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Pfingstliche Spiritualität und ihre politische Bedeutung 

Einleitung

Für viele Pfingstler und Charismatiker wäre die Themenstellung wie aus dem Titel ersichtlich erstaunlich: Spiritualität und politische Bedeutung? In unseren Breitengraden werden von Pfingstlern diese beiden Aspekte oft entweder als ohne Bezug zueinander oder gar als sich gegenseitig ausschliessend betrachtet, wie auch in einem Leserbrief  von ?unterwegs? 2.01 zu lesen war. Allenfalls äussern sich Pfingstler politisch, wenn es um die Abtreibung geht, aber bereits deutlich weniger beim Thema Rassismus, obwohl die Pfingstbewegung auch in Westeuropa in ihren Anfängen eher pazifistisch und in den USA ?integriert? war. Bei Fragen der Globalisierung und der Umweltbelastung herrscht vorwiegend Schweigen und der Gedanke, das eigene Geistverständnis in Bezug zu den gegenwärtigen sozialen Problemen zu sehen, wird nicht allen in den Sinn kommen.

Aber obwohl westeuropäische Pfingstler die Verbindung zwischen ihrer Geisterfahrung und politisch/sozialen Fragen unserer Zeit nur gelegentlich nachvollziehen, hat diese immer auch soziale und z.T. politische Konsequenzen.  Ich möchte das aufzeigen anhand von dem, was Pfingstlern und Charismatikern besonders wichtig ist: die Bibel und ihre Geschichte.

1. Der Geist als gemeinschaftbildende  Kraft im Neuen Testament (1. Kor. 13,13)

Pfingstlich/charismatische Pneumatologie ist mehrheitlich lukanisch in ihrer Ausrichtung und bei Paulus haben Pfingstler beinahe nur an 1. Kor. 12 und 14 ein pneumatologisches Interesse. Für sie ist der Geist bei Lukas vorrangig Befähigung der Gläubigen zu einem vollmächtigen Dienst, insbesondere zum missionarisch-evangelistischen Dienst, verbunden mit einer oft überwältigenden Erfahrung der ?eschatologischen Gegenwart Gottes?. Grundlegend für diese Sicht ist das Verständnis von Pfingsten als Erfahrung der Jünger, welche sie für ihre Aufgabe ausrüstete; der Geist ist donum superadditum.

Nun ist aber auch allerseits bekannt, dass gerade Lukas ein grosses Interesse an den Armen, Ausgestossenen und Hilflosen zeigt. Ebenso betont er die zwischenmenschliche Versöhnung, die u.a. im Auftrag des Täufers zum Tragen kommt: Er wird das Herz der Väter den Söhnen zuwenden (Lk. 1.17).  So wird dann die Zuwendung des Täufers zu den Zöllnern und Soldaten in diesem Licht zu sehen sein, ebenfalls Jesu Zuwendung zu den Ausgeschlossenen, zu den kultisch Unreinen und ?Sündern? (Aussätzige, Sünder, Zöllner etc., zusammengefasst im programmatischen Text von Lk. 4.16-30). In der Apostelgeschichte tritt Barnabas, ein Mann voll Geistes und Glaube, versöhnend zwischen Saulus und die Gemeinde, zwischen die jüdische Gemeinde in Jerusalem und die hellenistische Gemeinde in Antiochien und zwischen Paulus und Markus. Dies nur um einige Beispiele zu nennen.

Nun ist es meine These, dass zwischen dem Interesse des Lukas an den Armen und Verstossenen einerseits und dem Geist andererseits eine Verbindung besteht. Ich möchte anhand von drei Beispielen illustrieren, wie Geisteswirken in den lukanischen Schriften direkte Auswirkungen auf das soziale Gefüge der Gemeinde hatte und dann noch auf 1. Korinther 12 und 14 zu sprechen kommen.1

Ein möglicher Zugang zur Verbindung von Geisteswirken und sozial-ethischen Themen eröffnet sich, wenn man die Geistesmanifestationen in den Lukasschriften, insbesondere Geistesreden und Visionen, darauf befragt, was sie innerhalb der Erzählung an Bewegung auslösen, wenn man also die Rolle des Geistes bei Lukas nicht mehr nur darauf zu beschränkt, dass  er prophetische Worte eingibt, sondern fragt, wie Lukas die Auswirkungen solcher Manifestationen beschreibt. Man sieht die Bedeutung des Geistes somit nicht nur in der Eingebung und dem Inhalt prophetischer Rede, sondern auch in deren beabsichtigten und erzielten Wirkung; denn Inhalt und beabsichtigte Wirkung können nicht getrennt werden.

Drei Beispiele aus Lukas und einige Gedanken zu 1. Korinter 12-14 sollen das veranschaulichen:

1.      Maria und Elisabeth (Lk. 1.39-45): Zu Beginn seines Evangeliums stellt Lukas dem Leser das ehrwürdige Priesterehepaar Zacharias und Elisabeth vor. Die Erwähnung ihres Alters, ihres Wohnortes in Judäa, ihrer Herkunft und des ?Berufs? des Mannes dienen dazu dem Leser das Bild eines gottesfürchtigen, angesehenen Paares von vortrefflichem Status vor Augen zu malen. Dem gegenüber wird Maria als junge Frau aus einer religiös gemischten Gegend in Galiläa, ohne besondere Herkunft und besonderen Status beschrieben. Man könnte beinahe sagen, dass das Wirken des Geistes ihren sozialen Status nur verschlimmert hat: sie ist unverheiratet und wird schwanger. Die sozial angemessene Begrüssung zwischen Maria und Elisabeth wäre die gewesen, dass die Jüngere sich der Älteren unterwirft. Zudem würde normalerweise die Schande der jüngeren, unverheiratet schwangeren Frau zwischen ihr und der Ehre der älteren Frau stehen. Doch durch den Geist kommt es zu einer Umkehrung der sozialen Rollen. Die Ältere preist die Jüngere und nennt sie ?die Mutter meines Herrn?. Es scheint, dass für Lukas das prophetische Wort zu einer Neudefinition der sozialen Rollen führt; es hat die üblichen Kategorien von ?Ehre? und ?Schande? in der Beziehung zwischen Maria und Elisabeth ausser Kraft gesetzt. Im folgenden Magnificat lässt der Evangelist dann Maria diese Umkehrung der üblichen sozialen Ordnung als bewusst erlebt zum Ausdruck bringen (Lk. 1.4-52).

2.      Der Pfingstbericht (Apg. 2): Lukas stellt Pfingsten als die lang erwartete Erfüllung der eschatologischen Erneuerung Israels dar, ausgedrückt durch das Joel-Zitat in der Predigt des Petrus. Joel 3.1-5 spricht von der kommenden Heilszeit, in der der Geist auf alle ausgegossen wird und alle, die sonst in der Gesellschaft nichts zu sagen haben, nun etwas zu sagen haben: Jung und Alt, Frauen, Knechte und Mägde. Die Wahl der sozialen Kategorien ist bewusst gewählt und widerspiegelt mit Ausnahme der Alten diejenigen in der orientalischen Gesellschaft, die in der Regel nichts zu sagen hatten. Es geht in der Joel Stelle nicht um eine Erneuerung der Prophetie in sich, oder einfach darum, dass durch den Geist alle prophezeien werden, sondern dass es durch die Geistausgiessung als Zeichen der kommenden Heilszeit zu einer Erneuerung der sozialen Struktur kommt, ähnlich wie das in den Texten in Jes. 11.1-4; 31.1-20; 42.1-4; 61.1-5 der Fall ist und ähnlich, wie auch Hesekiel davon spricht (Hes. 36 und 37). Das prophetische Reden wird zum Kennzeichen der Erneuerung. Die Vision der Geistausgiessung in Joel 3.1-5 (und die aller AT Erwartung) ist jedoch die ganzheitliche Erneuerung Israels: sozial, politisch, religiös und ökologisch; der Tag des Heils, wie Joel ihn nennt. Und genau das hat Lukas im Blickfeld, wenn er anschliessend an den Pfingstbericht das Leben der Gemeinde beschreibt (Apg. 2,42-47). Durch die Geistausgiessung kam es zu einer Erneuerung des Gottesvolkes, die weit über die üblichen hellenistischen Freundschaftsideale hinausgeht, weil in der Gemeinde sich nicht einfach sozial Gleichgestellte begegnen, sondern weil die Tischgemeinschaft alle Alters- Geschlechter- und sozialen Gruppen umfasst.

