Foto von Gabriel Garcia Marengo auf Unsplash

~ 7 min

Interne Dokumente der Ölindustrie zeigen, dass diese seit den 70er-Jahren von der Klimaerwärmung durch den CO2-Ausstoss weiss. Sie hat der Öffentlichkeit aber trotzdem immer das Gegenteil erzählt, wenn Wissenschafter vor der Klimaerwärmung warnten. Seither sind 50 Jahre vergangen und die Wissenschaft ist sich einig, dass die Erwärmung stattfindet, dass sie zum allergrössten Teil menschengemacht ist und die Folgen auch extreme Schäden beinhalten: Hitzetote, Dürren, Hunger, Migrationsströme, Überschwemmungen, Ansteigen des Meeresspiegels, Verschiebung der Klimazonen mit Verlust der Biodiversität, sowie volkswirtschaftliche Schäden von weit über 10’000 Milliarden Euro pro Jahr. Auf die Schweiz umgerechnet wären das mindestens 10 Milliarden Franken pro Jahr.

Verantwortung übernehmen

Unser Handeln wird also immer dringender. Jedes Jahr, das wir dabei verlieren, fügt noch mehr Schaden hinzu und verändert die Welt, in der unsere Kinder (und noch einige von uns) leben müssen. Sie werden den Preis für die Zerstörungen bezahlen, die wir anrichten. In unserem Rechtssystem sind wir es gewohnt, jemanden haftbar zu machen, der ein Gut zerstört oder jemandem Schaden zugefügt hat. In der Regel muss der Verursacher für den Schaden aufkommen. Sollen wir nun allen Ernstes behaupten, wir wollten weiter das Recht auf Vandalismus haben? Und unsere Kinder und die armen Länder, die am wenigsten CO2 produzieren, die Schäden zahlen lassen? Auch sie sind unsere Nächsten, die wir genauso lieben sollen wie uns selbst.

Was werden wir unseren Kindern sagen, wenn sie uns in 30 Jahren fragen, warum wir so wenig getan oder gar noch gegen Massnahmen gestimmt haben? Wenn wir weiterhin so die Lebensgrundlagen unserer Kinder zerstören, müssen wir uns nicht wundern, wenn sie eine Wut auf uns entwickeln und sich dereinst auch nicht mehr um uns kümmern wollen, wenn wir alt sind.

Was sollen wir Gott antworten, wenn er uns fragt, warum wir seine schöne Schöpfung zerstört und die Lebensgrundlagen unserer Kinder und Nächsten so ausgehöhlt haben?

Wir können nicht nur, wir müssen es uns leisten!

Die Schweiz ist eines der reichsten Länder der Welt. Wir können also nicht sagen, wir könnten uns die Massnahmen nicht leisten. Das würde ja heissen, wir seien gezwungen, weiter auf Kosten unserer Kinder zu leben. Kann das sein? Darf das sein? Wenn wir uns eine Umstellung auf gleich viel nichtfossile Energie nicht leisten können, dann heisst das in der Konsequenz, dass wir unseren Energiekonsum vermindern und nicht weiter auf Kosten unserer Nachkommen leben sollen. Wir kommen also nicht darum herum, unseren Konsum und damit auch unsere Lebensinhalte zu überdenken. Weniger ist mehr! Gehen wir als Christen mutig voran!

Wagen wir den Schritt in die Solidarität

Gemäss Umfragen ist der Klimawandel eine der Hauptsorgen der Schweizer Bevölkerung. Aber Massnahmen dagegen werden letztendlich trotzdem abgelehnt. Die Angst vor den kurzfristigen persönlichen Konsequenzen ist bei vielen stärker als diejenige vor den langfristigen Folgen. Hier wäre auch unsere Solidarität mit denjenigen gefragt, die wegen der Massnahmen gegen den Klimawandel in echte Schwierigkeiten geraten. Dazu gehören Beihilfen für Armutsbetroffene und auch höhere Löhne.
Wir lassen uns aus Angst um unseren Lebensstandard auch leicht von der Propaganda von Vertreterinnen und Vertretern von Partikularinteressen beeinflussen, wie bei der Abstimmung zum CO2-Gesetz vor 2 Jahren, und glauben lieber denjenigen, die Zweifel an der Klimaerwärmung streuen. Lassen wir uns diesmal nicht wieder vom Handeln abhalten! Was haben wir für eine Alternative, wenn nicht dieses Gesetz? Freiwilligkeit genügt offensichtlich nicht. Die Gegner fordern, «dem Wahnsinn der rosa-grünen Linken ein Ende zu machen». Die Alternative ist demnach, den Kopf in den Sand zu stecken und zu warten, bis die Hitze uns den Hintern versengt…

