Armut und soziale Ungerechtigkeit

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Da kann man ja doch nichts machen… oder?

Die Diskussionen um die Globalisierung machen uns immer klarer, dass es die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen den Industriestaaten und den Entwicklungsländern mehr den Interssen der reichen statt der armen Nationen entsprechen. Hiervon profitieren auch wir selber, selbst beim täglichen Einkauf. Auf unseren immer zahlreicheren Reisen sind wir mit Elend und Ungerechtigkeit in diesen Entwicklungsländern konfrontiert und fragen uns, was wir neben politischem Engagement denn im Alltag tun können: Beim Einkauf, beim Reisen, bei der Unterstützung von Hilfswerken. Oft ist es uns nicht ganz klar, was dem Nächsten nun wirklich hilft und was nicht.

Und warum das Ganze überhaupt? Soziale Gerechtigkeit ergibt sich zunächst aus dem Gebot der Nächstenliebe. Die Liebe zu Gott und zu den Nächsten ist nach Jesus das zentrale Gebot, das alle anderen Gebote und das ganze Gesetz zusammenfasst (Mat. 22, 34-40). In unserem Alltagsverhalten wird auch Philipper 2.3-4 wichtig: „Tut nichts aus Eigennutz oder aus eitler Ehre Willen, sondern in Demut achte einer den Andern höher als sich selbst, und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem Andern dient.“ Unter den Nächsten brauchen vor allem die Schwachen unser besondere Aufmerksamkeit. Vor allem im Alten Testament weisen uns viele Stellen darauf hin. Und nirgens werden wir davor gewarnt, dass wir die Selbstverantwortung der Nächsten schwächen könnten, wenn wir ihnen helfen.

Die Bibel gebietet uns also, den Nächsten Bestes zu suchen und nicht auf den eigenen Vorteil zu schauen. Zu den Details der Umsetzung suchen wir oft vergebens Anweisungen in der Bibel. Hier müssen wir uns meist von der Liebe und der Wahrheit leiten lassen und bewusst erforschen, was dem Nächsten wirklich dient und wo unsere Eigeninteressen im Spiel sein könnten.

Sollten wir uns bei der Umsetzung einzig auf christliche Strukturen abstützen? Dies wäre ein zu einschränkender Weg und würde bedeuten, dass wir glauben, dass christliche Organisationen automatisch Gutes und nichtchristliche Organisationen automatisch Schlechtes tun. Hüten wir uns vor Selbstgerechtigkeit und Schwarzweiss-Denken. Christen sind zwar erlöst, aber nicht perfekt. Und Paulus hat klar gemacht, dass auch „Heiden ein Gewissen haben“ (Römer 2.14-16). Messen wir also die Werke, die wir unterstützen, an den Früchten, die sie hervorbringen! Und oft bleibt uns gar keine Wahl, denn es gibt bisher noch keine von christlichen Organisationen vertriebene „gerechte Bananen“…

Fairer Handel

Seit Jahrzehnten verschlechtern sich die „Terms of Trade“ für die Entwicklungsländer. Das heisst, dass sie immer weniger Geld für die von ihnen exportierten Produkte erhalten, dies im Vergleich zu den Produkten, die die Industrieländer ihnen liefern. Es ist also Zeit, diesen Trend zu stoppen und wieder gerechte Preise zu bezahlen. Dies auch deshalb, weil die Arbeiter auf den Bananenplantagen und in den Turnschuhfabriken hart arbeiten und deshalb auch Anrecht haben auf einen Lohn, der zu einem würdigen Leben reicht (5. Mose 25.4: Du sollst dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden; oder auch Jakobus 5.4, vom Lohn der Arbeiter). Dies ist bisher kaum der Fall. Durch Passivität und unbebedachten Konsum von „normalen“ Kolonialwaren unterstützen wir unweigerlich die weitere Ausbeutung der Arbeiter in den Entwicklungsländern. Hierbei handelt es sich um einen globalen Diebstahl, den wir mitunterstützen. Dieser Diebstahl widerspricht unweigerlich dem Gebot „Du sollst nicht stehlen“. Die sozialen Folgen sind noch wesentlich schlimmer als beispielsweise bei einem „normalen“ Ladendiebstahl.

