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Dach dem Vergleich der beiden Länder (siehe die beiden Artikel zu El Salvador bzw. Kuba) scheint es mir, dass ein dritter Weg zwischen den beiden Extremen noch immer der menschenwürdigste ist. Leider hat sich nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Blocks der Kapitalismus entfesselt und hat neue Wege verdrängt.

Doch was nützt durch Liberalisierung generiertes Wachstum, wenn gerade diejenigen, die die Verbesserung der Lebensumstände am nötigsten hätten, noch ärmer werden? Und selbst im nunmehr ?reichsten Land der Erde?, den USA, hören wir auch nach 25 Jahren Neoliberalismus und starkem Wirtschaftswachstum, ?Gesundheitsversorgung und gute Bildung für alle ist nicht bezahlbar?. Worauf warten wir denn? Oder haben nicht alle Menschen, ungeachtet ihrer Leistungsfähigkeit, ein Recht auf ein würdiges Leben in akzeptabler Gesundheit und mit einer Bildung, die ein selbständiges Fortkommen erst ermöglicht? Es gibt auch keine Freiheit ohne die Fähigkeit, diese Freiheit auch zu gebrauchen.

In sozialistischen Systemen hingegen liegt sehr viel Potential brach, da Antriebe zur Ausschöpfung der Gaben nicht ermöglicht werden. Das Verbot, sich auszudrücken und die Unmöglichkeit, an der Situation etwas zu ändern sorgt für viel Frust, auch wenn in kapitalistischen Ländern für einen Teil der Bevölkerung die Situation faktisch nicht anders ist.

Warum denn nicht endlich die guten Seiten beider Modelle kombinieren?

–        Gesundheit und Bildung für alle, damit die Chancengleichheit wirklich gegeben ist, damit jeder die Fähigkeit hat, für sich zu sorgen.

–        Freiheit für unternehmerisches Handeln, aber gewisse Umverteilung durch Steuern, damit die Kluft zwischen reich und arm nicht wieder zu Chancenungleichheit führt.

–        Wo eine solche ?Behinderung der unternehmerischen Tätigkeit? zu mangelndem Wachstum und damit zu Arbeitslosigkeit führt, muss gemeinschaftsdienliche Arbeit durch staatliche Stellen und NGO?s geschaffen werden. Für alle gilt Pflicht zur Arbeit.

–        Wachstum muss allen zu Gute kommen, die daran arbeiten. Deshalb ist auch Umverteilung und gute Öffentliche Dienste eine Frage der Gerechtigkeit.

–        Echte Demokratie durch gesetzlich geregelten gleichen Zugang zu Wahlwerbung, Medien und öffentlicher Debatte.

–        Marktwirtschaft hat in diesem Rahmen seinen wertvollen Platz. Hingegen muss die Werbekraft der Unternehmen auf ein vernünftiges Mass beschränkt werden. Es darf nicht sein, dass materielle Bedürfnisse durch Gehirnwäsche immer neu geschaffen werden.

Diese Postulate sind umso eher möglich, je mehr auch christliche Werte zum Zuge kommen:

–        Gerechtigkeit und Solidarität: es wird auf den gerechten Zugang zu den Grundbedürfnissen geachtet.

–        Verteilung des Lohnes nach Leistung muss heissen nach Leistungsbereitschaft und nicht nach Leistungsfähigkeit bzw. Marktfähigkeit der Gaben.

–        Arbeit: Einerseits soll gelten: Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen. Auf der anderen Seite darf es auch nicht sein, dass gewisse Leute sagen, es lohne sich ja gar nicht, mehr zu leisten, wenn ein Teil dieser Mehrleistung als Steuern allen zu Gute kommt. Wollen wir nur zu unserem egoistischen Nutzen arbeiten? Wir dürfen uns auch nicht länger sagen ?das ist halt so?, sondern offen gegen solche Mentalitäten Stellung beziehen! Arbeit muss als Dienst am Wohl des Nächsten verstanden werden!

Hindernisse

Aber warum aber kommen wir nicht dort hin, wo es allen Menschen guten Willens gut gehen würde? Dafür gibt es keine einfachen Erklärungen, aber ich denke, ein wichtiger Faktor ist, dass wir nicht bereit sind, zu teilen und von unseren egoistischen Vorstellungen abzulassen. Selbst wir Christen haben es noch nicht geschafft, das Wohl des Nächsten genauso hoch zu werten wie das eigene Wohl, und wir flüchten uns aus Sorge um unser Gut in Rechtfertigungsideologien, die uns ein gutes Gewissen geben, nicht zu teilen oder die uns gar sagen, dem Nächsten müsse aus Liebe zu ihm vor allem die Faulheit ausgetrieben werden… So lange wir damit nicht aufräumen, indem wir unsere eigenen Ängste konfrontieren, so lange wird es uns nicht gelingen, gerechte und für alle Menschen wohltuende Systeme zu schaffen. Einfach ist dies nicht, wie jeder von uns bei sich selber sieht. Wir können uns nur auf den Weg dorthin machen.


