Lesezeit / Temps de lecture ~ 3 min

Das Bundesgericht hat entschieden, dass eine Krankschreibung bei Konflikten am Arbeitsplatz nicht unbedingt vor Kündigung schützt. Wie wenn ein Konflikt auf Grund einer unmöglichen Arbeitssituation nicht zu einem Zusammenbruch führen könnte!

Im Zusammenhang mit dem Bundesgerichtsurteil fällt auf, dass Burnout in der Schweiz im Gegensatz zu einigen Staaten der EU nicht als Arbeitskrankheit anerkannt ist und der Arbeitgeber dafür nicht haftbar gemacht werden kann. Dies öffnet der Ausbeutung Tür und Tor. Im Zeitalter, in dem Elon Musk in den USA die grenzenlose Arbeit ausruft, sind Grenzen zum Schutz der Angestellten dringender als je zuvor.

In einem Aufsehen erregenden Fall hat das Bundesgericht1 im Jahr 2024 entschieden, dass die übliche Sperrfrist für eine Kündigung bei einer arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit (z.B. in Folge von Mobbing oder Konflikten) nicht gelten muss.

Konflikte ernst nehmen

Ein solcher Entscheid geht an der Realität vorbei: Konflikte bei der Arbeit haben immer auch mit Dysfunktionalitäten am Arbeitsplatz zu tun. Wenn ein Arbeitgeber sich diesen nicht annimmt, hat er seine Fürsorgepflicht nicht wahrgenommen.
Konflikte müssen frühzeitig angegangen werden, bevor sie ausarten. Regelmässige Umfragen zur Arbeitszufriedenheit und Klärung von Bedürfnissen der Mitarbeitenden, um sich in der Arbeit entfalten zu können, sind in allen Unternehmen unumgänglich. Leider werden in vielen Unternehmen – traurigerweise sind Nichtregierungsorganisationen diesbezüglich nicht besser – Unzufriedenheiten noch immer als Stänkerei angesehen, statt als Gelegenheit, durch die Verbesserung der Bedingungen oder der Entfaltungsmöglichkeiten auch die Produktivität zu erhöhen.
Die meisten Angestellten in der Schweiz wollen gute Arbeit leisten. Mangelnde Wertschätzung und Mitwirkungsmöglichkeiten untergraben aber die Motivation. Wenn dann Direktionen darauf hin noch autoritär reagieren und keine psychologische Sicherheit zum Ausdruck von Befindlichkeiten geben können, dann ist die Eskalation unausweichlich.
Menschen mit grosser Sensibilität brechen als erste zusammen. Eine darauffolgende Krankschreibung wird dann oft als «Beweis» der Stänkerei interpretiert, eine Entlassung als unausweichlich angesehen. Dabei handelt es sich hier meist um ein Burnout in Folge einer emotionalen Überlastung. Der Bundesgerichtsentscheid ist also falsch und erleichtert es Arbeitgebern, Konflikte nicht richtig anzugehen, da sie sich mit Entlassungen lösen lassen. So aber kommen wir nicht weiter.

Burnout – Die Verursacher zur Verantwortung ziehen

In diesem Zusammenhang fällt auf, dass Burnout in der Schweiz im Gegensatz zu einigen Staaten der EU nicht als Berufskrankheit anerkannt2 ist und der Arbeitgeber dafür nicht haftbar gemacht werden kann. Bei gehäuften Burnouts in einem Unternehmen werden die Prämiensteigerungen der Krankentaggeldversicherungen hälftig den Arbeitnehmern und Arbeitgebern aufgebürdet, wie wenn die Arbeitnehmenden dafür mitverantwortlich wären.

Dabei zeigt die steigende Anzahl Burnouts, dass die Arbeitswelt grundsätzlich aus den Fugen geraten ist: Zwischen 2012 und 2020 sind die Arbeitsunfähigkeiten aufgrund psychischer Ursachen um 70 Prozent gestiegen. Der Job-Stress-Index3 zeigt bis 2020 eine stetige Steigerung der Anzahl Menschen, die im kritischen Bereich arbeiten. Rund 30 Prozent der Menschen sind heute emotional eher oder sehr erschöpft. Auch die ständigen Umstrukturierungen und Veränderungen tragen dazu bei.
Die Verdichtung und Intensivierung der Arbeit in den letzten Jahrzehnten, sowie die Aufweichung der gesetzlichen Schranken für die maximale Arbeitszeit4 haben zu dieser Entwicklung beigetragen. Es ist also Zeit, dass die Verantwortung für Burnouts besser wahrgenommen wird. Denn ein Burnout heisst nicht einfach, dass man endlich auf der faulen Haut liegen darf. Für zahlreiche Betroffene bedeutet dies ein schwerer Einschnitt in der Laufbahn; etliche finden nie wieder zu einer guten Gesundheit und werden aus der Arbeitswelt ausgeschlossen. Für einige Familien bedeutet dies den Abstieg in die Armut.

Ohne Verantwortung droht die Ausbeutung

Solange sich die Verursacher aus der Verantwortung ziehen können, wird sich an diesem Trend nichts ändern. Die Kosten für Burnouts werden so auf die Sozialhilfe und die IV verschoben. Der Druck der Finanzmärkte zu noch höherer Kapitalrentabilität und der Druck der sinkenden Budgets für soziale Aufgaben werden die Probleme noch verstärken. Ohne Schranken und ohne die Klärung der Verantwortlichkeiten für Schäden stehen Tür und Tor offen für jegliche Ausbeutung.
Grenzen zu setzen und Arbeitgeber zur Verantwortung zu ziehen, ist dringender denn je. Elon Musk, der momentan wohl mächtigste Mann der Welt, ist daran, die USA umzugestalten. Er treibt, mit Unterstützung von hiesigen Parteien seiner Gunst, auch in Europa sein Unwesen. Bei der Übernahme von Twitter hat er die grenzenlose Arbeit5 ausgerufen, streikende Angestellte in seinen Werken werden kurzerhand entlassen. Mit seinen riesigen Spenden an Donald Trump, die Republikanische Partei und deren Parlamentarier hat er die Empfänger von sich abhängig gemacht und diktiert ihnen nun seine eigene Politik, wie diverse Beispiele6 zeigen.
Damit kann er auch seine Sicht der Arbeitswelt durchsetzen. Hier ist es nicht mehr unangebracht, von Ausbeutung zu sprechen. Das Wohl der Arbeitnehmenden ist nicht seine Priorität, wie seine Weigerung, die Tesla-Produktion während der Covid-Pandemie zu unterbrechen, gezeigt hat: Darauf hin sind hunderte Angestellte erkrankt und haben das Virus weiterverbreitet.
Diese Entwicklungen erhöhen den Druck auf die Unternehmen in anderen Teilen der Welt, die Wettbewerbsfähigkeit ebenfalls auf Kosten der Arbeitnehmenden aufrecht zu erhalten. Es ist also höchste Zeit, Schranken gesetzlich zu fixieren und gerichtlich durchzusetzen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf INSIST.

1. https://www.beobachter.ch/magazin/gesetze-recht/auch-bei-krankschreibung-droht-nun-kundigung-719865?srsltid=AfmBOordYr64rRRcZD4ag4Ks8xvP6HvQ-aiDgJus1fIll2yE65bFBlxa
2. Postulat
3. https://gesundheitsfoerderung.ch/sites/default/files/remote-files/Faktenblatt_072_GFCH_2022-08_-_Job-Stress-Index_2022.pdf
4. siehe auch: https://www.insist-consulting.ch/forum-integriertes-christsein/24-3-5-arbeit-muessen-wir-arbeiten-bis-zur-erschoepfung-oder-brauchen-wir-mehr-raum-zum-leben.html
5. https://www.theverge.com/23551060/elon-musk-twitter-takeover-layoffs-workplace-salute-emoji
6. https://www.youtube.com/watch?v=79KDKWEOJ1s

Foto von Mykyta Kravčenko auf Unsplash

Lesezeit / Temps de lecture ~ 2 min

Mit dem Aschermittwoch am 5. März beginnt die Fastenzeit. Sie erinnert uns daran, dass weniger oft mehr ist – nicht nur für uns persönlich, sondern auch für die Umwelt.

