Kuba: eine Reise ins Museum des Sozialismus ? Versuch der Annäherung an die Realität

~ 10 min

Nach unserem Aufenthalt in El Salvador hängten wir noch drei Wochen Ferien in Kuba an, um das Land und die letzten Züge einer anderen Welt kennenzulernen. Bei der Einreise am Flughafenzoll ein erstes Müsterchen, indem wir nachts um 11 Uhr herausgepickt und noch während zwei Stunden minutiös und seeehr langsam durchsucht wurden…

Das Kuba, das wir erlebt haben, das Land der Sonne, der Hitze, der Hurricanes, der Musik und der friedlichen Leute, aber auch derjenigen, die die Touristen als wandelnde Dollarnoten ansehen.

Ein Bisschen Geschichte

Nach der spanischen Invasion im 16. Jahrhundert starben sämtliche Indianer aus, meist an den eingeschleppten Krankheiten. Sie wurden durch Kolonisatoren und Sklaven ersetzt. Um 1902 wurde Kuba unabhängig von Spanien, aber sogleich durch die USA beherrscht, denn die Zuckerproduktion war gold wert. Diktatoren und korrupte Präsidenten wechselten sich ab, und die Insel wurde vor allem in der Zeit der Alkohol-Prohibition (in den USA) zum Paradies für dekadentes Nachtleben von US-Touristen. Die einheimische Bevölkerung allerdings lebte im Elend. Nach einigen Jahren mit Versuchsballonen ergriffen die Truppen von Castro, Che Guevara und Cienfuegos anfang 1959 die Macht, von der Bevölkerung weitgehend begrüsst, da sie das Joch der korrupten Diktatoren abwerfen konnten und da sie der Bevölkerung mit der Zeit exzellente Gesundheitsversorgung, genügend Nahrung und ein gutes Bildungssystem bieten konnten.

Heute sitzen einige hundert Menschen (die genauen Zahlen kennt niemand) aus politischen Gründen in den Gefängnissen. Die Unterdrückung ist nicht verschwunden, aber sie ist anders als diejenige zuvor.

Unsere Fragen

Viele Mythen kreisen um Kuba: die Einen verherrlichen Kuba als Hort der Helden wie Che Guevara und sehen das Land Fidels als Wächter der Gerechtigkeit, die Anderen sehen Kuba als übelste Diktatur, wo Millionen hungern müssen. Und die Touristen? Gewisse sehen nur das Dolce Vita (?alles paletti?), Andere nur die verfallenen Häuser (?ist ja schrecklich hier?). Je nach Voreinstellung… Wir versuchten, der Sache ein Bisschen auf den Grund zu gehen und benutzten die Reise, um intensive Gespräche mit möglichst vielen Menschen zu suchen.

Da stellt sich bereits die nächste Frage: sagen die Leute denn wirklich, was sie denken? Wir hatten erstaunlich offene Gespräche, die Leute haben nicht Angst, zu sagen, was sie meinen (im Gegensatz zu vielen Ländern im früheren kommunistischen Osteuropa). Es gibt gar einige Leute, die in der Öffentlichkeit USA-Flaggen auf den T-Shirts zur Schau tragen.

Und sind sie nicht einfach indoktriniert? Natürlich verbreiten die offiziellen Medien nur der Regierung genehme Informationen. Andererseits können in Teilen der Insel auch amerikanische Radio- und Fernsehstationen empfangen werden, die genauso einseitige Propaganda verbreiten… Was auffällt, ist das sehr hohe Bildungsniveau. Alle Menschen sind fähig, selbständig zu denken, persönlich zu argumentieren und kennen die unterschiedlichen politischen Systeme gut. Dies ergab immer längere und sehr interessante Diskussionen.

Hier ein paar Resultate unserer Gespräche:

  • Alle finden, dass die Revolution im 1959 eine gute Sache war. Das vorherige Regime war ja in der Tat hochgradig korrupt und diktatorisch. Zudem lebten grosse Teile der Bevölkerung im Elend und waren einer reichen Herrscherschicht unterworfen.
  • Praktisch alle sprechen sich gegen Präsident Bush aus. Fast niemand will dessen System in Kuba tel quel übernehmen.
  • Die Hälfte der Gesprächspartner möchte jedoch gewisse Reformen am Kubanischen System, und einige lehnen den Sozialismus rundweg ab. Eine Mehrheit aber hat Achtung vor dem persönlichen Einsatz von Castro und möchte auch den Sozialismus grundsätzlich beibehalten, vor Allem wegen des guten und für alle gerecht zugänglichen Bildungs- und Gesundheitssystems.
  • Wer als Vermieter von Touristenunterkünften Geld machen kann, findet das System meist gut, wer hingegen mit Wehklagen über die Situation bei den Touristen ein paar Dollarscheine Mitleidsgeld herausholen kann, sagt, alles sei sooo schlimm…