3.      Die Bekehrungsgeschichten in Apostelgeschichte 8-11: In all diesen Begebenheiten (Samarier, Äthiopier, Saulus und Cornelius) liegt die Rolle des Geistes weniger darin, den Inhalt der Verkündigung zu inspirieren, als mehr einen Kommunikationsprozess in Gang zu setzen, der sonst nicht stattgefunden hätte: mit den Samariern, weil Lukas um die Unversöhnung zwischen Jerusalem und Samarien weiss (Lk. 9,51-53), mit dem Äthiopier, weil er als Ausländer und vor allem als Eunuch vom Kult und von der Zugehörigkeit zum Gottesvolk ausgeschlossen war (Deut. 23,1-9); mit Saulus, weil er ein Verfolger der Kirche und bei Kornelius, weil er ein Heide war. In allen Fällen führte die Geistesmanifestation zu einer Neudefinierung der Gemeinde (das symbolische Universum der jungen Kirche hat sich verändert), und der Geist wurde zum Identitätsmerkmal der Zugehörigkeit. Somit kann auch hier die Rolle des Geistes nicht auf die Inspiration der missionarischen Verkündigung begrenzt werden; Geistesmanifestationen werden grundlegend für die Selbstdefinierung und das symbolische Universum der Kirche, die nun nicht mehr exklusiv, sondern inklusiv definiert wird.

4.      Ähnliches wie zum lukanischen Pfingstbericht kann auch zu den Charismata in 1. Korinther 12-14 gesagt werden: In den Paulus-Gemeinden haben buchstäblich alle etwas zu sagen, ungeachtet ihrer sozialen oder ethnischen Herkunft oder ihres Geschlechts. So haben wohl die Paulus Gemeinden erlebt, dass in der Kirche nicht wieder die allein etwas zu sagen hatten, die bereits in der Gesellschaft vorne an standen, sondern auch die, die in der Gesellschaft die ?Letzten? war. Oder anders ausgedrückt: ?Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus? (Gal. 3,28). Für die Christen in den Paulusgmeinden war nicht mehr Unabhängigkeit oder Selbstverwirklichung der Haupttenor, sondern die Erfahrung der gegenseitigen Abhängigkeit und Ergänzungsbedürftigkeit. So etwas hat natürlich direkte soziale Auswirkungen: Wenn z.B. ein Sklave in einer Gemeinde erlebt, dass er genauso benötigt wird wie sein Herr, dass er genauso Wegweisendes und Entscheidendes zum Gemeinwohl beizutragen hat, dann relativiert das nicht nur die gängigen Sozialstrukturen, sondern wertet den Einzelnen als Person auf und nimmt ihm das Gefühl der Macht- und Bedeutungslosigkeit. Dieser Vorgang wird deutlich nachvollziehbar in der Rhetorik des Philemonbriefs.

2. Die sozialkritischen Wurzeln der Pfingstbewegung

Wenn für die Lukasschriften gilt, dass sie ein besonderes Interesse am Geist, an den Armen, den Ausgestossenen und Hilflosen bezeugen, gilt das gleicherweise für die Anfänge der Pfingstbewegung. Auch hier führten die Geistesmanifestationen dazu, dass rassistische und geschlechtliche Schranken überschritten wurden. So fanden 1907 in Los Angeles erstmals ?integrierte Gottesdienste? statt, geleitet von einem schwarzen Prediger und es war ausgerechnet eine Pfingstlerin, die in den USA als erste Frau die Lizenz für eine Radiostation erhielt. Ähnliches kann über die Pfingstbewegung in Lateinamerika, Korea und Südafrika und die Pfingstbewegung allgemein gesagt werden. Nicht ganz überraschend ist die Vorläuferrolle eines amerikanischen Pfingstlers in der Arbeit unter Drogenabhängigen im New York der späten 50er Jahre. Das von David Wilkerson gegründete Werk ?Teen Challenge? ist noch heute weltweit in der Arbeit mit Randgruppen und Suchtkranken tätig.

Die wenigen aufgeführten Beispiele veranschaulichen, dass in den Reihen der Pfingstbewegung die üblichen sozialen Klassen ausser Kraft gesetzt wurden und eine versöhnende, einschliessende Wirkung von ihr ausging. Die gegenwärtige Tendenz zu Spaltungen in der Pfingstbewegung steht in krassem Widerspruch sowohl zu ihrem ?pneumatologischen Steckenpferd?, den Lukasschriften, wie auch zu ihrer eigenen Geschichte. Das heisst jedoch nicht, dass auf lokaler Ebene diese soziale, einschliessende Wirkung verloren gegangen sei, sie wird vielerorts ungebrochen weiter bezeugt. In diesem Punkt kann man die Pfingstbewegung vielleicht mit der matthäischen Petrusdarstellung vergleichen: in ihr wohnen grösste Geisteseinsichten und Momente menschlichen Eigeninteresses unmittelbar beieinander (Matt. 16,13-23).

3. Die gegenwärtige Situation in Westeuropa

Wie bereits angedeutet erlebt die Pfingstbewegung in Westeuropa zur Zeit beides: die Kraft des Geistes, der Gemeinschaft stiftet und auf Grund dessen Manifestationen es zu einer Neudefinition der Gesellschaft üblichen Hackordnung kommt und in der die Gunst nicht mehr nach den üblichen Spielregeln verteilt wird, aber auch Spaltungen sowie Bestätigung des politischen und sozialen Status Quo. Nicht immer entsteht durch das Wirken des Geistes eine Kontrastgsellschaft, und doch erleben westliche Pfingstler immer wieder, wie der Geist sich über die von den Erfolgreichen, den Schönen, den Starken und dem Geld festgelegten Gesellschaftsspielregeln hinwegsetzt. Diese Erfahrungen bestätigen Pfingstler in ihrer theozentrischen Ausrichtung: Gott der Herrscher dieser Schöpfung kann sich auch souverän gegen seine Schöpfung durchsetzen und überlässt sie nicht einfach sich selber. Das nimmt ihnen z.T. das Bewusstsein der eigenen Ohnmacht, das heute ausschlaggebend ist für die politische Indifferenz vieler Menschen. Ihre politische Bedeutung nehmen Pfingstler nicht vom Gewicht ihrer politischen Argumentation, sondern von ihrer Gotteserfahrung. Gott der Herr dieser Welt kümmert sich um sie in einer ganzheitlichen Form. Mit ihm können sie all ihre Anliegen besprechen, seien sie sozialer, gesundheitlicher, politischer oder anderer Natur.

Wenn trotz des biblischen Textes und trotz der eigenen Geschichte die Erfahrung jenes Pfingstlers, wie er sie in seinem Leserbrief dargestellt hat, leider nicht ganz einmalig ist, mag das verschiedene Gründe haben:

1.      Dass sich Pfingstler z.T. nicht im Klaren sind über die politische/soziale Bedeutung ihrer eigenen Spiritualität, heisst noch lange nicht, dass diese Bedeutung nicht vorhanden ist. Ein Grund weshalb sich Pfingstler über solch eine Bedeutung nicht bewusst sind, mag sein, dass Gott und ihr Glaube bei ihnen nicht ?gedacht? sondern ?erlebt? wird. Die Sehnsucht Gott zu erleben kommt bei ihnen vor dem Bedürfnis dieses Erlebnis zu definieren und zu reflektieren. Daher ist die vorrangige Methode pfingstlicher Theologie auch der Erlebnisbericht (das Zeugnis) und nicht die These und die Argumentation. Zudem ist pfingstliche Spiritualität in ihrem Ansatz theozentrisch und ihre soziale, politische Bedeutung erhält sich von ihrer eschatologischen Ausrichtung und ihrer Erwartung vom Reich Gottes, in dem Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Gotteserkenntnis herrschen wird. Pfingstliches Handeln, Denken und Fühlen richtet sich ganz nach diesem Reich aus, und dass es dadurch einen Bezug zu gegenwärtigen sozialen und politischen Problemen unserer Tage hat, wird z.T. gar nicht wahrgenommen.  Aber das ist an sich kein Problem, denn auch die Personen in Jesu Gleichnis (Mat. 25,31-46) waren sich nicht über die ganze Tragweite ihres Handelns bewusst. So begründen Pfingstler ihre sozialen und z.T. auch politischen Aktivitäten eher von ihrer Leidenschaft für das Reich Gottes, von der Liebe und der Hoffnung her und weniger von irgend welchen politischen Überlegungen. Politische Überlegungen mögen für sie korrekt oder weniger korrekt sein, doch entscheidend wird für sie sein, was sie als ?geboten?, als dem Reich Gottes entsprechend erachten werden. Nur ist auch das immer eine Frage der Auslegung und das führt und zu einem weiteren Grund, weshalb sich westliche Pfingstler nicht sonderlich aktiv zu Fragen der Politik und sozialen Gerechtigkeit äussern:

2.      In der Theologie der Pfingstler hat in den 40er und 50er Jahren eine Verlagerung stattgefunden, die wahrscheinlich mit ihrer eher apolitischen Haltung zusammenhängt. Mitte des letzten Jahrhunderts haben sich vor allem die westlichen Pfingstler mit dem fundamentalistischen Flügel der Evangelikalen Bewegung angebiedert und vielfach deren Theologie, deren Art und Weise zu theologisieren und deren Agenda übernommen. Besonders in Amerika befanden sich die Fundamentalisten in jener Zeit im Streit mit dem sogenannten ?social Gospel? und haben sich deutlich davon distanziert. Viele Pfingstler sind ihnen auf diesem Weg gefolgt. Die Folgen dieser Vermischung pfingstlicher Spiritualität und evangelikal-fundamentalistischer Theologie sind bis heute spürbar und so muss es nicht erstaunen, wenn zuweilen deutliche Diskrepanzen zwischen der erlebten und der artikulierten Theologie der westlichen Pfingstler sichtbar werden. In diesen Fällen kann es nur hilfreich sein, die Pfingstler an ihre Wurzeln zu erinnern und ihnen helfen, ihr eigenes Erbe neu zu entdecken.

Matthias Wenk


1. Dabei muss man aber fairer weise sagen, dass sowohl Lukas als auch Paulus wenig Interesse an der römischen Politik noch an einer Neustrukturierung Gesellschaft an sich hatten. Ihnen ging es darum, dass in der Gemeinde das eschatologische Heil angebrochen war und sich in ihr auch verwirklicht hat. Wohl wurde erwartet, dass diese Erneuerung einmal die ganze Erde erfassen werde, aber losgelöst von der Kirche bekunden die NT Autoren erstaunlich wenig Interesse an den Themen römischer Politik und Gesellschaft, obwohl ihre Sprache z.T. jene Welt reflektiert/kritisiert. Etwas anders ist das sicher in der Johannes Apokalypse, wo der römische Staat zur Personifizierung der gottwidrigen Macht wird.

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Das Reich Gottes als gesellschaftsverändernde Kraft

1. Gottes rettendes Eingreifen verändert immer eine Gesellschaft

Wer in der Bibel lediglich Anleitungen zum inneren Seelenfrieden oder zum privaten, religiösen Wohlbefinden sucht, wird schnell enttäuscht. Wo Gott wirkt und rettend eingreift, hat dies auch immer Folgen für die Gesellschaft. Zudem besteht die Hoffnung der biblischen Autoren darin, dass das Reich Gottes eines Tages diese gesamte Welt vollumfänglich durchdringen und erneuern wird (z.B. Jes 32,1-20; 66; Hes 34). Von dieser durchdringenden Kraft des Reiches Gottes wird erwartet, dass sie auch die sozialen, wirtschaftlichen, politischen und ökologischen Realitäten unserer Welt neu gestalten wird. Dies zu beachten, bewahrt uns davor, das Heil Gottes rein individualistisch zu sehen und auf die ?Seele? des Menschen zu begrenzen. Die Vision des Reiches Gottes ist nicht kleiner als die einer erneuerten Erde und eines erneuerten Himmels. Wo immer Gott rettet, betrifft dies die ganze Wirklichkeit eines Menschen, also auch seine soziale, ökologische, geistliche und physische Existenz. Drei Beispiele aus der Bibel sollen dies veranschaulichen.

1.1. Der Exodus-Skandal: Ein Gott der sich um Sklaven kümmert

In der Befreiung Israels aus Ägypten geschah etwas Einmaliges, in der ganzen Geschichte der Antike noch nie Dagewesenes: Ein Gott hört auf die Schreie von Sklaven. Seine Aufmerksamkeit gilt den Hilflosen und Machtlosen, und er forderte den mächtigen Pharao sowie dessen mächtigen Gott Ra heraus. Dadurch setzte er sich über die damals übliche Gesellschaftsordnung hinweg, denn in der antiken Gesellschaft galt es als selbstverständlich, Sklaven zu halten. Die Welt war ?eingerichtet? mit Pharaonen und Sklaven, die für ihn arbeiten mussten und die keinerlei Recht und keinen Zugang zu den mächtigen Göttern hatten.

Doch Jahwe, der Gott Israels, änderte das und vollbrachte das Unvorstellbare. Er setzte die bestehenden Normen ausser Kraft und schenkte denen die Freiheit, die sich nie selber befreien konnten; er verschaffte denen Gerechtigkeit, denen niemand je Gerechtigkeit verschafft hätte. Der Pharao und seine Machtansprüche wurden einfach ausser Kraft gesetzt. Gott, der mächtiger als Ra war, schenkte seine Gunst und seine Fürsorge den Sklaven, den Unbedeutenden, denen, die nur dazu da waren, den Mächtigen ihr angenehmes Leben zu ermöglichen. Die Kraft Gottes hat die ganze Gesellschaftsordnung völlig verändert.

Seit dem Exodus aus Ägypten wissen wir, dass Gott der Gott der Freiheit und der Gerechtigkeit ist und dass bei ihm kein Ansehen der Person gilt. Und weil Israel Gott so erlebt hat, sollen sie auch untereinander entsprechend miteinander umgehen: ?Einen Fremden sollst du nicht ausnützen oder ausbeuten, denn ihr selbst seid in Ägypten Fremde gewesen. Ihr sollt keine Witwe oder Waise ausnützen. Wenn du sie ausnützt und sie zu mir schreit, werde ich auf ihren Klageschrei hören.? (2. Mose 22,20-22, vgl. Spr 21,13). Die Propheten sprechen dann davon, dass Israel vergessen hat, wie radikal Jahwes Rettung auch eine neue Gesellschaftsordnung hervorbrachte (z.B. Jes 1,11-17; 58; Amos etc.).

Wir halten fest: Der Exodus ist keine rein ?innere, geistliche? Rettung Israels, sondern die Erfahrung der Gnade Gottes, durch die die bestehende Hackordnung und die Gesellschaftsstruktur neu definiert wurden.

1.2. Jesu Leben und Wirken: Eine Kontrastgesellschaft entsteht

Mit dem Kommen Jesu auf diese Erde geschieht Ähnliches. Über ihn wird prophetisch gesagt: ?Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen? (Lk 1,52). Diesmal war es die fromme Elite, welche die Hackordnung festlegte und alle jene ausgrenzte und ihrer Würde beraubte, die nicht ihrem Standard entsprachen.

Grundlegend für die Einsicht, dass Jesu Wirken die Gesellschaft auch veränderte, ist seine Predigt in Nazareth, wo er den Armen, Hilflosen und Ausgegrenzten Gottes Heil zuspricht (Lk 4,16-30). Es handelt sich dabei um Menschen, die in irgend einem Bereich ihres Lebens auf Hilfe angewiesen sind  – z.B. in geistlicher, physischer, materieller oder psychischer Hinsicht. Sie können von sich aus nichts tun, um diesen negativen Lebensumstand zu verändern.

Die frohe Botschaft vom Reiches Gottes, das zu ihnen kommt, veränderte die heillosen Umstände dieser Hilflosen:

·         Zum Verbrecher am Kreuz sagte er, ?Heute wirst du mit mir im Paradies sein?

·         Der Prostituierten sprach er den Frieden Gottes zu (Lk 7,36-50)

·         Denen, die von allen anderen ausschlossen wurden, weil sie moralisch und religiös ?schwach? waren, vermittelte Jesus Dazugehörigkeit. Für ihn gehören auch sie zum Gottesvolk (Mk 2,13-17; Lk. 7,36-50; 19,1-9).

·         Er berührte den Unberührbaren (Aussätzigen), gab dem von allen Verdächtigen seine Unschuld zurück (dem Gelähmten in Lk. 5,17-26) und feierte mit Levi, mit dem niemand feiern mochte (Lk 5,27-32).

In einer Gesellschaft, in der Krankheit keine rein körperliche Sache war, sondern auch eine Frage von Schuld, Schande und sozialer Isolation, ist jede Heilung eine radikale Veränderung im sozialen Gefüge einer geheilten Person (vgl. Mat. 9,20).

