Steuern – eine freiwillige Angelegenheit?

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Es ist neuerdings Mode geworden, Leute die pflichtgemäss Steuern zahlen als Trottel zu belächeln. Steuerflucht und Steuerhinterziehung gelten heutzutage als Kavaliersdelikt, wenn nicht sogar als Menschenrecht1 .

Traurig ist, dass sogar Christen in diesen Chorus miteinstimmen. So hörte ich letzthin das Bankgeheimnis mit der Begründung verteidigt, dass die andern Länder u.a. selbst an der Steuerhinterziehung ihrer Bürger schuld seien – schliesslich müssten sie ja nicht so hohe Steuern verlangen! (Bemerkung: Das Bankgeheimnis in der Schweiz ermöglicht den Bürgern eines anderen Lands Steuerhinterziehung, indem diesem Land bei Verdacht auf Steuerhinterziehung keine Amts- und Rechtshilfe geleistet werden kann). Ist es nicht anmassend und unfair, an den Steuerhinterziehern anderer Länder zu verdienen, wenn diese Länder ihre Steuersätze demokratisch bestimmt haben?

Auch ein christlicher Nationalrat äusserte sich vor kurzem auf schockierende Weise. Er wurde gefragt, was er an der Schweiz besonders schützenswert finde. Als Antwort pries er das Schweizer Steuersystem, das den Bürger nicht einfach zum Steuernzahlen zwinge, sondern ihm erlaube soviel zu zahlen, wie er gerne möchte2 . Gänzlich verantwortungslos ist es, wenn sogar Bundesräte und andere Führungspersönlichkeiten ins selbe Horn blasen und Steuern als etwas darstellen, das man nur zahlt, wenn es einem gerade entspricht. So sagte z.B. Kaspar Villiger: „Wenn der Preis für die Dienstleistungen eines Staates fair ist, dann sind die Leute willig, Steuern zu bezahlen“. Und wenn der Staat mal nicht exakt nach meinem Fairness-Verständnis handelt – bin ich dann gerechtfertigt, meine Steuern zu verweigern? Mit allen Mitteln versuchen bürgerliche Politiker heute, es einfacher zu machen, den Steuern auszuweichen. Zu diesen Mitteln gehören:

  • Das Anheizen des Steuerwettbewerbs (zwischen Gemeinden, Kantonen und Nationen).
  • Das Gewähren von Steuererleichterungen, um Multimillionäre und Firmen anzuziehen. Dies ist oft eine sehr intransparente Angelegenheit3.  und verletzt elementare Grundsätze der Gleichheit vor dem Gesetz4 .
  • Die Weigerung, stossende Steuerschlupflöcher zu stopfen.
  • Das Bankgeheimnis: Es stellt eine besondere Ungerechtigkeit dar, weil wir damit den Bürgern anderer Länder die Steuerhinterziehung ermöglichen.

Was steckt für eine Einstellung hinter diesem Herumhacken auf einer minimal anständigen Steuermoral? Zuerst einmal ist das, dass es allen – Armen wie Wohlhabenden – schwer fällt, Steuern zu zahlen. Das ist verständlich und darf nicht kritisiert werden. Aber es spielt auch noch ganz anderes mit. Da ist zuerst einmal ein krampfhaftes Streben nach Geld – eine Sucht, die keine Lockerheit und Grosszügigkeit kennt.

Eine grundsätzliche Ursache für die gegenwärtige Steuerverachtung ist, dass die Bürger sich nicht mehr als Teil einer Gemeinschaft empfinden: Sie spüren nicht mehr, dass sie zu ihrem Land gehören und dass ihr Reichtum ohne das Zusammenspiel vieler Menschen nicht zustande gekommen wäre und dass sie enorm von den Dienstleistungen des Staates profitieren. Hier kommt das ganze Staatsverständnis hinein, das sich verändert hat. Also müssen wir einmal ganz von vorne anfangen…