Mythen und Fakten

Die Situation in Kuba muss unbedingt im Vergleich zu den umliegenden Ländern in der Karibik und in Zentralamerika gesehen werden, nicht im Vergleich zur Schweiz oder zur USA. Denn auch vor der Revolution war die Situation ähnlich wie in den umliegenden Ländern, und der Abstand zu USA und Europa war schon damals riesengross.

Als Vergleichsbeispiel werde ich oft El Salvador heranziehen, da ich dieses Land besser kenne und da es als extremes Gegenteil bezüglich politischem und wirtschaftlichem System einen interessanten Vergleich bietet. Hier also eine Auswahl von beliebten Themen.

1) Essen

–        In Kuba gab es nach dem Wegfall des Hauptexportlandes Sowjetunion anfang der neunziger Jahre gab es tatsächlich einige Jahre mit verbreitetem Hunger. Heute jedoch hungert kaum mehr jemand. Situation von Jahr zu Jahr schwankend.

–        In El Salvador sind (nach ihren eigenen Angaben) jedoch 50% der Kinder unterernährt. Die Situation ist also nach Schicht sehr unterschiedlich.

2) Wohnen

–        In Kuba sind die Fassaden in Orten mit vielen Touristen schön renoviert, dahinter sieht es aber anders aus… Hingegen stimmt es ebensowenig, dass ein grosser Teil in verfallenden Häusern leben müsste. In Kuba leben diejenigen, die Häuser geerbt haben, ziemlich gut, umso mehr, wenn sie Touristenunterkünfte vermieten und damit noch mehr Geld für Renovation haben. Andere hingegen wohnen in kleinen und zum Teil baufälligen Häusern.

–        In El Salvador leben Reiche in Villen, die Mittelklasse in einfachen Häusern (auch sie wegen der grossen Kriminalität zum Teil hinter Stacheldraht) und die Unterschicht zum Teil in elendesten Slums.

3) Gesundheit

–        In Kuba ist die Lebenserwartung 77 Jahre und die Kindersterblichkeit (unter 5 Jahren) 0.9%, in El Salvador ist die Lebenserwartung 70 Jahre und die Kindersterblichkeit 3,9 %. In Kuba ist das Gesundheitswesen gut entwickelt und für alle zugänglich

–        In El Salvador gibt es Spitzenmedizin für die Reichen und gar keine für die Armen, die es sich nicht leisten können.

4) Bildung

–        In Kuba ist das Bildungsniveau durchgehend sehr hoch, und die Menschen können sich erstaunlich gut mündlich und schriftlich ausdrücken. Analphabetenrate 3%.

–        In El Salvador hingegen lebt ein guter Teil der Bevölkerung in totaler Ignoranz und hat nicht die Bildung, um vorwärts zu kommen. Viele können sich auch kaum ausdrücken. Analphabetenrate El Salvador 20%.

5) Infrastruktur

–        In Kuba ist Stromausfall gang und gäbe. Wasser ist hingegen meist kein Problem

–        In El Salvador ist der Strom generell da, dafür kommt das Wasser meist nur an einem halben Tag, wenn überhaupt…

6) Lohn und Armut

–        In Kuba zwischen 6 und 25 $ pro Monat, je nach Beruf, Erfahrung und auch Leistung. Dies scheint wenig, aber hinzu kommen noch gratis Gesundheitsversorgung, Bildung und in der Mehrheit der Fälle muss keine Miete bezahlt werden. Ein Berufswechsel ist im Übrigen sehr einfach: nach vier Jahren im Beruf kann jeder, der will eine neue Ausbildung machen und einen anderen Beruf ergreifen. Wir haben Leute kennengelernt, die drei bis vier unterschiedlichste Diplome hatten. Durch Anreize (nicht Zwang) versucht die Regierung, die wirtschaftlichen Bedürfnisse nach Berufsleuten zu decken. Aber für viele Kubaner ist der offizielle Lohn zu knapp, und diejenigen, die es können, verdienen sich daneben noch ein Zubrot, sei es im Tourismus, in der Nahrungsmittelproduktion, in Dienstleistungen, etc.

