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Wie kann ich als Christin oder Christ aktiv werden?

Der Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden ist tief in der christlichen Tradition verankert. Doch schauen wir heute um uns und auf die Welt, ist diese von sozialen Konflikten, Armut bis hin zu bewaffneten Auseinandersetzungen geprägt. Wie kann ich als Christin oder Christ dazu beitragen, dem Shalom, Gottes grossem Friedensprojekt für uns Menschen, näherzukommen?

Der Prophet Micha rief bereits vor über 2500 Jahren zum sozialen Engagement zugunsten der Gerechtigkeit auf: «Es ist dir gesagt worden, Mensch, was gut ist und was Gott von dir erwartet: Gerechtigkeit üben, Gemeinschaftssinn lieben und aufmerksam mitgehen mit deinem Gott.» (Micha 6,8) Diese Worte haben bis heute nichts an ihrer Bedeutung verloren, denn wo wir auch hinschauen, ist unsere Gesellschaften von tiefen Kluften zwischen den Menschen geprägt. Oft spielen dabei Merkmale wie soziale Herkunft, Kultur, Geschlecht, Religion, politische Überzeugung oder Eigentum eine Rolle. Diese Kluften und das Macht- und Profitstreben einzelner Gruppen führen nicht selten zu bewaffneten Konflikten, die mit unbeschreiblichem Leid für Millionen von Menschen verbunden sind. Denken wir zum Beispiel an die Sahelzone, Israel/Palästina, Syrien, die Ukraine, Haiti oder Afghanistan, um nur einige der aktuellen Krisen zu nennen.

Gleiche Chancen für alle

Im christlichen Verständnis hat Gott allen Menschen die gleiche Würde mit auf den Weg gegeben. Daraus leitet sich das Prinzip der Chancengerechtigkeit ab. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte beginnt mit folgendem Artikel: «Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.» (AEMR, 1. Artikel) Die Staaten verpflichten sich dadurch, allen Menschen die gleichen Chancen und Möglichkeitenzu bieten. Und auf individueller Ebene ist uns geboten, unseren Mitmenschen gleichberechtigt und mit Respekt gegenüberzutreten. Jesu Prinzip der Nächstenliebe stellt genauso respektvolle Beziehungen zwischen den Menschen ins Zentrum sowie das sich gegenseitige Unterstützen.

Sich für die «anderen» interessieren

Doch was kann ich als Christin oder Christ konkret gegen Ungerechtigkeit um mich herum und weltweit unternehmen? Gott sieht für jede und jeden von uns eine spezifische Rolle im Leben vor. Indem wir in uns gehen und Gott zu uns sprechen lassen, können wir herausfinden, was diese Aufgabe ist und welche Bedeutung sie für das friedliche Zusammenleben in der Gemeinschaft hat. Wenn ich mich für mein Gegenüber interessiere, hilft mir das, Vorurteile bezüglich jenen, die «anders» sind, abzubauen. Zum Beispiel kann ich mit einer Frau,die aus einem Konfliktgebiet flüchten musste, ins Gespräch kommen und so beginnen, mich mit globaler Gerechtigkeit zu befassen. Indem ich Empathie gegenüber diskriminierten Menschen zeige, beginne ich mich für eine Gesellschaft zu öffnen, in der Respekt und Liebe gelebt werden sollen und in der der Glaube und die Hoffnung nach Shalom unter den Menschen weiter gedeihen können.


Gott sieht für jede und jeden von uns eine spezifische Rolle im Leben vor. Indem wir in uns gehen und Gott zu uns sprechen lassen, können wir herausfinden, was diese Aufgabe ist und welche Bedeutung sie für das friedliche Zusammenleben in der Gemeinschaft hat.


Was haben Krisen in anderen Ländern mit mir zu tun?

