Kleingruppe zur Flüchtlingsthematik – ein Bericht
Eine «Kleingruppe nach Mass»1 der Vineyard Bern hat sich unter dem Titel «Eine frohe Bo(o)tschaft – Die Flüchtlinge und wir Christen» an sechs Treffen mit dem Flüchtlingsthema beschäftigt. Ein Bericht (13.11.2015)
Vorbemerkungen
Im Sommer 2015 wurde mir durch die Berichte über die Flüchtlingsströme, die vom Nahen Osten und Afrika nach Europa drängen bewusst, dass ich daraus in unserer Gemeinde ein Thema machen sollte. Ich traf mich mit dem damaligen Leiter der Flüchtlingshilfe der Heilsarmee im Kanton Bern. Er gab mir wertvolle Tipps für eine sinnvolle Annäherung an das Thema mit praktischen Folgerungen.
So trafen sich vom September bis November 2015 ca. 8 Personen sechs Mal, um sich den Flüchtlingen und deren Problemen zu nähern.
1. ChristNetForum zur Flüchtlingsfrage
Am Forum vom 12. September 2015 «Eine frohe Bo(o)tschaft?! Die Flüchtlinge, die Schweiz und die Christen»2 ging es um die politische Annäherung in einem Podiumsgespräch mit dem syrischen Flüchtling Feras Shamas, dem SVP-Nationalrat Erich von Siebenthal; der EVP-Nationalrätin Maja Ingold und dem Pfarrer Daniel Frei. «Umstritten war, ob Christen in der Schweiz bevorzugt aufgenommen werden sollen. Einigkeit herrschte darüber, dass die humanitäre Hilfe im Nahen Osten verstärkt und bürokratische Hürden für arbeitswillige Flüchtlinge reduziert werden sollen».3
Pfarrer Frei machte klar, dass «Flucht» und die Begegnung mit Fremden in der Bibel von jeher ein Thema war. Sogar Jesus selber zog aus seiner privilegierten Stellung beim himmlischen Vater aus, erniedrigte sich selbst bis zum Tod und wurde über alle Massen erhöht (vgl. Phil. 2,5-11). Shamas, ein reformierter Christ, zeigte sich ausgesprochen integrationswillig: ‹Ich will der Schweiz dienen›, sagte er.
Erich von Siebenthal, Nationalrat der SVP, erkannte in Shamas einen jener christlichen Flüchtlinge, denen er, wie er in einem Postulat an den Bundesrat gefordert hat, prioritäre Behandlung zukommen lassen will. «Es ist ein Fakt, dass sich Christen besser integrieren lassen», so von Siebenthal. Ausserdem sei der Zugang zu den Flüchtlingslagern im Nahen Osten für Christen erschwert.
Auf die auch unter vielen evangelischen Christen populäre Forderung reagierte Maja Ingold, Nationalrätin der Evangelischen Volkspartei (EVP), mit Erfahrungen einer Reise, die sie in den Libanon geführt hatte. Christen kämen darum nicht in die grossen Lager, weil sie materiell oft besser gestellt seien als Muslime. Eine Ungleichbehandlung bei der Aufnahme in der Schweiz unterstützt Ingold nicht: «Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich zu behandeln, ungeachtet von Geschlecht, Rasse und Religion. Menschen, die an Leib und Leben bedroht sind und nach Europa kommen, die müssen wir aufnehmen.»4
2. Bibelarbeit und Sichtung unserer Probleme
Grundlegend für uns wurde das Wort Jesu: «Was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut ihnen auch, darin ist der Sinn der ganzen Bibel zusammengefasst» (Matth. 7,12). Dazu kommt das Gleichnis von der Scheidung im letzten Gericht zwischen «Guten und Bösen» (Matth. 25,31-46), mit dem bekannten Wort «Was ihr einem dieser geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan» (und das Gegenteil). Da wird uns vor Augen geführt, welche Einstellung Jesus Christus zu den Menschen hat, die am Leben bedroht sind.