Wer verzichtet, gewinnt neue Perspektiven: Dankbarkeit für das, was wir haben und Achtsamkeit im Umgang damit. Doch warum nicht auf etwas verzichten, das nicht nur uns selbst, sondern auch unserer Umwelt guttut? Die Klimakrise fordert uns heraus, unser Verhalten zu überdenken – und die Fastenzeit bietet die perfekte Gelegenheit, bewusst eine klimaschädliche Angewohnheit abzulegen.

Folgend einige konkrete Fastenideen, die gleichzeitig zu einer klimafreundlicheren Lebensweise führen.

Ernährung

• Eine vegetarische oder vegane Ernährung ausprobieren
• Regionale und saisonale Lebensmittel kaufen
• Auf importierte Früchte (z. B. Avocados, Bananen) verzichten
• Keine Lebensmittel wegwerfen – bewusster einkaufen und Reste verwerten
• Fairtrade- und Bio-Produkte kaufen
• Leitungswasser statt Flaschenwasser trinken

Mobilität

• Das Auto stehen lassen und stattdessen zu Fuss gehen oder Velo fahren
• Öffentliche Verkehrsmittel statt das Auto nutzen
• Keine Flugreisen in der Fastenzeit
• Fahrgemeinschaften bilden
• Kurzstreckenflüge durch Zugreisen ersetzen

Energie & Konsum

• Den Heizenergieverbrauch reduzieren: z. B. ein bis zwei Grad weniger heizen
• Elektronische Geräte konsequent ausschalten statt auf Stand-by lassen
• Duschzeit verkürzen und Wasser sparen
• Keine neuen Kleider shoppen – stattdessen tauschen oder secondhand kaufen
• Auf Online-Bestellungen verzichten, um unnötigen Transport und Verpackung zu vermeiden

Digitale Gewohnheiten

• Weniger Streaming und Videokonsum: Netflix, YouTube – wegen des hohen Stromverbrauchs
• Social-Media-Detox: weniger Bildschirmzeit spart Strom und fördert Achtsamkeit
• Unnötige E-Mails löschen: E-Mail-Server verbrauchen viel Energie

Ressourcen & Abfall

• Auf Einwegprodukte verzichten: z. B. Coffee-to-go-Becher, Plastikflaschen
• Müll reduzieren und besser recyceln
• Wiederverwendbare Produkte nutzen: Stofftaschen statt Plastiktüten, Glasflaschen statt PET
• Kosmetik und Pflegeprodukte ohne Mikroplastik wählen
• Papier sparen: Digital lesen statt drucken

Der Artikel erschien erstmals auf www.stoparmut.ch

Lesezeit / Temps de lecture ~ 4 min

Vor 12 Jahren gab ChristNet das Buch «Die Schweiz, Gott und das Geld» heraus. Es thematisierte den problematischen Umgang der Schweiz mit Geld und stellte viele gesellschaftliche und politische Missstände in den Fokus. Wo stehen wir heute?

Die Autorinnen und Autoren des Buches beschrieben die Schweiz als ein Land, dessen Geldpolitik und Wirtschaftspraktiken weltweit einen fragwürdigen Ruf geniessen. Die Liste der problematischen Aspekte war schon damals lang: Steuerflucht, illegale Geldströme und Steuerprivilegien für Reiche. Ein prominentes Beispiel ist bis heute die Praxis, dass Banken Steuergelder ausländischer Potentaten und korrupter Regime verwalten, ohne ernsthafte Konsequenzen fürchten zu müssen. Auch die Steuervermeidung durch Unternehmen und das Steuerdumping zugunsten ausländischer Konzerne, die Menschenrechte im Ausland verletzen, bleiben ein ungelöstes Problem. Im Buch wird betont, dass auch viele Christen in der Schweiz diesem Verhalten gegenüber entweder ohnmächtig oder indifferent seien.

Der schweizerische «Krämergeist»

Eine Episode, die das zynische Wirtschaftsdenken der Schweiz widerspiegelt, ist die Aussage des Direktors der International Chamber of Commerce (ICCC), vor Jahren bei einer Tagung: «Die Schweiz hat einen Krämergeist». Er beschrieb damit treffend eine bis heute dominierende Mentalität. Ein Beispiel aus der Berner Oberländer Gemeinde Wengen verdeutlicht diese Haltung: Der Gemeindepräsident unterstützt den Bau eines Luxushotels, da er überzeugt ist, dass nur solche Projekte Menschen anziehen würden, die viel Geld mitbringen werden. Diese Sichtweise auf wirtschaftliche Entwicklung und Wohlstand zeigt, wie stark das Streben nach finanziellen Vorteilen in vielen Bereichen der Gesellschaft verankert ist.

Korruption und die Schattenseiten der Finanzwelt

Ein weiteres zentrales Thema ist bis heute die Unfähigkeit der Schweiz, gegen Geldwäsche und illegale Finanzpraktiken wirksam vorzugehen. Zwar gibt es Gesetze wie das Geldwäschereigesetz, doch gerade die Rechtsanwälte wurden bei der Umsetzung weitgehend verschont. Zudem sind die sogenannten «Clans», die illegale Gelder verschieben, ein zunehmendes Problem. Der schon fast verzweifelte Ruf des Bundesanwalts nach mehr Polizei und strengeren Kontrollen findet kaum Widerhall in der Sicherheitskommission des Bundes.

Oder ein weiteres aktuelles Beispiel: Die Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) zum Fall der ehemaligen Grossbank «Credit Suisse» hat kürzlich aufgezeigt, dass der Umgang mit den Banken und deren Fehlverhalten lange Zeit zu lasch war – obwohl frühzeitig Alarmsignale vorlagen. Dies spiegelt ein grundlegendes Problem wider: Das Streben nach Gewinn und Macht geht oft zu Lasten von ethischen Standards und öffentlichem Wohl.

Politische Missstände und die Macht des Geldes

Organisationen wie die «Erklärung von Bern» – heute: «Public Eye» – und die «Swiss Social Watch» haben wiederholt auf die problematischen Praktiken hingewiesen, bei denen Parteien grosse Spenden von wohlhabenden Einzelpersonen oder Unternehmen erhalten, ohne dass diese ausreichend transparent gemacht werden. Diese Organisationen fordern strengere Regeln und eine echte Kontrolle der Wahlkampfspenden. Zwar gibt es mittlerweile Regeln, dass grosse Spenden bei Wahlkämpfen offengelegt werden müssen; doch die Kontrollbehörde, die diese Geldflüsse überwachen soll, wird bewusst schlank gehalten. Das Geld dürfte somit weiterhin grossen und intransparenten Einfluss auf politische Entscheidungen haben.

Eine besonders auffällige Haltung der Schweizer Gesellschaft gegenüber dem Geld ist die weit verbreitete Vorstellung, dass Ausgaben als «Verlust» betrachtet werden und nicht berücksichtigt wird, dass auf der anderen Seite Einnahmen und Investitionen wirtschaftliches Wachstum und Existenzen fördern. Die Frage «Was kostet das?» wird bei vielen gesellschaftlichen Ideen zu einem zentralen Hemmschuh. Investitionen in das Gemeinwohl oder in eine nachhaltige Zukunft werden dabei häufig nicht ausreichend gewichtet. Diese Sichtweise führt zu einer weiteren Verengung des Blicks auf Wohlstand, bei dem nur das Sichtbare und unmittelbar Einträgliche als wertvoll erachtet wird.

Schulden und Spekulation: Ein gespaltenes Verhältnis zum Geld

In der Schweiz ist es nahezu eine gesellschaftliche Schande, Schulden zu machen. Das Bild von Schulden als moralischem Versagen prägt das Denken der Bevölkerung. Das geltende System zur Entschuldung ist jedoch oft so schwierig, dass viele Menschen in der Falle von Schulden gefangen bleiben, ohne eine echte Chance auf Befreiung. Ein Gesetz, das die Schuldentilgung für Private ermöglicht, gibt es in der Schweiz bislang nicht.