Steuern – gemeinsame Lösungen ermöglichen

  • Wir sind nicht einfach unabhängige Individuen, sondern alle Anderen sind unsere Nächsten, auf die wir Rücksicht nehmen müssen, die genau die gleichen Rechte haben und vor Gott gleich viel wert sind. Alle unsere Handlungen haben Auswirkungen auf die Nächsten.
  • Deshalb braucht es Gesetze und Regeln, um das Zusammenleben zu regeln.
  • Damit wir zusammenleben können, müssen wir vieles Grundsätzliche gemeinsam festlegen: wieviel sollen wir gemeinsam machen, wieviel jeder einzeln, welches Wirtschaftssystem sollen wir haben, etc. So braucht es eine gemeinsame Organisation, wo jeder Einzelne gleich viel zu sagen hat: der Staat. Der Staat, das ist also nicht ein böses fernes Gebilde, sondern dazu gehören wir alle!
  • Da wir diese Regeln gemeinsam festgelegt haben, gelten sie auch für alle gleich, und wir dürfen uns nicht einfach zu unserem Vorteil hinausschleichen. Den Stärksten wäre dies vielleicht recht, aber die christliche Nächstenliebe weist uns an, auch die Rechte der Schwächsten zu respektieren.
  • Zur gemeinsamen Organisation gehört auch eine gemeinsame Finanzierung des Beschlossenen, und eine Regel, wer wieviel beitragen soll. Da Reichtum nur zu einem kleinen Teil auf Leistung beruht, ist es normal, dass Reiche mehr beitragen müssen als Arme, und dass eine Steuerprogression die vom Markt extrem ungleich vorgenommene Verteilung wieder ein klein wenig abmildert.
  • Insofern müssen Steuersätze so gestaltet sein, dass jeder beiträgt, was er beitragen kann, und gleichzeitig auch einen Teil der Frucht seiner Anstrengungen behalten kann. Das muss gut austariert sein. Es ist jedoch absurd, wenn sich jemand beklagt, dass er nur 60 von seinen 100 Millionen Franken Einkommen pro Jahr behalten kann. Das hat nichts mehr mit Leistung zu tun und er kann deshalb auch nicht von „Ungerechtigkeit“ reden.
  • Es kann also niemand reklamieren, er müsse für Andere arbeiten: denn er profitiert genauso von den gemeinsamen Leistungen und er profitiert von einem gemeinsam festgelegten System, das es ihm erst möglich macht, so viel zu verdienen. Also muss er auch für durch das System verursachte Schäden aufkommen und andere unterstützen, die vom System benachteiligt werden oder die vom heutigen Wirtschaftssystem schlicht rausgeworfen werden, weil sie nicht genügend leistungsfähig sind.
  • Wenn jemand sagt, es lohne sich bei höheren Steuern nicht mehr zu arbeiten, dann muss die Arbeitsmoral doch in Zweifel gezogen werden… Arbeiten wir nur noch um noch reicher zu werden?
  • Gewisse meinen, Umverteilung sei unbiblisch. Ganz klar falsch: siehe dazu den Text „Biblische Steuerpolitik“ auf der Website von ChristNet. Andere sagen, die Steuerprogression sei unbiblisch, in der Bibel habe es nur die Flat Tax gegeben. Auch das ist falsch. Erstens: die Flat Tax der Bibel muss im Zusammenhang mit anderen Umverteilungen gesehen werden. Alle sieben Jahre wurden die Schulden erlassen und alle 50 Jahre gab es das Halljahr, wo aller Grundbesitz (also das Haupt-Kapital aller) wieder an den ursprünglichen Besitzer zurückging. Akkumulation von Ungleichheiten wie heute war also nicht möglich. Heute wird die (minimale) Erbschaftssteuer im Gegenteil aber abgeschafft. So kann nicht gleichzeitig eine „christliche“ Flat Tax eingeführt werden… Zweitens: in der biblischen Zeit waren die möglichen Einkommensunterschiede zwischen den mehrheitlich als Bauern oder Handwerker tätigen Menschen viel kleiner. Deshalb war eine ausgleichende Progression gar nicht nötig. Es steht uns also frei, dies heute anders zu machen, wenn die Umstände dies erfordern, um dem ursprünglichen biblischen Sinn genüge zu tun.
  • Und schliesslich gibt es auch noch solche, die finden, dass es heute der Situation gleiche, als die Propheten darüber geklagt haben, dass die Machthaber die Untertanen mit hohen Steuern drückten. Darauf können wir nur antworten, dass der Vergleich schlicht grotesk ist: damals ging es um Menschen in Existenznot, heute kommt diese Klage vor Allem von Menschen mit Haus, Auto und Fernreise-Ferien…