Um global einen Beitrag zu leisten, hilft es sicherlich, neugierig zu sein und Menschen aus anderen Kulturen kennenzulernen, sich über das politische Geschehen anderswo zu informieren und sich zu fragen, was Krisen in anderen Ländern mit mir zu tun haben. Denn es reicht nicht, dass es uns persönlich gut geht, wir sollten uns als Christinnen und Christenauch international solidarisch zeigen. Denken wir zum Beispiel an Grosskonzerne, die ihren Sitz in derSchweiz haben und Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden aufgrund ihrer Aktivitäten im Ausland tragen. Die Koalition für Konzernverantwortung, der die Kampagne StopArmut angehört, setzt sich seit vielen Jahren dafür ein, dass der Staat solche Konzerne für die Einhaltung der Menschenrechte und den Umweltschutz in die Pflicht nimmt. Die globale Vernetzung ist dabei eine Chance, sich gemeinsam mit anderen zu engagieren und Brücken zu bauen.

Auch ich kann Brückenbauerin oder -bauer sein

In der «Ge-Na Studie» zu Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit (www.glaubeklimahoffnung.net), an der rund 2500 Christinnen und Christen aus der Schweiz und Deutschland mitgemacht haben, stimmten über 90 Prozent der Befragten zu, dass sie der christliche Glaube motiviere, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen. Dieses Ergebnis ist ermutigend und fordert uns auf, diesen Weg weiterzugehen. Persönlich kann ich als Brückenbauerin oder -bauer für das friedliche Zusammenleben dienen, indem ich respektvolle Beziehungen mit meinen Nächsten pflege und wenn nötig auch für sie einstehe, egal welche Kultur sie haben oder ob sie arm oder reich sind. Der nächste Schritt ist nicht weit entfernt: sich auch auf gesellschaftlicher und politischer Ebene für die Menschenrechte und den Frieden auszusprechen. Denn um dem Shalom als Frucht der Gerechtigkeit näherzukommen, braucht es das gemeinsame Engagement von uns allen.


Dieser Artikel wurde von Katia Aeby, Verantwortliche für Kommunikation & Marketing bei Interaction, verfasst und stammt aus dem ERF Medien Magazin September 2024, dem monatlich erscheinenden Printmagazin von ERF Medien. www.erf-medien.ch

Foto von Azzedine Rouichi auf Unsplash

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Für Christen ist es klar, dass die staatliche Gemeinschaft das Recht und die Pflicht hat, Steuern zu erheben, um die Aufgaben des Gemeinwesens auf allen Stufen zu finanzieren. Schon Jesus sagte, man müsse Gott das geben, was ihm gehört und dem Staat das, was dieser beansprucht.

In einem demokratischen Rechtsstaat können wir mitbestimmen, was für welche Zwecke eingefordert werden darf. Was also darf neben den Einkommens- und Vermögenssteuern verlangt werden? Die Erbschaftssteuer liegt in der Kompetenz der Kantone. Sie wurde in den meisten Kantonen immer mehr reduziert. Eine Erbschaftssteuer könnte aber viel bringen, wenn sie zu einer nationalen Steuer umgewandelt würde. Erbschaften fallen bei den Erben an, ohne dass diese dafür etwas geleistet haben. Es handelt sich somit für die Erben um arbeitslose Einkommen. Die Erbschaftssteuer sei die gerechteste Steuer. Das sagte unser früherer Finanzminister, Bundesrat Kasper Villiger, den ich in der Finanzkommission des Nationalrates erleben durfte, als der Bund im Jahre 2003 ein Entlastungsprogramm zur Sanierung des Bundeshaushaltes vorlegte.

Ein erster Versuch scheitert

Nachdem dem Gesamt-Bundesrat der Wille fehlte, diese Bundessteuer ernsthaft vorzuschlagen, reichte ich damals im Nationalrat eine parlamentarische Initiative ein. Da auch diese nicht zum Erfolg führte, lancierten EVP, SP und Grüne eine Volksinititative: «Millionen-Erbschaften besteuern für unsere AHV (Erbschaftssteuerreform)». Im Zentrum stand die Forderung, dass Nachlässe ab 2 Mio. Franken der Erbschaftssteuer unterstehen. Vom Ertrag wäre ein Drittel an die Kantone gegangen, zwei Drittel an die AHV. Politisch und medial wurden wir mit aller Vehemenz bekämpft. 2015 erfolgte die Ablehnung bei nur 29% Ja-Stimmen. Die Zeit war offensichtlich nicht reif.