Bei ihm gehören die dazu, die niemand haben will, bei ihm empfangen diejenigen Würde, deren Würde von den anderen zerstört und mit Füssen getreten wurde. Gottes frohe Botschaft gilt denen, die kein frohes Leben erlangen können. So entstand wie beim Exodus eine Kontrastgesellschaft (Apg. 2,42-47), in der es weder Männer noch Frauen, weder Juden noch Griechen, weder Sklaven noch Freie gibt (Gal. 3,28).

Das Heil, das Jesus brachte, ist in radikalster Art und Weise gesellschaftsverändernd sein ? es kann gar nicht anders sein.

1.3. Die Geisterfahrung der Gemeinde: Alle haben etwas beizutragen

Diese soziale Sprengkraft des Reiches Gottes kommt u.a. auch in der Geisterfahrung der Gemeinde zum Tragen. An Pfingsten wurde der Geist auf alle Menschen (?alles Fleisch?) ausgegossen, ungeachtet geschlechtlicher, sozialer oder ethnischer Herkunft; durch den Geist fallen diese Unterschiede weg, und alle haben in der Gemeinde etwas zu sagen.1

Ähnliches kann zu den Geistesgaben gesagt werden (vgl. 1 Kor 12-14): In den Paulus-Gemeinden hatten alle ungeachtet ihrer sozialen und ethnischen Herkunft oder ihres Geschlechts etwas beizutragen. Da ist keiner selbstgenügend, da ist keiner, der nichts beizutragen hätte. Da gilt nicht ?Gleich und Gleich gesellt sich gern?, sondern Ungleich und Ungleich werden zu einem Leib geformt, der erst in seiner Vielfalt die Herrlichkeit Gottes widerspiegelt. Hier sind buchstäblich die Ersten die Letzen, und die gesellschaftsüblichen Normen werden ausser Kraft gesetzt.

Die Manifestationen des Heiligen Geistes führten immer wieder zur Versöhnung. So kam es zu einer Versöhnung

–          zwischen Juden und Heiden (Apg. 10)

–           zwischen einem Juden und einem unreinen Eunuchen (Apg. 8)

–          zwischen Juden und den ihnen verhassten Samaritern (Apg. 8).

Jedesmal ist es der Geist Gottes, der die Initiative ergreift, so dass Menschen, die sonst nichts miteinander zu tun hätten, den Weg zueinander und zur Versöhnung finden. Als Ergebnis kam es zu einer einmaligen gesellschaftlichen Konstellation: Es entstand eine Gemeinde aus  Menschen, die sich sonst nur verachtend, ablehnend und feindlich gegenüber standen.

2. Auch heute: Veränderte Menschen sind von den Spielregeln der Gesellschaft befreit und deshalb nicht harmlos

Die biblischen Beispiele veranschaulichen, dass sich das Reich Gottes nie ausbreitet, ohne dass es zu Veränderungen in der Gesellschaft kommt. Zum Teil kommen diese Veränderungen allerdings erst in der Gemeinde ganz zum Tragen (Hoffentlich auch in unseren Gemeinden!). Aber dadurch, dass eine Kontrastgsellschaft entsteht, in der nicht mehr die übliche Hackordnung gilt und in der die Gunst nicht mehr nach den üblichen Spielregeln verteilt wird,2 leuchtet die endgültige Erneuerung immer wieder vor unseren Augen auf.

In unserer Zeit erweist sich das Reich Gottes nicht minder als gesellschaftliche Sprengkraft. Bei uns sind es die Erfolgreichen, die Schönen, die Starken und das Geld, welche die Spielregeln für die Gesellschaft festlegen: Erfolg gibt recht, Geld regiert, Schönheit macht liebenswert und Stärke behauptet sich und macht unabhängig. Bei Gott erleben wir jedoch:

–          recht hat, wer treu ist und vergibt.

–          liebenswert ist, wer Mensch ist .

–          wer befehlen will, dient .

–          wer sich behaupten will, verleugnet sich und erlebt seine Abhängigkeit .

–          Gottes Allmacht verwirklicht sich in der Ohnmacht von uns Menschen.

Das Reich Gottes ist auch heute noch gesellschaftsverändernd, weil die Menschen, die es umfasst, durch einen Prozess der Veränderung gehen. Wer sich in die Nachfolge Jesu von Nazareth begibt merkt, dass sein Wert und seine Daseinsberechtigung nicht mehr durch die Leistung oder den Erfolg definiert wird, sondern von der vorbehaltlosen Annahme, die ihm durch Jesus entgegen kommt. So eine Erfahrung kann wiederum nicht ohne Auswirkungen im Umgang mit anderen Menschen bleiben. Eine Jüngerin Jesu wird davon befreit, andere Menschen nach ihren Leistungen (seien dies nun wirtschaftliche oder ?religiöse? Leistungen) zu bewerten. Die Gemeinde Jesu ist von allen unterdrückenden und menschenabwertenden Werten unserer Gesellschaft befreit und wirkt daher heilend in unsere Gesellschaft hinein. Nachfolger Jesu werden davon befreit, das Spiel der Gesellschaft mitzuspielen. Dieses Spiel wird an unterschiedlichen Orten und zu verschiedenen Zeiten anders gespielt, doch die zwei Hauptthemen bleiben sich gleich: Geld und Macht ? sei es durch Erfolg, Schönheit, Stärke, Unabhängigkeit oder was auch immer. Wo weder Geld noch Macht die Beziehungen regeln, sondern Liebe, Annahme und Vergebung, da kann das nicht ohne Folgen für Politik und Wirtschaft bleiben. Die Erfahrung unsere Rechtfertigung durch Gnade kann nicht spurlos an unserem Umgang mit anderen Menschen vorbeigehen. In einer konsequent  christlichen Lebenspraxis wird die Erfahrung der eigenen, vorbehaltlosen Annahme durch Gott Wegweiser und Richtschnur für unser Verhalten. Und das wird von den Mächtigen und Bossen unserer Zeit als genauso wenig  harmlos empfunden, wie Jesu Hinwendung zu den ?falschen Leuten? als harmlos abgetan werden konnte. Es wird in den Augen der Macher unserer Gesellschaft immer skandalös, unwirtschaftlich und  unbequem sein. Ein konsequent christlicher Lebensstil wird so zur prophetischen Stimme Gottes, die seit je her hilfreich für die ?Letzten? und unbequem für die ?Ersten? war (Lk 13,30).

Unsere Vision ist und bleibt die einer erneuerten Erde mit einer erneuerten Gesellschaft: Weil Gott selber bei uns wohnen und alle Tränen abwischen wird (Off 21,1-4), dürfen sich alle Hungernden, Leidenden, Trauernden, Sanftmütigen, Verlachten und Verfolgten jetzt schon freuen.

Dr. Matthias Wenk (41) ist Schweizer, studierte Theologie in den USA und promovierte in England. Er arbeitet als Pastor der BewegungPlus in Hindelbank und teilzeitlich als Dozent am Theologisch-Diakonischen Seminar in Aarau. Er ist verheiratet und Vater von drei Söhnen (16, 13, 6 Jahre alt).

Alle Bibelzitate sind der Einheitsübersetzung entnommen.


1. Die Auswahl der sozialen Kategorien geschah bewusst und widerspiegelt, mit Ausnahme der Alten, diejenigen in der orientalischen Gesellschaft, die in der Regel nichts zu sagen hatten.

2. Während bei den Ägyptern die Machthaber das Gesellschaftsleben definierten, waren es bei den Juden zur Zeit Jesu die Frommen und Selbstgerechten und bei den Griechen die Weisen und Starken. Jedesmal hat Gott sich über die üblichen sozialen Schranken hinweggesetzt. Er hat seine Macht durch Sklaven, seine Reinheit und Heiligkeit durch Verachtete und Sünder und seine Weisheit durch das Kreuz und Toren demonstriert. (1. Kor 1,18-31).


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(direkte Mitschrift, mit freundlicher Genehmigung von Martin Bühlmann, Leiter der Vineyard Bern Gemeinde)

Die Gemeinde von Jesus – eine prophetische Gemeinde.