Im Gegensatz dazu erscheint Spekulation auf den Finanzmärkten – das Umverlagern von Geld ohne reale Wertschöpfung – unproblematisch. In der Schweiz herrscht die weit verbreitete Illusion, dass Geld ohne Schaden für andere unbegrenzt vermehrt werden könne. Börsentipps sind populär, und es wird suggeriert, jeder könne nur gewinnen.

Die Kirche und das Geld: Ein ambivalentes Verhältnis

Das Verhältnis der Kirchen zum Geld ist ebenfalls einseitig. In vielen Kirchenreformen der letzten Jahre dominierte unterschwellig der Umgang mit den sinkenden Steuereinnahmen. Die Frage, wie die Kirche ihre finanziellen Ressourcen verwalten und erhalten kann, wird intensiv diskutiert – die Gewinnung von Seelen hingegen nicht.

In einem Beitrag weist die NZZ vom 14. Januar 2025 darauf hin, dass die Missionierung und der persönliche Glaube heute oft von finanziellen Überlegungen überschattet werde. Wichtiger als die spirituelle Ausrichtung sei in vielen Fällen die Frage, wie die Kirche ihre finanzielle Stabilität sichern könne. Die Frage bleibt: Warum wird nicht mehr Energie in die geistliche Erneuerung und die Verbreitung des Glaubens gesteckt, statt in die finanzielle Existenzsicherung?

Der Einfluss von Vermögen auf die gesellschaftliche Stellung und Macht

In einer Gesellschaft, in der das Vermögen so stark mit der gesellschaftlichen Stellung und Macht verknüpft ist, stellt sich die Frage, wie viel Einfluss materieller Wohlstand auf politische und soziale Entscheidungen haben sollte. Kann und will die Politik hier einen Ausgleich schaffen?

Die Antwort darauf ist in der Schweiz oft unklar. Zwar gibt es einige Bestrebungen, Ungleichheit zu bekämpfen und den Wohlstand gerechter zu verteilen, doch der Widerstand gegen entsprechende Massnahmen bleibt stark. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Schweiz in Zukunft zu einer gerechteren und ethischeren Verteilung von Ressourcen positionieren wird.

Ein ethischer Kompass für Christen

Abschliessend stellt sich die Frage, wie sich Christen in der Schweiz zu all diesen Themen verhalten sollen. Sollten sie sich weiterhin mit den gesellschaftlichen Normen und den vorherrschenden Wirtschaftsmodellen arrangieren oder einen alternativen Weg einschlagen, der stärker auf Gerechtigkeit sowie soziale und ökologische Verantwortung setzt? Die Bibel fordert die Gläubigen zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Geld und Reichtum auf.

Der Weg der Christen sollte daher auch darin bestehen, für ein gerechteres Wirtschaftssystem einzutreten, das nicht nur den Wohlstand der Reichen sichert, sondern auch den Ärmsten zugutekommt.

Es bleibt zu hoffen, dass die Schweiz und ihre Bürger, besonders in christlichen Kreisen, sich verstärkt der ethischen Frage stellen, wie Wohlstand geschaffen und verteilt werden sollte – und dass der Umgang mit Geld nicht länger als ein Selbstzweck angesehen wird, sondern als Mittel, das Wohl aller zu fördern. Aktuell zum Beispiel mit der Initiative zur Schöpfungsverantwortung, die im Abstimmungskampf typischerweise von kurzfristigen wirtschaftlichen Argumenten bekämpft wird. Hier gilt es, ein Gegenzeichen zu setzen.


Dieser Artikel erschien zuerst auf INSIST.

Foto von Claudio Schwarz auf Unsplash

Lesezeit / Temps de lecture ~ 2 min

Unsere Migrationspolitik ist unverhältnismässig restriktiv. Es wäre Zeit für eine Allianz des Anstands.

Der Wahlsieg Donald Trumps folgt einem Muster, das in immer mehr westlichen Demokratien Erfolge feiert: der gezielten Bewirtschaftung von Ängsten. Zum einen ist da die Angst vor dem Wohlstandsverlust, die viele Menschen umtreibt, und zum anderen das Übermass an gesellschaftlichen und weltweiten Krisen, die überfordern. Diese Ängste werden heute nicht verantwortungsbewusst begleitet, sondern verstärkt und instrumentalisiert.

In biblischen Zeiten gab es mit dem Sündenbock ein Ritual, um Ängste zu beruhigen. Ein Ziegenbock wurde in die Wüste geschickt, um symbolisch alles Böse, die Schuld und die Angst vor dem Zorn der Gottheit wegzutragen und so das Volk zu befreien. Stellvertretend übernehmen heute Flüchtlinge diese Rolle. Sie eignen sich ideal als Projektionsfläche für eigene Ängste und Wut. Der inzwischen verstorbene Soziologe Zygmunt Bauman äusserte sich dazu wie folgt: «Asylbewerber nehmen heute die Rolle ein, die ehemals den Hexen, Kobolden und Gespenstern der Sagen zukam.»

Trump schürt Ängste gegenüber Migranten, bezeichnet sie als Ungeziefer oder Müll und macht sie für fast jedes Unheil verantwortlich. Auch die SVP als wählerstärkste Partei der Schweiz und mit ihr neuerdings die FDP folgen dieser miserablen Strategie: Mit Flüchtlingen als Sündenböcken gewinnen Parteien Wählerstimmen und erringen damit politische Macht. Der moralische Preis dafür ist jedoch hoch, denn ein solch polemischer Diskurs vergiftet eine Gesellschaft.

Isolation, Perspektivlosigkeit und Ohnmacht schaden ihrer psychosozialen Entwicklung und ihrer psychischen Gesundheit.

Als Konsequenz dieser Sündenbock-Strategie haben wir eine mittlerweile sehr restriktive Migrationspolitik. Wer die Zahlen der Asylmigration sorgfältig analysiert – und sie nicht mit der Arbeitsmigration vermischt –, stellt fest, dass relativ wenige Flüchtlinge die Schweiz erreichen. Deshalb ist die Rede von einer angeblichen «Überflutung» reines Geschwätz, ganz nach dem Motto: «Lerne, zu klagen, ohne zu leiden.»

Eine weitere Konsequenz davon ist, dass in der Schweiz abgewiesene Asylsuchende über Monate und Jahre hinweg in Rückkehrzentren untergebracht werden, in denen ganze Familien in einzelnen Zimmern leben. Häufig handelt es sich um Personen, die aus autokratisch regierten Ländern kommen und nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen in ihr Herkunftsland zurückkehren können. Eine Studie des Marie-Meierhofer-Instituts für das Kind hat gezeigt, dass die in Rückkehrzentren befindlichen Kinder und Jugendlichen – rund 700 an der Zahl – in einem schlechten psychischen Zustand sind. Sie sind traumatischen Erlebnissen ausgesetzt. Isolation, Perspektivlosigkeit und Ohnmacht schaden ihrer psychosozialen Entwicklung und ihrer psychischen Gesundheit. Rückkehrzentren dürfen keine Menschendeponien werden.

Es braucht in der politischen Schweiz eine Allianz des Anstands, die sich von machiavellistischem Streben verabschiedet und anerkennt, dass Geflüchtete zunächst einmal Menschen sind, die unsere Zuwendung verdienen. Es ist eine Binsenwahrheit, dass es in jeder Bevölkerungsgruppe anständige und unanständige Menschen gibt, und die Proportionen sind überall ähnlich. Gleichzeitig muss anerkannt werden, dass nicht alle Migranten hier in der Schweiz bleiben können. Es sei denn, es handelt sich um Oligarchen oder Milliardäre. Ihnen stehen bei uns alle Türen offen.

Dieser Artikel erschien im Dezember 2024 als Gastkommentar im «Tagesanzeiger», im «Bund» und im «Berner Landboten».

Foto von ‪Salah Darwish auf Unsplash

Lesezeit / Temps de lecture ~ 2 min

Letzten Samstag nahmen 200 Personen an der Jacques-Ellul-Tagung «Welche Hoffnung für unsere Krisenzeiten?» teil. Sie wurde aus Anlass von Elluls (1912–1994) 30. Todestag von ChristNet und weiteren Organisationen in St-Légier (VD) organisiert. Referate, Workshops mit Plenumsrückmeldung und ein Podiumsgespräch haben dem technikkritischen, pessimistischen, aber fundamental hoffnungsvollen Denken des französischen Autors Tiefe und Schärfe verliehen.