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Das zentralamerikanische Land El Salvador hat auf der Hälfte der Fläche der Schweiz etwa gleich viele Einwohner wie Helvetien. Es ist das Land der Vulkane, grün, tropisch, aber durch die dichte Besiedelung ist der Regenwald inzwischen verschwunden. Dafür rennen überall Hühner herum und der Mais ist das Grundnahrungsmittel. Dies als kleines Eindrucks-Mosaik…

Im Sommer/Herbst 2004 erhielten wir (meine Frau Carine und ich) einen tiefen Einblick in das Leben und die Gesellschaft dieses Landes. Wir wohnten dabei hauptsächlich in der Hauptstadt San Salvador bei Miguel, dem Leiter der Menschenrechtskommission von El Salvador, unternahmen aber ausgedehnte Reisen in andere Landesteile. Dabei liefen wir immer wieder Christen über den Weg, mit denen wir viel erleben konnten.

Blutige Geschichte

El Salvador war wie alle umliegenden Länder eine spanische Kolonie und wurde erst im 19. Jahrhundert unabhängig. Seit dieser Unabhängigkeit herrschen de facto die ?14 Familien?, mehrheitlich Abkömmlinge der Aristokratie, denen lange Zeit der grösste Teil des Landes gehörte. Die Oberschicht hat die aristokratische Mentalität weitergeführt und nimmt die Armen noch heute vor allem als wertloses Pöbel wahr.

Die dichte Besiedelung führte schon früh zu Nutzungskonflikten. Doch die Forderung der landlosen Bauern nach Landreform endete in den dreissiger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts jeweils in Repression mit zehntausenden von Opfern. Die Wunden des Bürgerkrieges der achtziger Jahre sind noch nicht verheilt. Wie kam es dazu?

Ende der siebziger Jahre forderten die Bauern eine Landreform, und die damals regierende Christdemokratische Partei arbeitete ein entsprechendes Projekt aus. General Roberto D?Aubuisson und seine Anhänger aus den reichen Familien wollten dies aber nicht hinnehmen und gründeten die ARENA-Partei und die Todesschwadronen . Diese hatten den Auftrag, alle Exponenten der Landreform umzubringen. Getötet wurde dabei auch der berühmte Erzbischof Romero, der zunächst apolitisch war, aber mit der Zeit die Ungerechtigkeiten im Land offen kritisierte. Die Spirale der Gewalt drehte sich immer schneller, bis 1980 ein offener Bürgerkrieg ausbrach. D?Aubuisson wurde Präsident, und die Todesschwadronen sowie gewisse Armeeeinheiten brachten etwa 70’000 zivile politische Gegner um. Das das in den USA trainierte Bataillon Atlacatl verübte dabei die grössten Massaker, so dasjenige von El Mozote, wo die gesamte Dorfbevölkerung inklusive Kinder (1000 Einwohner) zusammengetrieben und exekutiert wurde. Die kommunistische Rebellen brachten aber ebenfalls 5’000 Zivilisten um. Anfang der neunziger Jahre wurde endlich ein Frieden geschlossen, wobei es zu einer teilweisen Landreform kam.

 

Tragisch ist, dass dieser Krieg theoretisch doch eigentlich vermeidbar gewesen wäre:

Wenn die reichen Familien ein Gehör für die Schreie der landlosen Armen gehabt und sich nicht mit Gewalt gegen die demokratisch angegangene Landreform gestellt hätten, wäre das Blutvergiessen wahrscheinlich nicht geschehen und hätte gleichzeitig den Rebellen der Wind aus den Segeln genommen werden können. Dies erinnerte mich an die Bibelstelle, wo es heisst, dass die Gier die Wurzel allen Übels sei. Sie zieht sich durch viele unserer Lebensbereiche und hat hier besonders schlimme Auswirkungen gehabt. Dahinter verbirgt sich meines Erachtens die Angst um das eigene Wohl, das offenbar Arm und Reich gleichermassen trifft. Offenbar ist es schwierig, davon loszukommen.

