Der Kolonialismus in unseren Köpfen
Christentum, Rassismus und Umweltschutz: diese drei grossen Themen klingen auf den ersten Blick, als hätten sie kaum etwas gemeinsam. Doch schaue ich mir zum Beispiel den Regierungsstil von Jair Bolsonaro an, wird der Zusammenhang sehr offensichtlich – und er macht mich als Christin hellhörig.
Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro ist eine sehr kontroverse Figur der internationalen politischen Landschaft. Einerseits lockert er die Gesetze zur Abholzung des Regenwaldes und diskriminiert die indigene Bevölkerung, andererseits proklamiert er seinen Glauben an Jesus Christus. Für evangelikale Christen ist er ein Vorbild, für Umweltschützende und Menschenrechtler ein wandelnder Albtraum. Für mich als Christin ist es schwierig nachzuvollziehen, wie ein Mensch an Gott glauben und gleichzeitig öffentlich rassistisch und umweltfeindlich auftreten kann. Doch ein Blick in die Vergangenheit verrät, dass Bolsonaro keine Ausnahme ist.
Die Geschichte beginnt 1492. Christoph Kolumbus suchte im Auftrag der spanischen Krone einen direkten Seeweg nach Indien und entdeckte dabei Amerika. Die Entdeckung der „neuen Welt“ weckte auch das Interesse des Papstes. Mit dem Ziel das Christentum zur Weltreligion zu machen, verfasste Papst Alexander VI. im Jahr 1493 die Bulle Inter Caetera, worin er den Christen die Einnahme aller Gebiete erlaubte, die nicht von einem christlichen Herrscher regiert wurden. Spanien verfolgte fortan das Ziel Latein- und Südamerika zu erobern, zu missionieren und in den spanischen Herrschaftsbereich zu integrieren. Machtpolitische Ziele vermischten sich mit dem Gedanken, dass das spanisch-christliche Weltbild das fortschrittlichste und allen anderen überlegen war. Die Weltbilder der indigenen Bevölkerung Süd- und Lateinamerikas waren jedoch animistisch geprägt. Dies befremdete die spanischen Eroberer und Missionare. Ihre ersten Berichte über die Einheimischen waren daher aus heutiger Sicht äusserst rassistisch. Die Beziehung der Eroberer und Missionare zur einheimischen Bevölkerung war von Anfang an ambivalent. Einerseits brauchten die Eroberer die Einheimischen auf Erkundungsreisen im Landesinnern und um Rohstoffe für den Handel zu finden. Andererseits behandelten sie die Einheimischen selbst dann nicht als gleichwertig, wenn sie zum Christentum konvertiert waren. Dieses Verhalten widersprach jedoch der Bulle Inter Caetera und den Ansichten einiger Missionare, welche sich für die gleichwertige Behandlung der Konvertiten einsetzten. Einer der sich vehement für die gleichen Rechte Indigener in Mexiko einsetzte, war Bartolomé de las Casas. Er gilt noch heute als einer der ersten Menschenrechtler. Für mich ist er ein grosser Lichtblick in diesem traurigen Abschnitt europäischer und amerikanischer Geschichte.
Die Auswirkungen des Kolonialismus sind heute noch global spürbar, denn Kolonialismus fand nicht nur auf den Kontinenten dieser Welt statt, sondern auch in den Köpfen der Menschen. Zwar wurde das christliche Weltbild in Europa und den USA durch ein naturalistisches abgelöst, doch im Kern blieb der Gedanke der „weissen Überlegenheit“ (white supremacy) hängen. Gerade im Umweltschutz war dieser Überlegenheitsgedanke lange Zeit stark verbreitet. Indigene wurden von ihrem Land vertrieben, um Nationalparks zu gründen. Traditionelles Wissen über Tiere und Pflanzen wurde gegenüber der westlichen Naturwissenschaft abgewertet. Einheimische Umweltschützende erhielten einen geringeren Lohn als ihre weissen Kollegen oder durften erst gar nicht an den Artenschutzprojekten im eigenen Land mitarbeiten. Einige dieser Missstände existieren leider noch heute. Als Antwort auf die „Black Lives Matter“- Bewegung gibt es innerhalb des Umweltschutzes Bestrebungen, diese Missstände ein für alle Mal zu beheben und die Umweltschutzprojekte der einheimischen Bevölkerung besser zu unterstützen.
Bis der Gedanke der „weissen Überlegenheit“ aus den Köpfen der Menschen verschwunden sein wird, wird wohl noch etliche Zeit verstreichen. Was wir als Christen heute bereits tun können, ist genau hinzuschauen, sobald eine Regierung wie jene von Jair Bolsonaro mit derselben fremdenfeindlichen Gesinnung auf die indigene Bevölkerung des eigenen Landes zugeht wie einst die europäischen Kolonialmächte. Der Präsident von Brasilien mag sich als Christ identifizieren, doch gibt es ihm noch lange nicht das Recht den Einheimischen unter dem Deckmantel des wirtschaftlichen Fortschritts ihr Land wegzunehmen und ihre Umweltschutzprojekte zu untergraben. Genauso wie der westliche Umweltschutz muss sich auch das Christentum der Frage stellen, wo sich in seinen Überzeugungen die Idee der „weissen Überlegenheit“ eingeschlichen hat. Denn nur so wird es uns als Christenheit in Zukunft gelingen, weniger Bolsonaros und mehr de las Casas‘ hervorzubringen.
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