Auf dem Campus der Theologische Hochschule HET-Pro erfuhren die Tagungsteilnehmenden, dass Elluls Schriften auch 30 Jahre nach seinem Tod erstaunlich aktuell sind und Antwortansätze bieten, die aber nicht einfach sind. Die grosse Zahl der Anwesenden zeigte, dass das Bedürfnis gross ist, solche Fragen gemeinsam zu vertiefen. Mit der Publikation der Wortbeiträge im Juni 2025 («Das Desaster ist da») und einer Ideenbörse geht es nach der Tagung weiter.

Neun Referenten aus Fachbereichen wie Theologie, Philosophie, Sozial-, Ingenieurs- und Wirtschaftswissenschaften stellten das fruchtbare Werk von Ellul in Referaten, Workshops und in einem Podiumsgespräch vor.

Zu Beginn sprach Jacob M. Rollison, Theologe und Worker in der Gemeinschaft L’Abri (Huémoz VD), über die Technik, die den Menschen mächtig mache, aber in Hoffnungslosigkeit stürze. Laut Ellul sei die Technik selbstwachsend – eine Erfindung führt zur nächsten und bietet zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten –, wobei die Richtung der Entwicklung dem Menschen entgleite. Wie ein steuerloses Rennauto rase sie richtungs- und ziellos voran und verursache Katastrophen, die sich immer weniger vermeiden liessen. Rollison fragte sich: «Warum nehmen wir nicht den Fuss vom Gaspedal?»

Ohnmacht oder Machtverzicht?

Auf diese hoffnungslose Diagnose reagierte Frédéric Rognon, Philosophieprofessor an der Universität Strassburg und einer der grössten Ellul-Kenner unserer Zeit: «Ohne Hoffnungslosigkeit keine Hoffnung.» Ellul fordere uns auf, die Hoffnung auf eine technische Lösung der Krise aufzugeben. Zwar verfüge der Mensch dank der Technik über eine nie dagewesene Macht, die aber zutiefst ambivalent (mit untrennbar verknüpften positiven und negativen Effekten) und selbstwachsend sei. Dagegen habe Ellul die «Nicht-Macht» gestellt, also den Verzicht auf (technische) Machtmittel, der darin besteht, nicht alles zu tun, was machbar ist. Als Vorbild dafür bezeichnete er Jesus, der als allmächtiger Gott seine Macht abgelegt habe und Mensch geworden sei.
Den Vormittag schloss David Bouillon ab, Professor an der HET-Pro. Anhand des ellul’schen Kommentars zum Jona-Buch warf er ein biblisches Licht auf den Katastrophismus. Die Geschichte dieses Propheten zeige, dass es Gottes Liebe sei, die uns für unseren Auftrag verantwortlich mache. Angesichts der technischen Allmacht (Ninive) bekräftige Gott sein Erbarmen mit allen Lebewesen. Dies sei unser Ausweg aus der «Hölle» und unseren Krisen, dies sei unsere Hoffnung.

Workshops und Partizipation

An der Jacques Ellul Tagung arbeiteten die Teilnehmenden aktiv mit. Ein Höhepunkt am Nachmittag waren die acht Workshops, die über eine Stunde dauerten und Raum schufen für einen kollektiven Prozess, um konkrete Lösungsansätze für die Tagungsthemen zu suchen. Das Ergebnis wurde am Podiumsgespräch vorgestellt und diskutiert. Die Organisatoren sind zuversichtlich, dass die Tagung den Anwesenden geholfen hat, in unserer krisengeschüttelten Gesellschaft ihren Platz besser zu finden.

Das Buch zur Tagung

Im Juni 2025 wird ein Buch mit den Referaten, Workshop-Präsentationen und den kollektiven Lösungsansätzen publiziert:
« Face aux désastres – Avec Jacques Ellul, penser la crise et choisir l’espérance.» («Das Desaster ist da – Mit Jacques Ellul Krise denken und Hoffnung wählen.»)
Verlag Editions Mennonites (Dossier «Christ seul»), 96 Seiten. Ab sofort sind Vorbestellungen möglich.

Lesezeit / Temps de lecture ~ 3 min

Am 24. November 2024 stimmt die Schweiz unter dem Titel «einheitliche Finanzierung des Gesundheitswesens» (EFAS) über eine Änderung des Kranken­versicherungs­gesetzes ab. Einmal mehr erhofft man sich eine Dämpfung der Gesundheitskosten.

«Da liess Gott, der Herr, einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, so dass er einschlief.» 1
Als Adam die Augen aufschlug, sah er vor sich EFAS. EFAS war vollkommen und in ihrer Schönheit unübertrefflich.

Wenig später schlitterte der Beginn der Menschheit in die erste grosse Krise. Krankheit und Tod wurden initiiert. Und obwohl Adam und Eva seit längerem Geschichte sind, kämpfen wir heute in der Schweiz auch nach Jahrtausenden immer noch mit den Folgen dieses «Apfels». Unendlich viele Krankheiten und die Vermeidung von Tod prägen einen grossen Teil unseres Denkens. Die Hauptsorgen der Schweizerinnen und Schweizer waren 2023 die Gesundheit und die Prämien der Krankenkassen2 . Und die jährlich steigenden Prämien sind ein Abbild der steigenden Kosten, die im Gesundheitswesen der Schweiz generiert werden.

Seit Jahrzehnten wird verzweifelt nach den Ursachen dieses Kostenanstiegs gesucht.

Expertinnen, Politiker, Journalisten, ja, wir alle, kennen die Bösewichte: Einmal sind es die überteuerten Spitäler, dann die viel zu gut bezahlten Ärztinnen und Ärzte, dann die extrem teuren Medikamente und Implantate, ja, auch die Spitex und die Physio kosten einfach zu viel, nicht zu vergessen die horrenden Verwaltungskosten der Krankenversicherer. Ob diese Aussagen nun jeweils so im Detail stimmen oder nicht, Tatsache ist, dass bei jeder Diskussion, ob im privaten Rahmen, am Stammtisch oder in der «Arena», die Emotionen hoch schwappen.

Es ist nun nicht von der Hand zu weisen, dass die Kosten ansteigen. Es ist keine Kostenexplosion, sondern mehr oder weniger ein jährlich linearer Anstieg um rund 4%, wie die folgende Grafik zeigt:3

Und es sind nicht nur die Kosten, die steigen. Auch die Anzahl «konsumierter» Leistungen bewegt sich kontinuierlich nach oben, wie an den Balken in der Graphik ersichtlich ist.

Der Sorgenbarometer zeigt, dass unsere grösste Sorge die Gesundheit ist.

Einer Sorge und einem so grossen Problem begegnet man in der Regel, indem wir als Hauptverursacher etwas dagegen tun. Eine Schuldzuweisung an andere ist nun mal selten eine wirklich gute Lösung. Wie wäre es, wenn wir das Problem uns zu eigen machen und in dieser Angelegenheit anpacken und beispielsweise die Sache mit der Selbstverantwortung ernst nehmen? Sind wirklich nur die andern, wie oben ausgeführt, Schuld an dieser Misere im Gesundheitswesen? Schon Adam und Eva versuchten ihrem Schöpfer klarzumachen, dass nicht sie selber die Verantwortung tragen wollen. Bei Eva war die Schuldige die Schlange, bei Adam war es Eva.
So sollten wir selber die Sache in die Hand nehmen und mit einer positiven und konstruktiven Haltung und mutigen Vorgehensweise dem Lösungsansatz EFAS eine Chance geben.