Die aktuelle Initiative ist unrealistisch

Gegenwärtig ist die Erbschaftssteuer wieder zum Streitpunkt geworden. Die Jungsozialisten bringen mit ihrer zustande gekommenen Volksinitiative «Für eine soziale Klimapolitik – steuerlich gerecht finanziert (Initiative für eine Zukunft)» einen neuen Vorschlag. Diese fordert die Einführung einer Nachlasssteuer von 50% auf Vermögen über dem Freibetrag von 50 Millionen Franken. Die Erträge wären zugunsten des Klimaschutzes zu verwenden. Erfolgreiche Unternehmer wie Peter Spuhler meldeten engagiert, dass sie aufgrund dieses Begehrens die Schweiz verlassen müssten. Diese Form der Erbschaftssteuer wäre für sie nicht verkraftbar. Einige Betroffene erwähnen, dass sie mit einer tieferen Erbschaftssteuer leben könnten. Bereits haben auch bekannte Mitglieder der SP erklärt, dass sie die Forderung ihrer Jungpartei nicht mittragen können.

Sollte die Volksinitiative angenommen werden, würde sie in der Realität zu einem Flop. Die Reichsten würden unser Land verlassen und das Ziel, im Jahr mehrere Milliarden für Bund und Kantone zu erhalten, würde verfehlt. Die Chancen der JUSO-Initiative dürften nicht gross sein; doch weiss man nie zum Voraus, wie Volk und Stände entscheiden werden.

Politisch stellt sich ernsthaft die Forderung, dieser JUSO-Initiative einen Gegenvorschlag gegenüberzustellen.

Ein nächster Versuch lohnt sich

EVP-Nationalrat Marc Jost (Bern) hat am 18. April 2024 eine parlamentarische Initiative «AHV-Solidaritätsabgabe auf Millionen-Nachlässe» eingereicht. Der Text lautet: «Der Bund erhebt zugunsten der Finanzierung der AHV eine Steuer auf Millionen-Nachlässe von natürlichen Personen. Die Steuer wird von den Kantonen veranlagt und eingezogen. Die Bundesverfassungsartikel 112 und 129b sind entsprechend anzupassen.»

Dieser Vorstoss geht nun in die Kommission Wirtschaft und Abgaben (WAK) des Nationalrates. Wenn diese mehrheitlich Handlungsbedarf feststellt, geht der Vorstoss an die WAK des Ständerates. Wenn auch diese dem Handlungsbedarf zustimmt, kann die nationalrätliche Kommission unter Beizug der Bundesverwaltung eine Vorlage vorbereiten. Der Vorstoss ist von Mitgliedern mehrerer Parteien mitunterzeichnet. Man darf gespannt sein, wie es parlamentarisch weitergeht.

Es ist wichtig, eine moderate nationale Erbschaftssteuer anzustreben. Naheliegend wäre als Zweckbestimmung die AHV. Wenn endlich die Heiratsstrafe – Rentnerehepaare erhalten nur 1,5 Altersrenten – abgeschafft oder zumindest gemildert werden könnte, wäre dies eine gesellschaftspolitisch gute Sache.

Wichtig ist: Die Erbschaftssteuer ist wieder auf der Tagesordnung. Da lohnt sich unser Einsatz.


Dieser Artikel erschien zuerst auf INSIST.

Foto von Claudio Schwarz auf Unsplash

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Was ist der Hauptantrieb, wenn Menschen ihren Glauben mit anderen teilen? Ist es die Liebe? Oder ist es die Gerechtigkeit?

Ich habe tatsächlich den Eindruck, dass trotz anderer Behauptungen die zentrale Grundperspektive klassisch konservativer / evangelikaler Theologie nicht die Liebe, sondern die Gerechtigkeit ist. Diese Gerechtigkeit ist der Liebe übergeordnet. Erst wenn der Gerechtigkeit Genüge getan ist – was oft bedeutet, dass ein Mensch in bestimmte Vorstellungen von Richtigkeit und Gehorsam hineinpasst – kann die Liebe zum Zug kommen. Zu lieben, ohne vorher klarzustellen oder geistlich einzurenken, scheint für so manchen Christen kein gangbarer Weg zu sein. Das wird als Verrat an der über allem stehenden Gerechtigkeit Gottes verstanden. Liebe ist zwar immer der erklärte Wille und die erklärte Absicht, aber diese Liebe kommt eben praktisch an der geforderten Gerechtigkeit (Korrektheit) nicht vorbei.