Als Christen wollen wir denjenigen, die das Steuerzahlen lächerlich machen, eine andere Einstellung gegenüberstellen. Wir freuen uns, zur Schweiz zu gehören und sind bereit, unsern Teil beizutragen – sprich: wir sind bereit Steuern zu zahlen. Wir wissen, dass der Staat eine notwendige Institution ist. Der Staat – das sind wir! Nicht zuletzt hat uns Jesus gelehrt, dass Steuernzahlen eine Selbstverständlichkeit ist. Als die Pharisäer ihn danach fragten, verlangte er eine Münze, zeigte auf den darauf abgebildeten Kaiser und meinte: „Gebt des Kaisers, was des Kaisers ist!“ (Matth. 22,21)

In letzter Zeit ist besonders der Steuerwettbewerb zum Königsweg geworden, den Steuern auszuweichen. Deshalb noch einige Worte dazu.

Steuerwettbewerb in der Schweiz

In den vergangenen Monaten wird immer wieder bekannt, dass Wirtschaftsführer in einen „steuergünstigeren Kanton oder Gemeinde“ umziehen. Steuern sollten dort bezahlt werden, wo der „Lebensmittelpunkt“ liegt. Dies ist beim neuen Wohnort kaum der Fall. Es handelt sich also eigentlich um Betrug. Dies ist umso verwerflicher, als die betreffenden Menschen genau wissen, dass sie nicht sagen können, ihre 20 Millionen pro Jahr seien alles Eigenleistung und somit sei es ungerecht, wenn „zu viel“ Steuern verlangt würden…

Sie spielen damit die Kantone und Gemeinden gegeneinander aus, die gezwungen werden, vor Allem die Steuersätze der Reichen zu senken und Erbschaftssteuern etc. abzuschaffen, um nicht viel Geld zu verlieren. Die Reichen werden damit übermässig politisch bestimmend, es gilt nicht mehr „eine Stimme pro Person“.

Gleichzeitig werden dabei die Ungleichheiten zwischen den Kantonen immer grösser, denn durch Zuzüge reicher gewordene Kantone können die Steuersätze weiter senken und locken damit weitere Reiche an. Dasselbe in die andere Richtung passiert mit den ärmeren Kantonen. Diese können nicht ohne Härte gegenüber den Bedürftigen die Steuern senken. Damit geraten die Kantone in einen Teufelskreis: Die Reicheren werden automatisch reicher – die Ärmeren automatisch ärmer. Die Steuerunterschiede haben ursprünglich aber vor Allem mit ungleichen Bedingungen zu tun:

  • Bergkantone haben höhere Ausgaben (weite Wege etc.) und kleinere Einkommen (weit weg von wirtschaftlichen Zentren, niedrigere Standortattraktivität)
  • Städtische Zentren haben höhrere Ausgaben wegen vermehrter Konzentration von sozialen Problemen und weniger Einnahmen wegen „schlechterer“ Bevölkerungsstruktur (viele Arme, Alte, Ausländer, Studierende, etc.). Familien ziehen weg wegen des Verkehrs, der Krankenkassenprämien und der Lebensqualität. Gleichzeitig haben Städte weitere Zentrumsleistungen zu erbringen für eine ganze Region, vor Allem im Bereich Kultur, Infrastruktur und Verkehr.
  • Am Besten haben es zentrumsnahe Kantone mit guter Wohnlage: so ist es nicht verwunderlich, dass Baselland, Zug, Schwyz und Nidwalden viele zuziehende Pendler mit vollem Portemonnaie verzeichnen konnten und heute steuergünstig sind. Die Mär, dass es diesen Kantonen vor Allem wegen „guter Amtsführung“ gut gehe, wird leider trotz allem noch gerne verbreitet…