Nach vielen Jahren des Ringens zwischen Kantonen, Krankenversicherern und den sogenannten Leistungserbringern ist nun endlich EFAS mit einem einheitlichen und klaren Verteilschlüssel für die ambulanten, stationären und pflegerischen Leistungen zu Stande gekommen. Die Gegner der Vorlage monieren, dass insbesondere mit dem Einbezug der Pflegeleistungen die Prämien für die Krankenkassen steigen werden. Das stimmt, die Prämien werden steigen. Wie wir wissen, steigen sie aber seit vielen Jahren und werden auch künftig steigen, mit oder ohne EFAS. Dies darf aber kein Grund sein, einem unsinnigen und schon zu lange dauernden Finanzierungs-Hickhack endlich mit EFAS eine gute valable Lösung gegenüberzustellen. Lösungsorientiert unterwegs sein heisst, für das nächste anstehende Problem eine neue Lösung zu suchen. Und nicht, aus Angst vor vielleicht möglichen Schäden stehen zu bleiben.

Auch die Bedenken, dass die Krankenkassen mit dem grösser werdenden Finanzierungsanteil mehr Macht erhalten werden, kann ich nachvollziehen. Aber auch hier gilt es, diese Herausforderung anzunehmen und zu überlegen, wie wir genau diesem Problem etwas Konstruktives entgegenstellen können.

Als Arzt bin ich persönlich zuversichtlich, dass wir unsere Selbstverantwortung mehr und mehr wahrnehmen und künftig aktiver für unsere persönliche Gesundheit und unser Gemeinwohl einstehen werden. Auch wenn EFAS nicht in jeder Hinsicht vollkommen und unübertrefflich ist, so lohnt es sich, verantwortungsvolle Schritte zu tun, indem wir als erstes ein klares JA für EFAS haben und als zweites jetzt die Turnschuhe anziehen und eine Runde laufen gehen ☺!

1. Genesis 2,21; Einheitsübersetzung 1980
2. CS-Sorgenbarometer 2023; https://www.credit-suisse.com/about-us/de/research-berichte/studien-publikationen/sorgenbarometer/download-center.html (Zugriff 20241101)
3. BAG Bundesamt für Gesundheit, Dashboard Krankenversicherung; https://dashboardkrankenversicherung.admin.ch/kostenmonitoring.html (Zugriff 20241101)


Foto von Jair Lázaro auf Unsplash

Lesezeit / Temps de lecture ~ 2 min

Mit den beiden Mietrechtsvorlagen, über die wir am 24. November 2024 abstimmen, besteht die Gefahr, dass die Wohnungsmieten weiter in Höhe getrieben werden.

In den letzten Jahren hat insbesondere in den Städten, wo der der Wohnraum knapp ist, eine eigentliche Mietzinsexplosion stattgefunden. Einer der Hauptgründe dafür ist die illegale Erhöhung der Miete nach einem Wechsel der Mieter bzw. Mieterinnen. Wenn keine Wertsteigerung der Wohnung (grössere Renovation) stattfindet, haben die Folgemieter eigentlich das Anrecht auf denselben Mietzins wie die Vorgänger. Doch viele Betroffene wissen dies nicht oder wagen es nicht, den bisherigen Mietzins einzufordern. Denn dies bedeutet ein langwieriges Verfahren – und dies in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Vermieter. Wer will es sich mit der Vermieterin schon verderben? Die Vermieter wissen um diese Abhängigkeit und wagen es manchmal gar ohne Mieterwechsel einfach allen Mieterinnen und Mietern den Zins zu erhöhen. In einem Teil der Fälle haben sie damit Erfolg. In Gebieten mit Wohnungsknappheit wird auch das Modell der «Wohnungsjäger» angewendet: Einzelunternehmer bieten an, Leuten, die wenig Zeit haben, dank Connections zu Vermietern rasch eine Wohnung zu besorgen, unter der Bedingung, dass der Anfangsmietzins nicht angefochten wird. Eine weitere Methode: nach dem Auszug eines Mieters wird die Wohnung nur noch mit Ketten-Einjahresverträgen vermietet. Familien, die eine solche Wohnung gemietet haben, können es sich nicht erlauben, den Mietzins anzufechten, da in diesem Fall das Risiko besteht, dass der Mietvertrag nicht mehr weitergeführt wird.

Die beiden Vorlagen, die am 24. November 2024 zur Debatte stehen, schwächen die Rechte der Mieterinnen und Mieter, was die Situation auf dem Wohnungsmarkt weiter verschärft.

Fristlose Kündigung für Wohngemeinschaften?

Die erste Vorlage verlangt strengere Regeln bei Untermiete «wegen Onlineplattformen wie Airbnb». Es ist aber bereits heute gesetzlich verboten, eine Wohnung gewinnbringend unterzuvermieten. Eigentümer können also bereits heute verhindern, dass ihre Wohnung auf Airbnb landet. Die nun geplante Verschärfung trifft hingegen Menschen, die in einer Wohngemeinschaft (WG) leben. Jeder Mieterwechsel müsste künftig schriftlich (Briefpost) fristgerecht gemeldet werden. Geht das vergessen oder wird die Meldung per E-Mail oder Anruf erledigt, kann der Mieterschaft gekündigt werden – und zwar innert 30 Tagen. Das ist doch crazy! Bei dieser Gesetzesänderung geht es wohl eher darum, weitere Gründe für eine Kündigung zu schaffen, damit bei einer Neuvermietung die Miete ohne Wertsteigerung erhöht werden kann.

Die beiden Vorlagen, die am 24. November 2024 zur Debatte stehen, schwächen die Rechte der Mieterinnen und Mieter, was die Situation auf dem Wohnungsmarkt weiter verschärft.

Nein zur erleichterten Kündigung bei «Eigenbedarf»

Die zweite Vorlage sieht vor, dass als Kündigungsgrund der Eigenbedarf nicht mehr «dringend» sein muss, sondern lediglich «bedeutend und aktuell». Auch diese Änderung des Mietrechts zielt darauf ab, Mieterinnen und Mieter schneller loszuwerden, um bei einer neuen Mieterschaft mehr Miete verlangen zu können. Bereits heute wird die Kündigung wegen Eigenbedarfs missbraucht: Wohnungen werden nach einer Kündigung Strohleuten vermietet, die mit dem Vermieter in einer verwandtschaftlichen Beziehung stehen sollen, um die Wohnungen kurze Zeit später zu einem höheren Zins weiterzuvermieten. Solche Maschen können mit der Annahme der Abstimmungsvorlage weiter ausgebaut werden.

Eine sehr gründliche Recherche zu den Mietrechtsvorlagen liefert dieser Artikel in der «Republik».

Foto von Scott Graham auf Unsplash

Lesezeit / Temps de lecture ~ 2 min

Am 17. Oktober wird weltweit der Internationale Tag zur Bekämpfung der Armut begangen. Gerade in Zeiten von bewaffneten Konflikten besteht die Gefahr, das Anliegen nachhaltiger Entwicklung und der internationalen Solidarität zugunsten des eigenen Sicherheitsbedürfnisses und der unmittelbaren Nothilfe zurückzustellen. Doch besonders Christinnen und Christen sind aufgerufen, sich in einer Zeit von Unsicherheit und wachsender sozialer Ungleichheit für Gerechtigkeit einzusetzen. Mit dem Projekt «Sonntag für unsere Nächsten» bietet StopArmut eine praktische Grundlage an, sich in Kirchgemeinden mit dem Thema auseinander zu setzen.

Auch in Krisenzeiten Nächstenliebe und nachhaltige Entwicklung wahren
Dass in ungewissen Zeiten das Sicherheitsbedürfnis stärker in den Vordergrund tritt, ist verständlich. So beschäftigt sich das Schweizer Parlament in diesem Jahr intensiv mit der Frage einer Erhöhung des Militärbudgets auf Kosten der internationalen Zusammenarbeit. Dies würde global die ärmsten Länder treffen und ist zutiefst unsolidarisch. Da Sicherheit und Entwicklung eng miteinander verknüpft sind, sollten Armee und Entwicklungszusammenarbeit nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Diese Tendenzen in der Politik widerspiegeln häufig das individuelle Denken: Auch im persönlichen Leben ist es oft nicht leicht, in Krisenzeiten den Nächsten zu priorisieren. Doch gerade Christinnen und Christen sind aufgerufen, sich auch unter erschwerten Bedingungen für die Schwächsten einzusetzen und Nächstenliebe aktiv zu leben. So dürfen wir angesichts einer Welt, in der laut der Weltbank noch immer ca. 700 Millionen Menschen in extremer Armut (mit weniger als $2.15 pro Tag) leben, nicht untätig bleiben.

