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Am 24. November 2024 stimmt die Schweiz unter dem Titel «einheitliche Finanzierung des Gesundheitswesens» (EFAS) über eine Änderung des Krankenversicherungsgesetzes ab. Einmal mehr erhofft man sich eine Dämpfung der Gesundheitskosten.

«Da liess Gott, der Herr, einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, so dass er einschlief.» 1
Als Adam die Augen aufschlug, sah er vor sich EFAS. EFAS war vollkommen und in ihrer Schönheit unübertrefflich.

Wenig später schlitterte der Beginn der Menschheit in die erste grosse Krise. Krankheit und Tod wurden initiiert. Und obwohl Adam und Eva seit längerem Geschichte sind, kämpfen wir heute in der Schweiz auch nach Jahrtausenden immer noch mit den Folgen dieses «Apfels». Unendlich viele Krankheiten und die Vermeidung von Tod prägen einen grossen Teil unseres Denkens. Die Hauptsorgen der Schweizerinnen und Schweizer waren 2023 die Gesundheit und die Prämien der Krankenkassen2 . Und die jährlich steigenden Prämien sind ein Abbild der steigenden Kosten, die im Gesundheitswesen der Schweiz generiert werden.

Seit Jahrzehnten wird verzweifelt nach den Ursachen dieses Kostenanstiegs gesucht.

Expertinnen, Politiker, Journalisten, ja, wir alle, kennen die Bösewichte: Einmal sind es die überteuerten Spitäler, dann die viel zu gut bezahlten Ärztinnen und Ärzte, dann die extrem teuren Medikamente und Implantate, ja, auch die Spitex und die Physio kosten einfach zu viel, nicht zu vergessen die horrenden Verwaltungskosten der Krankenversicherer. Ob diese Aussagen nun jeweils so im Detail stimmen oder nicht, Tatsache ist, dass bei jeder Diskussion, ob im privaten Rahmen, am Stammtisch oder in der «Arena», die Emotionen hoch schwappen.

Es ist nun nicht von der Hand zu weisen, dass die Kosten ansteigen. Es ist keine Kostenexplosion, sondern mehr oder weniger ein jährlich linearer Anstieg um rund 4%, wie die folgende Grafik zeigt:3

Und es sind nicht nur die Kosten, die steigen. Auch die Anzahl «konsumierter» Leistungen bewegt sich kontinuierlich nach oben, wie an den Balken in der Graphik ersichtlich ist.

Der Sorgenbarometer zeigt, dass unsere grösste Sorge die Gesundheit ist.

Einer Sorge und einem so grossen Problem begegnet man in der Regel, indem wir als Hauptverursacher etwas dagegen tun. Eine Schuldzuweisung an andere ist nun mal selten eine wirklich gute Lösung. Wie wäre es, wenn wir das Problem uns zu eigen machen und in dieser Angelegenheit anpacken und beispielsweise die Sache mit der Selbstverantwortung ernst nehmen? Sind wirklich nur die andern, wie oben ausgeführt, Schuld an dieser Misere im Gesundheitswesen? Schon Adam und Eva versuchten ihrem Schöpfer klarzumachen, dass nicht sie selber die Verantwortung tragen wollen. Bei Eva war die Schuldige die Schlange, bei Adam war es Eva.
So sollten wir selber die Sache in die Hand nehmen und mit einer positiven und konstruktiven Haltung und mutigen Vorgehensweise dem Lösungsansatz EFAS eine Chance geben.

Nach vielen Jahren des Ringens zwischen Kantonen, Krankenversicherern und den sogenannten Leistungserbringern ist nun endlich EFAS mit einem einheitlichen und klaren Verteilschlüssel für die ambulanten, stationären und pflegerischen Leistungen zu Stande gekommen. Die Gegner der Vorlage monieren, dass insbesondere mit dem Einbezug der Pflegeleistungen die Prämien für die Krankenkassen steigen werden. Das stimmt, die Prämien werden steigen. Wie wir wissen, steigen sie aber seit vielen Jahren und werden auch künftig steigen, mit oder ohne EFAS. Dies darf aber kein Grund sein, einem unsinnigen und schon zu lange dauernden Finanzierungs-Hickhack endlich mit EFAS eine gute valable Lösung gegenüberzustellen. Lösungsorientiert unterwegs sein heisst, für das nächste anstehende Problem eine neue Lösung zu suchen. Und nicht, aus Angst vor vielleicht möglichen Schäden stehen zu bleiben.

Auch die Bedenken, dass die Krankenkassen mit dem grösser werdenden Finanzierungsanteil mehr Macht erhalten werden, kann ich nachvollziehen. Aber auch hier gilt es, diese Herausforderung anzunehmen und zu überlegen, wie wir genau diesem Problem etwas Konstruktives entgegenstellen können.

Als Arzt bin ich persönlich zuversichtlich, dass wir unsere Selbstverantwortung mehr und mehr wahrnehmen und künftig aktiver für unsere persönliche Gesundheit und unser Gemeinwohl einstehen werden. Auch wenn EFAS nicht in jeder Hinsicht vollkommen und unübertrefflich ist, so lohnt es sich, verantwortungsvolle Schritte zu tun, indem wir als erstes ein klares JA für EFAS haben und als zweites jetzt die Turnschuhe anziehen und eine Runde laufen gehen ☺!

1. Genesis 2,21; Einheitsübersetzung 1980
2. CS-Sorgenbarometer 2023; https://www.credit-suisse.com/about-us/de/research-berichte/studien-publikationen/sorgenbarometer/download-center.html (Zugriff 20241101)
3. BAG Bundesamt für Gesundheit, Dashboard Krankenversicherung; https://dashboardkrankenversicherung.admin.ch/kostenmonitoring.html (Zugriff 20241101)


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Mit den beiden Mietrechtsvorlagen, über die wir am 24. November 2024 abstimmen, besteht die Gefahr, dass die Wohnungsmieten weiter in Höhe getrieben werden.

In den letzten Jahren hat insbesondere in den Städten, wo der der Wohnraum knapp ist, eine eigentliche Mietzinsexplosion stattgefunden. Einer der Hauptgründe dafür ist die illegale Erhöhung der Miete nach einem Wechsel der Mieter bzw. Mieterinnen. Wenn keine Wertsteigerung der Wohnung (grössere Renovation) stattfindet, haben die Folgemieter eigentlich das Anrecht auf denselben Mietzins wie die Vorgänger. Doch viele Betroffene wissen dies nicht oder wagen es nicht, den bisherigen Mietzins einzufordern. Denn dies bedeutet ein langwieriges Verfahren – und dies in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Vermieter. Wer will es sich mit der Vermieterin schon verderben? Die Vermieter wissen um diese Abhängigkeit und wagen es manchmal gar ohne Mieterwechsel einfach allen Mieterinnen und Mietern den Zins zu erhöhen. In einem Teil der Fälle haben sie damit Erfolg. In Gebieten mit Wohnungsknappheit wird auch das Modell der «Wohnungsjäger» angewendet: Einzelunternehmer bieten an, Leuten, die wenig Zeit haben, dank Connections zu Vermietern rasch eine Wohnung zu besorgen, unter der Bedingung, dass der Anfangsmietzins nicht angefochten wird. Eine weitere Methode: nach dem Auszug eines Mieters wird die Wohnung nur noch mit Ketten-Einjahresverträgen vermietet. Familien, die eine solche Wohnung gemietet haben, können es sich nicht erlauben, den Mietzins anzufechten, da in diesem Fall das Risiko besteht, dass der Mietvertrag nicht mehr weitergeführt wird.

Die beiden Vorlagen, die am 24. November 2024 zur Debatte stehen, schwächen die Rechte der Mieterinnen und Mieter, was die Situation auf dem Wohnungsmarkt weiter verschärft.