Und leider geht es wie oben erwähnt bei dieser Gerechtigkeit nicht um die klassische Glaubensgerechtigkeit, die Luther so wichtig wurde, sondern oftmals um Konformität subjektiv biblischen und moralischen Vorstellungen eines bestimmten frommen Milieus gegenüber.

In meinem Buch nenne ich als eines von mehreren Merkmalen progressiver Theologie:

„DIE LIEBE GOTTES ALS HAUPTANTRIEB – Menschen mit progressivem Glauben lassen sich von der Liebe Gottes motivieren, ihren Glauben mit anderen zu teilen. In dieser Liebe sehen sie auch ihre Offenheit gegenüber anderen Lebensentwürfen und -formen begründet.“

Auch wenn konservative Theologie immer wieder behauptet, Liebe und Gerechtigkeit gehören untrennbar zusammen, stelle ich nach 30 Jahren Leben in diesen Kreisen fest, dass die Gerechtigkeit der Liebe im konkreten Vollzug meist übergeordnet ist. Immer wieder höre ich konservative Pastoren sagen, dass ihnen in all ihren Jahren solch eine Vorrangstellung der Gerechtigkeit gegenüber der Liebe nie begegnet ist. Und ich frage mich dann manchmal, ob es einfach gar nicht mehr wahrgenommen wird, weil es so gewohnt ist. Haben diese Pastoren und Christen wirklich noch nie erlebt, dass ein Jugendpastor entlassen wurde, weil er mit seiner Freundin zusammengezogen ist? Dass Menschen nicht mehr in die Gemeinde gehen konnten, weil sie sich haben scheiden lassen? Dass Musiker nicht mehr auf der Bühne mitspielen durften, weil sie sich als homosexuell geoutet haben? Dass jemand die Hauskreisleitung entzogen wurde, weil er nicht mehr an die Historizität der Schöpfungserzählung glauben konnte? Dass begabte Frauen bloss wegen ihres Geschlechts nicht leiten oder predigen durften?

Vielen konservativen Christen erscheinen diese Konsequenzen absolut einleuchtend und es käme ihnen nicht in den Sinn, dass das lieblos ist, denn es ist doch richtig! Aber wieder und wieder wird die Liebe und die Barmherzigkeit auf dem Altar der Korrektheit (was natürlich mit Gottes Gerechtigkeit gleichgesetzt wird) geopfert.
Wenn schon biblisch, dann sehe ich dort den klaren Vorrang in der Liebe. Das wird zum einen explizit so zum Ausdruck gebracht (z.B. 1.Kor.13), zum anderen in vielen Geschichten, Begegnung und Gleichnissen Jesu illustriert.

  • Die Gerechtigkeit fordert die Steinigung der Ehebrecherin, die Liebe Jesu spricht: ich verurteile dich nicht, gehe in Frieden, aber verfehle in Zukunft das Ziel deines Lebens nicht mehr (vgl. Joh.8,11).
  • Die Gerechtigkeit des älteren Bruders fordert Konsequenzen für den verlorenen Sohn. Die Liebe des Vaters nimmt ihn bedingungslos an (vgl. Lk. 15)

Wenn die Liebe die Hauptmotivation ist, schliesst das Gerechtigkeit überhaupt nicht aus. Aber Gerechtigkeit ist eben eine Ausdrucksform der Liebe Gottes, die Liebe führt zur Gerechtigkeit und es geht nicht um ein unbedingt ausgewogenes Verhältnis zwischen diesen beiden Eigenschaften. Und wenn ich mich entscheiden müsste, wollte ich mich immer für die Liebe entscheiden! Das empfinde ich als am Göttlichsten. Denn nicht die Gerechtigkeit am Kreuz hat der Liebe Gottes den Weg freigeräumt, sondern die Liebe Gottes hat das Kreuz erst möglich gemacht. Die Liebe geht allem voraus und am Ende hat sie das letzte Wort.

Der Artikel ist erstmals am 23. März 2023 auf www.movecast.de erschienen.