Was heisst prophetisch? Grundsätzlich heisst prophetisch: hervorsagen oder vorhersagen. Das heisst nicht grundsätzlich, prophetisch ist alles, was uns etwas über die Zukunft sagt. Prophetisch bedeutet im Grunde genommen das Herz und das Wesen Gottes zu spiegeln und sichtbar werden zu lassen. Das war es, was die Propheten im Alten Testament getan haben. Das ist die Berufung für den prophetischen Dienst im Neuen Testament. Also nicht in erster Linie ein Orakel, nicht in erster Linie esoterische Gefühle, sondern in erster Linie eine Reflexioneine Widerspiegelung – der Person, des Wesens und der Absichten Gottes. Die Gemeinde von Jesus sollte eine prophetische Gemeinde sein, in dem Sinn, dass sie Gottes Weisheit spiegelt – wie wir es im Epheserbrief lesen. Gott hat ein Drängen – und Gottes Drängen ist es, sich selber sichtbar werden zu lassen. Und er hat sich gebunden an seine Schöpfung, und er hat sich gebunden an die Menschheit, und er hat sich gebunden an sein Volk. Und durch sein Volk, durch die Schöpfung macht er sich sichtbar. Das Problem ist meistens, wenn es um die Menschheit geht, dass die Menschheit besonders dann offen ist für Gottes Wesen und für sein Handeln, wenn es den Menschen schlecht geht. Man liest von Amerika, dass der Gottesdienstbesuch seit dem 11. September stark angestiegen ist. Not bewirkt im Menschen ein Suchen. Und Genüge zu haben, Überfluss zu haben, den Eindruck zu haben, wir schaffen es selbst, bewirkt im Menschen, dass er sich von seiner Abhängigkeit loslöst und seine eigenen Wege geht und – ich denke in der Folgerung davon – weder Gott noch andere Menschen braucht. Der Mensch wird unabhängig. Ich kann mich selbst versorgen! Ich bin gesegnet! Ich brauche niemanden! Ich isoliere mich selbst! Ich bin mir selbst genüge!

Und genau in diesem Schritt spiegeln wir Menschen Gott nicht wider.

Denn es braucht, um Gott widerzuspiegeln, diese innige Beziehung zu ihm, dieses Bewusstsein von Abhängigkeit, und es braucht die Gemeinschaft untereinander. Mit anderen Worten: eine gesunde Abhängigkeit voneinander, eine gesunde Zusammengehörigkeit und Zugehörigkeit. Ein Bewusstsein: ich kann mein Leben – allgemein als Mensch – nicht alleine führen, und auch nicht als Mensch, der mit Jesus durchs Leben geht. Ich kann meinen Glauben nicht alleine leben.

Christsein für sich alleine gibt es nicht. Die alten Kirchenväter haben gesagt: ein Christ ist kein Christ. Und das war nicht einfach ein Spruch eines Mannes. Darin liegt viel Wahrheit!

Persönliche Herausforderung

Wir betrachten miteinander das Buch Jesaja. Und das erste Thema ist: Gottes Weinberg. Nun der Name unserer Gemeinschaft ist „Vineyard“ (Weinberg). Und als ich mich vorbereitete, hat es mich schon etwas herausgefordert – ihr werdet das merken im Verlauf der Predigt. Es hat mich persönlich herausgefordert. Gottes Weinberg. Gottes Vineyard.

Am vorletzten Sonntag – der Gedanke, der mir kam: Die Leitung der Vineyard Gott hinzulegen und ihm dies im Gottesdienst zum Ausdruck zu bringen. Das war mir sehr wichtig. Weil ich empfinde, dass diese Gemeinschaft von Christen – diese Weggemeinschaft die wir sind – die soll nicht von Menschen geleitet werden, sondern von Jesus. Er soll tun, was Er möchte. Er soll Seinen Weg haben. Er soll uns führen und zu uns sprechen. Und es fordert uns natürlich heraus als Gemeinde, dann Menschen zu vertrauen, dass sie Gottes Stimme hören. Das geht solange gut, solange sie das hören, was wir auch hören. Die Herausforderung, der Leiterschaft zu vertrauen, entsteht ja dort, wo LeiterInnen nicht mehr das selbe hören wie wir. Dann sind wir besonders herausgefordert, in verantwortlicher Weise zusammen zu bleiben und trotzdem eigenständig zu sein, nicht wahr? In der christlichen Gemeinde gibt es nämlich auch das Übel, dass Leiter befehlen und den Eindruck haben, alle müssen gehorchen, nur weil jemand ein Leiter sei. Und das ist ebenso weit gefehlt, wie die Haltung, dass man sich nichts sagen lässt. Wir leben in diesem Spannungsfeld.

Jesaja 5,1-7: Gottes Weinberg

Lasst mich zu diesem Thema „Gottes Weinberg“ – oder wie gehen wir mit Gottes Erwartungen um, den Text aus Jesaja 5, Verse 1 bis 7 lesen:

Hört, ich will ein Lied singen von meinem besten Freund und von seinem Weinberg. Auf einem Hügel, sonnig und fruchtbar lag das Grundstück meines Freundes. Dort wollte er einen Weinberg anlegen. Er grub den Boden um und räumte alle grossen Steine fort. Die beste Rebsorte pflanzte er hinein. Er baute einen Wachturm und meisselte einen Keltertrog aus dem Felsen. Wie freute er sich auf die erste Ernte, auf saftige und süsse Trauben – doch die Trauben waren klein und sauer.

Urteilt selbst, ihr Leute von Jerusalem. Habe ich für meinen Weinberg nicht alles getan? Konnte ich nicht mit Recht eine reiche Ernte erwarten? Warum brachte er nur kleine, saure Trauben? Wisst ihr, was ich jetzt mit meinem Weinberg mache? Zaun und Schutzmauer reisse ich weg. Tiere sollen kommen und ihn kahl fressen. Ziegen und Schafe, sie sollen ihn zertrampeln. Nie mehr werde ich die Reben beschneiden, nie mehr den harten Boden mit der Hacke lockern. Dornen und Disteln sollen ungehindert wuchern. Ich verbiete den Wolken, ihm Regen zu bringen. Soll der Weinberg doch vertrocknen!

Dies ist eure Geschichte, Israeliten. Ihr seid der Weinberg und euer Besitzer ist der Herr, der allmächtige Gott. Ihr, aus Israel und Juda, seid die Pflanzung, auf deren Erträge er sich freute. Er wollte von euch gute Taten sehen. Doch er sah nur Bluttaten. Ihr habt nicht Recht gesprochen, sondern ihr habt das Recht gebrochen.

Interpretation der prophetischen Bücher

Eine unglaubliche Herausforderung dieser Text. Es „tschuderet eim fei ä chli“. Wenn man denken könnte – gilt dieser Text auch uns. Nun, wenn ihr prophetische Bücher lest, dann gilt es auch mit einem gesunden Sachverstand heranzugehen. Es gibt Prophetien, die haben sich bereits erfüllt und sind abgeschlossen. Dann gibt es Prophetien, die haben sich erfüllt und werden sich noch erfüllen. Also obwohl sie sich erfüllt haben, heisst das nicht, dass sie vorbei sind. Dann haben prophetische Bücher aber auch den Ausdruck einer Ermutigung und Ermahnung. Also, die Art und Weise, wie Gott mit seinem Volk umgegangen ist, soll uns daran erinnern, wie Gott mit uns umgehen möchte. In diesem Sinne werde ich an diesen Text herangehen. Mit anderen Worten: Das, was Gott zum Volk Israel gesagt hat, hat das etwas für uns zu bedeuten!? Und könnte es sein, dass ähnliche Verhaltensweisen und Haltungen, die das Volk Israel hatte, auch bei uns – bei mir – bei dir – vorhanden sind!? Und könnte es sein, dass der Prophet Jesaja aus diesem Grund ein Top-aktueller Redner in mein Leben hinein ist. Und wenn ja, was hat dies zu bedeuten?