Die amerikanische Politik ?Der Feind meines Feindes ist mein Freund? wurde auch hier blindlings durchgezogen. In der Absicherung des amerikanischen Hinterhofes gegen den Kommunismus wurde blind auf die herrschende Schicht gesetzt, was immer diese auch tat. Zeitweise flossen pro Jahr über 500 Millionen Dollar Militärhilfe ins Land. Erst Ende der achtziger Jahre, nachdem auch amerikanische Bürger von den Todesschwadronen ungebracht worden waren, entzog der amerikanische Präsident Bush Senior der Salvadorianischen Regierung das Vertrauen. Darauf wurde ein Friede möglich. Die Lehre daraus ist meines Erachtens ähnlich wie oben: wenn die Nöte der Armen ernst genommen worden wären, statt die Welt in die Guten (weil auf unserer Seite, egal was sie tun) und die Bösen auf der anderen Seite einzuteilen, wäre das Blutvergiessen wahrscheinlich zu vermeiden gewesen.

Die Menschenrechte heute

Die politische Gewalt ist heute bei Weitem nicht mehr derart virulent, aber die Armen stehen noch immer unter Druck. Heute geht es vor Allem um das Recht auf Leben (Zugang zu Wasser, Gesundheitsversorgung und Land) und das Recht auf politische Mitsprache. Letzteres heisst zunächst einmal Bildung in einem Land, wo noch immer ein Drittel der Einwohner Analphabeten sind und sich kaum ausdrücken können. In den achtziger Jahren hat El Salvador am sechstwenigsten aller Länder für öffentliche Bildung ausgegeben. Denn eine herrschende Schicht hatte (und hat zum Teil immer noch) offenbar kein Interesse an einer gebildeten Unterschicht.

Während unserer Mitarbeit in der Menschenrechtskommission wurden wir mit unterschiedlichsten Fällen von Menschenrechtsverletzungen konfrontiert. Hier zwei Beispiele:

Am östlichsten Zipfel an der Pazifikküste von El Salvador liegt das Dorf ?Las Mueludas?, an der Punta del Jaguey. Vor etwa 70 Jahren begann die Besiedelung dieser vormals unbewohnten Gegend. 60% der 250 Familien leben vom Fischfang, die Restlichen von der Landwirtschaft. Den etwa 1500 Einwohnern stehen ein Dutzend Villen von Superreichen am Strand gegenüber, die in der Postkarteidylle ihre Wochenendresidenz errichtet haben.

In den siebziger Jahren baute die Armee am Dorfrand eine Landebahn der Luftwaffe. Im Jahr 2001 plante sie, die Landebahn zu verbreitern, offiziell ? um die Souveränität des Landes zu gewährleisten?. In Wirklichkeit ist der Ausbauplan Teil des US-Amerikanischen ?Plan Colombia?, der den Drogenhandel in Mittel- und Südamerika militärisch zu bekämpfen versucht. Der gesamten Bevölkerung von Las Mueludas (ausser den Villenbesitztern am Strand) wurde geheissen, das Dorf zu räumen, denn sie seien unrechtmässige Besetzer des Landes. Dies, obwohl nach Salvadorianischem Gesetz das Land an die Siedler übergeht, wenn nach dreissig Jahren Besiedelung niemand Anderes Besitzrechte geltend gemacht hat. Die meisten Bewohner der Mueludas sind bereits über 30 Jahre da, ohne dass es je irgendwen gestört hätte.

 

Nachdem sich die Ansässigen aber geweigert hatten, zu gehen, wurden sie von der Armee terrorisiert: Tiefflüge über dem Dorf, Schüsse in Richtung der Häuser und Besuche von drohenden Offizieren waren an der Tagesordnung. Die Bewohner wandten sich schliesslich an die unabhängige Menschenrechtskommission (Comision de los Derechos Humanos de El Salvador, CDHES), die den Fall publik machte. Miguel Montenegro, der Leiter der Menschenrechtskommission, erklärt: ? Wir haben den Fall bei der interamerikanischen Menschenrechtskommission und bei der UNO rapportiert. Gleichzeitig haben wir hier die Medien und alle in El Salvador ansässigen Botschaften informiert sowie Anwälte eingeschaltet. Plötzlich hörten die Einschüchterungen auf.? Die Armee hat die Dorfbewohner wegen ?Landbesetzung? verklagt, und bald wird das Gericht entscheiden. Aber Salvadorianische Gerichte sind, gestützt auf die Machtverhältnisse, nicht immer auf der Seite des Rechts. Die Bewohner von Jaguey wollen denn auch weiterkämpfen, sollten sie verlieren. ? Sie werden uns nicht lebendig von unserem Land wegkriegen. Wohin sollten wir denn auch gehen?? meint Don Mariano mit bestimmtem Ton. ? Die Menschenrechtskommission ist für uns eine entscheidende Stütze. Und die internationale Bekanntheit des Falles gibt uns Hoffnung.?

