Staatlich verordnete Nächstenliebe?

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Bisweilen hört man in christlichen Kreisen, dass Nächstenliebe eine Sache jedes Einzelnen sei und nicht in Form einer „gesetzlich verordneten Solidarität“ durchgesetzt werden sollte. Damit wird jegliche Staatshilfe für arme und bedürftige Menschen in Frage gestellt.

Zwei Schienen

Unserer Meinung nach stellen private Grosszügigkeit und staatlicher Ausgleich zwei Schienen dar, die man immergleichzeitig fahren sollte. Es ist nicht gut, nur den Staat für Gerechtigkeit und Barmherzigkeit verantwortlich sein zu lassen, wie das z.B. die „Cüplisozialisten“ wollen: Sie teilen privat ihren Reichtum nicht, weil sie schon politisch dafür kämpfen, dass der Staat umverteilt. Es ist aber auch nicht gut, nur auf der persönlichen Ebene zu teilen; es braucht auch ?staatlich verordnete Solidarität?. Warum?

Zwei Gründe

Ich will nur ganz kurz zwei Gründe nennen: Erstens sieht man solche „verordnete Umverteilung“ in den Ordnungen, die Mose für das Volk Israel erhalten hat. Die staatliche Solidarität ? nicht nur eine freiwillige Grosszügigkeit auf persönlicher Ebene ? nimmt im alten Testament breiten Raum ein.1  Vielleicht ist das ja so, weil die Menschen nicht einfach von sich aus gut und zum Teilen bereit sind und wir in einer gefallenen Welt leben?

Zweitens leben wir heute in einer extrem komplexen Welt, in der staatliche Regelungen alles durchdringen: Durch die Gesetzgebung ermöglicht der Staat der Wirtschaft, zu gedeihen, indem er Infrastrukturen bereitstellt, internationale Handelsverträge aushandelt, den Wettbewerb garantiert, in die Bildung zukünftiger Arbeitskräfte investiert, einen verlässlichen gesetzlichen Rahmen bereitstellt, der überhaupt das Wirtschaften ermöglicht (z.B. ZGB) usw. Diese staatliche Unterstützung der Wirtschaft ermöglicht es den einen, reich zu werden und macht es anderen2  viel schwieriger, über die Runden zu kommen.

Angesichts dieser wichtigen Rahmenfunktion des Staates ist es doch nichts als fair, dass der Staat auch für einen gewissen Ausgleich sorgt. Weshalb sollte der Staat nicht auch für Solidarität sorgen, wenn er diese Solidarität aufgrund seiner Wirtschaftspolitik oft überhaupt erst nötig macht?

Dominic Roser mit Samuel Ninck, Januar 2007



1.  Ausführlicher bei Markus Meury (Biblische Steuerpolitikwww.ChristNet.ch, 2007): ?Der Zehnte diente nicht nur zur Bezahlung der Leviten, sondern auch zur Armutslinderung: Alle 3 Jahre ging 10 % der Ernte an Arme. Die Nachlese nach der Ernte war den Armen vorbehalten (3. Mose 19.10). Alle 7 Jahre blieb ein Feld unbestellt. Die Frucht gehörte den Armen (2. Mose 23.11). Alle 7 Jahre wurden die Schulden erlassen (?damit kein Armer unter Euch sei?, wie es in 5. Mose 14.4 heisst). Von den Angehörigen des eigenen Volkes durften keine Zinsen verlangt werden. Alle 50 Jahre (im sogenannten Jubeljahr, 3. Mose 25, 8-31) ging in der Not verkauftes Land an die ursprünglichen Besitzer zurück, um der strukturellen Ungerechtigkeit vorzubeugen und allen ein Auskommen zu ermöglichen, denn Landlosigkeit bedeutete den ersten Schritt in die Verarmung.?

2. z.B. den Menschen, die durch den rasanten technologischen Fortschritt überfordert sind, den Bauern oder den afrikanischen Staaten, die durch die Liberalisierung des Weltmarktes geschwächt werden usw.

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