Freiheit: Höchster Wert?
Christinnen und Christen sind mit einem biblischen Freiheitsbegriff schnell zur Hand. Der folgende Artikel blickt unter die Oberfläche und führt weg von der Freiheit als höchstes Ziel einer Gesellschaft.
Immer wenn Freiheit als Wert und Ziel vertreten wird, wartet die Kritik daran gleich um die Ecke. Denn «Freiheit» wird meist zunächst als «negative» Freiheit verstanden, als ein «frei sein von…». Da drängt sich das Bedürfnis nach einer positiven Erweiterung auf.
Frei von, frei zu
Gerade aus christlicher Sicht kann zu Recht betont werden, es reiche nicht, bloss «frei von…», beispielsweise Sünde, Ungerechtigkeit, Angst, zu sein. Es gehe auch darum, «frei zu sein zu…», also mit frei wehendem geistlichem Rückenwind die Berufung eines gemeinschaftsfördernden Lebens mit Sinn, Perspektive und Hoffnung zu führen. Als Christ bin ich geneigt, die positive Sicht der Freiheit als wichtige Ergänzung willkommen zu heissen und die Diskussion um das Verständnis des Begriffs «Freiheit» damit ad acta zu legen: Ja, alle Menschen sollten und dürfen frei sein von Sünde, Unterdrückung und Ungerechtigkeit, um stattdessen in geistlicher, physischer und politischer Freiheit ein Leben im Gehorsam gegenüber dem Schöpfer zu führen und in verantwortlicher Mitgestaltung die Welt zu prägen, ganz im Sinn seines kommenden Friedensreiches. Mit dieser ergänzenden, von einem umfassenden Reich-Gottes-Verständnis ausgehenden Sicht von Freiheit sind schliesslich alle Aspekte von Freiheit abgedeckt, möchte man meinen.
Freiheit von Unterdrückung
Der kroatisch-amerikanische Theologe Miroslav Volf macht sich im Buch «Von der Ausgrenzung zur Umarmung» Gedanken über Exklusion, Inklusion, Identität, Unterdrückung, Befreiung, Versöhnung und vieles mehr. Er verbindet auf faszinierende Weise politische Theorie, geschichtliche Ereignisse, philosophische Erwägungen, biografische Erlebnisse und biblische Theologie. Ein zentrales Kapitel (124ff) ist mit «Umarmung» überschrieben. Die Geste der Umarmung steht bei Volf für eine Herzenshaltung der Nähe, der Vergebung, der Feindesliebe, des christusähnlichen «trotzdem…». Immer wieder geht es ihm um die Frage, wie Gebundene, Geknechtete frei werden können und was dazu sowohl von ihrer Seite wie auch von Seiten der Unterdrücker nötig ist. Hier kommt die Freiheit ins Spiel. Von einem christlichen Theologen würde man erwarten, dass er für einen Prozess plädiert, die mit dem Bekennen der Schuld und der Umkehr eines Unterdrückers beginnt und über die Vergebung des Gebundenen zu Versöhnung und neuer Nähe führt. Freiheit von Schuld, eine befreite Beziehung und tatsächliche Freiheit des vormals Unterdrückten wäre das Resultat.
Volfs skeptische Frage
Volf ist skeptisch gegenüber der eben geschilderten Erwartung. Nicht weil der Prozess per se falsch wäre, sondern weil es problematisch wird, wenn der Prozess, mit dem ein Zustand der Knechtschaft beendet werden soll, vorwiegend oder gar ausschliesslich durch das Ziel «Freiheit» motiviert ist. Die menschliche Anfälligkeit für die Sünde, so Volf, droht die gewonnene Freiheit in ihr Gegenteil zu kippen. Volf betont, dass sowohl «Täter» als auch «Opfer», ja alle Menschen, zur Umkehr gerufen sind. Wenn nun die Kategorien von Unterdrückung und Befreiung, von Schuld und Unschuld zu sehr einer Seite zugeordnet und in den Vordergrund gerückt werden, wird damit ein Gefälle kreiert, in welchem sich Unterdrückte moralisch überlegen fühlen, im Fall gewonnener Freiheit zu Unterdrückern werden und so die ehemaligen Täter/Unterdrücker in die Opferrolle und damit in die moralische Überlegenheit drängen. «Überlegene Moral ist allzu oft die Moral der Überlegenen» zitiert Volf (131f) Zygmunt Bauman und weist so auf die Risiken hin, die in einem Akt der Befreiung lauern für Menschen, welche die Freiheit gewonnen haben.
Von der Freiheit zur riskanten Liebe
Die Kategorien Schuld/Unschuld sind vor Gott klar, aber nicht vor den Menschen, da menschliches Zusammenleben komplex und selten eindeutig ist. Volf negiert keineswegs die Wichtigkeit befreienden Glaubens und Handelns. Aber er betont aus theologischer und philosophischer Überzeugung, dass «Freiheit» sich nicht als höchstes Ziel einer Gesellschaft eignet. Stattdessen plädiert er dafür, gemäss dem Vorbild Christi die Liebe zum höchsten Ziel menschlichen Handelns und gesellschaftlichen Zusammenlebens zu machen. Eine solche, vom Kreuz her inspirierte, Liebe ist verletzlich. Sie lebt riskant, muss sie doch damit rechnen, nicht erwidert, ja sogar zurückgewiesen und verachtet zu werden. Sie wird womöglich einseitig bleiben in ihrer nicht berechnenden Zuwendung und Vergebung. Aber was sie nicht tut: Sie kreiert kein neues Gefälle und sie bedient nicht die menschliche Schwäche, erlittenes Unrecht in Überlegenheit drehen zu wollen. Liebe eröffnet die Chance, dass eben doch etwas geschieht: Eine Reaktion, ein Nachdenken, ein zaghaftes Zurücklieben. Ein Wachsen von neuem Vertrauen. Auch wenn es Zeit braucht.
Befreiende Liebe
Volf bezieht die Vorrangstellung der Liebe vor der Freiheit vorwiegend auf das Verhältnis zwischen Gruppen von Menschen oder sogar zwischen Staaten. Der Gedanke dahinter ist aber auch fruchtbar in anderen Lebensbereichen: Freiheit, und sei es auch christlich gemeinte Freiheit, birgt das Risiko, sich selbst ins Zentrum zu stellen. Denn Freiheit hat einen Zweck, sie ist gewissermassen «messbar» und Messbares neigt zu Vergleichen, zu Gewinnern und Verlierern. Liebe hingegen ist nicht messbar. Aber sie ist erlebbar und zweckfrei und kann damit der Vereinnahmung, der Gewinnerwartung und der Selbstzentriertheit besser widerstehen. Echte Liebe hat wie echte Freiheit ihre Quelle in Gott. Aber während letztere etwas Bestimmtes zu erfüllen hat, ist Liebe einfach, was sie ist.
Die Zweckfreiheit der durch Jesus motivierten Liebe ist deshalb auch die richtige Haltung, wenn wir vom politischen Feld zurück zum Alltagserleben kommen: Liebe muss nichts haben, muss nichts erreichen, muss nicht konsumieren, muss weder kaufen noch verkaufen, weder gewinnen noch vermeiden. Liebe ist frei, wahrhaft frei, nicht an sich selbst denken zu müssen und so in eine Egoknechtschaft zu geraten. Liebe kann sich verschenken zugunsten unserer Nächsten hier, anderswo auf der Erde und in der Zukunft. Christus ist gerade auch für freiheitsliebende Schweizer derjenige, der zuerst geliebt hat. Seine Liebe sprengt Ketten und befreit, ohne neue Knechte und Benachteiligte zu schaffen.
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