Investition und Erwartung

In diesem Text sehen wir, offensichtlich: Wenn Du arbeitest, gleich wo, dann erwartest Du ein anständiges Salär. Du erwartest eine Bezahlung. Und wenn der Lohn tief ist, braucht es einen besonderen Grund, dort zu arbeiten. Eine besondere Identifikation, eine besondere Übereinstimmung. Aber wenn Du einen Beruf hast, dann erwartest Du ein Salär. Wenn Du Geld hast und dies investierst, und das in die Swissair investiert hast, dann hast Du das getan, weil du irgendwann einen Gewinn, einen Profit erwartet hast. Und du bist zumindest entmutigt wenn nicht wütend, wenn sich diese Investition nicht bezahlt gemacht hat. In Beziehungen ist dies auch so. Hör ich oft, dass Leute in christlichen Gemeinde sagen: Ich hab doch mein Leben investiert, ich habe alles investiert, und es kommt nichts zurück. Und weil nichts zurückkommt, verschliesse ich mich jetzt in der Beziehung zu anderen Menschen. Ich hab doch ein Recht, dass etwas zurückkommt, wenn ich etwas investiert habe. Was geschieht dann, wenn sich deine Erwartungen nicht erfüllen. Wenn du schlecht bezahlt bist am Arbeitsplatz, dann beginnst Du dich umzusehen nach einer Stelle, wo du besser bezahlt wirst. Wenn dein Geld in einer besonderen Aktie keinen Gewinn abwirft, dann wirst du dir überlegen, wie könnte ich mein Geld besser investieren? Oder wenn Beziehungen nicht das halten, was du dir versprochen hast, dann bist du versucht, diese Beziehungen abzubrechen, um Beziehungen zu finden, die dir den versprochenen Gewinn geben. Wir alle können uns mit diesem Denken identifizieren, unabhängig davon, ob es richtig oder falsch ist.

Könnte es aber Gott genau gleich gehen? Er ist doch ein Vater, der sich immer nur eines wünschte: Dass seine Kinder ihm gleichen. Wie ihr wisst, werde ich Grossvater. Und wir wissen, dass es wahrscheinlich ein Junge sein wird. Und der Gedanke kam mir schon: Wird er lange Haare haben? Wird er ausschauen wie ich? Wenn es dann mal klingeln würde, und es heisst: Der sieht ja aus, wie der Grossvater! Dann würde dies mich schon besonders freuen […]. Einem Künstler geht es doch auch so. Ein Künstler freut sich darüber, wenn die Menschen erkennen, dass das Kunstwerk von ihm ist. […].

Frucht bringen – von Gott abhängig zu sein

Und genau so wünscht sich der Weingärtner in dieser Geschichte, dass eben sein Weinberg Frucht bringt. Gott braucht dieses Bild, dass er durch den Propheten spricht. Gott wünscht sich, dass an seinem Volk sein Wesen sichtbar wird. Und wenn es um Prophetie geht für die nächsten drei Monate, dann geht es ganz bestimmt auch um die Frage, dass Gott zu uns spricht und uns verborgene Dinge zeigt. Und zu uns auch über die Zukunft spricht. Dinge, die wir mit natürlichem Auge nicht sehen können. Aber es geht ganz besonders darum, dass wir prophetisch leben. D.h. Gott sichtbar machen in unserem Leben. Und darum ringen, dass wir in der Schweiz nicht mehr unabhängig von Gott leben, nicht mehr Gott ausladen aus sämtlichen Lebensbereichen und dabei denken: Wir schaffen das alleine! Lieber Gott, lass uns nur die Schweiz selbst zusammen schustern. Wir machen einen besseren Job als du! Sondern, dass wir unsere Abhängigkeit bekennen.

Und ich denke, Gott lässt Geschehnisse zu, wie wir das beim Grounding und der Krise mit der Swissair erlebt haben. Dinge, die uns zeigen sollen, wie hilflos wir im Grunde genommen sind. Wenn die Kräfte dieser Welt aneinander reiben. Oder den Unfall im Gotthard, wo die ganze menschliche Überforderung – der Technik und im Verhalten – sichtbar wird, und der Mensch plötzlich merkt: Mann, so gut, wie wir das gedacht haben, haben wir die Schweiz auch nicht im Griff. Dann braucht’s nur noch eine Wirtschaftskrise, ungesicherte AHV, unheilbare Krankheiten, und unsere ganze Sicherheit liegt im Eimer. Da denke ich mir, es wäre besser, wenn wir vorher sagen würden: Lieber Gott, wir brauchen Dich! Das Leben wäre möglicherweise etwas einfacher.

Jesaja spricht von 3 Aspekten in diesem Kapitel: Wie Gott sich selber sichtbar machen möchte.

Der erste Gedanke dabei ist:

Gott wünscht sich von seinem Volk, dass es soziale Gerechtigkeit lebt! Vers 8 + 9:

Wehe denen, die sich ein Haus nach dem anderen bauen, und ein Grundstück nach dem anderen kaufen, bis keines mehr übrig ist! Sie finden erst Ruhe, wenn das ganze Land ihnen gehört.

Sie finden erst Ruhe, wenn das ganze Land ihnen gehört. Ich habe die Worte des Herrn, des allmächtigen Gottes noch im Ohr. Er schwor, die grossen und schönen Häuser werden verwüstet da liegen und niemand wird mehr in ihnen wohnen!

Vers 22:

Wehe denen, als Richter sind sie bestechlich, für Geld sprechen sie Schuldige frei und verurteilen die Unschuldigen.

Eine Rückfrage: Wenn 4500 Arbeitnehmer entlassen werden, weil einige Bank-Krösusse in Machtkämpfen Kontrolle haben möchten über etwas, hat es mit diesem Text nicht mehr viel zu tun!? Und wenn wir dies einfach so zulassen als Christen und nicht im Gebet und mit einer Herzenshaltung, die nach Gerechtigkeit strebt, uns einfach damit abfinden, dass das Kapital heute den Menschen besitzt und dass die Wirtschaft die eigentliche Wahrheit des Volkes ist – stehen wir dann nicht bereits unter dem Gericht Gottes? Und haben wir dann nicht die Chance bereits verwehrt, dass Gott uns heimsuchen kann, weil uns Besitz, Sicherheit und Eigentum und Reichtum wichtiger ist?

Es geht darum, Gottes Natur zu reflektieren und um die Bereitschaft zu teilen. Gott will nämlich, dass wir uns für die Gerechtigkeit einsetzen. Nicht mit Gewalt und Waffen und nicht mit lautem Geschrei, sondern zuerst mit einer prophetischen Haltung, dass wir als Gottes Volk damit beginnen, diese Gerechtigkeit in unserem Umfeld zu leben. Jesaja spricht von Gerichten und Regierungen, die nicht bestechlich sein sollen. Das erwarten wir ja auch. Aber die Frage stellt sich dann für mich persönlich: Wie gehen wir miteinander um? Schliessen wir uns – auf die Gemeinde runter dividiert – Menschen an, die immer andere kritisieren?

Und ich sage euch, was wir übereinander denken und sagen, hat ungemein viel Kraft. Und wer anfängt damit, andere die ganze Zeit zu kritisieren, der injiziert ein Gift der Ungerechtigkeit, weil es unsere Haltung andern gegenüber einfach bestimmt. Dasselbe geschieht, wenn wir beginnen, über andere Christen schlecht zu reden. Dasselbe geschieht, wenn unser Reden nur noch negativ ist. Und kein Glaube und keine Ermutigung mehr vorhanden ist und das Unrecht in den Mittelpunkt gestellt wird – und nicht die Gerechtigkeit von Gott.

Profit auf Kosten anderer

Gott möchte, dass wir versuchen, aus den Beziehungen zueinander nicht Profit zu schlagen. Was auf einer Abrechnung aussieht wie ein Gewinn, kann ein Gewinn auf Kosten anderer Menschen sein. Wir müssen uns die Frage stellen: Wer verliert, wenn ich einen Gewinn mache? Diese Frage müssen wir stellen. Oder mit anderen Worten: Wenn wir in unserem Land alles daran setzen, dass es uns immer besser geht und wir uns immer mehr absichern, und dieses Absichern und Bessergehen auf Kosten anderer Völker und anderer Menschen geht, dann stellt sich die Frage, ob unser Egoismus – und Volksegoismus und Staatsegoismus – nicht das Gift ist, das letztlich unser Land zerstören wird.

Versteht ihr? Kein Volk wird auf die Dauer ungerecht leben können auf Kosten anderer und wird Kopf bleiben können. Es wird irgendwann mal zum Schwanz in der Welt. Und sollten wir uns nicht Gedanken machen: Herr, wie möchtest Du dann, dass wir damit umgehen!?

Ich freue mich, dass die Vineyard Bern wieder wächst – viele Menschen zum Glauben kommen. Aber ich sage euch eines: Wenn das Wachstum der Vineyard Bern einfach geschieht, weil Menschen aus anderen Gemeinden zu uns kommen, dann ist die Freude eine geteilte Freude. Dann ist ja unser Wachstum auf Kosten anderer geschehen. Versteht ihr? Und könnte unser Wachstum die Not des anderen sein? Und haben wir dort nicht auch Verantwortlichkeit, das Gute füreinander zu suchen?