Argumente

  1. Die Erderwärmung ist real und menschengemacht – Haben wir den Mut, der Realität in die Augen zu schauen!
    Es gibt kaum mehr wissenschaftlich haltbare Gegenargumente. Über 99 % der Klimatologen sind sich einig. Umso erstaunlicher, dass noch im Jahr 2020 nur 60 % der Schweizerinnen und Schweizer glaubten, dass der Klimawandel menschengemacht sei. 40 % entschieden sich also dafür, dem einen Prozent der «Skeptiker» und den Ausreden-Produzenten zu glauben. Wir haben enorm Mühe, etwas anzunehmen, was eine Verhaltensänderung erfordert. Wollen wir allen Ernstes behaupten, 99% der Klimatologen lägen falsch? Oder wollen wir allen Ernstes glauben, all die zehntausenden von Klimatologen seien bestochen und völlig geldgetrieben? Alle, die mal in der Wissenschaft gearbeitet haben, wissen, dass das unmöglich ist: Die meisten Wissenschafter haben die Wahrheitsfindung zum Ziel und es ist unmöglich, dass nicht eine Gruppe unter ihnen Bestechungen auf die Spur kommt.
    Wenn wir warten, bis kein einziger Skeptiker mehr da ist, ist es zu spät. In vielen Bereichen ist eine 100%-ige Sicherheit kaum möglich, aber es ist vernünftig und notwendig zu handeln. Wir werden sicher nicht sagen können, man hat es nicht so genau gewusst! Im 2021 sagte gar die Internationale Energieagentur, die bisher aufs Öl gesetzt hat, dass eine radikale Umkehr nötig ist: Keine neuen Ölfelder mehr erschliessen, massive Investitionen in alternative Energien.
  2. Gottes Schöpfung bewahren
    Gott hat die Erde geschaffen und am Schluss gesagt, es sei gut so. Was würden wir sagen, wenn wir ein schönes Kunstwerk schaffen und jemand anderes es verunstaltet oder zerstört? Wir wären betrübt! Was tun wir mit Gottes Schöpfung, einem fantastischen Kunstwerk? Ehren wir den Schöpfer, wenn wir sein Werk mit Füssen treten?
  3. Die Lebensgrundlagen der Nächsten bewahren
    Das höchste Gebot ist die Liebe zu Gott und die Liebe zum Nächsten. Die Klimaerwärmung bringt aber Milliarden unserer Nächsten in schwere Bedrängnis: Wenn tiefliegende fruchtbare Ebenen überschwemmt werden, Naturkatastrophen ganze Landstriche zerstören und noch mehr Gebiete zu Wüsten werden, ist Leben für sie dort nicht mehr möglich. Deshalb ist Klimaschutz gelebte Nächstenliebe.
  4. Die Schäden sind bereits gross, und sie werden riesig sein
    Bereits heute gehen die Schäden durch die Klimaerwärmung in die Milliarden. Das deutsche Umweltbundesamt rechnet bereits heute mit jährlichen Schäden alleine in Europa von 20 Milliarden Euro. In Zukunft sind eine Verschiebung der Klimazonen, noch mehr Dürren, Hungersnöte und damit grosse Migrationsströme zu erwarten. Damit steigen die Kosten ins Unermessliche. Wirtschaftliche Berechnungen gehen von weltweit weit über 10 Billionen Euro Schäden und einer massiv verringerten Wirtschaftsleistung aus. Wer kann das bezahlen?
  5. Wir brauchen Unabhängigkeit vom Öl von Regimes
    Die Hauptreserven von Öl liegen heute zu einem grossen Teil auf den Gebieten von Diktaturen auf der arabischen Halbinsel, in Irak, Iran, Libyen aber auch in Russland, China, Venezuela, Aserbaidschan, etc. Beim Gas sieht es noch schlimmer aus. Die Schweiz tut gut daran, sich aus der Abhängigkeit dieser diktatorischen Regimes zu befreien!