Der «Sonntag für unsere Nächsten»
Angesichts globaler Krisen fühlen sich viele Menschen hilflos und frustriert. Deswegen ist die Rolle der Gemeinschaft und der Kirche umso wichtiger, denn der Einsatz für unsere Nächsten ist eine vereinte Aufgabe der Glaubensgemeinschaft. Um Kirchgemeinden zu ermutigen, das Thema Armutsbekämpfung stärker in den Fokus zu nehmen, haben StopArmut und Trägerorganisationen zum dritten Mal einen «Sonntag für unsere Nächsten» lanciert. Dafür stehen umfangreiche Materialien zur Verfügung, um in Gottesdiensten und im Alltag eine bewusste Auseinandersetzung zu fördern. Kirchgemeinden, die sich über StopArmut.ch registrieren, erhalten kostenlosen Zugang zu einem Dossier mit Predigtanregungen, Kreativmaterialien und Ideen für konkrete Aktionen.

Ein kleiner Schritt – eine grosse Wirkung
Christinnen und Christen können durch Gebet, Bewusstseinsbildung sowie die finanzielle Unterstützung von Projekten einen Unterschied machen. StopArmut lädt Kirchen im ganzen Land ein, den 17. Oktober zu nutzen, um sich neu für eine gerechtere Welt einzusetzen – im Glauben, in den Kirchgemeinden und darüber hinaus. So können sie gemeinsam zeigen, dass Glaube und Gerechtigkeit untrennbar miteinander verbunden sind.


Kontakte
Katia Aeby
Verantwortliche Kommunikation & Marketing
Tel. 076 330 76 50
katia.aeby@interaction-schweiz.ch

Anja Eschbach
Kampagnenleiterin StopArmut, Projektleiterin Sonntag für unsere Nächsten
Tel. 078 953 34 03
anja.eschbach@stoparmut.ch

Download
Medienmitteilung

Bestellung
Medienmitteilungen abonnieren


Lesezeit / Temps de lecture ~ 3 min

Wie kann ich als Christin oder Christ aktiv werden?

Der Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden ist tief in der christlichen Tradition verankert. Doch schauen wir heute um uns und auf die Welt, ist diese von sozialen Konflikten, Armut bis hin zu bewaffneten Auseinandersetzungen geprägt. Wie kann ich als Christin oder Christ dazu beitragen, dem Shalom, Gottes grossem Friedensprojekt für uns Menschen, näherzukommen?

Der Prophet Micha rief bereits vor über 2500 Jahren zum sozialen Engagement zugunsten der Gerechtigkeit auf: «Es ist dir gesagt worden, Mensch, was gut ist und was Gott von dir erwartet: Gerechtigkeit üben, Gemeinschaftssinn lieben und aufmerksam mitgehen mit deinem Gott.» (Micha 6,8) Diese Worte haben bis heute nichts an ihrer Bedeutung verloren, denn wo wir auch hinschauen, ist unsere Gesellschaften von tiefen Kluften zwischen den Menschen geprägt. Oft spielen dabei Merkmale wie soziale Herkunft, Kultur, Geschlecht, Religion, politische Überzeugung oder Eigentum eine Rolle. Diese Kluften und das Macht- und Profitstreben einzelner Gruppen führen nicht selten zu bewaffneten Konflikten, die mit unbeschreiblichem Leid für Millionen von Menschen verbunden sind. Denken wir zum Beispiel an die Sahelzone, Israel/Palästina, Syrien, die Ukraine, Haiti oder Afghanistan, um nur einige der aktuellen Krisen zu nennen.

Gleiche Chancen für alle

Im christlichen Verständnis hat Gott allen Menschen die gleiche Würde mit auf den Weg gegeben. Daraus leitet sich das Prinzip der Chancengerechtigkeit ab. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte beginnt mit folgendem Artikel: «Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.» (AEMR, 1. Artikel) Die Staaten verpflichten sich dadurch, allen Menschen die gleichen Chancen und Möglichkeitenzu bieten. Und auf individueller Ebene ist uns geboten, unseren Mitmenschen gleichberechtigt und mit Respekt gegenüberzutreten. Jesu Prinzip der Nächstenliebe stellt genauso respektvolle Beziehungen zwischen den Menschen ins Zentrum sowie das sich gegenseitige Unterstützen.

Sich für die «anderen» interessieren

Doch was kann ich als Christin oder Christ konkret gegen Ungerechtigkeit um mich herum und weltweit unternehmen? Gott sieht für jede und jeden von uns eine spezifische Rolle im Leben vor. Indem wir in uns gehen und Gott zu uns sprechen lassen, können wir herausfinden, was diese Aufgabe ist und welche Bedeutung sie für das friedliche Zusammenleben in der Gemeinschaft hat. Wenn ich mich für mein Gegenüber interessiere, hilft mir das, Vorurteile bezüglich jenen, die «anders» sind, abzubauen. Zum Beispiel kann ich mit einer Frau,die aus einem Konfliktgebiet flüchten musste, ins Gespräch kommen und so beginnen, mich mit globaler Gerechtigkeit zu befassen. Indem ich Empathie gegenüber diskriminierten Menschen zeige, beginne ich mich für eine Gesellschaft zu öffnen, in der Respekt und Liebe gelebt werden sollen und in der der Glaube und die Hoffnung nach Shalom unter den Menschen weiter gedeihen können.


Gott sieht für jede und jeden von uns eine spezifische Rolle im Leben vor. Indem wir in uns gehen und Gott zu uns sprechen lassen, können wir herausfinden, was diese Aufgabe ist und welche Bedeutung sie für das friedliche Zusammenleben in der Gemeinschaft hat.


Was haben Krisen in anderen Ländern mit mir zu tun?

Um global einen Beitrag zu leisten, hilft es sicherlich, neugierig zu sein und Menschen aus anderen Kulturen kennenzulernen, sich über das politische Geschehen anderswo zu informieren und sich zu fragen, was Krisen in anderen Ländern mit mir zu tun haben. Denn es reicht nicht, dass es uns persönlich gut geht, wir sollten uns als Christinnen und Christenauch international solidarisch zeigen. Denken wir zum Beispiel an Grosskonzerne, die ihren Sitz in derSchweiz haben und Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden aufgrund ihrer Aktivitäten im Ausland tragen. Die Koalition für Konzernverantwortung, der die Kampagne StopArmut angehört, setzt sich seit vielen Jahren dafür ein, dass der Staat solche Konzerne für die Einhaltung der Menschenrechte und den Umweltschutz in die Pflicht nimmt. Die globale Vernetzung ist dabei eine Chance, sich gemeinsam mit anderen zu engagieren und Brücken zu bauen.

Auch ich kann Brückenbauerin oder -bauer sein

In der «Ge-Na Studie» zu Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit (www.glaubeklimahoffnung.net), an der rund 2500 Christinnen und Christen aus der Schweiz und Deutschland mitgemacht haben, stimmten über 90 Prozent der Befragten zu, dass sie der christliche Glaube motiviere, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen. Dieses Ergebnis ist ermutigend und fordert uns auf, diesen Weg weiterzugehen. Persönlich kann ich als Brückenbauerin oder -bauer für das friedliche Zusammenleben dienen, indem ich respektvolle Beziehungen mit meinen Nächsten pflege und wenn nötig auch für sie einstehe, egal welche Kultur sie haben oder ob sie arm oder reich sind. Der nächste Schritt ist nicht weit entfernt: sich auch auf gesellschaftlicher und politischer Ebene für die Menschenrechte und den Frieden auszusprechen. Denn um dem Shalom als Frucht der Gerechtigkeit näherzukommen, braucht es das gemeinsame Engagement von uns allen.