–        Von El Salvador habe ich leider keine genauen Angaben. Aber die Arbeitslosigkeit ist hoch, und die Unterschiede zwischen den Reichsten (die ?14 Familien, die das Land beherrschen) und den Unterschichten ist extrem.

7) Konsumgüter

–        In Kuba ist der Mangel an unseren gewohnten Konsumgütern für uns stark spürbar. Und den Kubanern trichtern US-Sender ein, was sie alles haben könnten, wenn der Sozialismus nicht wäre.

–        Wenn wir mit El Salvador vergleichen, dann ist der Mangel für grosse Teile der Bevölkerung genauso frappant. Und die Frage sei erlaubt, welcher Mangel schwerer wiegt: keine Nike-Turnschuhe oder keine Gesundheitsversorgung? Aber die Werbung redet (wie bei uns auch) ein, wir müssten unbedingt dies und jenes haben, um glücklich zu sein oder dazu zu gehören.

8) Arbeit

–        Über Kuba hört man oft ?Leute im Sozialismus müssen nicht arbeiten und werden faul?. Nun, dies ist ein Ammenmärchen, denn jeder ist verpflichtet, zu arbeiten (wie auch früher in Osteuropa). Siehe auch oben

–        In El Salvador versuchen sich viele mit Gelegenheitsarbeit durchzuschlagen. Trotz hoher Arbeitslosigkeit gibt es keine Arbeitslosenkasse.

9) Sicherheit

–        In Kuba kann man problemlos nachts auf den Strassen spazieren, da besteht keinerlei Risiko.

–        In El Salvador bunkert sich die Mittel- und Oberschicht hinter Stahltüren und Stacheldraht ein, und vor jedem Geschäft steht ein Sicherheitsbeamter mit geladenem Gewehr. Die Gewaltkriminalität ist extrem hoch, dies auf Grund der sozialen Situation, dem niedrigen Wert des Lebens, der Kriegsvergangenheit und der Zugänglichkeit zu Waffen. Wenn jemand ein Auto stehlen will, wird der Einfachheit halber der Fahrer umgebracht.

10) Freiheit

–        In Kuba ist die Freiheit, zu tun und zu lassen, was man will, etwas eingeschränkt, vor Allem im Bereich der unternehmerischen Freiheit, in der Freiheit, reich zu werden (ist dies von der Bibel her wünschbar?), und in der Konsumfreiheit.

–        In El Salvador sind diese Freiheiten vom Gesetz her zwar gegeben, jedoch sind die Möglichkeiten weiter Teile der Bevölkerung diese Freiheit zu gebrauchen, kaum existent. Freiheit hier also für die Reichen und Gebildeten. Bezüglich der Sicherheit, sich frei zu bewegen, liegt die Freiheit klar in Kuba…

11) Politische Freiheit

–        In Kuba ist die politische Freiheit noch immer stark eingeschränkt. Öffentliche Kritik am System ist verboten, und hunderte von Menschen sitzen deswegen im Gefängnis. Ein goldener Käfig?

–        In El Salvador sind in den achtziger Jahren 70’000 Oppositionelle wegen ihrer Meinung umgebracht worden. Heute ist die Meinungsfreiheit theoretisch gegeben. Doch ein grosser Teil der Bevölkerung hat keinerlei Bildung, um kritisch denken zu können oder um sich auch wirklich hörbar einzubringen. Insofern theoretisch…

12) Demokratie

–        In Kuba fehlt die Demokratie völlig.

–        In El Salvador ist Demokratie theoretisch vorhanden. Wiederum theoretisch deshalb, weil die Regierungspartei bei den Wahlen mit einem Millionenbudget das Land einer Gehirnwäsche unterzieht und ihnen auch die Mehrheit der Medien gehören…

13) Religionsfreiheit

–        In Kuba war das Christentum bis in die neunziger Jahre stark eingeschränkt, heute jedoch mehrheitlich frei.

–        In El Salvador ist die Religion frei

14) Wert des einzelnen Menschen

–        Bei uns hört man oft ?Im Sozialismus hat der Einzelne keinen Wert?. Eine unsinnige, aber leider verbreitete Sichtweise. Das Leben des Einzelnen scheint in Kuba viel mehr wert zu sein als in El Salvador oder anderen umliegenden Ländern, wo Leute einfach dahinsterben, wenn sie kein Geld haben, um sich Medikamente zu besorgen, oder wo sie schutzlos den Hurricanes und Stürmen ausgeliefert sind.