Vom Preis, den wir hier berappen, erhalten die Arbeiter oft nur 2-5%. Der Rest sind Gewinne der Firmen, des Zwischenhandels und des Endvertriebs. Wenn der Lohn der Arbeiter verdoppelt wird, tut uns dies also kaum weh. Im heutigen Fair Trade-Bereich zahlen wir nur deshalb bis zu 25% mehr für ein Produkt, weil die Mengen des gerechten Handels noch nicht so gross sind und die Fair Trade-Unternehmen deshalb weniger grosse Skalenerträge erwirtschaften können. Gerade deshalb sollten wir umso mehr diese Produkte zu bevorzugen, damit sie für die Konsumenten noch attraktiver werden.

Gewisse neoliberale Wirtschaftsprofessoren wenden sich gegen diese Form des gerechten Handels, da sie schlechte Strukturen (nach ihnen die einzige Ursache für die Armut) zementieren. Diese Haltung ist jedoch extrem technokratisch, da die betroffenen Arbeiter gar keine Möglichkeit haben, in wertschöpfungsintensiveren Bereichen zu arbeiten. Ein Abbau des zu grossen Angebots an Landarbeitern ist zudem auch nur durch Landflucht und damit weiteres explosionsartiges Wachstum der grossstädtischen Slums möglich. Auch dies ist kaum eine Lösung, aber das wird von den genannten Theoretikern ignoriert.

Es ist auch nicht weiter schlimm, dass vorläufig nur ein Teil der Arbeitnehmer in den Entwicklungsländern in den Genuss von höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen durch gerechten Handel kommen. Der Nachbar des Max Havelaar-Kaffeebauern hat deshalb nicht mehr Schwierigkeiten, seine Produkte abzusetzen, denn der Gesamtkonsum bleibt derselbe. Durch verbesserte Arbeitsbedingungen an einem Teil der Orte hat gerechter Handel sogar eine positive Wirkung auf dem Arbeitsmarkt eines Landes, indem die anderen Arbeitgeber bessere Bedingungen anbieten müssen, um gute Arbeitskräfte zu halten.

Sozialstandards

Grundsätzlich ist ein Boykott von Produkten aus Ländern mit Kinderarbeit und schlechten sozialen Standards sinnvoll. Denn inzwischen gibt es genügend Möglichkeiten, Produkte mit gesicherten Sozialstandards (Lohn, Arbeitsbedingungen, Rechte, etc.) aus anderen Ländern zu kaufen. Somit wird nicht die Lebensgrundlage der Arbeiter in den Entwicklungsländern zerstört, denn so kaufen wir nicht nichts, sondern nur statt an dem einen halt am anderen Ort. Langfristig erhöht dies den Druck auf die ersteren Länder, die Sozialgesetze ebenfalls anzupassen. Schliesslich gibt es in diesen Ländern auch genügend Erwachsene, die einen Job brauchen.

Sollten für den internationalen Handel Sozialklauseln gesetzlich eingeführt werden? Diese Frage steht schon seit einigen Jahren im Raum. Dies ist auf jeden Fall sinnvoll. Gewisse liberale Theoretiker sagen, Sozialklauseln würden von den Industrieländern nur als Schutz vor billigen Importen verlangt. Aber im Gegensatz zu den Regierungen der Entwicklungsländer (die meist aus den Oberschichten und der Wirtschaft stammen) sind sämtliche Gewerkschaften der Entwicklungsländer für die Einführung von Sozialklauseln, da die Angestellten unter miserablen Arbeitsbedingungen leiden. Und sie wissen auch, dass die Verbesserung der Bedingungen auf den Endpreis des Produktes nicht viel ausmacht und deshalb kaum zu befürchten ist, dass sie ihre Produkte nicht mehr verkaufen könnten und dies zu Arbeitslosigkeit führen würde.

Problem der Freiwilligkeit

Der Kauf von Fair Trade Produkten basiert auf Freiwilligkeit; der Konsument kann auswählen. Diese Pionierarbeit ist zwar gut und nützlich, löst das Problem jedoch nur punktuell. Aufgrund unserer Tendenz zur Eigennützigkeit brauchen wir neben der Freiwilligkeit auch gewisse Regeln. Wohl kein vernünftig denkender Christ würde sagen: „Es braucht kein Gesetz gegen Ladendiebstähle, Vergewaltigungen oder gar Mord! Menschen sollen einfach freiwillig darauf verzichten!“

Nein, für fairen Handel müssen auch internationale Regeln aufstellt werden, um die Arbeitsbedindungen auch bei den „normalen“ Produkten nachhaltig zu verbessern. Die Sensibilität unserer Gesellschaft müsste so stark anwachsen, dass nicht mehr die „Fair Trade Produkte“ zu deklarieren wären – sondern Produkte aus unsozialer Produktion schliesslich als illegal gelten würden.

