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Am 25. September wird über zwei Vorlagen zur Sanierung der AHV abgestimmt. In der einen Vorlage soll die Mehrwertsteuer zu Gunsten der AHV erhöht werden. Der Normalsatz betrüge künftig 8.1% (+0.4%), der Sondersatz 3.8% (+0.1%) und der reduzierte Satz 2.6% (+0.1%). Damit sollen zusätzliche Einnahmen für die AHV von rund 1.4 Mrd. Franken jährlich erzielt werden.

Mit der zweiten Vorlage soll das Alter für den Bezug der AHV vereinheitlicht werden. Alle – Männer und Frauen – sollen im Alter von 65 Jahren ihre AHV-Rente (1. Säule) erhalten. Mit der Erhöhung des Frauenrentenalters verringern sich die Ausgaben der AHV um rund 600 Mio. Franken jährlich (Stand 2023). Für Frauen, die kurz vor der Pensionierung stehen, ist eine Abfederung vorgesehen. Frauen mit den Jahrgängen zwischen 1960 und 1968 erhalten eine höhere Rente, als wenn sie heute bis 64 arbeiten würden. Der Zuschlag beträgt 160 Franken pro Monat bei Einkommen bis 57’360 Franken, 100 Franken pro Monat bei Einkommen bis 71’700 Franken und 50 Franken pro Monat ab einem Einkommen von 71’701 Franken. Ausserdem wird der Rentenbezug zwischen 63 und 70 Jahren flexibilisiert. Die beiden Vorlagen sind miteinander verknüpft, so dass nur beide zusammen in Kraft treten können.

Die linken Parteien sowie Arbeitnehmer- und Frauenverbände haben gegen diese von der Bundesversammlung beschlossenen Gesetzesvorlagen das Referendum ergriffen.

Reform nötig

Dass die AHV saniert werden muss, ist bei allen politischen Akteuren unbestritten. Vor allem wegen der demografischen Entwicklung steigen die Kosten und sinken die Einnahmen der AHV. Aktuell ist der Saldo noch positiv (2021: + CHF 2,58 Mia.). Ab 2025 wird die AHV aber erstmals ein negatives Umlageergebnis schreiben. Dank Vermögenserträgen kann das Minus bis im Jahr 2028 noch kompensiert werden. 2029 beginnt das Vermögen der AHV zu schrumpfen und sinkt unter den Betrag einer AHV-Jahresausgabe. Damit können die gesetzlichen Vorgaben nicht mehr erfüllt werden. Mit der Vorlage «AHV 21» werden die Finanzen der AHV bis 2032 gesichert. Die Vorlage stellt also höchstens einen ersten Reform-Schritt dar, der sich nach vier gescheiterten Reformen aufdrängt. Weitere Reformen der Schweizer Altersvorsorge müssen folgen.

Hüben wie drüben zweifelhafte Argumente

Dennoch müssen auch die Gegenargumente bedacht werden. Eines davon lautet, dass einseitig die Frauenrenten gekürzt würden. Das stimmt in dieser Engführung nicht. Wird die Vorlage angenommen, werden sowohl Männer wie Frauen ab 65 die gleiche Rente erhalten. Dabei sind die Frauen statistisch nach wie vor privilegiert, weil sie oft länger leben als die Männer. Die tiefen Frauenrenten sind nicht in erster Linie das Problem der ersten Säule, sondern der zweiten. Ärgerlich ist die Erhöhung des Rentenalters mit der «AHV 21» deshalb, weil die Parlamentsdiskussion zur Reform der 2. Säule verschoben wurde und dadurch das Rentenalter nicht mehr als Pfand verwendet werden kann, um den Reformdruck bei der beruflichen Vorsorge zu Gunsten der Frauen zu erhöhen. Die Wut der Frauen ist verständlich, da viele Frauen in schlecht bezahlten Berufen tätig sind bzw. aufgrund ihrer Familienarbeit Teilzeit arbeiten und deshalb in der 2. Säule niedrigere Renten als die Männer oder gar keine erhalten. Ausserdem ist es stossend, dass Gleichstellungsforderungen wie «gleicher Lohn für gleiche Arbeit» immer noch nicht umgesetzt sind.