–        Besonders beeindruckt haben uns diesbezüglich die flächendeckenden Massnahmen zum Schutz der Menschen gegen den drohenden Hurricane Ivan, der während unseres Aufenthaltes die Insel stark bedrohte. Es wurde grössten Wert darauf gelegt, dass keine Menschen sterben. Hunderttausende von Bewohnern wurden an sichere Orte gebracht, Notwasserversorgung eingerichtet, und die Medien hielten uns ständig auf dem Laufenden. Dieser Hurricane zog schliesslich an der Insel vorbei, aber frühere Wirbelstürme haben den Erfolg dieser Massnahmen gezeigt. Gleichzeitig raffte derselbe Hurricane auf angrenzenden Inseln, vor allem in Jamaica, viele Menschen dahin, weil jeder sich selber überlassen blieb. Arme Leute konnten dort keine sicheren Unterkünfte mehr aufsuchen, und auf Grund der zu erwartenden Plünderungen blieben viele auch in ihren Hütten. Plünderungen gab es aber in Kuba interessanterweise keine, und die Leute haben auch keine Angst davor.

15) Flucht

–        Flucht aus Kuba: Ja, etwa 2 von den 13 Millionen Kubanern leben heute ausserhalb des Landes, meist in den USA.

–        Vergleichen wir mit El Salvador, so stellen wir erstaunt fest, dass dort 1,5 von 8 Millionen im Ausland leben, auch hier meist in den USA. Das Suchen des Glücks ausserhalb des Landes hat offenbar mehr mit wirtschaftlichen Gründen als mit politischer Verfolgung zu tun… Sonst würden die Emigranten nicht automatisch ins reichste Land (USA) sondern in die Nachbarländer ziehen.

Weitere Mythen

Vor der Reise haben wir manchmal gehört ?Die Leute in Kuba sind frustriert und ausgelaugt von der Gefangenschaft?: irgendwie haben wir diesbezüglich keinen Unterschied zu El Salvador festgestellt.

Oder auch ?In Kuba ist alles verboten, die Kubaner dürfen nichts tun.?: Die Verbote beschränken sich wie wir gesehen haben, mehrheitlich auf die Gründung eines privaten Business (und auch da ist vieles erlaubt oder höchstens durch die Steuern beschränkt) und auf die politischen Rechte bzw. die freie Meinungsäusserung. Der Vergleich mit El Salvador: dort ist zwar alles erlaubt, aber die Mehrheit der Bürger hat nicht die Mittel zum Business oder zur freien Meinungsäusserung…

In Kuba selber erzählten uns verschiedene Gesprächspartner: ?All unsere Probleme sind nur wegen dem Embargo der USA?. Eine in Kuba weit verbreitete Meinung. Auf der einen Seite hat die Wirtschaftsblockade der USA gegen Kuba eine grosse Wirkung, da die USA sich das Recht herausnimmt, andere Länder und Firmen schwer zu bestrafen, die in Kuba Geschäfte tätigen. So wurde zum Beispiel die UBS von den USA mit einer Busse von 100 Millionen Dollar bestraft, weil sei mit Kuba geschäftete. Und Schiffe, die kubanische Güter transportieren, dürfen danach während 6 Monaten nicht mehr in die USA fahren. Auch Kredite erhält Kuba kaum noch, da die USA den IWF und die Weltbank anweist, an Kuba nichts zu zahlen und der IWF für die gesamte Finanzwelt Vorreiterfunktion hat. Aber auf der anderen Seite lassen sich mit dem Argument des Embargos leicht auch alle hausgemachten Probleme rechtfertigen. Eine perfekte Ausrede… Denn Einiges würde auch ohne Embargo nicht funktionieren.

Einzelne andere Kubaner verglichen die Insel mit den USA und fanden, dort sei alles besser, man müsse nur das System ändern, und schon werde die Insel wie die USA. Nun, wenn wir mit den anderen umliegenden Ländern vergleichen, dann könnte das ein böses Erwachen geben…

Übrigens: warum reagiert denn die USA denn gerade auf Kuba so wild? Der Verlust Kubas war für die USA eine grosse Schmach, da die Insel vor der Haustüre liegt und fast sämtlicher Besitz auf der Insel (der dann verstaatlicht wurde) den Amerikanern gehörte. Ein Stachel sitzt also im Fleisch…

Fazit

Es lohnt sich also bei der Analyse von Kuba, mit anderen Ländern zu vergleichen. Da relativiert sich vieles, im positiven und im negativen.

0 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.