Die neuen administrativ Versorgten
Abgewiesene Asylsuchende, die nicht in ihr Herkunftsland zurückzukehren können, werden in Rückkehrzentren sozusagen entsorgt. Damit ist ihr Schicksal vergleichbar mit den früheren Opfern von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen, die die Schweiz vor kurzem entschädigt hat.
Mehrere Tausend Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen leben noch heute in der Schweiz, am meisten im Kanton Bern. Es gab bis 1981 auf Grundlage des früheren Zivilrechts zwei Formen dieser Zwangsmassnahmen: Verdingkinder, die fremdplatziert wurden, und administrativ Versorgte, die ohne Gerichtsurteil in Anstalten, Arbeitsheime oder Gefängnisse eingewiesen wurden. Das Unrecht, das diese Menschen erfahren haben, ist staatlich anerkannt: Bis Ende 2023 hat das Bundesamt für Justiz über 10’600 Betroffenen eine Entschädigung ausbezahlt. Das ist erfreulich, aber ebenso wichtig ist es, dass die Schweiz aus diesem dunklen Kapitel ihrer Geschichte etwas lernt.
Doch das scheint nicht der Fall zu sein, denn in den Rückkehrzentren unseres Landes werden Menschen – Kinder, Frauen und Männer – über Monate und Jahre eingepfercht. Es handelt sich um weggewiesene Asylsuchende, die nicht gezwungen werden können, in ihr Herkunftsland zurückzukehren, weil die politischen Verhältnisse dort prekär sind. So verbleiben sie in den Rückkehrzentren und werden dort sozusagen entsorgt. Wiederholt sich hier die Geschichte?
Der mittlerweile verstorbene Soziologe Zygmunt Bauman sagte bereits 2015 über die Flüchtlingslager, wie sie unsere Rückkehrzentren darstellen: «In ein solches eingewiesen zu werden heisst, aus der Welt und der Menschheit ausgewiesen zu werden … Die Wege zurück in die verlorene Heimat sind versperrt. Die Insassen der Lager werden aller Merkmale ihrer Identität beraubt, mit einer Ausnahme: der Tatsache, dass sie Flüchtlinge sind. Ohne Staat, ohne Zuhause, ohne Funktion, ohne Papiere. Sie sind dauerhaft ausgegrenzt und stehen auch ausserhalb des Gesetzes …»
«Wiederholt sich hier die Geschichte?»
Man kann es sich kaum vorstellen, aber es ist Realität: In der Schweiz leben ganze Familien über lange Zeit in Rückkehrzentren, eingesperrt auf engstem Raum. Sie leben in einer Form von Halbgefangenschaft: Machen sie einen Schritt aus dem Rückkehrzentrum hinaus, droht ihnen jederzeit eine Busse oder gar Inhaftierung wegen illegalen Aufenthalts. Sie leben in ständiger Angst vor behördlicher Repression.
Unsere kantonalen Asylbehörden sind dabei mit einer schier unlösbaren Aufgabe konfrontiert, wenn es um weggewiesene Asylsuchende geht, die nicht unter Zwang zurückgeführt werden können, denn freiwillig kehrt im Moment niemand nach Eritrea, in den Iran oder nach Tibet zurück.
In politischen Kreisen ist diese menschenrechtlich verwerfliche Praxis bekannt, aber niemand will sich an der Asylpolitik die Finger verbrennen. Schliesslich ist eine restriktive Asylpolitik ein Garant für Wählerstimmen. Nicht einmal unsere Landeskirchen engagieren sich öffentlich und mutig in der Sache: Man will die Kirchensteuerzahler nicht vergrämen und agiert neuerdings politisch möglichst neutral. Es scheint, dass unsere Kirche bei brisanten menschenrechtlichen Themen ebenso handelt wie die politische Schweiz. Das Geld kommt vor der Moral. Die Brutalität, mit der mit diesen Menschen umgegangen wird, hinterlässt Spuren in unserer Gesellschaft. Es gilt, die Worte des deutschen Menschrechtsaktivisten Karl Kopp ernst zu nehmen: Die Menschenwürde und die Menschenrechte, die zivilisatorischen Antworten auf die Barbarei, müssen verteidigt werden.
Bilder: Rückkehrzentren | AAZZ
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