Fristlose Kündigung für Wohngemeinschaften?

Die erste Vorlage verlangt strengere Regeln bei Untermiete «wegen Onlineplattformen wie Airbnb». Es ist aber bereits heute gesetzlich verboten, eine Wohnung gewinnbringend unterzuvermieten. Eigentümer können also bereits heute verhindern, dass ihre Wohnung auf Airbnb landet. Die nun geplante Verschärfung trifft hingegen Menschen, die in einer Wohngemeinschaft (WG) leben. Jeder Mieterwechsel müsste künftig schriftlich (Briefpost) fristgerecht gemeldet werden. Geht das vergessen oder wird die Meldung per E-Mail oder Anruf erledigt, kann der Mieterschaft gekündigt werden – und zwar innert 30 Tagen. Das ist doch crazy! Bei dieser Gesetzesänderung geht es wohl eher darum, weitere Gründe für eine Kündigung zu schaffen, damit bei einer Neuvermietung die Miete ohne Wertsteigerung erhöht werden kann.

Die beiden Vorlagen, die am 24. November 2024 zur Debatte stehen, schwächen die Rechte der Mieterinnen und Mieter, was die Situation auf dem Wohnungsmarkt weiter verschärft.

Nein zur erleichterten Kündigung bei «Eigenbedarf»

Die zweite Vorlage sieht vor, dass als Kündigungsgrund der Eigenbedarf nicht mehr «dringend» sein muss, sondern lediglich «bedeutend und aktuell». Auch diese Änderung des Mietrechts zielt darauf ab, Mieterinnen und Mieter schneller loszuwerden, um bei einer neuen Mieterschaft mehr Miete verlangen zu können. Bereits heute wird die Kündigung wegen Eigenbedarfs missbraucht: Wohnungen werden nach einer Kündigung Strohleuten vermietet, die mit dem Vermieter in einer verwandtschaftlichen Beziehung stehen sollen, um die Wohnungen kurze Zeit später zu einem höheren Zins weiterzuvermieten. Solche Maschen können mit der Annahme der Abstimmungsvorlage weiter ausgebaut werden.

Eine sehr gründliche Recherche zu den Mietrechtsvorlagen liefert dieser Artikel in der «Republik».

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Drei Viertel der Evangelikalen Christinnen und Christen wählten bei den letzten zwei Präsidentschaftswahlen Donald Trump. Eine Auseinandersetzung damit, warum viele amerikanische Evangelikale den derzeitigen Präsidentschaftskandidaten der Republikaner unterstützen, obwohl er sich gegen ihre moralischen Werte verhält.

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Für Christen ist es klar, dass die staatliche Gemeinschaft das Recht und die Pflicht hat, Steuern zu erheben, um die Aufgaben des Gemeinwesens auf allen Stufen zu finanzieren. Schon Jesus sagte, man müsse Gott das geben, was ihm gehört und dem Staat das, was dieser beansprucht.

In einem demokratischen Rechtsstaat können wir mitbestimmen, was für welche Zwecke eingefordert werden darf. Was also darf neben den Einkommens- und Vermögenssteuern verlangt werden? Die Erbschaftssteuer liegt in der Kompetenz der Kantone. Sie wurde in den meisten Kantonen immer mehr reduziert. Eine Erbschaftssteuer könnte aber viel bringen, wenn sie zu einer nationalen Steuer umgewandelt würde. Erbschaften fallen bei den Erben an, ohne dass diese dafür etwas geleistet haben. Es handelt sich somit für die Erben um arbeitslose Einkommen. Die Erbschaftssteuer sei die gerechteste Steuer. Das sagte unser früherer Finanzminister, Bundesrat Kasper Villiger, den ich in der Finanzkommission des Nationalrates erleben durfte, als der Bund im Jahre 2003 ein Entlastungsprogramm zur Sanierung des Bundeshaushaltes vorlegte.

Ein erster Versuch scheitert

Nachdem dem Gesamt-Bundesrat der Wille fehlte, diese Bundessteuer ernsthaft vorzuschlagen, reichte ich damals im Nationalrat eine parlamentarische Initiative ein. Da auch diese nicht zum Erfolg führte, lancierten EVP, SP und Grüne eine Volksinititative: «Millionen-Erbschaften besteuern für unsere AHV (Erbschaftssteuerreform)». Im Zentrum stand die Forderung, dass Nachlässe ab 2 Mio. Franken der Erbschaftssteuer unterstehen. Vom Ertrag wäre ein Drittel an die Kantone gegangen, zwei Drittel an die AHV. Politisch und medial wurden wir mit aller Vehemenz bekämpft. 2015 erfolgte die Ablehnung bei nur 29% Ja-Stimmen. Die Zeit war offensichtlich nicht reif.

Die aktuelle Initiative ist unrealistisch

Gegenwärtig ist die Erbschaftssteuer wieder zum Streitpunkt geworden. Die Jungsozialisten bringen mit ihrer zustande gekommenen Volksinitiative «Für eine soziale Klimapolitik – steuerlich gerecht finanziert (Initiative für eine Zukunft)» einen neuen Vorschlag. Diese fordert die Einführung einer Nachlasssteuer von 50% auf Vermögen über dem Freibetrag von 50 Millionen Franken. Die Erträge wären zugunsten des Klimaschutzes zu verwenden. Erfolgreiche Unternehmer wie Peter Spuhler meldeten engagiert, dass sie aufgrund dieses Begehrens die Schweiz verlassen müssten. Diese Form der Erbschaftssteuer wäre für sie nicht verkraftbar. Einige Betroffene erwähnen, dass sie mit einer tieferen Erbschaftssteuer leben könnten. Bereits haben auch bekannte Mitglieder der SP erklärt, dass sie die Forderung ihrer Jungpartei nicht mittragen können.

Sollte die Volksinitiative angenommen werden, würde sie in der Realität zu einem Flop. Die Reichsten würden unser Land verlassen und das Ziel, im Jahr mehrere Milliarden für Bund und Kantone zu erhalten, würde verfehlt. Die Chancen der JUSO-Initiative dürften nicht gross sein; doch weiss man nie zum Voraus, wie Volk und Stände entscheiden werden.

Politisch stellt sich ernsthaft die Forderung, dieser JUSO-Initiative einen Gegenvorschlag gegenüberzustellen.

Ein nächster Versuch lohnt sich

EVP-Nationalrat Marc Jost (Bern) hat am 18. April 2024 eine parlamentarische Initiative «AHV-Solidaritätsabgabe auf Millionen-Nachlässe» eingereicht. Der Text lautet: «Der Bund erhebt zugunsten der Finanzierung der AHV eine Steuer auf Millionen-Nachlässe von natürlichen Personen. Die Steuer wird von den Kantonen veranlagt und eingezogen. Die Bundesverfassungsartikel 112 und 129b sind entsprechend anzupassen.»

Dieser Vorstoss geht nun in die Kommission Wirtschaft und Abgaben (WAK) des Nationalrates. Wenn diese mehrheitlich Handlungsbedarf feststellt, geht der Vorstoss an die WAK des Ständerates. Wenn auch diese dem Handlungsbedarf zustimmt, kann die nationalrätliche Kommission unter Beizug der Bundesverwaltung eine Vorlage vorbereiten. Der Vorstoss ist von Mitgliedern mehrerer Parteien mitunterzeichnet. Man darf gespannt sein, wie es parlamentarisch weitergeht.

Es ist wichtig, eine moderate nationale Erbschaftssteuer anzustreben. Naheliegend wäre als Zweckbestimmung die AHV. Wenn endlich die Heiratsstrafe – Rentnerehepaare erhalten nur 1,5 Altersrenten – abgeschafft oder zumindest gemildert werden könnte, wäre dies eine gesellschaftspolitisch gute Sache.