Unsere Probleme: Verunsicherung; Frage, wie sollen wir dieses Problem, das mit den Flüchtlingen auf uns zukommt (z.B. verdeckte Islamisten, Anspruchshaltung, überhebliche Mentalität, Forderungshaltung) lösen?; Angst, wir könnten in Zukunft den Anforderungen nicht gewachsen sein und von den Fremden überrollt werden. Dem wollen wir mit mehr Einsicht in die Hintergründe begegnen.
3. Rechtsfragen um Flüchtlinge und Asylbewerber
Elias und Nadine gaben uns einen interessanten Einblick in das juristisches Feld. Zugleich wurde uns gezeigt, weshalb das Flüchtlingswesen in unserem Land derart kompliziert erscheint.
Hier ein Ausschnitt aus ihren Ausführungen:
Flüchtlingseigenschaft gemäss Genfer Flüchtlingskonvention (GFK)
- Verlassen des Heimatstaates
- Fremde Staatsangehörigkeit
- Bruch der Beziehungen zum Verfolgerstaat
- Verfolgung:
- Ernsthafte Nachteile
- Kein Schutz durch das Heimatland
- Gezielte Nachteile
- Verfolgungsmotiv
- Begründetheit der Verfolgungsfurcht
- Fehlende interne Flucht- bzw. Schutzalternative
- Kein Ausschlussgrund gemäss GFK:
- Kriegsverbrechen
- nicht politische Verbrechen
- Handlungen gegen Ziele der Vereinten Nationen
= Schutz gemäss Flüchtlingskonvention
Asylgewährung
- Flüchtlingseigenschaft erfüllt
- Keine Asylausschlussgründe
- Asylunwürdigkeit
- Verwerfliche Handlungen
- Gefährdung der Sicherheit der Schweiz
- Subjektive Nachfluchtgründe
- Ausnahmesituation
= Einräumung besonderer Rechtsstellung durch Staat
Quelle: Wikipedia, «Ausländerausweis», eingesehen am 12.1.2016 (https://de.wikipedia.org/wiki/Ausl%C3%A4nderausweis).
4. Beispiel gelebter Gastfreundschaft
Urs, Susi und Regula wohnen in einer ehemaligen Käserei. Sie nehmen zwei Asylbewerberinnen mit Kindern auf, die nach einiger Zeit eine eigene Wohnung finden und beziehen. Die Frauen aus Äthiopien und Nigeria gewöhnen sich bei Meiers an die Schweizer Mentalität, lernen Deutsch (in Deutschkursen in Köniz bzw. Bern) und lernen, mit den zuständigen Behörden umzugehen.
Das Amt für Migration in der Gemeinde unterstützt sie optimal. Sie haben auch direkte Beziehungen zu Asylunterkünften in der näheren Umgebung.
Für sie ist es ein Vorteil, dass sie selber vier Jahre lang in Afrika gelebt und gearbeitet haben, sodass sie mit der Mentalität von Afrikanern recht vertraut sind. Sie waren sehr bereit, alle unsere Fragen zu beantworten, sodass auch hier eine emotionale Annäherung an die Flüchtlingsfrage geschehen ist.
5. Standortleiter eines Asylzentrums
Der Standortleiter eines Asylzentrums der Heilsarmee besuchte uns. Er war vorher im Asylzentrum Riggisberg tätig. Er kam dann kurzfristig in ein Zentrum, das für 37 Personen eröffnet wurde. Er war vorher fünfeinhalb Jahre lang in der Arbeit für Strassenkinder in Brooklyn tätig. So hat er einen Erfahrungsschatz an schwierigen Situationen und deren Bewältigung, der ihm für seine jetzige Arbeit sehr zugute kommt.