«Das wichtigste Sozialwerk der Schweiz muss dringend saniert werden», schreibt die Frauenallianz «ja zur AHV 21». Wenn mit dringendem Sanierungsbedarf gemeint ist, dass die AHV ohne die vorliegende Reform demnächst pleiteginge, stimmt das nicht. Bei einer Ablehnung der «AHV 21» bleibt Bundesrat und Parlament theoretisch noch Zeit, eine neue Sanierungsvorlage auszuarbeiten. Diese müsste aber dann weit einschneidender sein.

Mit «Solidarische AHV für alle» wirbt das Ja-Komitee der Mitte bzw. mit «Gemeinsam sichern wir unsere AHV» das überparteiliche Komitee für die «AHV 21». Bei diesen Slogans kann man sich fragen, wie solidarisch die AHV 21 ist. Die zusätzlichen Mittel für die AHV werden bei dieser Reform durch eine Mehrwertsteuererhöhung erbracht, die vor allem niedrig Verdienende schmerzen wird und daher die Falschen trifft. Gleichzeitig wird mit der Erhöhung des Rentenalters ein Privileg zugunsten der Frauen aufgehoben, das diejenigen, die wenig fürs Alter ansparen konnten, für ihre wenig komfortable Situation entschädigt. Kein Wunder, dass vor allem Frauen aus dem höheren Mittelstand die Reform befürworten und in diesem Zusammenhang die Solidarität beschwören, während eine Mehrheit der Frauen die AHV 21 ablehnt.

Entscheidfindung jenseits von Parteiparolen

Zu «AHV 21» zu einem Entscheid zu kommen, ist nicht einfach. Da wir nur Ja oder Nein zur Vorlage sagen können, müssen wir uns entscheiden, welche Argumente hinter den Parolen der Komitees für uns mehr Gewicht haben:

Ja sagen wir, wenn wir in erster Linie die AHV für die nächsten 10 Jahre sichern und den AHV-Fonds weiterhin genügend äufnen wollen. Die Sanierung bedeutet, dass Betroffene bisherige Privilegien zugunsten der Sicherung der ganzen Sozialwerks aufgeben müssen. Dieser erste Sanierungsschritt der «AHV 21» hilft, dass spätere Schritte weniger rigoros ausfallen müssen. Wie die Reform der 2. Säule ausgestaltet wird, ist aber im Moment noch völlig offen und hängt von den politischen Mehrheiten im Parlament ab.

Nein sagen wir, wenn wir den Reformdruck auf die Altersvorsorge zugunsten der Frauen aufrechterhalten wollen. Es ist aber höchst unsicher, ob sich eine fünfte gescheiterte AHV-Reform tatsächlich positiv auf die unmittelbar bevorstehenden Diskussionen zur beruflichen Vorsorge auswirkt. Es könnte zu einer Verhärtung der Fronten und auf Seite der Bürgerlichen zu Forderungen wie die Erhöhung des Rentenalters bzw. die Plafonierung der AHV-Renten führen.


https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/sozialversicherungen/ahv/reformen-revisionen/ahv-21.html

https://www.sichereahv.ch/

https://www.republik.ch/2022/08/06/wer-will-die-lex-matte (für Abonnenten)

https://www.tagesanzeiger.ch/ist-die-sanierung-der-ahv-wirklich-dringend-163523829718 (für Abonnenten)

 

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Die Verrechnungssteuer von 35 % hat zum Zweck, die Steuerpflichtigen Privaten und Unternehmen dazu zu bringen, ihre steuerpflichtigen Gewinne und Wertzuwächse auch ehrlich anzugeben und damit zu versteuern. Erst nach vorschriftsmässiger Angabe werden die 35% wieder zurückerstattet. Doch die Bankenlobby hat das Parlament dazu gebracht, die Verrechnungssteuer bei der Ausgabe von Obligationen abzuschaffen. Dies mit dem Argument, dass auf Grund des administrativen Aufwands und des vorübergehenden Liquiditätsentzugs die Obligationen heute im günstigeren Ausland ausgegeben würden und der Schweiz damit Arbeitsplätze und Wertschöpfung entgingen. Gleichzeitig wurde auch grad noch die Umsatzabgabe, die auf dem Handel mit bestimmten Wertpapieren erhoben wird, abgeschafft, da sie sich ebenfalls hemmend auf den schweizerischen Fremdkapitalmarkt auswirke. Gegen dieses Paket wurde das Referendum ergriffen.