Wichtig ist: Die Erbschaftssteuer ist wieder auf der Tagesordnung. Da lohnt sich unser Einsatz.


Dieser Artikel erschien zuerst auf INSIST.

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Der Arbeitgeberverband fordert, dass wir alle mehr arbeiten sollen, um dem Fachkräftemangel beizukommen. Kann das gut gehen? Und: Brauchen wir das wirklich?

Die «betriebsübliche Arbeitszeit» hat im letzten Jahrhundert stetig abgenommen. Während die Schweizerinnen und Schweizer vor hundert Jahren noch weit über 50 Stunden pro Woche arbeiten mussten, so erreichte die durchschnittliche Arbeitszeit im Jahr 1993 42 Stunden und pendelte sich seit 2003 auf 41,7 Stunden ein. Da könnte man meinen, etwas mehr davon könne ja nicht schaden.

Arbeiten wir wirklich weniger?

Die Trendwende zu mehr Arbeit hat schon länger stattgefunden: Auf Druck der Finanzdienstleister hat Bundesrat Schneider-Ammann auf Anfang 2016 verfügt, dass Arbeitnehmende, wenn sie ein Bruttojahreseinkommen inklusive Boni von mindestens 120’000 Franken haben und weitgehend selbst über ihre Zeiteinteilung entscheiden können (und falls die Firma einem Gesamtarbeitsvertrag untersteht), ihre Arbeitszeit «nicht mehr erfassen müssen». Das heisst in den meisten Fällen, nicht mehr erfassen dürfen – und damit arbeiten müssen «bis fertig». Doch fertig ist selten, denn solange keine Schranken da sind, kann man den Angestellten problemlos noch mehr Aufgaben zuweisen. Hunderttausende von Menschen in der Schweiz arbeiteten schon vorher länger als «betriebsüblich», nun sind noch mehr dazugekommen.

Immer dichter, immer schneller

Hinzu kommt die massiv gestiegene Arbeitsintensität: In den letzten Jahrzehnten fand eine starke Verdichtung der Arbeit statt. Leerzeiten existieren kaum mehr. Immer mehr Menschen arbeiten nur noch im «Notfallmodus». Das Dringliche hat überhandgenommen. Ältere Menschen haben mir schon mehrfach gestanden, dass sie froh sind, nicht mehr arbeitstätig zu sein. Früher hätten sie zwar mehr Stunden gearbeitet, aber dafür schön stetig und «eins nach dem anderen». Heute seien alle nur noch am «seckle».

Dieser Dauerstress kommt nicht von ungefähr: Um den Return on Investment (ROI) – die Kapitalrendite – für die Aktionäre zu optimieren, streichen börsenkotierte Unternehmen regelmässig Stellen. Sie wollen dann die Arbeit auf die verbleibenden Angestellten verteilen. Wenn früher ein ROI von 5 Prozent gut war, müssen es heute 30 Prozent sein. Wir haben uns daran und an die Folgen gewöhnt und finden das einfach normal. Doch dieser Druck «von oben» zwingt in der Konkurrenzsituation auch viele andere Unternehmen zur selben «Kostensenkung», wie etwa die Migros, die innert zwei Jahrzehnten die Anzahl der Angestellten pro Ladenfläche halbiert hat.

Steuersenkungen führen in eine Spirale

Vielleicht auch unter dem Eindruck, dass wir ja hart arbeiten und «der Staat» uns nicht «alles wegnehmen» soll, haben wir in den Kantonen regelmässig weiteren Steuersenkungen zugestimmt, mit der Folge, dass danach auch in den Schulen und Spitälern Stellen gestrichen wurden, sodass der Stress in diesen Bereichen unerträglich hoch geworden ist. Grössere Klassen machen die Arbeit der Lehrkräfte noch schwieriger. Heute wollen sich immer weniger gut gebildete junge Menschen diesen Job antun, in gewissen Fächern herrscht inzwischen Lehrermangel, was wiederum zu grösseren Klassen führt. Und in den Spitälern wird längst vom Pflegenotstand gesprochen. In keiner anderen Branche gibt es so viele Aussteiger: 46 Prozent verlassen laut dem Schweizer Berufsverband für Pflegefachpersonal (SBK) ihren Beruf wieder, ein Drittel vor dem 35. Altersjahr. Oft deshalb, weil sie ausgebrannt sind.

In die Erschöpfung getrieben

Die Folge all dessen ist eine steigende Anzahl Burnouts, die aber momentan nur die Rückversicherungen stört. Zwischen 2012 und 2020 sind die Arbeitsunfähigkeiten auf Grund von psychischen Gründen um 70 Prozent gestiegen. Der Job-Stress-Index zeigt bis 2020 eine stetige Steigerung der Anzahl Menschen, die im kritischen Bereich arbeiten. Rund 30 Prozent der Menschen sind heute emotional eher oder sehr erschöpft. Auch die ständigen Umstrukturierungen und Veränderungen tragen dazu bei.

Wenn der Arbeitgeberverband unter diesen Umständen nun fordert, dass wir noch mehr und flexibler arbeiten müssten, um dem Fachkräftemangel zu begegnen, dann ist dies hochgradig menschenfeindlich. Damit würden noch mehr Menschen in die Erschöpfung getrieben, und die Schäden müssten nicht einmal die Unternehmen berappen, da der Bundesrat sich ziert, Burnout als Arbeitskrankheit zu anerkennen. Die Gesundheitskosten und IV-Prämien sind auch wegen den Verschleisserscheinungen dieser Menschen gestiegen.

Die Alternative: Mehr Zeit und Beziehungen statt noch mehr «Wohlstand»

Dem «Mangel an Fachkräften» kann nur begegnet werden, indem wir unsere Ansprüche an die weitere Steigerung des Wohlstands zurückschrauben. Wir müssen uns die Frage stellen, ob wir wirklich einen Geländewagen (SUV) brauchen oder ein noch grösseres Heimkino.

Wenn wir weniger Fachkräfte haben, wird unsere Wirtschaft und damit unser Wohlstand tatsächlich etwas weniger schnell wachsen. Ist das wirklich ein Problem? Wir müssen innehalten und uns grundsätzlich die Frage stellen, was wir wirklich brauchen: Noch mehr «Wohlstand» oder ein weniger frenetisches Leben, in dem wir auch Zeit haben, um für unsere Kinder da zu sein oder Raum für die Kontemplation finden. Unter diesem Gesichtspunkt ist es zu begrüssen, dass auch Akademiker Teilzeit arbeiten dürfen und nicht «zur Strafe» die Studienkosten zurückzahlen müssen. Warum sollten deren Kinder ihre Eltern kaum mehr sehen dürfen? Sollen sie in Krippen abgeschoben werden, nur weil die Eltern studiert haben?

Erziehung und Beziehung – das ist die Basis unserer Gesellschaft. Diese Grundtätigkeiten dürfen wir nicht leichtfertig opfern.


Dieser Artikel erschien erstmals am 01. März 2024 auf Insist Consulting.
Foto von Verne Ho auf Unsplash

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Das ChristNet-Forum vom vergangenen Samstag, 9. März 2024, in Bern wagte sich unter dem Titel „Gesundheitswesen: Zwischen Errungenschaft und Entgleisung“ an ein besonders brisantes Thema. Drei Referate mit unterschiedlichen Zugängen zum Thema mündeten in Rückfragen und Diskussionen zwischen Referierenden und Teilnehmenden.