Eine Frage an ihn lautete: «Wie geht ihr bei Konflikten vor?» Seine Antwort: «Zuerst versuchen wir, den Frieden wieder herzustellen, und unternehmen weitere Schritte, wenn es brenzlig wird.» Das Verhältnis zur Einwohnergemeinde und zur Kirchgemeinde ist sehr gut. «Wir erleben viel Unterstützung, auch von freiwilligen Helfern, wie auch an andern Standorten.»
6. Mitarbeiter des Staatssekretariats für Migration
An unserem Schlussabend treffen wir einen Mitarbeiter des Staatssekretariats für Migration (SEM), der schweizerischen Bundesbehörde für Ausländerfragen in Wabern.
Wir nehmen ein einfaches Abendessen ein. Danach beten wir ein Gebet, das ChristNet im Rahmen des 40-Tage-Gebets «Beten+Wählen 2015» publiziert hat.5 2. Mose 3,7: «Und der Herr sprach: ‹Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen… und ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette…›» Und das Gebet dazu: «Vater im Himmel, wenn wir uns mit Menschen aus fernen Ländern unterhalten, ist es uns sonnenklar, dass wir gleichwertig sind…»
Das Gespräch beantwortet unsere Fragen und gibt einen interessanten Einblick in die Hintergründe einer Arbeitsstelle beim SEM. Dort geschehen linguistische Herkunftsabklärungen von Asylsuchenden, wenn amtsintern Bedarf ist, und sie bewerten die Leistung von Dolmetscherkandidaten.
Zum Schluss sieht die Gruppe folgende weiterführende Engagements:
- Bundeszentrum für Flüchtlinge im Zieglerspital, Bern, das im Frühling 2016 aufgehen soll:
- Gebetsmarsch um das Areal
- Freiwillige Mitarbeit
- Restaurant: den Kontakt mit Flüchtlingen suchen
- Eine Flüchtlingsfamilie aus Syrien zum Essen einladen.
- Angebot einer Pflegefachfrau, Flüchtlinge in kleineren medizinischen Fällen zu beraten.
- Das Programm der Kleingruppe in neuer Auflage anbieten.
Schliesslich bringen wir alles, was uns beschäftigt, im Gebet vor unsern Gott, weil wir glauben, dass Er den Überblick und alles im Griff hat.
Zum Schluss
Im gesamten Prozess hat uns das Wort Jesu begleitet: «Was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut ihnen auch, darin ist der Sinn der ganzen Bibel zusammengefasst» (Matth. 7,12).
Dabei sind uns die folgenden Begriffspaare wichtig geworden:
- Abwehrkultur/Willkommenskultur
- Problemorientiert/Lösungsorientiert
- Defizit-Sicht/Ressourcen-Sicht
Heute müssen wir nicht nur sagen: «Das Asylwesen ist kompliziert» und dann auf Abwehr gehen oder einfache Lösungen anstreben. Wir können jetzt sagen, dass wir besser verstehen, weshalb das Asylwesen kompliziert ist. So können wir uns sinnvoll damit beschäftigen und in kleinen Schritten zu Lösungen beitragen.
Jesus hat uns gezeigt, dass alles Neue im Kleinen anfängt, wie das Senfkorn, das über jede Vorstellung hinaus wächst. Da sehen wir das Himmelreich kommen.
Heute ist unsere Motivation gewachsen, uns aktiver den Flüchtlingen zuzuwenden.
1. Die Kleingruppe nach Mass ist ein Gefäss der Vineyard Bern; vgl. http://www.vineyard-bern.ch/angebote/kleingruppen/kleingruppen-nach-mass/.
2. Vgl. ChristNet, http://www.christnet.ch/de/content/forum-eine-frohe-bootschaft-die-fl%C3%BCchtlinge-die-schweiz-und-die-christen.
3. Ebd.
4. Ebd.
5. ChristNet, Beten+Wählen 2015, «Woche 6 – Flüchtlingspolitik»; vgl. www.christnet.ch/de/content/betenw%C3%A4hlen-2015-0.