Dieser Artikel wurde von Katia Aeby, Verantwortliche für Kommunikation & Marketing bei Interaction, verfasst und stammt aus dem ERF Medien Magazin September 2024, dem monatlich erscheinenden Printmagazin von ERF Medien. www.erf-medien.ch

Foto von Azzedine Rouichi auf Unsplash

Lesezeit / Temps de lecture ~ 7 min

Nach der Nomination von Kamala Harris am kürzlichen Parteikongress der US-Demokraten ist die Ausgangslage für die Präsidentschaftswahlen vom kommenden November klar. Für die Demokratische Partei treten die Baptistin Kamala Harris zusammen mit dem Lutheraner Tim Walz als nominiertem Vizepräsidenten an, während Donald Trump, der als «Freund der Christen» bezeichnet wird, zusammen mit seinem katholischen potenziellen Vizepräsidenten James David Vance ins Rennen steigen wird. Für Christen also eine ausgeglichene Auswahlsendung? Höchstens auf den ersten Blick. Es gibt gute Gründe, den frommen Verpackungen nicht zu trauen und nach der mitgelieferten politischen Kultur sowie dem politischen Programm zu fragen. Und gleich auch noch zu prüfen, ob und wie weit der eigene christliche Glaube die persönliche politische Agenda prägt.

Nehmen wir als Ausgangspunkt das verwerfliche Attentat auf den Präsidentschaftskandidaten Donald Trump am Parteitag der US-Republikaner im vergangenen Juli (Korrektur: der Anschlag fand kurz vor dem Parteitag der US-Republikaner statt. Die ChristNet-Redaktion). Für Trump war die Deutung nach dem ersten Schock klar: Er habe den Anschlag auf sein Leben nur «dank der Gnade des allmächtigen Gottes» überlebt: «In gewisser Weise fühlte ich mich sehr sicher, denn ich hatte Gott auf meiner Seite1

Beten für Donald Trump?

Der Evangelist Franklin Graham sagte am selben Parteitag zum Anschlag gegen Trump, Gott habe dessen Leben verschont und betete für den möglichen zukünftigen Präsidenten. Robert Jeffress, Leiter der «First Baptist» Megachurch in Dallas, soll Gott gedankt haben, dass «er das Leben dieses mutigen Anführers, der ein Krieger für die Wahrheit und Freund der Christen weltweit ist, geschützt hat2 .» Auch Joe Biden erklärte öffentlich, dass er für Donald Trump beten wolle.

Das ging dem US-Theologen William Schweiker dann doch zu weit. Der Dozent für christliche Ethik an der Universität Chicago meinte, es wäre ihm lieber gewesen, wenn Biden alle aufgefordert hätte, sich für Frieden und Einheit einzusetzen, «statt eine höhere Macht anzurufen». Auf die Frage, ob das knappe Überleben Trumps ein Werk Gottes sei, antwortete er: «Kann sein. Ich weiss das nicht.» Schweiker kritisierte in einem Interview mit der «Zeit» Trump dafür, dass er den christlichen Glauben missbrauche, obwohl er weder für seine Frömmigkeit noch als bibelfester Kirchgänger bekannt sei. «Wenn jemand sich als Christ bezeichnet, dann muss es auf der persönlichen Ebene irgendeine Übereinstimmung zwischen seinem Glauben und seinem Tun geben. Aber ich erkenne bei Trump einfach keinerlei Demut3

Wie weit reicht der christliche Glaube?

Ich würde noch einen Schritt weitergehen. Politikerinnen und Politiker, die sich als Christen bezeichnen oder sich auf den christlichen Glauben berufen, müssten ihren Glauben nicht nur im persönlichen Umfeld ein Stück weit unter Beweis stellen, sondern auch bei ihrer politischen Agenda und in ihrer politischen Kultur. Der nominierte Trump-Vize J.D. Vance ist vor 5 Jahren zum Katholizismus konvertiert. Ob allerdings seine Ansichten über Politik und darüber, wie ein optimaler Staat aussehen sollte, wirklich «ziemlich genau mit der katholischen Soziallehre übereinstimmen»4 , wie er behauptet, muss bezweifelt werden.

Die wenigen Republikaner vom «Lincoln Project», die kritisch gegenüber Donald Trump eingestellt sind, nehmen hier kein Blatt vor den Mund. Im weiteren Umfeld des Parteitags der Republikaner zeigten sie in Endlosschleife Clips, welche an Trumps Skandale erinnern. An den Sturm seiner Anhänger auf das Capitol. An seine Verurteilung wegen Betrugs, nachdem er Schweigegeld an einen Pornostar in seinen Geschäftsunterlagen als Anwaltskosten verschleiert hatte. «Er ist kein Christ, er ist kein Anführer», betonten sie. «Lasst euch nicht verarschen.» Und: «Geht wählen, um seinen Lügen ein Ende zu setzen»5 : eine Anti-Empfehlung für Trump.

Wenn das so ist, warum fallen trotzdem so viele, gerade auch ernsthafte Christen auf Trump herein? Erstens weiss Trump, welche Themen er bespielen muss, um bibelnahe Christen für sich zu gewinnen: beispielsweise die Abtreibung und den Patriotismus. Zweitens folgen manche US-Christen einem individuellen Glauben, den sie in der sonntäglichen Anbetung feiern, ohne ihre angestammte politische Agenda im Lichte des Evangeliums zu hinterfragen. Oft ist diese Haltung auch noch kombiniert mit einer Vorliebe zu Persönlichkeiten, die den Leuten predigen, was Sache ist. Bekanntlich lernt man das Hinterfragen oder Überprüfen von präsentierten Fakten nicht unbedingt im Gottesdienst, dazu wären vertiefende Gespräche nötig. Ist diesen gläubigen Christen nicht aufgefallen, dass Trump für eine gehässige politische Kultur steht? Diesen Wermutstropfen sehen sie ihm offensichtlich nach. Schliesslich sind wir alle Sünder.

Abtreibung als Symptomhandlung

Nun, kein ernsthafter Christ kann ein Befürworter des (Un-)Rechts auf Abtreibung sein. Leben muss geschützt werden, auch wenn es erst im Mutterleib heranwächst. Nur gegen die Abtreibung zu sein, genügt aber nicht. Gesellschaftlich muss ein Umfeld geschaffen werden, das Abtreibungen unnötig macht bzw. höchstens noch als ethisches Dilemma6 zulässt.

Den Demokraten müsste gesagt werden, dass das (Un-)Recht auf Abtreibung nur scheinbar ein feministisches Anliegen ist. Es mag zwar Frauen geben, die eine Abtreibung als Mittel zur Familienplanung einsetzen. Das ist aber eine grobe Gedankenlosigkeit, denn dafür gibt es gescheitere Wege. Wer genau hinschaut, wird sehen, dass es in der Regel nicht die Schwangere ist, die abtreiben will, sondern der Mann, dem diese Schwangerschaft ungelegen kommt oder der Mann, der sich bereits aus dem Staub gemacht hat. Oder dann ist es der Druck, der auf heutigen Frauen lastet, möglichst uneingeschränkt der Arbeitswelt zur Verfügung zu stehen.

Mit anderen Worten: Abtreibungen sind in der Regel reine Symptomhandlungen. Dahinter stehen Fragen und Probleme, die angegangen werden müssten, damit eine Abtreibung gar nicht notwendig wird. Dafür bräuchte es aber entsprechende soziale und gesellschaftliche Voraussetzungen, die meist zu einer linken politischen Agenda gehören. Ich habe deshalb in einem früheren Beitrag für eine Zusammenarbeit zwischen rechts- und linksevangelikalen Christen plädiert, um das (Un-)Recht auf Abtreibung glaubwürdig anzugehen7 .

Die Grenzen des Patriotismus

Gott möge Amerika segnen, heisst es in der inoffiziellen Hymne der USA8 . In diesem eindrücklichen Lied werden die schönen Landschaften und die in diesem Land herrschende Freiheit gefeiert. Auch aus christlicher Sicht völlig zurecht, schliesslich wurden die USA stark vom Calvinismus und Pietismus geprägt. Menschenrechte und Demokratie sind der logische Ausdruck eines biblisch-christlichen Menschenbildes. Die USA gelten als die grösste moderne Demokratie der Welt. Gegen die Liebe zu diesen Werten ist nichts auszusetzen.