Dass das Gesundheitswesen aus dem Ruder läuft, ist ein ständiges Thema in der Öffentlichkeit. Dies zeigt sich laut Dr. med. Severin Lüscher, Grossrat und Hausarzt im Kanton Aargau, zum Beispiel an der Anzahl Vorstössen, die von den eidgenössischen Räten behandelt werden. Waren es im Jahr 2001 noch 100, liege diese Zahl mittlerweile bei 600 pro Jahr. Als eines von vielen Problemfeldern nannte der Präsident der Sozial- und Gesundheitskommission des Aargauer Grossen Rates „Anspruchshaltung, Konsumverhalten und Masslosigkeit“. Die Gesundheitspolitik setze Fehlanreize, „jeder betrügt jeden“. Die Versicherten resp. Patientinnen benähmen sich nach der Bezahlung der Franchise wie im Selbstbedienungsladen ohne Kasse am Ausgang. Die Leistungserbringer verrechneten möglichst viele Leistungen. Daran ändere auch die Fallpauschale nichts. Die Versicherungen liessen die Tarifverhandlungen ins Leere laufen und die Politik habe sich der „Kostendämpfung“ verschrieben und sorge gleichzeitig für die Zunahme von Overheadkosten und nicht-produktiven Tätigkeiten. „Wie steht es mit der Sinnhaftigkeit und der Selbstwirksamkeit bei den Behandelnden und Behandelten?“, fragte Lüscher am Ende seines Referats. Das Gesundheitswesen könne nichts daran ändern, dass das Leben endlich sei. „Sind Spiritualität, Religiosität und Glaube im Kontext mit Gesundheit und Krankheit Privatsache oder ein Grundbedürfnis oder beides?“

Dr. Thomas Wild, Geschäftsleiter der Aus- und Weiterbildung in Seelsorge, Spiritual Care und Pastoralpsychologie (AWS) am Institut für Praktische Theologie der Uni Bern, stellte ebenfalls die „hohen Erwartungen an das Gesundheitswesen“ an den Anfang seines Referats. Sie zeigten sich auch an der gesundheitspolitischen Strategie 2020-2030 des Bundesrats. Nicht berücksichtigt würden dabei ethische Dilemmas und der Betreuungsnotstand ausserhalb der Pflege, die Auflösung der privaten Netzwerke also. Krankheit werde in der Bibel sehr umfassend definiert. Dazu gehörten sowohl körperliche Schwäche als auch seelische Verletzung, Erschöpfung und soziale Ausgrenzung – Aspekte, die heute zwar vermehrt Beachtung fänden, aber aufgrund von finanzieller und personeller Ressourcenknappheit in Zukunft durch das Gesundheitswesen kaum mehr angemessen abgedeckt werden könnten. Der frühere Spitalseelsorger am Berner Inselspital hielt fest, dass gerade christliche Seelsorge ermöglichen müsse, Themen anzusprechen, die in Gesellschaft und Institutionen ausgeblendet, übergangen oder tabuisiert werden, und plädierte für ein starkes kirchliches Engagement in Gesundheitsfragen.

Für mehr Ganzheitlichkeit in der Medizin plädierte auch Dr. med. Ursula Klopfstein. Sie zeigte anhand verschiedener Studien die Wichtigkeit von regelmässiger Bewegung im Zusammenhang mit dem Mikrobiom – der Gesamtheit der Mikroorganismen, die sich im und auf dem Menschen tummeln – auf und wie sich dessen Gesundheit nicht nur auf den Stoffwechsel oder die Entzündungsprozesse, sondern auch auf die Psyche auswirkt. Deshalb spielten nicht nur Medikamente bei der Erhaltung der Gesundheit eine grosse Rolle, sondern auch gesundes Essen und Bewegung. Für die ehemalige Pflegefachfrau und heutige Ärztin und Dozentin Fachbereich Pflege an der Berner Fachhochschule standen deshalb folgende Fragen im Raum: „Wie kommen wir von einem Krankheits- zu einem Gesundheitswesen?“ und „Wie schaffen wir es, die Gesellschaft von einem ganzheitlichen Ansatz zu überzeugen, ohne zu einer Gesundheitsdiktatur zu werden und ohne vulnerable Gruppen zu diskriminieren?“

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Woran denken Sie, wenn Sie das Wort «Migration» in einer Überschrift lesen? An Asylsuchende, an die Zuwanderung von Fachkräften, an illegale Migration oder an alles zusammen? Im vergangenen Wahljahr war die Migrationsfrage das alles dominierende Thema. Die verschiedenen Aspekte der Migration wurden dabei bunt durcheinandergewürfelt und angereichert mit Halbwahrheiten und Falschinformationen. Das Ziel dieser Vernebelungsaktionen war, möglichst starke mediale Resonanz zu erzeugen und Wahlstimmen zu gewinnen.

Ein Produkt dieser Zeit sind Verwirrungen, Missverständnisse und eine in Bezug auf die tatsächlichen Verhältnisse getrübte und verschobene Realitätswahrnehmung. Daniel Ziblatt, Politikprofessor an der Harvard-Universität, hat in einem Interview die Demokratie der Schweiz gerühmt: «Wie andere habt ihr [d.h. die Schweiz] über die Jahre ein Set ungeschriebener politischer Normen entwickelt, an die sich die meisten halten – das stärkt die Demokratie. In der Schweiz sind dies etwa Normen der Zurückhaltung1 .» Hoffen wir, dass die Schweiz auf den Pfad dieser Tugend der Zurückhaltung und – damit verbunden – zur Redlichkeit zurückkehrt.

Migration bedeutet nicht zuerst Asylzuwanderung, sondern Arbeitszuwanderung

Viele Menschen denken heute und aufgrund der Geschehnisse der vergangenen Zeit beim Wort Migration zuerst an geflüchtete Menschen. Dabei machen Asylsuchende einen verhältnismässig kleinen Anteil der Migration aus. Ein viel grösserer Anteil entsteht durch die Arbeitszuwanderung, dies vor allem aus europäischen Ländern. Bis November 2023 zählten dazu letztes Jahr netto 96’000 Personen. Das ist tatsächlich eine grosse Zahl von Menschen. In dieser Zahl sind Asylsuchende, vorläufig Aufgenommene oder Personen mit Status S (Ukraine) nicht eingerechnet. Zu diesen 96’000 Personen gehören mehrheitlich in den Arbeitsmarkt Zugewanderte aus EU-/EFTA-Ländern. Es sind Fachkräfte, die von unserer Schweizer Wirtschaft dringend gesucht und eingesetzt werden.

Gleichzeitig wurden bis Ende November 2023 28’000 Asylgesuche eingereicht. Die Arbeitsmigration wird 2023 also drei- bis viermal höher ausfallen als die Asylmigration. Die Ursache für die grosse Arbeitszuwanderung liegt in der noch immer positiven wirtschaftlichen Entwicklung der Schweiz.

Arbeitszuwanderung begrenzen?

Unsere boomende Wirtschaft beklagt einen Fachkräftemangel. Die inländischen Personalressourcen sind ausgeschöpft, deshalb wird auch weiterhin auf den Zuzug qualifizierter Arbeitskräfte aus dem Ausland gesetzt. Ist die Schweizer Wirtschaft von daher gesehen überentwickelt? Sind die Grenzen des Wachstums erreicht oder gar überschritten?

Um die Arbeitszuwanderung zu begrenzen, müsste wohl das ungebremste Wachstum der Wirtschaft verlangsamt werden. Wo aber müsste die (Gesund-)Schrumpfung ansetzen? Wer würde sich mit den damit verbundenen Einbussen im Lebensstandard und bei den entsprechenden Annehmlichkeiten anfreunden, die eine florierende Wirtschaft mit sich bringt? Beides zusammen aber gibt es nicht. Wirtschaftswachstum bei gleichzeitiger Begrenzung der Arbeitszuwanderung ist die Quadratur des Kreises: Es ist heuchlerisch und populistisch, beides zu fordern.

Asylzuwanderung begrenzen?