Ferien in Drittweltländern

Grundsätzlich könnte mit Tourismus in Drittweltländern viel Entwicklung angetrieben werden. Aber es ist die Frage, welche Art von Tourismus:

– Sanfter Tourismus ist ein Tourismus, der keine grosse und für die lokale Bevölkerung nicht sinnvolle Infrastruktur erfordert. Hotelkomplexe mit grossen Swimmingpools in Trockengebieten gehen meist auf Kosten der lokalen Bevölkerung!

– Pflegen wir Kontakt mit der lokalen Bevölkerung und lernen wir von ihnen. So kommt ein Austausch auf gleicher Ebene zustande.

– Sich den lokalen Sitten anpassen (soweit sie nicht der Bibel widersprechen) und lokale Produkte konsumieren.

– Keine wahllosen Geschenke an kleine Kinder in der Strasse, die meist gar nicht in Not sind. So werden sie vom Betteln bei den Touristen abhängig und vom Schulbesuch abgehalten. Dieses Geld können wir anderswo sinnvoller investieren.

 

Reisen oder Produktion in diktatorischen Staaten

– Reisen in Länder mit korrupten oder diktatorischen Regierungen: Hier streiten sich die Geister, ob wir diese Länder bereisen sollen oder nicht. Tatsächlich profitieren Diktaturen vom Tourismus, der sie finanziell über Wasser halten kann. Andererseits kann der Kontakt mit Touristen die einzige Möglichkeit der Bevölkerung sein, mit der Aussenwelt in Kontakt zu kommen und neue Ideen aufzunehmen. Hier also: eher meiden, und wenn schon Tourismus, dann den Kontakt zur lokalen Bevölkerung suchen und Austausch pflegen. Hier wäre es auch sinnvoll, das erworbene Wissen zu Hause wieder weiterzugeben und bei uns Druck auf unsere eigenen Behörden und Multis auszuüben, damit sie die entsprechenden Regimes boykottieren. Und wie mit Korruption in diesen Ländern umgehen? Wichtig ist es, auf Bestechungen zu verzichten, selbst wenn es manchmal die einzige Möglichkeit ist, zu gewissen Vorteilen zu kommen. Leider ist in Notsituationen oft kein anderer Ausweg offen. Dann wäre aber eine Aufnahme von Namen oder des Ortes der auf diese Weise erpressenden Person sinnvoll, um dann an die höheren Stellen im Lande mit Kopie an die Schweizer Regierung ein Protestschreiben zu verfassen, auch wenn dies meist nur gewissen moralischen Druck erzeugt.

– Produktionsstandort Diktatur: hier scheint es ganz klar, dass Produkte von Firmen, die solche Standorte wählen, zu boykottieren sind. Denn wirtschaftliches Wohlergehen stützt die Regimes und sichert den Machthabern die Pfründe. Zudem muss unseren Firmen zu verstehen gegeben werden, dass sie Standorte mit gerechten Strukturen bevorzugen sollen. Damit werden gerechte Strukturen für Regierungen auch lukrativ. Mit dem Kauf von Produkten, die in anderen Ländern hergestellt worden sind, sichern wir dort die Lebensgrundlagen. Boykott zerstört also nicht insgesamt Lebensgrundlagen, sondern schafft nur eine Verlagerung hin zu besseren Standorten.

Max Havelaar: fördert Selbstbestimmung und Demokratisierung von unten.

 

Kleidersammlung

Kleidersammlung ist nicht gleich Kleidersammlung: Das eine sind die Sammlungen für Notsituationen wie zum Beispiel für arme Familien, die sich tatsächlich keine Kleider kaufen könnten und im Winter frieren würden. Das andere sind Kleidersammlungen von Hilfswerken, die sich über den Wiederverkauf dieser Kleider finanzieren, sei es in Osteuropa oder in Entwicklungsländern. Diese Methode ist eher kontraproduktiv, da sie den dortigen Kleiderindustrien oder den lokalen Schneidern die Arbeit wegnehmen und sogar schon ganze Produktionszweige vernichtet haben. Also: Kleiderschränke lieber für Nothilfen ausmisten als für die allgemeine Kleidersammlung (ausser es wird klar deklariert, wofür diese Kleider eingesetzt werden).

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