Manche nutzen den Steuerwettbewerb mit gutem Gewissen aus. Sie sagen sich „Wettbewerb ist doch auf dem Markt ein gutes Prinzip, das Effizienz schafft. Wenn Wettbewerb zwischen Firmen gut ist, dann ist er das doch sicher auch zwischen Kantonen und Staaten“. Diese Leute missachten die simple ökonomische Tatsache, dass der Wettbewerb (der Markt) oft versagt. Und genau dort, wo man mit dem Wettbewerb nicht weiterkommt, braucht es den Staat (Justiz, Umwelt, Infrastrukturprojekte, …). Wenn nun das Wettbewerbsprinzip auch auf den Staat angewandt wird, der ja genau dazu da ist die Mängel des Wettbewerbs zu beheben, so beisst sich die Katze in den Schwanz. Der Staat ist das Ergängzungsstück zum Wettbewerb. Wir dürfen nicht auch ihn noch dem Wettbewerb opfern.

Was heisst das für den Einzelnen? Will ich wegen tieferer Steuern in den Nachbarkanton umziehen oder gar den „offiziellen Wohnsitz“ nach Zug verlegen? Wir schlagen vor, aus Solidarität zu bleiben, wo man ist, auch wenn es etwas kostet, und nicht zu dieser elenden Spirale beizutragen. Es braucht heute Leute, die gegen den Strom schwimmen.


1. z.B. Phil Gramm, stellvertrender Vorsitzender der UBS Warburg: „Schweizer Bankiers sind grosse Wohltäter der Menschheit (…). Sie haben nicht nur das Vermögen der Menschen geschützt, sondern auch ihre Freiheit. Die Möglichkeit der Menschen, ihr Geld zu verschieben, um es zu schützen (…), ist eine der Grundfreiheiten der Menschen auf diesem Planeten.“ (siehe „Wegleitung zur Steuerhinterziehung“, erhältlich bei www.evb.ch). (Bemerkung dazu: Der republikanische Senator Phil Gramm stellt sich mit diesen Aussagen deutlich gegen die Bibel. Im Gesetz, das Mose gegeben wird, wird das Eigentumsrecht nämlich alles andere als absolut geschützt).

2. Auf die Frage „Was ist das Besondere unseres Schweizer Staates, das Sie erhalten wollen?“: „Wir haben eine Heimat, die zu erhalten sich lohnt. Wir haben hier immer noch weltweit einmalige Regelungen. Dies zeigt sich auch im Steuerrecht: In der Schweiz traut der Staat dem Bürger zu, dass er in seiner Steuererklärung selbst angibt, was er verdient und an Vermögen hat. Aufgrund dieser Daten wird er nachträglich besteuert, gemäss Steuersätzen, die er auch selbst beschliesst. Kurz: Der Staat lässt dem Bürger das Einkommen, und dieser sagt: Soviel will ich an Steuern zahlen. In anderen Ländern nimmt der Staat dem Bürger von seinem Einkommen weg, was er meint brauchen zu müssen, und die Steuersätze werden nicht direktdemokratisch vom Volk bestimmt.“ (siehe http://www.jesus.ch/index.php/D/article/151-

Schweiz/26051-30_Jahre_-_und_kein_bisschen_heiser:_Die_EDU_ersehnt_eine_bessere_Demokratie/)

3.  Im Kanton Bern sorgte im Herbst 2005 für einiges Aufsehen, dass selbst die Kantonsparlamentarier Mühe hatten, in Erfahrung zu bringen, welche Firmen unterstützt werden. Als sie dann an die Liste herankamen, staunten selbst bürgerliche Politiker über die grosse Zahl an gewährten Steuererleichterungen (siehe „Der Bund“ vom 8.9.2005).

4. Siehe dazu auf www.christnet.ch den Text „Pauschalbesteuerung superreicher Ausländer“ und den entsprechenden Brief an ausgewählte NationalrätInnen.

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