Die Schweiz ist bei der Frage der Asylzuwanderung an die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) gebunden. Noch immer stammt eine Mehrheit der Geflüchteten aus Ländern mit Kriegen oder aus Staaten mit repressiven Verhältnissen. Fast zwei Drittel der in die Schweiz geflüchteten Menschen erhalten deshalb entweder eine Flüchtlingsanerkennung oder eine vorläufige Aufnahme.

Bei den vorläufig aufgenommenen Asylsuchenden besteht in Politik und Gesellschaft ein beträchtliches Missverständnis: Für diese Gruppe ist eine Rückkehr im Moment unmöglich oder unzumutbar. Deshalb ist eine vorläufige Aufnahme die richtige Massnahme. Es sind Menschen, die vor Kriegen, Bürgerkriegen oder repressiven Regimes Schutz suchen, auch wenn sie nicht unmittelbar und persönlich gefährdet, bzw. direkt politisch oder religiös verfolgt sind, wie es die Genfer Flüchtlingskonvention fordert. Sie sind aber durch die EMRK geschützt. Sobald sich die Verhältnisse in ihren Herkunftsländern ändern, werden sie zurückkehren können, wie das im Balkan zum Teil auch der Fall war. Diesen Gruppen mit vorläufigen Aufnahmen einen Fluchtgrund abzusprechen, wäre falsch und ein grobes Missverständnis.

Ein verhältnismässig kleiner Anteil von Menschen, die in der Schweiz Asyl suchen, wird weggewiesen. Es sind vor allem Personen aus Maghrebstaaten, deren Motive als «Armutsmigration» bezeichnet werden. In der Frage der Rückschaffung von abgewiesenen Asylsuchenden hat die Schweiz in Europa eine der höchsten Rückführungsquoten.

Herausforderungen rund um die Geflüchteten

Stets wird in Gesellschaft und Politik geklagt, dass bei Geflüchteten eine zu hohe Sozialhilfequote bestehe. Das aber hat verschiedene Gründe, darunter plausible, die wenig bedacht werden: Wer kann in einem fremden Land nach kürzester Zeit die Landessprache beherrschen, um im ersten Arbeitsmarkt zu bestehen? Wer kann sich die nötigen beruflichen Qualifikationen in kürzester Zeit aneignen?

Eine gute Unterstützung ist hier unerlässlich. Die zuständigen Asylorganisationen geben sich im Umgang mit Geflüchteten Mühe, sind aber wegen der vielen Dossiers und angesichts des umfangreichen Case Managements häufig überlastet und überfordert. Sie kennen ausserdem die Verhältnisse vor Ort zu wenig – dort, wo die Geflüchteten wohnen und leben.

Zivilgesellschaftliches Engagement als Erfolgsmodell

Beherzte Freiwilligenarbeit und zivilgesellschaftliches Engagement sind für Geflüchtete ein Gamechanger. Um diese Menschen auf dem Weg in den Arbeitsmarkt wirksam zu fördern, ist zivilgesellschaftliche Unterstützung das Beste, was ihnen passieren kann: Lernhilfen für den Spracherwerb, Lobbying bei der Stellensuche und Lernunterstützung im Ausbildungsprozess. Behörden- und Freiwilligenarbeit gehen dabei idealerweise Hand in Hand. Werden mehr Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integriert, wird auf der anderen Seite auch die Arbeitszuwanderung abnehmen. Es entsteht eine Win-Win-Situation.

Geflüchtete sind besonders verletzliche Menschen. Sie leiden häufig unter schrecklichen Fluchtgeschichten, mussten ihre geliebte Heimat, ihre Sprache und häufig auch Angehörige zurücklassen. Es sind Menschen in Not. Sie zu unterstützen, darf auch eine eigennützige Komponente haben. Jeder Mensch kommt im Leben in Situationen, in welchen ihm geholfen werden muss. Wer überschüssige zeitliche und innere Ressourcen hat, unterstütze deshalb Geflüchtete, denn diese Menschen zeigen uns, wie gefährdet und zerbrechlich unser Leben ist. Jeder Tag, den wir in Würde leben können, ist ein Geschenk an uns. Dieses Bewusstsein kann uns Antrieb sein, auch anderen zu einem würdevollen Leben zu verhelfen.

Theologische Überlegungen

Im Hebräerbrief steht der denkwürdige Satz «Die Liebe zu denen, die euch fremd sind, aber vergesst nicht – so haben manche, ohne es zu wissen, Engel beherbergt2 .» Nicht alle Menschen, die in unser Land flüchten, sind Engel. Aber es hat mindestens so viele Engel darunter, wie es unter Schweizerinnen und Schweizern Engel gibt.

Was hat uns dieses Bibelwort aus dem Hebräerbrief heute zu sagen? Wenn vor hunderten von Jahren in unserem Nachbarsdorf im berühmten Kloster Rüeggisberg eine Fremde oder ein Fremder an die Klosterpforte klopfte, legte sich der an der Pforte diensthabende Mönch flach auf den Boden. Es war ein Ausdruck von Ehrfurcht gegenüber dem fremden Gast, ganz unabhängig davon, wer es war. In diesem Fremdling konnte sich Christus oder ein Engel verbergen, das wusste der bibelkundige Mönch.

Gegenüber Menschen, die man noch nicht kennt, verhält man sich freundlich und respektvoll. Ängste gegenüber Fremden sind möglicherweise ein natürlicher Reflex, der uns aber nicht weiterhilft. Misstrauen macht keine Gesellschaft besser. Vertrauen aber hat eine heilsame, verändernde Kraft. Versuchen wir, dieses Vertrauen mit Gottes Hilfe zu stärken.

Dieser Artikel erschien erstmals am 01. Februar 2024 auf Insist Consulting.


1. NZZ am Sonntag, 3.12.2023

2. Hebräer 13,2

Foto von Karen Ruffieux auf Unsplash

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Man sagt, dass im alten Ägypten die Überbringer von schlechten Nachrichten hingerichtet wurden. Dasselbe ist bei uns zwar nicht der Fall, aber Klimaschützer sind nicht gerade beliebt, in Teilen der Gesellschaft sind sie zu Feinden geworden.

In unserer Kultur ist die Freiheit eines der höchsten Güter. Wir sind uns gewohnt, vom technischen Fortschritt intensiv zu profitieren, uns von Neuerungen und neuen Möglichkeiten begeistern zu lassen. Manchmal versprechen diese, unsere Lebensfreude zu vergrössern, neue Perspektiven und Aktivitäten zu ermöglichen (z.B. in die Ferne fliegen), oder vielleicht auch, Mühseligkeiten zu verringern (z.B. durch vereinfachende Apps).

Keine Grenzen

Allerdings ist da nie ein «Genug» vorgesehen. Der Komfort und der Luxus müssen ständig vergrössert werden, was aber «den Wohlstand erhalten» genannt wird. Wir reden zwar von Wirtschaftswachstum, aber nur wenige geben zu, dass es ums «Immer-Mehr» geht. Nicht mal die Fussballstars, die trotz hunderten von Millionen Euro auf dem Bankkonto jetzt nach Saudi-Arabien gehen, um noch viel mehr Geld zu scheffeln und das zwanzigste Haus zu kaufen.

Spielverderber werden zum Feindbild

Wir möchten selber entscheiden können, wie wir unser Leben, unsere Aktivitäten und zum Beispiel auch unsere Mobilität gestalten. Menschen, die einwenden, dass unsere Konsum- und Spasskultur nicht nachhaltig ist und die Lebensmöglichkeiten unserer Kinder einschränkt, sind unangenehm. Sie lassen uns nicht guten Gewissens unsere Aktivitäten und unseren Luxus geniessen. Das ist gemein. Dagegen werden zahlreiche Rechtfertigungen angeboten wie zum Beispiel, dass wir ja mit unserem Konsum Arbeitsplätze schaffen, oder es wird gleich der Klimawandel selber als Grundproblem in Zweifel gezogen. Es scheint einfacher, den Kopf in den Sand zu stecken.