Gott möchte soziale Gerechtigkeit, dass wir grosszügig sind. Übrigens diese Texte in Jesaja gehen zurück auf das 5. Buch Mose. Im Grunde genommen spricht Jesaja das Volk an: Hey Leute, ihr lebt das, was im 5. Buch Mose steht, nicht. Deshalb sage ich euch das! Und deshalb will Gott, dass ihr euch ändert. Versteht ihr? Die Androhungen Gottes sind nicht gegeben, damit wir uns fürchten. Sondern diese Aussagen sind uns gegeben zur Warnung, dass wir uns verändern. Dass wir auf ihn eingehen. „Mir müsse nid zittere u id‘ Hose mache, wül üs jetzt den e Turm uf Bire g’heit!“ Sondern wir müssen unsere Herzen ändern. Und sagen: Herr, wo haben wir gefehlt? Wo habe ich meinen Vorteil gesucht? Wo habe ich über andere schlecht gesprochen, damit ich besser dastehe?

Und dann kommt die Konsequenz: Bin ich grosszügig gegenüber anderen Menschen – nicht nur materiell, sondern in meinem ganzen Lebensstil und Umgang ? Bin ich geizig mit guten Worten und Ermutigung? Oder werde ich grosszügig?!

Ein Grund, weshalb die Bauern Israel zur damaligen Zeit ihren Landbesitz vergrössern konnten, war, dass sie ihren eigenen Vorteil aus dem Unglück anderer schlugen. Sie standen ihnen in ihrem Unglück nicht bei – so wie sie es hätten tun sollen – sondern, als die anderen unglücklich waren, wurden sie ausgenutzt.

Und wisst ihr, man kann mir ja sagen, was man will. Ich bin ja ein einfacher Mensch. Aber wenn Banken, für die 3, 4, 5 Milliarden ein Klacks sind – wenn man die Gewinne der letzten Jahre ansieht – wenn diese Banken es zulassen, dass die Swissair am Boden bleibt, und Tausende von Arbeitsstellen bedroht sind, dann soll mir doch keiner sagen – mit noch so frommen Worten: Ja, es hat irgend etwas mit der Kommunikation nicht geklappt! So blöd kann doch keiner sein. Wenn es um Gewinn geht, dann klappt es immer mit dem Telefonanschluss. Es ist doch offensichtlich, man wollte sich bereichern an dieser maroden Gesellschaft. Das Gute rausschneiden, unabhängig davon, was dies für Tausende von Familien bedeutet. Grosszügig sein!? Gesund sein?! Aber so wird unser Land nur noch krank.

Und dann heisst es auch, dass wir vor Gott treten und sagen: Herr vergib uns! Vergib uns diese egoistische, absolut kalte gnadenlose Art mit Menschen umzugehen. Richte uns nicht, sondern, Herr, komme du zu uns und vergib uns und verändere Du uns!

Müsst mal sehen, was diese Herrn verdienen – 4 bis 5 Millionen im Jahr! Und dann kriegen sie noch Abgangsentschädigung. Versteht ihr, mir geht es nicht darum zu sagen, dass sei schlimm. Mir geht es um etwas anderes. Das ist unsere Volkskrankheit: Der Reiche wir reicher, und der Arme wird ärmer. Aber genau so verhalten wir uns auch gegenüber anderen Ländern. Eiskalt. Wir kaufen die Bananen ein – so billig wie nur möglich – und vergessen den Bananenpflanzer, der wenig verdient.

Wir saugen Völker aus! – Gott wird das richten! Und es ist Zeit, dass wir umkehren. Aber Gott möchte nicht nur, dass wir grosszügig sind, z.B. mit unseren Geldreserven, sondern er will, dass ich das persönlich auch tue. Und die Frage, die ich mir und dir stellen möchte, ist: Wie würde Gott über dich und mich sprechen?

Der zweite Punkt:

Gott wünscht sich von seinem Volk, dass es gerecht lebt! Kapitel 5,11:

Wehe denen, die schon früh am Morgen losziehen und sich betrinken. Bis spät in die Nacht bleiben sie sitzen und lassen sich mit Wein voll laufen. Gitarren, Harfen, Pauken und Flöten und natürlich der Wein fehlen bei ihren Gelagen nie. Doch für mich, den Herrn, haben sie keinen Gedanken übrig. Was ich in der Welt tue, nehmen sie nicht wahr. Weil sie das nicht einsehen wollen, wird mein Volk in die Verbannung verschleppt werden. Dann müssen die vornehmen Herren Hunger leiden und das einfache Volk wird vor Durst umkommen.

Jesaja 5,22:

Wehe denen, die Helden sind im Wein trinken und tapfere Männer, wenn es darum geht, starke Getränke zu mischen.

Ihr seht, Gott nimmt kein Blatt vor den Mund. Gott ist nicht grundsätzlich gegen das Vergnügen. Aber Freude und Vergnügen sollen im Zusammenhang sein mit Arbeit. Er hat das Vergnügen geschaffen. Es ist ein Nebenprodukt von Arbeit, von etwas, was man gibt. Darüber dürfen wir uns freuen. Aber er will nicht, dass das Vergnügen zu unserem Lebensziel wird.

Wisst ihr weshalb? Wenn das Vergnügen und der Lustgewinn das Lebenziel des Menschen ist, dann hat er keine Einsicht und Sicht mehr von Gott. Er meldet sich von seiner Verantwortlichkeit Gott und Menschen gegenüber ab. Gott will nicht, dass das Vergnügen zu unserem Lebensziel wird, weil es für das, was Gott tun möchte, blind macht. Also wenn ich fixiert darauf bin, reich zu werden oder Lustgewinn zu haben, dann werde ich Schritt für Schritt in meiner Abhängigkeit von Gott erkalten. Verstehst Du? Und das geht ganz langsam, ohne das Du’s merkst. Da sagt Gott: Hey! Persönliche Gerechtigkeit! Lebst du recht mit Gott? Erkennst Du, woher der Segen kommt?

Und ich denke, dieser Lustgewinn – Lustabhängigkeit – ist für unser Land und für die Vineyard Bern eine grosse Gefahr. Ich denke, jetzt kommen dann die Bewilligungen für die Spielkasinos. Und wie es ausschaut, werden wir eines in Bern haben. Übrigens interessant: In Bern haben sie ausgerechnet, dass der Steuergewinn des Spielkasinos höher sein wird als die Sozialgelder, die man aufwenden muss, um abhängige Spieler über Wasser zu halten. Leute, das ist ein Skandal und ein Zeichen von Umgang mit Menschen, der jeder Menschenwürde abgeht. Wenn wir sagen, wir machen mehr Geld damit, dann nehmen wir in Kauf, dass es einigen schlecht geht. Und denen geben wir noch einen Trostbatzen. Also so was Verdrehtes!

Aber das Schlimme ist, in unserer Gemeinde geht es ganz ähnlich. Im Grunde genommen geht es um die Frage, was gibt uns noch einen besseren geistlichen Kick. Wir erwarten von der Gemeinde offensichtlich, dass sie unsere Bedürfnisse befriedigt. Und solange, wie sie das tut, ist sie gut. Und wenn sie dies nicht mehr tut und unser Engagement braucht, dann ist sie plötzlich nicht mehr gut. Also diese Versuchung, die Gemeinde im Rahmen von Lustgewinn zu beurteilen, ist immens gross. Aber wenn wir das tun, meine Lieben, werden wir als Gemeinde in dieser Stadt gar keine Kraft mehr sein. Dann sind wir ein Blöterliverein!

Und die Herausforderung ist ja genau die: Was ist unser Fleisch ? Ist es die Speise, die ich esse, damit es mir gut geht? Oder ist meine Speise (wie bei Jesus ist Joh. 4.34), dass ich seinen Willen tue, damit es dem nächsten dafür gut geht. „Min Ranze – oder der Ranze vom Nächste“.

Und das Schlimme ist in unserer westlichen Welt, dass wir unser Christsein genauso egoistisch leben, wie die Welt ihren Gewinn egoistisch lebt. Und ich denke, wir müssen uns überlegen, wo wir stehen? Was würde Gott über deine persönliche Lebensausrichtung sagen?

Der 3. und letzte Aspekt:

Gott wünscht von seinem Volk, dass es gerechte Grundsätze hat in seiner Ausrichtung.

Jesaja 5,20:

Wehe denen, die Böses gut und Gutes böse nennen. Die die Finsternis als Licht bezeichnen und das Licht als Finsternis. Die Saures für süss erklären und Süsses für sauer. Wehe denen, die sich selbst für klug und verständig halten.