Wer aber die Bibel etwas genauer liest, wird sehen, dass Gott nicht nur die USA segnen möchte, sondern alle Völker der Erde. Auch sie sollen mit schönen Landschaften, die nicht ausgebeutet, mit Freiheit, Menschenrechten und Demokratie für alle Teile der Bevölkerung gesegnet werden. Schliesslich sind alle Menschen von Gott geschaffen worden. Bei Gott gibt es kein Amerika zuerst. Auch wenn sich jeder Staat selber organisieren, gut für seine Bürgerinnen und Bürger sorgen und ihre Eigeninitiative fördern soll und darf, möchte unser Schöpfer mehr: Er will unseren Blick für das Ganze fördern. Aus seiner Sicht ist die Welt ein Dorf, in dem alle füreinander sorgen sollten sollten.

Diese Sichtweise müsste auch in unsere Migrationspolitik einfliessen, um ein weiteres Steckenpferd von Donald Trump ins Spiel zu bringen. Wie eine ganzheitliche Migrationspolitik aussehen könnte, wurde im Forum in zwei längeren Beiträgen thematisiert9 . Zumindest die Christen müssten die Vorschläge der beiden US-Parteien nach diesen Kriterien messen. An der Grenze Mauern hochzuziehen, das genügt nicht.

Dass viele Menschen sich Sorgen um die Demokratie in den USA machen, hat seine Berechtigung. Im Project 2025 des konservativen Thinktanks Heritage Foundation wird u.a. gezeigt, wie Trump die Macht des Präsidenten markant erweitern könnte. Ein ehemaliger Berater und ein weiterer Verbündeter von Trump haben an diesem Plan mitgearbeitet. Sie gehören zu den Hauptautoren seines neuen Wahlprogramms110 . Ist die Ankündigung Trumps, dass er nach seiner Wiederwahl für einen Tag als Diktator regieren wolle, vielleicht mehr als ein Spass? Kommt es dann zur «sofortigen Massendeportation» der Asylsuchenden, wie das seine Fans beim Parteitag auf Kartonschildern gefordert hatten?

Im US-Wahlkampf wird unterdessen auf beiden Seiten mit harten Bandagen gekämpft. Bisher galt aber: Die Kandidaten respektieren die Verfassung und selbst erbitterte politische Gegner bewahren sich ein Minimum an Anstand. Und bei der Amtseinführung vor dem Capitol gibt man sich die Hand. Zur Amtseinführung von Donald Trump seien sie und ihr Mann im Januar 2017 trotz ihrer Wut erschienen, weil sie die Demokratie und ihre Werte ehren wollte, schrieb Hillary Clinton im Rückblick11 . Dieses Prinzip wurde 2020 von Trump nach seiner Abwahl in Frage gestellt. Kamala Harris kämpft nach den bewährten demokratischen Regeln, Donald Trump ignoriert sie. Den Ausgang der kommenden Wahl dürfte er nur anerkennen, wenn er gewinnt12 . An einer Wahlveranstaltung im März hatte Trump gesagt: «Wenn ich nicht gewählt werde, wird es ein Blutbad geben13

Trump bewundert starke Männer in undemokratischen Regimes: so Wladimir Putin, Viktor Orban und den Nordkoreaner Kim Jong-un. Schon während seiner Amtszeit sprach er davon, dass er eine dritte und vierte Amtszeit anstreben würde – im Scherz. «Liebäugelt Trump mit einer Verfassungsänderung à la Putin oder Hugo Chavez … um seine Amtszeit zu verlängern14 ? Der Bund-Kommentator Christoph Münger kommt zu Schluss: «Es geht bei diesem Wahlkampf nicht um politische Programme, sondern darum, ein Comeback von Donald Trump im Weissen Haus zu verhindern. Egal, wie man zu Kamala Harris steht, ob man ihre Pläne zur Aussen-, Innen- und Wirtschaftspolitik gutheisst oder nicht – man kann ihr nur viel Glück wünschen im Boxkampf für die Demokratie.»

Die beiden Politologie-Experten Adrian Vatter und Rahel Freiburghaus bezeichnen in einem Vergleich die «dunkle Persönlichkeit» von populistischen Politikern und benutzen dabei die Kriterien Narzissmus (Selbstverliebtheit), Psychopathie (psychische Störungen) und Machiavellismus (unbedingtes Machtstreben). An der Spitze15 liegen Donald Trump, Aleksandar Vucic (Serbien) und Jean-Luc Mélanchon (Frankreich). Die Probleme gibt es also nicht nur in den USA, sondern auch ganz in unserer Nähe.

Trump ist eine Offenbarung

Nochmals: Wie können Christen dazu kommen, Donald Trump zu wählen? Lassen Sie mich zum Schluss eine provozierende These aufstellen.

Zusammen mit dem Neutestamentler Adolf Pohl bin ich der Meinung, dass der Antichrist nicht (nur) eine bestimmte Person ist, die am Schluss der Endzeit auftauchen und den Weltuntergang herbeiführen wird. Pohl schildert ihn in seiner zweibändigen Auslegung der Offenbarung16 als politische und/oder kirchliche Führerfigur, die antichristliche Züge aufweist und zu unterschiedlichen Zeiten aufgetreten ist bzw. auftreten wird. Als die «Offenbarung des Johannes» in den urchristlichen Gemeinden vorgelesen wurde, war es der römische Kaiser Nero, der sich als Antichrist gebärdete. Wichtig: Das letzte Buch der Bibel wurde damals nicht als Drohkulisse für die Zukunft verstanden, sondern als Trostbuch, das den Sieg der Guten Botschaft über das Böse und den Bösen verhiess.

So sollten auch wir die «Offenbarung» lesen. Und damit rechnen, dass immer wieder Führergestalten auftreten, die Züge des Antichristen verkörpern. Sie werden als Messias-Gestalten gefeiert, verbunden mit der Erwartung, dass sie das Volk vom Bösen erlösen können. In Wirklichkeit aber lügen und betrügen sie, verbreiten Irrlehren, verführen ihre Anhänger und schmieden Koalitionen, um ihre Macht zu steigern. Wer vor diesem Hintergrund das Reden und Handeln des Kandidaten Donald Trump analysiert, müsste eigentlich stutzig werden. Trump hat die Lüge in der grössten Demokratie der Welt zu seinem politischen Werkzeug gemacht.

Integriertes Christsein wäre hier ein guter Schutzfaktor. Nicht nur die evangelikale, auch die liberale Theologie ist verführbar. Wie auch eine charismatische «Theologie», die vor allem auf Gefühlen beruht. Zusammen mit den US-Christen brauchen wir auch heute als Schutzfaktor eine Theologie, die den Glauben konsequent von Jesus Christus, dem einzigen Herrn der Welt und seinem Wort an uns prägen lässt, verknüpft mit einem ganzheitlichen Glauben, der von diesem Zentrum aus alle Bereiche des Lebens umfasst.

Vielleicht wurde Donald Trump beim kürzlichen Anschlag darum von Gott bewahrt, damit wir dies neu lernen können.


1. idea Magazin Nr. 30/31 2024
2. Medienmagazin PRO vom 15.7.24
3. Medienmagazin PRO vom 18.7.24
4. idea Magazin Nr. 30/31 2024
5. Der Bund, 18.7.24
6. Bei einem ethischen Dilemma stehen zwei ethisch fragwürdige Positionen einander gegenüber. Es geht dann darum, die weniger fragwürdige Lösung zu wählen.
7. https://www.insist-consulting.ch/forum-integriertes-christsein/22-8-1-wie-weiter-mit-dem-un-recht-auf-abtreibung.html
8. https://www.youtube.com/watch?v=N-CCBaPxGaY
9. https://www.insist-consulting.ch/forum-integriertes-christsein/23-9-1-die-migration-neu-denken-lernen-teil-1.html / https://www.insist-consulting.ch/forum-integriertes-christsein/23-10-1-die-migration-neu-denken-lernen-teil-2.html
10. Der Bund, 11.7.24
11. Der Bund, 19.8.24
12. Der Bund, 3.8.24
13. Der Bund, 9.8.24
14. Der Bund, 3.8.24
15. Der Bund, 12.8.24
16. «Die Offenbarung des Johannes» der Wuppertaler Studienbibel, 1977, Wuppertal, R. Brockhaus-Verlag


Foto von Clay Banks auf Unsplash

Dieser Artikel erschien zuerst auf INSIST.