Sehr beliebt ist die Verteufelung der Warner selber. Wechselweise werden sie Neider, Gutmenschen oder Wokisten genannt, die gar unsere Kultur – eigentlich unsere Konsumkultur – zerstören wollen. Anwürfe wie «sie wollen unsere Lebensfreude zerstören» oder «sie wollen uns jeden Genuss wegnehmen» sind öfters zu hören. Mit dem «sie» gegen «wir» werden Feindbilder geschaffen, wodurch jede Nachricht über die Zerstörungen durch unsere Konsumkultur (Klimawandel, Feinstaub, Plastikinseln im Meer, Artensterben, Mikroplastik im Trinkwasser, Zunahme der Krebshäufigkeit bei jungen Menschen) abgewimmelt werden kann. Denn: da die «Feinde» böse sind, kann man auch nicht wissen, ob es stimmt, was sie sagen.

Schäden kurzfristig reparieren, statt die Ursachen anzugehen

Eine Mehrheit der Bevölkerung ist im Moment nur für die Reparatur der Schäden nach dem Konsum zu haben. Katalysatoren, um trotzdem mit dem Auto herumfahren zu dürfen, Umstellung auf «saubere» Energie, um unseren Energiekonsum weiter erhöhen zu können, oder die Hoffnung auf Techniken, die das CO2 senken. Doch langfristig kann auch das nicht funktionieren, denn es warten in der Welt noch Milliarden von Menschen, die unseren Lebensstil kopieren wollen. Ein Luxusleben, wie wir es in der Schweiz kennen, ist auch mit Schadensbegrenzung nicht möglich: Katalysatoren und Sonnenkollektoren müssen entsorgt werden und auch weniger Plastik landet schliesslich im Meer. Und jedes neue Mikro- und Nanoprodukt wird letztendlich im organischen Kreislauf angereichert, bis es zu grossen und nicht mehr reparablen Schäden kommt. Wer Einschränkung fordert oder dies gar durchsetzen will, indem er sich an die Fahrbahn klebt, wird zum Feindbild. Dann kommt es zum kollektiven Greenbashing – auch im aktuellen Wahlkampf. Die FDP in der Romandie hat’s mit ihrem Plakat vorgemacht: Sie will «décoller», also die Bahn für mehr Wachstum freimachen, und hat bewusst die «Klimakleber» als feindliches Sujet ausgesucht. Der Konsum darf ja nicht eingeschränkt werden!

Ein Kulturwandel ist unumgänglich – wann ist «genug»?

Doch, den Kopf in den Sand zu stecken, geht nicht: auch mit Reparaturtechniken werden wir auf Kosten unserer Kinder leben. Die einzige Möglichkeit, die bleibt, ist, uns auf ein «Genug» zu besinnen. Die gesellschaftliche Diskussion dazu, wann wir genug zum Leben und zum Glücklichsein haben, muss geführt werden. Auch über gesetzliche Grenzen müssen wir diskutieren dürfen. Man müsste meinen, unter uns Christinnen und Christen sollte das einfacher sein, denn wir beziehen unser Glück ja nicht nur aus dem Materiellen. Aber selbst unter uns wird Wachstum beschworen. Auch bei uns ist also der Aufruf angebracht: Fangen wir bei uns an!

Und ja: es gibt Menschen, die Mühe haben, über die Runden zu kommen. Für diese braucht es ein «Mehr». Doch dies muss nicht mit noch mehr Wachstum geschaffen werden. Wer kann sagen, dass die Schweiz nicht genügend Ressourcen hat, um auch für die Armen zu sorgen? Oder haben wir noch immer Angst, zu wenig zu haben oder zu eingeschränkt zu sein, wenn wir etwas abgeben? Wer kann uns gegen diese Angst helfen?

In 1. Joh. 4,18 heisst es: «Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus». Und auch die Schuldgefühle werden ausgetrieben. Denn wir müssen uns nicht schuldig fühlen, sondern einfach verantwortungsvoll handeln!

Foto de Rux Centea sur Unsplash

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Bei uns am Kühlschrank hängt dieser Zettel, der uns daran erinnert, was nachhaltig Einkaufen konkret bedeutet. Er ist während einer Buchlektüre entstanden, die ich euch hier empfehlen will: «101 Antworten für deinen nachhaltigen Alltag» von Sabina Galbiati. Wer mehr als die angegebenen Mengen pro Person konsumiert, überschreitet sein Kontingent an den zur Verfügung stehenden Ressourcen unseres Planeten. Ich musste feststellen, dass wir als Familie diese Grenzen höchstens knapp einhalten. Natürlich kann man zum Beispiel weniger Fleisch und dafür mehr Käse konsumieren. Aber die Mengen sind bescheiden.

Wieso genau dieses Buch?

Nachhaltig einkaufenIn diesem Buch geht es nicht bloss um den Einkauf, sondern auch ums Wohnen, die Mobilität, Freizeit und Ferien, und selbst um psychologische Kniffs, wie man sein Verhalten nachhaltig verändern kann. Aus zwei Gründen ist es für mich eines der besten Bücher zu diesem Thema. Erstens, basieren die Empfehlungen auf aktuellen Zahlen und Fakten der Schweiz. Globale Durchschnittswerte und selbst Zahlen aus Deutschland finde ich oft schwierig als Referenz für meine persönlichen Entscheidungen. Und zweitens, werden fünf grosse Hebel benannt, die dem Klima und der Umwelt am meisten helfen. Gewöhnlich sind es nur deren drei: Mobilität, Wohnen, Ernährung. Sabina Galbiati fügt diesen politisches Engagement und gezieltes, finanzielles Engagement hinzu. Diese letzten beiden Möglichkeiten hätten im Buch auch noch etwas ausführlicher thematisiert werden dürfen.

Was lohnt sich wirklich?

Eine Bekannte von mir hat der Umwelt zuliebe von Klarsichtfolie auf Wachstücher umgestellt. Ihren Einkauf erledigt sie nach wie vor mit ihrem Dodge Durango, der 12 Liter Benzin auf 100 Kilometer verbraucht. Glücklich ist, wer sein schlechtes Gewissen so einfach übertölpeln kann.

Im Alltag gibt es aber durchaus viele Fragestellungen, die nicht so einfach geklärt sind. Hier ein paar Aha-Erlebnisse, die ich beim Lesen von Galbiatis Buch hatte:

  • Ohne Auto einzukaufen bringt mehr als alle Massnahmen auf unserem Zettel zusammen. Eine vegetarische/vegane Ernährung würde aber am meisten bewirken.
  • Beim Waschen werden synthetische Mikrofasern ins Abwasser gespült. Ein Drittel davon landet trotz Kläranlage als Mikroplastik in den Gewässern.
  • Bier aus der Dose ist unter allen erhältlichen Verpackungen am wenigsten schädlich für die Umwelt.
  • Beim Kaffee fällt der Mammutanteil der Umweltbelastung auf den Anbau zurück – die Menge reduzieren bringt also mehr als die Zubereitungsart anzupassen.
  • 80% des Energieverbrauchs von Privathaushalten entfällt auf Heizen (65%) und Warmwasser (15%). Mit Lichtlöschen bewirken wir wenig.
  • Bei nahezu allen Haushaltsgeräten (ausser Tumbler und Backofen) lohnt sich eine Reparatur ab 10 Jahren aus ökologischer Sicht nicht mehr (neue Geräte sind energieeffizienter).