Was meint ihr: Welche Wahrheit ist für uns Wahrheit. Wenn unsere Wahrheit zur allgemeinen Wahrheit wird, dann verwechseln wir Gutes und Böses, weil meine persönliche Wahrheit abhängig ist von meinem subjektiven Empfinden und Erleben. Wenn ich zum Massstab werde und jeden Menschen an mir messe, dann werde ich irgendwann einmal herausfinden, dass dieser Massstab nicht der richtige sein wird. Es geht nicht um deine und meine Wahrheit – es geht um Seine Wahrheit.

Die Propheten werden manchmal als Rufer in der Wüste bezeichnet, die Menschen zu Gottes Bündnis zurück rufen. Die unangenehm werden. Sie kannten die 5. Bücher Mose – das Bündnis, das Gott mit seinem Volk geschlossen hatte. Deshalb riefen diese Propheten immer wieder: Hey Leute! Lasst euch zurückrufen!

Und in diesem Sinne sind wir als Vineyard Bern auch eine prophetische Gemeinde. Wir möchten dieser Stadt und Region von Bern sagen: Da ist ein Buch, das Gottes Wesen und Charakter aufschliesst. Möchtest Du ihn kennenlernen? Möchtest Du es nicht zulassen, dass dein Leben konfrontiert ist von diesem Buch? Dass es dein Leben spiegelt und herausfordert? Oder wollen wir dort stehen bleiben und sagen: So wie ich mein Leben sehe, betrachte und definiere, ist es richtig. Das Buch könnte ich höchstens noch gebrauchen, um mir einige Bibelstellen zu liefern, die meine Punkte unterstreichen. Aber ich bin nicht bereit, grundsätzlich mein Leben an diesem Buch auszurichten.

Schaut mal: Menschen, die sich nicht ausrichten, haben sich schon gerichtet.

Wenn wir mit Gott leben wollen, dann müssen wir uns auch seinem Denken und Reden hingeben, sonst werden wir zu religiösen Heuchlern!

Nach welcher Wahrheit lebe ich? Es ist ja nicht so, dass du das absolut beantworten kannst. Aber eine Herzensentscheidung: Soll dieses Buch die Wahrheit sein?

Viele Menschen erwarten nämlich nicht, dass Gott handeln wird. Das war damals so und ist heute so.

Jesaja 5, 18+19: Wehe denen, die an die Sünde gefesselt sind, und ihre Schuld hinter sich herschleifen, wie ein Ochse seinen Karren. Sie spotten: Er soll sich beeilen, der heilige Gott Israels, wir möchten endlich sehen, wie er straft! Ständig spricht er von seinem Gericht. Also los! Er soll zeigen, was er kann!

Meine Lieben, dieses Land redet so. Die Schweiz fordert Gott heraus. Sie macht sich lustig über seine Existenz. Gott wird nicht verziehen. Irgendwann wird er reagieren.

Vers 16: Der Herr, der allmächtige Gott, vollstreckt sein Gerichtsurteil und erweist so seine Macht. Er zeigt, dass er ein heiliger und gerechter Gott ist.

Der Weinberg:

  • Es geht um Fruchtbarkeit – welch eine Herausforderung!
  • Er möchte, dass wir soziale Gerechtigkeit suchen.
  • Er möchte, dass wir gemäss göttlichen Grundsätzen leben.
  • Und er hat den Wunsch, dass wir gerecht leben. Gott-gemäss. Jesus-gemäss.

Wollen wir das? Es braucht eine Entscheidung. Es braucht ein weiches Herz und die Bereitschaft zu handeln.

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„Das ghört mir!“ – ein kleiner Satz, den sich jedes Kleinkind schon früh aneignet. Die westliche Gesellschaft ist vom Gedanken des Privateigentums geradezu „besessen“. Es scheint ein allgemein verbreitetes Hobby zu sein, beim Ausfüllen der Steuererklärung alle möglichen Tricks anzuwenden, um ja nicht ein Fränkli zuviel in die allgemeine Kasse legen zu müssen.

Dieser Gedanke macht auch vor dem westlichen Christentum nicht Halt.Manche Christen sehen im Gebot „Ddu sollst nicht stehlen wird als Plädoyer für das Privateigentum verstanden. Einige gehen so weit, dass sie den heutigen Sozialstaat als etwas Unchristliches sehen – ein Dieb, der unser verdientes Privateigentum stehlen will. So fordern auch nicht wenige Christen einen „schlanken Staat“.

Nun, was die biblischen Geschichten angeht, finden wir tatsächlich viele Bespiele für Privateigentum. Doch sollten wir vorsichtig sein, dies quasi als einzig richtiges Gesellschaftssystem zu deklarieren. Und das Gebot, „du sollst nicht stehlen“, beschränkt sich nun wirklich nicht auf die private Ebene.

Tatsächlich finden wir bereits im Aalten Judentum einige Institutionen, die dem heutigen Sozialstaat sehr ähnlich sind. Es gab verschiedenetliche Steuern (wie etwa „der Zehnte“) sowie weitere Abgaben in Form von Geld und Naturalien. Alle 50 Jahre wurde zudem das ganze Land umverteilt und alle Sklaven freigelassen (Erlassjahr). Es erstaunt daher, wenn heutzutage gläubige Christen staats- und steuerfeindlich eingestellt sind.

Ein völlig radikales Bild vermittelt uns die Apostelgeschichte. In Jerusalem wurde in der Gemeinde alles Geld zusammengelegt. Vermögende Leute verkauften ihr Grundstück und schenkten das Geld der Gemeinde. Das Geld wurde dann erneut auf alle Bedürftigen verteilt (Apg. 4,32-37).

„Du solllst nicht stehlen“ wurde vielmehr im Kontext des Kollektiveigentums verstanden; d.h. ein Diebstahl bestand darin, zu mogeln und ein Teil seines Geldes der Gemeinschaft vorzuenthalten (Apg. 5,1-11).

Wie unvorstellbar sich dies auch anhört – die erste christliche Gemeinde lebte freiwillig in einer Kollektivgesellschaft. Später wurden in den Gemeinden, die Paulus bereiste, solidarisch Geld für die Muttergemeinde in Jerusalem gesammelt (in Jerusalem lebten überdurchschnittlich viele arme Pilger, was während der grossen Hungersnot zu einem Notstand führte). Internationale Solidarität und Umverteilungen gab es also bereits damals.

Eine vereinfachte Aufstellung der innerbiblischen Entwicklung:

 

Zeit der Patriarchen mosaisches Gesetz erste Christengemeinde Christentum heute
ca. 2000 v. Chr. ab 1200 v. Chr. ca. 30 n. Chr. 2001 n. Chr.
Privateigentum / Patriarchen, Sippen Privateigentum, Einführung von Steuern; Menschen als „Verwalter“ von Grundstücken“ Verkauf von Privateigentum, leben Kollektivgesellschaft, Unterstützung anderer Gemeinden ?

Das sehr vereinfachte Schema zeigt eine Entwicklung innerhalb des biblischen Verständnisses von Privat- und Kollektiveigentum auf. Es ist mir bewusst, dass sich das Modell der Kollektivgesellschaft nicht einfach 1 zu 1 übertragen lässt. Schon gar nicht sollten wir eine Kollektivgesellschaft diktatorisch herbei zwingen, wie dies etwa in den Sowjetstaaten der Fall war. Es sollte uns aber trotzdem zu denken geben. Könnte es sein, dass der Heilige Geist uns Christen erfüllen möchte, damit wir unsere westlichen Individualgesellschaft überwinden können? Könnte es sein, dass wir beispielsweise unsere Einstellung den Steuern gegenüber revidieren sollten? Über die Höhe und Verwendung von Steuergeldern kann man/frau sicher diskutieren. Grundsätzlich sind aber Steuern und Umverteilungen biblisch breit verankert, so dass auch Paulus dieses Thema im Römerbrief Kapitel 13 anschneidet:: “ .. denn deshalb entrichtet ihr auch Steuern; denn die staatlichen Mächte sind Gottes Diener, die eben hierzu fortwährend beschäftigt sind. Gebt allen, was ihnen gebührt: die Steuer, dem die Steuer, den Zoll, dem der Zoll, die Ehrfurcht, dem die Ehrfurcht, die Ehre, dem die Ehre gebührt (Römerbrief 13, Vers 6+7).


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