Freiheit: Kollektiv oder individuell?
Freiheit kann sowohl kollektiv als auch individuell verstanden werden. Wichtige philosophische Grundlagen für diesen Wert wurden im 18. Jahrhunderts gelegt. Das biblische Verständnis dafür geht aber weit darüber hinaus.
«Freiheit» ist in der westlichen Welt ein beinahe ikonisches Konzept. Wenn es um das Zusammenleben der Menschen geht, gilt Freiheit immer als wichtiger, oft als wichtigster Wert. Schliesslich wurden und werden seit der Aufklärung Denkverbote und Dogmen in Frage gestellt und den Menschen und Völkern wird zugesprochen, in Freiheit ihre je eigene Autorität sein zu dürfen.
Zwei Konzeptionen von Freiheit
Die meisten Menschen haben ein weitgehend individualistisches Verständnis von Freiheit. Die Art, wie wir das Zusammenlebens im Staat und die eigene Verantwortung sehen, wurde wesentlich im Kielwasser der Aufklärung geprägt. Kant und Locke sind zwei Namen, die mit einem dem Individuum dienenden Verständnis von Freiheit verbunden sind. Diese Sichtweise kann im politikwissenschaftlichen Sinn «liberal» genannt werden. Das liberale Freiheitsverständnis hat viel Wirkung entfaltet, es ist aber nicht das einzige. Eine ältere Form des Freiheitsverständnisses geht auf die alte römische Republik oder auf Namen wie Machiavelli und Rousseau zurück. Im Gegensatz zu den oben genannten Denkern wurde bei diesen eher die Freiheit einer Gemeinschaft oder gar eines (Stadt-)Staates betont, kollektiv der Tyrannei die Stirn bieten zu können. Diese Sicht wird in der Regel mit dem Begriff «republikanisch» in Verbindung gebracht. Republikaner in diesem Sinn betonen im Gegensatz zu den Liberalen wesentlich stärker die Wehrhaftigkeit und Handlungsfreiheit des Kollektivs. Beiden Konzeptionen von Freiheit ist eigen, dass sie ein «frei sein von …» betonen. Während Liberale eher die Freiheit des Individuums vor staatlicher Willkür meinen, betont die republikanisch gesinnte Seite die freie Selbstbestimmung eines Volkes vis-a-vis einer meist äusseren, manchmal auch inneren Bedrohung.
Freiheit als Teil der Schweizer Identität
Beide skizzierten Strömungen sind in der Schweizer Politik identifizierbar. Sowohl das Volk als auch die einzelne Bürgerin wollen und sollen frei sein vor unzulässigen Einschränkungen. Die liberale Tradition wird im politischen Tagesgeschäft spürbar, wenn es beispielsweise um die Freiheit des Handels geht oder darum, Überwachungsbestrebungen des Staates in die Schranken zu weisen. Nicht selten werden in diesem Zusammenhang «Freiheit» und «Sicherheit» einander gegenübergestellt und betont, dass es keine Sicherheit geben kann ohne die Grundlage der Freiheit des Individuums. Die republikanische Tradition andererseits hinterlässt dann mediale Spuren, wenn der «Souverän», also die Stimmbevölkerung als massgebende letzte Instanz, betont wird oder wenn es darum geht, sich als Land der echten oder eingebildeten Einflussname aus dem Ausland oder der Anpassung fremden Mächten gegenüber entgegenzustellen. Stichworte dazu sind beispielsweise die Neutralitätsdebatte, das Bankgeheimnis und die Beziehung zur EU. Es gehört deshalb zur Geschichte und zum Selbstbild der Eidgenossenschaft, sowohl dem Individuum grösstmögliche Freiheit in allen Lebensbereichen zuzugestehen als auch zu betonen, dass die Schweiz als Volksgemeinschaft frei von Fremdbestimmung sein und bleiben solle.
Politische Freiheit ist weder rechts noch links
Die zwei Konzeptionen von Freiheit sind im politischen Tagesgeschäft beobachtbar; einige Themen sind sogar mühelos einer bestimmten politischen Partei zuzuordnen. Aber die Achse liberal-republikanisch ist kein Entweder-oder, sondern ein Kontinuum, auf dem sich politische Player je nach Fragestellung bewusst oder unbewusst positionieren. Deshalb sind die beiden Verständnisse von Freiheit auch nicht einfach mit der Links-rechts-Achse identisch. Bei Parteien links der Mitte sind sowohl ein Fokus auf das starke Kollektiv – Stichworte wie Solidarität und Lastenausgleich – als auch ein Unbehagen gegenüber staatlichen Übergriffen ins Privatleben – Stichwort Widerstand gegen Überwachsungsmassnahmen – feststellbar. Bei anderen Themen aber mit gleicher Vehemenz betont die politische Rechte sowohl die Gemeinschaft – Stichwort Selbstbestimmung der Schweiz als Nation – als auch Bedürfnisse des Individuums – Stichwort Steuer- und Wirtschaftspolitik.
Christliche Freiheit ist mehr als bloss republikanisch oder liberal
Freiheit im christlichen Sinn umfasst selbstverständlich wesentlich mehr als die Frage, wovon wir befreit werden müssen. Doch bleiben wir für den Moment bei der Frage, ob aufgrund eines christlichen Verständnisses von Freiheit eher das Kollektiv oder das Individuum vor etwas beschützt bzw. von etwas befreit werden muss.
Klar ist zunächst, dass die Freiheit auch aus christlicher Sicht hohe Wertschätzung verdient, denn wo der Geist Gottes weht, da ist Freiheit gemäss Paulus eine Folge (2. Kor 3,17) und zu Freiheit sind Christen schliesslich berufen (Gal 5,13). Auch dürfte es nicht überraschen, dass in dieser Perspektive kollektive und individuelle Freiheit nicht voneinander getrennt werden können, sondern miteinander verknüpft sind: In Jesu messianischer Antrittsrede (Luk 4, 16-21) stellt er sich vor als derjenige, der unter anderem Gefangene und Misshandelte – Individuen – befreit und dem Volk – dem Kollektiv – die befreiende Gnade Gottes zuspricht. Wen der Sohn frei macht, der ist wirklich frei (Joh 8,36), und dies gilt für Einzelne genauso wie für gemeinschaftliche Haltungen und Werte, wie das Gespräch in Joh 8,31-47 zeigt. Die Freiheit, die Christus Glaubenden verspricht, ist daher nicht «republikanisch» oder «liberal», auch nicht bloss die Summe oder eine Mischung von beidem, sondern weit mehr: Christliche Freiheit umfasst als Zielvorstellung letztlich die ganze Schöpfung (Römer 8,18-25). Diese weite Sicht kann dazu verhelfen, in politischen Fragen nicht bloss Aufmerksamkeit und Verständnis zu haben für unterschiedliche Konzeptionen von Freiheit, sondern darüber hinaus den Blick über das Tagesgeschäft hinaus zu erheben auf das, was Gottes Ziel ist: Eine befreite Schöpfung.
Ein weiterer Artikel zum gleichen Thema folgt nächste Woche.
Foto von Martin Olsen auf Unsplash
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