Tolle Link-Sammlung

Wusstest du, dass es diverse Angebote zu Carsharing und Fahrgemeinschaften gibt? Oder dass man alltägliche Gebrauchsgegenstände ausleihen oder mieten kann? Und dass es unzählige Angebote für nachhaltige Mode gibt, darunter über ein Duzend Labels aus der Schweiz und dem nahen Ausland? Auf ihrer Website bietet Sabina Galbiati eine strukturierte Liste mit hunderten von Links zu Angeboten, Projekten, Shops und Inspiration zum Thema – und auch hier passend zum Schweizer Kontext. Damit findet man für fast jeden Bedarf diverse nachhaltige Angebote. Denn eines musste ich mir eingestehen: Man kommt nicht umhin, sich ausgiebig und fortwährend mit den Auswirkungen des eigenen Konsums zu befassen, wenn man einen nachhaltigen Lebensstil anstrebt. Sonst kümmert man sich plötzlich um die Klarsichtfolie und verliert sein SUV aus den Augen.


Das Buch kann auf der Autorinnen-Website bestellt werden:
https://www.sabinagalbiati.ch/buchprojekt

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Der mennonitische Theologe Lukas Amstutz skizzierte am 28. Januar dieses Jahres am «ChristNet-Forum» die göttliche Perspektive zum Umgang mit Geld. «Geldgier ist eine Wurzel allen Übels», zitierte er aus der Bibel. Mit dem Kollaps der Credit Suisse am 19. März hat sich diese Aussage als prophetisch erwiesen.

Was die wenigsten wissen: Geld ist ein wichtiges Thema in der Bibel. Aus biblischer Sicht können wir nicht gleichzeitig dem Geld und Gott dienen: Gott oder Mammon, so heisst die Gretchenfrage.

Geld zwischen Segen, Gefahren und Ungerechtigkeit

Lukas Amstutz wies an der Tagung auf den heutigen Papst Franziskus hin, der schon 2013 in seinem ersten apostolischen Schreiben schrieb: «Geld muss dienen und nicht regieren.» Und dann am WEF in Davos ein Jahr später die Teilnehmenden aufrief, «sicherzustellen, dass Wohlstand der Menschheit dient, anstatt sie zu beherrschen».

Laut Amstutz1 gibt es im Alten Testament drei Positionen zum Geld: Reichtum als Segen – etwa bei Abraham –, die weisheitliche Warnung vor den Gefahren und die prophetische Kritik an unrechtmässig erworbenem Reichtum, der zu sozialen Ungerechtigkeiten führt.

Die göttliche Reaktion darauf ist der Ausgleich dieser Ungerechtigkeiten. Im Neuen Testament gibt es dann eine breite Kritik an den Reichen. Geld versperrt den Weg zu Gott, solange man es für sich behält. Amstutz sieht im Spendenverhalten am Opferstock, wie es in Markus 12 geschildert wird, mehr als den Gegensatz zwischen Reichen, die etwas aus ihrem Überfluss geben und einer Witwe, die trotz ihres Mangels alles gibt. Laut der Vorgeschichte geht es um viel mehr: nämlich um die Ausbeutung dieser Witwe durch die Reichen, welche die Häuser der Witwen leer fressen. Eigentlich müsste die Witwe das Geld erhalten, betonte Amstutz.

Schon der Sündenfall sei eine Konsumsünde gewesen: Eine Frage habe gereicht, um aus Neugierde Gier zu machen. Die Reichen sollten dafür sorgen, dass die Armen selber reich werden können. Soweit die prophetische Rede an der ChristNet-Tagung.

Die Suche nach ethischen Banken

Geld soll also dienen. Das wäre der sinnvolle Einsatz von Kapital. Kennen Sie eine Bank, die nach diesem Prinzip geschäftet?

Die ursprüngliche Raiffeisenbank wäre ein gutes Beispiel in dieser Richtung. «Vor dem Hintergrund der sozialen Not und des Wucherunwesens seiner Westerwälder Heimat, kam Friedrich Wilhelm Raiffeisen durch die Bibel zur Erkenntnis, dass eine Verbesserung der Verhältnisse auf dem Lande von den Betreffenden selbst bewirkt werden müsste. Einer sollte für die anderen eintreten; alle sollten für den einstehen, der in Not geraten war. Keiner konnte es schaffen, den Teufelskreis von Verschuldung, Armut und sozialem Elend zu durchbrechen, aber gemeinsam würden sie der Not Widerstand leisten können – die Genossenschaftsidee war geboren2 .» Hier wurde in einem landwirtschaftlichen Umfeld Geld zusammengelegt, um allen Beteiligten zu helfen. Mit seiner Initiative wurde Raiffeisen zu einem bedeutenden Sozialreformer des 19. Jahrhunderts.

Etwas davon ist auch noch in der heutigen Genossenschaftsbank Raiffeisen zu spüren. Allerdings stehen die Banken in einem scharfen Konkurrenzkampf untereinander. In der Theorie führt die Konkurrenz zu besseren Unternehmen. In der Praxis gab es da zum Beispiel Pierin Vincenz, der bei Raiffeisen laut Medienberichten schalten und walten konnte, wie er wollte. Der Raiffeisenchef wurde vom Bezirksgericht Zürich Ende 2021 zu einer Haft von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Es ging um den Vorwurf des Betrugs im Zusammenhang von mehreren Firmenübernahmen. Vertrauen ist gut, Kontrolle wäre besser gewesen, könnte man hier sagen.

An dieser Stelle wären auch noch andere Banken mit einem ethischen Anspruch zu nennen, deren Gebaren man näher untersuchen könnte. Etwa die Alternative Bank Schweiz3 . Neben vielen guten Investitionen unterstützt sie aber auch zweifelhafte Projekte, wie Abtreibungen im Weltsüden, weil sie darin eine Frauenförderung erkennen will.

Der Fall der Credit Suisse

Wenn wir ein paar Etagen höher  – in die grossen internationalen Bankgeschäfte wechseln, gehen uns die ethischen Probleme leider nicht aus. Die Kreditanstalt (später: Credit Suisse) wurde am 5. Juli 1856 vom Geschäftsmann Alfred Escher gegründet. Er brauchte Geld, um seine geplanten Eisenbahnprojekte in der Schweiz (u.a. auch durch den Gotthard) zu finanzieren. Ein hoch riskantes Unternehmen. Immerhin gab es dazu einen echten Gegenwert: Eisenbahnlinien als wichtiger Schritt zur wirtschaftlichen Entwicklung der Schweiz. Dass die meisten dieser Linien später durch die Kantone oder den Bund übernommen werden mussten, sei hier nur am Rande vermerkt.

So lange Geld dazu dient, Arbeit, Immobilien und überprüfbare wirtschaftliche Entwicklung zu finanzieren, ist ein realer Gegenwert ersichtlich. Banken können aber auch anders eingesetzt werden. Man kann sie zum Hort von zwielichtigen Geldern machen und damit viel Geld verdienen – statt mit Geld zu dienen. Obwohl die CS bereits unter Aufsicht der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) stand, tätigte sie in den letzten 20 Jahren immer wieder zweifelhafte Geschäfte4 . 2004 tauchten bei der Bank 60 Millionen Franken der japanischen Mafia auf. Die Bank leistete sich Sanktionsbrüche am Laufmeter. Sie wickelte über Schweizer Filialen im Ausland bis 2006 Zahlungen in MIllardenhöhe für Länder und Personen ab, die auf der Sanktionsliste der USA standen, so Zahlungen aus dem Iran. Quasi eine Form von gelebter Neutralität. Dabei ersetzten die CS-Mitarbeitenden bei Transaktionen aus dem Iran den Namen der auftraggebenden Bank einfach mit einer neutralen Bezeichnung. Später einigte sich die CS mit den USA wegen dieser Geschäfte auf Strafzahlungen von 536 Millionen Dollar. Man hätte eigentlich gewarnt sein müssen.