Gegenargumente – und was wir davon halten

  1. «Gott hat alles in der Hand»
    Dieses Argument wird in christlichen Kreisen manchmal so verwendet, wie wenn trotz unseres Handelns nichts passieren könnte.
    -> Gott hat alles in der Hand, aber er lässt uns auch frei walten. Wenn wir seine Schöpfung zerstören, räumt er nicht gleich hinter uns wieder auf.
    -> Die Realität zeigt ein anderes Bild: Nach der Abholzung der Wälder in den Alpen gab es zahlreiche Erdrutsche und Lawinenniedergänge, Gott hat diese nicht verhindert. Es waren die Menschen, die mit Wiederaufforstung reagieren mussten. Der Aralsee ist ausgetrocknet, die Umgebung durch Windablagerung versalzen; in vielen Regionen sind ganze Landstriche oder Flüsse und Seen verseucht und unbrauchbar geworden. Gott verhindert nicht die Folgen unseres Handelns.
  2. «Die Massnahmen sind zu teuer, wir können uns das nicht leisten»
    Die Gegner behaupten ohne glaubwürdige Berechnungen, der Umstieg auf Elektrizität und andere Energiequellen würde die Bevölkerung hunderte von Milliarden Franken kosten. Das sei nicht zahlbar. Dazu meinen wir:
    – Die Zahlen sind erstens völlig überrissen und gehen zweitens von einem technologischen Stillstand aus. In der Realität ist die Nachfrage aber ein Treiber von Innovation und damit von Preissenkung.
    – Schon nur die finanziellen und wirtschaftlichen Schäden eines Verbleibs bei fossilen Brennstoffen sind ab 2050 mit 10 Milliarden Franken pro Jahr zu veranschlagen. Langfristig sind die Kosten für alle also noch viel höher, dazu kommt die Hitze, der Verlust an Biodiversität und viel Leid.
    – Wir müssen also sowieso zahlen. Bei einem Nein bürden wir die Kosten unseren Nachkommen auf.
    – Ob benachteiligte Schichten die Heizung nicht mehr bezahlen können, hängt einzig davon ab, wie viel wir teilen! Es ist also Solidarität und gerechte Einkommensverteilung gefragt.
    – Welches Land kann sich denn Massnahmen leisten, wenn nicht wir? Wenn wir sagen, wir könnten es nicht, was werden dann die anderen Länder sagen?
    – Im Grunde richten wir Zerstörung an, wollen diese aber nicht berappen -> rein rechtlich gesehen, geht das nicht!
  3. Die Versorgungssicherheit ist mit der Umstellung gefährdet
    -> Schon vor dem Winter 2022/23 wurde die Angst vor einer Stromlücke geschürt. Und nirgends in Europa ist sie eingetreten. Sollen wir nun wieder auf diese Angstmache eingehen?
    -> Bei den nicht-fossilen Energiequellen wie Sonnen- oder Windenergie und Erdwärme sind noch riesige Potentiale lokaler Energiegewinnung unausgeschöpft.
    -> Wir werden nicht darum herumkommen, unseren Energiekonsum zu überdenken. Brauchen wir wirklich all das? Wann ist genug? Die meisten können ihren Konsum fossiler Brennstoffe zurückschrauben, wenn sie wollen: Flugreisen sind meist nicht zwingend, früher sind wir auch ohne Flugzeug in die Ferien gereist. Und für viele wäre der Gebrauch des ÖV oder zumindest der Verzicht auf einen SUV zumutbar.
  4. «Freiwilligkeit genügt»
    -> Bisher haben wir auf Freiwilligkeit gesetzt. Der Nachweis, dass dies nicht genügt ist längst erbracht: Der CO2-Ausstoss nimmt nur wenig ab und ein guter Teil der Verminderung ist der Verlagerung der Industrieproduktion ins Ausland geschuldet.
    -> Wenn Vandalen ein Auto beschädigen, fänden wir es akzeptabel, wenn die Polizei die Täter lediglich bittet, vielleicht, falls sie möchten, etwas an den Schaden zu zahlen? Dies widerspricht unserem Rechtsverständnis. Die Abgeltung eines verursachten Schadens darf nicht freiwillig sein. Warum sollen nur die einen zahlen und die andern nicht?
  5. «Aber wir tun doch schon so viel»
    Die Reduktion unseres CO2-Ausstosses genügt nie und nimmer, um bis 2050 klimaneutral zu sein. Es braucht leider noch viel mehr Engagement und zwar von allen!
    Wenn man mit 50 km/h auf eine Wand zufährt, nützt es nichts zu sagen: «Aber ich bremse ja schon auf 30 km/h herunter,  jetzt lass es endlich gut sein…». Der Aufprall wird trotzdem hart.
  6. «Andere Länder sind ja noch schlimmer – es nützt nichts, wenn die Schweiz vorangeht»
    -> Jeder Mensch ist verantwortlich für sein eigenes Handeln, jeder ist mitverantwortlich, weil jeder CO2 beiträgt. Wenn alle warten, bis die Schlimmsten zuerst handeln, dann vergrössert sich die Katastrophe weiter.
    -> Zudem: Wir haben es ja eben auch mit der Gesetzgebung und mit internationalem Druck/Einsatz in der Hand, die grössten CO2-Produzenten zur Reduktion ihres Ausstosses zu zwingen (Ölproduzenten; Frachtschiffe; Kreuzfahrtschiffe; etc.).
    -> Doch, es nützt: Jede Tonne CO2, die eingespart wird, hilft! Würden wir dasselbe auch in anderen Bereichen sagen wie z.B. bei der Abfalltrennung, dem Umsteigen auf den ÖV, dem Wasserverbrauch, etc.? Sollen wir uns nur noch egoistisch verhalten, weil der Beitrag jedes Einzelnen so klein ist? Nein, wir haben alle Mitverantwortung. Gott verlangt von uns, zu tun, was richtig ist, nicht nur dann, wenn andere es auch tun!
    Zudem bewegen sich andere Länder schnell: Die USA und die EU streben Klimaneutralität bis 2050 an und Dutzende von Ländern haben bereits ein Verbot von Benzinmotoren in den nächsten 15 Jahren beschlossen.

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