Ein zweiter Fall spielt sich in der entgegengesetzten Ecke des Landes ab, und zwar in San Fransisco am Lago de Guija. Auf einer Halbinsel des malerischen Sees an der Grenze zu Guatemala haben sich seit 60 Jahren Fischer niedergelassen. Auf dem Hügel finden sich zudem zahlreiche Gräber und Gegenstände aus der Maya-Zeit: Tonköpfe, Werkzeuge sowie Schmuck. Für einen Honduranischen Investor Grund genug, um hier ein Hotel zu planen. Hierzu kaufte er dem salvadorianischen Staat zunächst die Grundrechte für das Terrain ab, obwohl die heutigen Bewohner schon vor einigen Jahren die Besitzrechte bezahlt hatten (der Staat hat die Urkunden allerdings nie ausgestellt). Als die Bewohner ihr Land nicht verlassen wollten, schickte der Investor bewaffnete Banden vorbei, um die Fischer zu vertreiben. ?Sie sagten uns, sie würden unsere Kinder töten, wenn wir nicht bald verschwinden. Don Leon, der im Rollstuhl sitzt, haben sie auch mit dem Tod bedroht.?, erzählt Raul, ein vifer alter Kämpfer. Eine der insgesamt 17 Familien ist bereits geflüchtet, doch die Anderen wollen ausharren. Auch hier wurde die Menschenrechtskommission eingeschaltet. Diese stellt Anwälte zur Verfügung, weil der Staat die Bewohner nun wegen ?Landbesetzung? vor Gericht gezogen hat.

 

Dank dieser Basisarbeit der lokalen Menschenrechtskommission werden die Menschen in El Salvador mehr und mehr respektiert. Sie vernetzt sich dabei aber auch mit Menschenrechtsorganisationen anderer lateinamerikanischer Ländern, denn diese kennen ähnliche Probleme. In den beiden oben beschriebenen Fällen ist aber auch internationaler Druck auf die salvadorianische Regierung vonnöten, um den Menschenrechten zum Durchbruch zu verhelfen.

 

Sozialer Zerriss

Nach dem Bürgerkrieg hat sich das Land wirtschaftlich erstaunlich rasch erholt. Die ultraliberale Wirtschaft wuchs rasch, und Shopping-Malls schossen aus dem Boden. Doch vom Wachstum profitierten nur die Oberschicht und eine nur langsam wachsende Mittelschicht. Die Armen bleiben arm, sie leben auf dem Land oder in riesigen Slums in den Städten. Noch heute sind 50% der Kinder unterernährt, haben die Meisten keinen Zugang zur medizinischen Grundversorgung und sind grosse Teile der Bevölkerung ungebildet.

Aber ist El Salvador nicht demokratisch, und könnte die Mehrheit dies nicht ändern? Theoretisch schon, aber in der Praxis sieht es anders aus:

·        Die noch immer regierende ARENA-Partei hat die Wahlkreise so eingeteilt, dass die Opposition auch mit einer Mehrheit der Stimmen noch immer nur 40% der Sitze hat.

·        In der Wahlkampfphase überzieht die ARENA mit dem Geld der reichen Familien das Land mit einer Gehirnwäsche ohnegleichen. Das ganze Land wird mit ihren rot-weiss-blauen Farben überzogen. Das wirkt.

·        Und notfalls gibt?s auch Hilfe von Aussen: bei den letzten Präsidentenwahlen in El Salvador drohte die USA offen, die salvadorianischen Emigranten aus den USA (die den zu Hause gebliebenen Verwandten viel Geld senden) auszuweisen, sollte der sozialistische Gegenkandidat gewählt werden.

Die Aussichtslosigkeit weitere Teile der Bevölkerung zieht eine riesige Kriminalität nach sich. Genährt wird diese, wie in anderen von Kriegen geschüttelten Ländern, durch die weite Verbreitung von Waffen und durch die im Krieg gemachte Erfahrung, dass eigene und das Leben der Anderen wertlos sei. Die Oberschicht reagiert leider wie gehabt: Einbunkern hinter Stacheldraht und Panzertüren, und dazu bewaffnete Sicherheitsagenten an jeder Strassenecke in ihren Wohnvierteln. Die Einsicht, dass an den sozialen Verhältnissen etwas geändert werden könnte, ist noch nicht durchgedrungen…

 

Ausblick

Trotz all dieser Widerwärtigkeiten haben wir die Menschen in diesem Land als sehr gastfreundlich erlebt. Sie versuchten uns zu zeigen, dass El Salvador auch Anderes bietet als Gewalt und Misere. Wir bleiben jedenfalls sehr mit ihnen verbunden. Und wir unterstützen weiterhin Gruppen wie die Menschenrechtskommission, die sich aktiv für eine Veränderung des Landes einsetzen.