Umso mehr, weil neben den dubiosen Geschäften auch spekulative Investionen getätigt wurden. Hier wurde quasi Geld in Geld investiert, um noch mehr Geld zu machen. Ein idealer Spielplatz dafür waren und sind die internationalen Börsen. Die Millardenverluste der CS durch ihr Engagement beim pleite gegangenen Hedgefonds Archegos oder beim heute geschlossenen Greensill-Lieferkettenfonds sind die bekanntesten Rauchzeichen dafür. Die Finma meinte dazu nur, es sei zu «schweren Verletzungen von Schweizer Aufsichtsrecht» gekommen. Einschreiten konnte oder wollte sie nicht. Sie hat schliesslich kein Recht, Bussen auszusprechen. Trotz anderweitiger Versprechen und angekündigten Reformen konnten die CS-Manager deshalb weitermachen im Geschäft – bis zum abrupten Ende am 19. März.

Der Duft des Casino-Kapitalismus

Dabei gab es in der Politik immer wieder auch warnende Stimmen. Sie wurden aber von der bürgerlichen Mehrheit systematisch überhört. Die SP-Ständerätin Anita Fetz forderte schon 2011, als das Parlament die «Too big to fail»-Regeln diskutierte, eine Verschärfung der Regeln, die sich, wie wir heute wissen, im konkreten Fall als kaum umsetzbar erwiesen haben. Fetz forderte damals im Ständerat, bei Universalbanken den Eigenhandel zu verbieten. «Sie alle wissen, dass der Eigenhandel null Produktivität hat. Es wird schlicht und einfach mit Kundengeldern spekuliert. Mal hat man Glück im Casino, mal hat man Pech. Hat man Glück, bekommt man extrem viel Bonus; hat man Pech muss man nicht hinstehen, sondern dann werden die unteren Angestellten entlassen. Ich meine, das ist ein System, das wir im Schweizer Finanzsektor nicht brauchen5

Kritiker, die ein Trennbankensystem in Investment- und Geschäftsbanken vorschlugen, wurden von der damaligen Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf auf den wirtschaftsfreundlichen Schweizer Weg verwiesen, «weil wir eine Bundesverfassung haben, welche die Wirtschaftsfreiheit sehr hochhält». Dieser Gedankengang wurde auch vom damaligen UBS-Chef Oswald Grübel unterstützt: «Sollten die Grossbanken von der Politik gezwungen werden, sich zu verkleinern, hätte das den Verlust Tausender Arbeitsplätze zur Folge.» Und der damalige CS-Konzernchef Brady Dougan doppelte nach: «Wir jedenfalls machen uns Sorgen, dass die unzähligen Regulierungsvorhaben der Finanzbranche Handschellen anlegen und damit die gesamtwirtschaftliche Entwicklung beeinträchtigen.»

Das mit den Handschellen sollten wir uns vielleicht merken, allerdings angewandt auf einzelne Personen aus dieser Branche. Leider haben die ehemaligen CS-Manager aber trotz ihrem schlechten Wirtschaften und manchen Verstössen gegen die Regeln wenig zu befürchten. Anders als bei Pierin Vincenz kann den ehemaligen CS-Managern kein Betrug vorgeworfen werden. «Wenn allein schlechtes Wirtschaften strafbar wäre, wären viele Manager im Gefängnis», sagt Wirtschaftsrechtsprofessor Peter V. Kunz. Möglich seien allenfalls zivilrechtliche Klagen mit Schadenersatzforderungen, etwa durch Aktionäre oder auch die CS selbst. Eine strafrechtliche Haftbarkeit von Managern sei aber nicht sinnvoll. «Denn es ist absolut illusorisch zu glauben, dass sich mit einem solchen Gesetz dann noch Manager für eine Grossbank finden liessen.»

Was ist nach dem CS-Skandal zu tun?

Ich bin mit dem Hamburger Ethiker Udo Krolzik einig, dass die christliche Ethik «keine Sektenethik» ist – sie ist für alle Menschen heilsam. Deshalb greife ich an dieser Stelle die biblischen Massstäbe wieder auf und messe damit unsere Geldwirtschaft. Geld sollte nicht nur zum Verdienen gebraucht werden, sondern vor allem auch dafür, andern gemäss den biblischen Leitlinien zu dienen. Eine ethisch orientierte Geldwirtschaft wird lebensfördernde Prozesse in der realen Wirtschaft fördern und damit die soziale Gerechtigkeit und die Umweltgerechtigkeit unterstützen. Sie wird so zum Wohle der Gesellschaft handeln und die Armen reich machen. In den Geschäftsberichten müsste neben den nackten Zahlen auch dieses Wirken transparent ausgewiesen werden, damit wir entscheiden können, ob die Bank unseren Vorstellungen entspricht.

Vielleicht brauchen unsere Banken ja tatsächlich eine Trennung zwischen Investment- und Geschäftsbank, allenfalls auch die Trennung zwischen dem Inland- und dem Auslandgeschäft. Auch wenn der Casino-Kapitalismus unsere Wirtschaft kaputt macht, verbieten kann man ihn wohl nicht. Wer zocken will, soll dies weiterhin tun können. Aber er soll die damit verbundenen Risiken selber tragen müssen: als Investor und Aktionär, aber auch als Manager. Vorbild könnten die Privatbankiers sein. Sie haften schon heute mit ihrem eigenen Vermögen für das, was sie tun.

Die nun vollzogene Übernahme der CS durch die UBS ist eine Notlösung, die aus dem Moment und dementsprechend mit Notrecht geboren worden ist. Ob es dabei bleibt, wird sich zeigen. Der Präsident der UBS gilt als fromm. Dies könnte ein Hoffnungszeichen sein. «Der UBS-Präsident ist ein Pilger», schreibt Markus Baumgartner im Dienstagsmail vom 21. März6 . Der Ire Colm Kelleher war zwischendurch 500 Meilen als Pilger auf dem Jakobsweg unterwegs, bevor er letztes Jahr Präsident der UBS wurde. Ob er – zusammen mit dem neuen CEO der UBS – ein im oben genannten Sinne ethisches Banking zustandebringen kann, bleibt abzuwarten. Voraussetzung dafür wäre, dass er sich als integrierter Christ versteht, der den Glauben nicht auf den privaten und zwischenmenschlichen Bereich beschränkt, sondern dabei auch die Gesellschaft und die Kirche als Anwendungsbereiche einbezieht7 .

Dasselbe gilt natürlich auch für alle andern Christinnen und Christen. Die Gier ist ein Kind der Habsucht. Es ist wichtig, dass wir uns von dieser Sucht befreien lassen. Als private Bankkunden und Anleger haben wir die Wahl, unser Geld sinnvoll arbeiten zu lassen, indem wir es nicht in Geld, sondern in Arbeit und lebensfördernde Projekte investieren. Sei es über eine ethisch orientierte Bank – oder gleich direkt durch Investitionen in Unternehmen oder kirchliche Projekte, die ethisch überzeugend und transparent aufgestellt sind.

 


Dieser Artikel erschien erstmals am 01. April 2023 auf Forum Integriertes Christsein.

1. Der ganze Vortrag findet sich hier: https://christnet.ch/de/geld-in-der-bibel/

2. Fritz H. Lamparter & Walter Arnold: «Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Einer für alle – alle für Einen.» Neuhausen-Stuttgart, 1996, Hänssler-Verlag (Klappentext)

3. https://www.abs.ch/de

4. Beispiele gemäss «Der Bund» vom 24.3.23

5. Quelle für dieses und die folgenden Zitate: «Der Bund» vom 23.3.23

6. http://dienstagsmailch.createsend.com/t/ViewEmailArchive/j/414926227B3861DA2540EF23F30FEDED/C67FD2F38AC4859C/

7. siehe die 4 Felder des integrierten Christenseins in der entsprechenden Ausgabe der Zeitschrift «Bausteine» https://www.insist-consulting.ch/ressourcen/magazin-insist-2.html