Das Loch riskiert grösser zu werden – auf Kosten der Bevölkerung

Die treibenden Kräfte hinter dieser Steuersenkung behaupten, durch den Zuzug von Arbeitsplätzen und Wertschöpfung aus dem Ausland würden die Kantone und Gemeinden einen Gewinn von mindestens 400 Millionen Franken pro Jahr erwirtschaften. Gleichzeitig allerdings gehen dem Bund nach neusten Zahlen 215 bis 275 Millionen Franken an Einnahmen verloren. Dies sind sehr konservative Schätzungen und wohl viel zu tief gegriffen. Denn erstens basieren diese Berechnungen auf dem aktuell sehr tiefen Zinsniveau, das aber in naher Zukunft ansteigen wird. Und zweitens hat die Finanzindustrie die Angewohnheit, alles zu verheimlichen, was nur möglich ist, um den Gewinn zu maximieren. Ohne Kontrolle fehlt die Motivation, diese Gelder zu versteuern. Schon die Unternehmenssteuerreform II hat gezeigt, dass die Finanzindustrie jegliche Möglichkeiten zur Steuerumgehung ausnutzt. Aus den bei der Abstimmung im Jahr 2008 im Abstimmungsbüchlein angegebenen maximal 933 Millionen Franken Verlusten für Bund und Kantone sind es ab der Inkraftsetzung im 2011 pro Jahr rund 2 bis 2,5 Milliarden Franken geworden (und sind es immer noch), weswegen ein Kanton nach dem anderen drastische Sparprogramme bei Schulen, Spitälern etc. durchgezogen hat. Dafür konnten die Aktionäre Dividenden und Firmenchefs (die sich nun oft Lohn auf andere Weise auszahlen lassen) Einnahmen von den Steuern befreien. Total wurden von 1.1.2011 bis 31.11.2016 CHF 1 Billion 692 Milliarden von 7‘365 Aktiengesellschaften angemeldet und durch die Eidgenössische Steuerverwaltung zur steuerfreien Ausschüttung an die Aktionäre genehmigt.

Steuersenkungen – nachweislich schlecht für die Schwächsten

Auch die Mär, dass es bei Steuersenkungen automatisch allen besser geht wurde schon längst widerlegt. Das zeigt eindrücklich die Oxfam-Studie aus dem Jahr 2014: Die Steuersenkungen im Zuge des Neoliberalismus haben weltweit vor allem die Reichsten noch reicher (und damit auch mächtiger) gemacht, den Ärmsten (also denjenigen, die es am meisten nötig hätten) aber kaum geholfen. In den USA ist so beispielsweise der mittlere Lohn zwischen 1984 und 2016 gleichgeblieben, das mittlere Haushaltseinkommen nahm nur wegen dem zunehmenden Einstieg der Frauen in die Lohnarbeit um insgesamt 20 % zu. Und gerade die Entstehungsgeschichte der USR II zeigte eindrücklich auf, dass es bei dieser gar nicht um die KMU und erst recht nicht um die Gesamtbevölkerung ging, sondern rein um die Interessen der Aktionäre.

Die lebenswichtigen Dienstleistungen brauchen mehr Mittel: Jetzt die Spirale umdrehen

Die Abschaffung der Verrechnungssteuer ist für die Schweizer Bevölkerung also höchstwahrscheinlich wieder einmal ein Verlustgeschäft. Und nicht nur für die Schweizer Bevölkerung, sondern schlussendlich auch für die Länder, aus denen die Arbeitsplätze abgesogen werden sollen. Die Steuerkonkurrenz hat insgesamt die Folge, dass die lebenswichtigen Dienstleistungen wie Schulen, Spitäler, Umweltmassnahmen etc. Schaden nehmen. Die Schulklassen werden immer grösser, Spitäler werden reihenweise geschlossen, das Pflegepersonal wird zu knapp gehalten und schlecht entlöhnt, und Subventionen für Sonnenenergie «sind zu teuer». In diesem System kommen die Schwächsten und die Schöpfung unter die Räder. Dieser Entwicklung gilt es Einhalt zu gebieten. Umso mehr, wenn diejenigen, die es sich am besten leisten könnten, dazu eingeladen werden, keine Steuern mehr zu zahlen.

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